Sehnsucht Haustier: Warum dein Kind einen tierischen Freund sucht (und wie du ihn woanders findest)
Hintergrund

Sehnsucht Haustier: Warum dein Kind einen tierischen Freund sucht (und wie du ihn woanders findest)

Mareike Steger
19.12.2023

Total wichtig für die emotionale und körperliche Gesundheit deines Kindes und sogar für seine Leistung in der Schule: Die Vorteile eines eigenen Hundes oder einer eigenen Katze sind zahlreich. Ebenso die Nachteile. Ich habe mich gefragt: Gibt es Wege zum Haustier – ohne eigenes Haustier?

Du hast ein Kind? Glaube mir, irgendwann wird der Satz fallen: «Ich will ein Tier!» Hund, Katze, Kaninchen, (fast) egal, Hauptsache kuschelig und meins. Und nein, die knuffigen Fellfreunde von Paw Patrol reichen irgendwann nicht mehr aus, auch nicht als Kuscheltier.

«Ja, das ist tatsächlich so», bestätigt Andrea Beetz. «Fast jedes Kind wünscht sich ein eigenes Tier.» Beetz ist Diplompsychologin, hält die Professur für Heilpädagogik und Inklusionspädagogik an der IU Internationale Hochschule inne und ist zudem Präsidentin der International Society for Animal Assisted Therapy.

Warum Kinder sich ein Haustier wünschen

«Das Interesse an Tieren ist bei Menschen im evolutionären, biologischen Erbe genetisch verankert», sagt die Expertin. Vor rund 40 Jahren hat der US-amerikanische Soziobiologe Edward O. Wilson die These der «Biophilie» aufgestellt: der Liebe zu allem Lebendigen. «Das heißt: Wir haben eine Affinität zu Leben und zur Natur, die Leben ermöglicht. Darunter fällt ganz viel: ‹Ich finde Welpen süß› oder ‹die schleimige Schnecke eklig› genauso wie ‹Ich mag schöne Schmetterlinge› oder ‹Ich will Tiere essen›.»

Kaum verwunderlich, dass schon Kleinkinder diese Sehnsucht verspüren: «Wauwau» gehört in Deutschland zu den ersten Wörtern, die Kinder von sich geben, sagt Psychologin Beetz. Die Wissenschaft, liebe Eltern, ist also auf der Seite der Kinder. Wie kommt ihr aus der Nummer wieder raus?

Schwer. Denn Beetz hat noch mehr Argumente auf Lager, warum so viele Kinder so dringend um eine Fellnase betteln (Tiere mit Gefieder wollen sie eher selten). «Kinder spüren: Ein Haustier könnte ein potenzieller Freund sein. Sie denken sich: Ich will eine Katze oder einen Hund als Freund, für ihn da sein und ihn umsorgen, und wenn ich nach Hause komme, ist da noch jemand anderes außer Mama und Papa, für den ich wichtig bin.»

Je interaktiver das Tier ist, umso besser: Durch die gemeinsame Beschäftigung mit Hund oder Katze entsteht diese ganze besondere, eigene Beziehung. «Wie ausgeprägt der Herzenswunsch nach einem Tier ist, ist jedoch unterschiedlich. Manche fragen irgendwann nicht mehr, andere Kinder arbeiten permanent daran. Bei ihnen ebbt die Sehnsucht auch nie ab.»

Mein eigenes Elternherz blutet jeden Tag, wenn mein Elfjähriger mich wieder fragt, warum wir keine Katze haben («Dein Vater hat Allergie und Asthma, mein Kind. Immer noch.»). Wie ist es bei dir: Kannst oder willst du deinem Kind den tierischen Wunsch nicht erfüllen? Gewichtige Contra-Gründe und diverse erprobte Abwehrtaktiken gibt es ja einige. Nur: Auf der Seite der Pro-Argumentation prangt weiterhin in SEHR GROSSEN Lettern: «Ich hätte dann aber einen Freund!» (Ja, so argumentiert der Elfjährige hier auch.)

Was so entscheidend ist an einem eigenen Tier

Nun, gibt es vielleicht Möglichkeiten, diese kindliche Sehnsucht anders zu stillen, Andrea Beetz? «Diesen Wunsch zu kompensieren, ist nicht leicht. Das gelingt am ehesten noch in Einrichtungen wie in Deutschland auf den Jugendfarmen, wo es Nachmittagsbetreuung mit Tieren gibt.» Dort können Kids in einem pädagogisch betreuten Umfeld Tiere wie Hunde, Ponys, Schafe und Kaninchen beobachten, sie streicheln und bei der Pflege helfen. «Da haben sie Tierkontakt, die Tiere bleiben permanent dort, das kann schon ein netter Ersatz sein. Allerdings muss man das Lieblingstier immer teilen», sagt die Expertin.

