Diese Kameras beherrschen Pre-Recording
Manche Kameras nehmen schon auf, bevor du abdrückst. So erwischst du einen eigentlich verpassten Moment. Ich habe zusammengetragen, welche Geräte dazu fähig sind.
Bei Schnappschüssen, beim Sport oder bei flinken Tieren: Als Fotograf oder Fotografin drückst du manchmal zu spät auf den Auslöser und verpasst den entscheidenden Moment.
Es gibt Kameras, die aufnehmen können, bevor du auf den Auslöser drückst. Magie? Nein, ein simpler Trick: Schon bei halb durchgedrücktem Auslöser werden Bilder aufgenommen, aber nur temporär im Puffer gespeichert. Solange der Auslöser nicht durchgedrückt wird, löscht die Kamera die ältesten Bilder im Pufferspeicher fortlaufend, um Platz für neue zu schaffen. Erst beim Auslösen wird der Inhalt des Pufferspeichers auf die Karte geschrieben. Dadurch kompensiert die Kamera deine Reaktionszeit – typischerweise gewinnst du eine halbe bis eine Sekunde.
Damit dir diese Voraufnahmen etwas nützen, muss die Kamera bereits auf die richtige Stelle gerichtet und fokussiert sein. Darum hatte ich bis vor kurzem keine Verwendung für dieses Feature: Wenn ich zu spät bin, kann ich meistens auch vorher nicht rechtzeitig fokussieren.
Vögel beim Abflug erwischen
Es gibt aber Situationen, in denen Pre-Recording nützlich ist. Etwa, wenn Ski- oder Motocrossfahrer plötzlich über einer Schanze auftauchen. Am meisten bringt das Feature beim Fotografieren von Vögeln. Die verharren oft lange regungslos, bevor sie unvermittelt losfliegen. Du hast den Vogel im Visier, aber du siehst keinen Sinn darin, auf den Auslöser zu drücken. Sonst füllt sich die Speicherkarte mit tausenden von identischen Fotos, die du alle nicht willst. Drückst du aber nicht ständig auf den Auslöser, verpasst du den Abflug, der die spannendsten Bilder gibt.
Entdeckt habe ich die Vorteile beim Test der Fujifilm H2S. Und habe mich gefragt: Wieso bin ich da nicht schon viel früher drauf gekommen?
Die Funktion ist noch nicht Standard
Der Grund ist simpel: die meisten Kameras haben die Funktion bis heute nicht. Nicht einmal die Sony Alpha 1, die ansonsten alles kann und mit der ich ebenfalls Vogelfotografie ausprobiert habe.
Einen allgemein akzeptierten Namen dafür gibt es auch nicht – am ehesten noch Pre-Recording. Olympus nennt es «Pro-Capture», Fujifilm «Pre-Shot», Nikon «Pre-release capture», Canon sowie Panasonic «Pre-burst» und Sony «Predictive Capture». Bezeichnungen auf Deutsch sind noch weniger gebräuchlich. Die unklaren Begriffe machen die Suche nach dem Feature nicht gerade leicht. Ich bin mir also nicht sicher, ob ich alle Kameras gefunden habe. Ergänzungen gerne in die Kommentarspalte!
Fürs Pre-Recording musst du den elektronischen Verschluss verwenden. Das kann unter Umständen zum Rolling-Shutter-Effekt führen: Schnelle Bewegungen in Kombination mit langsamen Sensoren führen zu geometrischen Verzerrungen. Sportkameras haben heute jedoch Sensoren, bei denen auch mit elektronischem Verschluss in den meisten Fällen kein Rolling-Shutter-Effekt mehr zu sehen ist.
Olympus/OM Systems
Beim Olympus-System ist «Pro-Capture» schon länger etabliert. Schon die M1 Mark II aus dem Jahr 2016 hatte die Funktion. Sie findet sich ausserdem in folgenden Modellen:
Wie viele Fotos vorgängig gespeichert werden können, hängt von der Grösse des Pufferspeichers und somit dem Kameramodell ab. Bis zu 70 Stück können es sein. Die Vorlaufzeit ist abhängig von der Serienbildgeschwindigkeit.
Die OM-1 hat einen schnellen Autofokus mit Vogelerkennung und kann bis zu 120 Bilder pro Sekunde schiessen. Bei dieser Kamera ist das Pro-Capture sehr wertvoll.
Fujifilm
Fujifilm baut das Pre-Recording flächendeckend ein – einmal abgesehen von den Mittelformatkameras. Gilt auch für die unten nicht aufgeführten X-T3, X-T4 und X-H2.Der Hersteller nennt die Funktion «Pre-shot ES», wobei ES für Electronic Shutter steht. Bei der Fujifilm H2S geht der Pre-shot eine Sekunde zurück und schiesst dabei maximal 40 Bilder.
Panasonic
Bei Panasonic heisst das Feature «Pre-burst». Bei der G9 funktioniert es ähnlich wie bei Olympus und Fujifilm.
Einige weitere Modelle, etwa die G110, die GX80 oder die GH5S, haben Pre-Burst für 4K-Videos. Daraus lassen sich einzelne Frames als JPEG abspeichern. Das bietet nicht die gleiche Qualität wie eine RAW-Aufnahme, ist aber besser als gar kein Pre-Burst, wie es bei der GH6 der Fall ist.
Canon
Bei der Canon EOS R6 Mark II, R7, R10 und M6 Mark II gibt es innerhalb des RAW-Burst-Modus die Möglichkeit, Fotos schon eine halbe Sekunde vor dem Auslösen zu speichern. Canon nennt das PreRec. In diesem Modus werden die Fotos einer Serie als Video präsentiert, um die Bilder besser zu organisieren. Daraus lassen sich auch RAW-Bilder als einzelne Frames extrahieren.
Die Profi-Sportkamera Canon EOS R3 hat bislang kein Pre-Recording. Dabei wäre es dort besonders nützlich – die Kamera hat einen Sensor, der praktisch frei von Rolling Shutter ist. Vielleicht wird der «Vorauslöser» mit einem künftigen Firmware-Update für die R3 nachgeliefert.
Nikon
Schon die erste Nikon 1 im Jahr 2011 konnte Aufnahmen vor dem Auslösen speichern. Nikon hat das Feature aber nicht konsequent weiterverfolgt. Das hat wohl damit zu tun, dass die Sport- und Actionkameras bei Nikon bis vor Kurzem Spiegelreflexkameras waren.
Auch bei den Spiegellosen suchst du Pre-Recording bislang vergebens. Mit einer Ausnahme: Seit dem Firmware-Update 2.00 beherrscht die Nikon Z 9 «Pre-release Capture». Es können Vorauslösezeiten von 0,3 Sekunden, 0,5 Sekunden oder einer Sekunde gewählt werden. Die Funktion steht allerdings nur in den Hochgeschwindigkeitsmodi C30/C120 zur Verfügung – mit 30 oder 120 Bildern pro Sekunde. Das hat einige Einschränkungen zur Folge – unter anderem, dass du mit dem Pre-release Capture keine RAW-Bilder schiessen kannst.
Sony
Meines Wissens gibt es überhaupt keine Sony-Kameras mit Voraus-Aufnahme. Dass Sony dafür trotzdem die Bezeichnung «Predictive Capture» hat, liegt daran, dass es die Xperia-Smartphones können.
Fazit
Das Pre-Recording ist vor allem eine Domäne von Olympus und Fujifilm. Insbesondere bei der Vogelfotografie mit der Olympus OM-1 und der Fujifilm H2S erweist sich die Funktion als grosses Plus.
Die anderen Hersteller haben die Funktion zwar schon da und dort eingebaut, betrachten sie aber offensichtlich als unwichtig. Das erstaunt vor allem bei den neuesten spiegellosen Sportkameras. Denn dort ist der Rolling Shutter so gering, dass du den elektronischen Verschluss, der Voraussetzung fürs Pre-Recording ist, fast in allen Situationen nutzen kannst. Immerhin hat Nikon die Funktion für die Z 9 mit einem Firmware-Update nachgeliefert. Aber auch die kann keine RAW-Aufnahmen mit Pre-Recording.
Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.