Und sie schränkt derartige Alternativen noch weiter ein: «Die Beziehung zum Individuum muss sich entwickeln können – und zwar permanent. Das ist entscheidend, denn danach suchen Kinder mit dringendem Haustierwunsch: Es muss immer dasselbe Individuum sein – und nicht jedes Mal ein anderes Tier.»

Typische Tierbegegnungsstätten wie Zoos oder Tierparks machen es schwierig, eine enge Tier-Bindung aufzubauen. Und es komme noch etwas hinzu, so Beetz: «Es gibt eine Umfrage der Universität Wien, in der 70 Prozent der Hundehalter zugaben: Ihr Hund schläft bei ihnen im Bett. Genau das ist es ja, was Kinder so nett finden am Haustier: Dass es sich zu ihnen aufs Sofa kuschelt, dass es ihnen morgens im Bett die Ohren ableckt oder sich schnurrend auf sie legt. All diese Rituale – und die zeigen auch: Unser Rudel ist zusammen.»

Tja …

… also vielleicht doch dem Wunsch nachgeben?!

Warum ein eigenes Tier so gesund ist

«Wenn Eltern es sich zeitlich und von ihren Ressourcen her einrichten können, dass sie ein Tier artgerecht halten können – und sie auch nicht die Langzeitperspektive schreckt – dann finde ich es schön, wenn es sich ermöglichen lässt. Kinder sehen ein Tier als Mitglied der Familie, sie malen es in Bildern, sie verraten ihm ihre Sorgen. Das muss gar nicht verbal sein, Mensch und Tier halten Körperkontakt, was das Bindungshormon Oxytocin ausschüttet. Ein Tier hilft uns zu fokussieren und im Hier und Jetzt zu sein. Es gibt so viele Studien, die die positiven Effekte auf die Gesundheit zeigen: Stress wird schneller abgebaut, es gibt mehr Kommunikation in der Familie, Kinder werden empathischer, ihre Ängste und Aggressivität reduzieren sich, ihre Leistung in der Schule kann sich verbessern …»

Aber?

«Wenn man es nicht gut hinbekommt oder sich nicht zutraut, sollte man es lassen. Dann kann man dem Kind sagen: Ich verstehe, dass du traurig bist. Aber es geht leider nicht. Ein Haustier muss auch zum Lebensstil passen.» Kleiner Trost: Kinder, die ihre Sehnsucht nach einem Hund oder einer Katze im Schulalter nie stillen konnten, erfüllen sich ihren Wunsch meist im Erwachsenenalter selbst.

Kein eigenes Haustier: Diese Alternativen gibt es

Bis es so weit ist, kannst du dein Kind vielleicht mit diesen Alternativen ein kleines bisschen trösten:

Dogsitting

Ihr habt einen süßen, kinderverträglichen Hund in der Nachbarschaft und eine gute Beziehung zu Frauchen oder Herrchen? Dann macht ein Hundesitting aus: Bello kommt zu euch, wenn die Nachbarn keine Zeit haben, und euer Kind freut sich. Wichtig: Klärt rechtliche Frage auf jeden Fall vorab – wenn zum Beispiel beim Gassigehen oder beim Toben in der Wohnung etwas passiert.

Reitbeteiligung

Nennst du ein Reitermädchen oder einen Pferdenarr dein eigen, gibt es eine tolle Chance: Eine Reitbeteiligung kann das Glück auf dem Rücken der Pferde noch erhöhen. Selbst wenn es nicht das eigene Pferd ist, ist der so wichtige kontinuierliche Beziehungsaufbau gegeben.

Katzencafé

In der Schweiz gibt es bislang nur eines: In Katzencafés wie dem «Casa Del Gato» in Zürich trinkst du entspannt Kaffee, während sich dein Kind Streicheleinheiten mit den Tieren hingibt. Das geht zwar bei regelmäßigem Besuch auch ins Geld, ist aber immer noch viel billiger als eine Reitbeteiligung.

Tierheim

Fragt im ortsansässigen Tierheim nach oder schaut bei gemeinnützigen Tiervereinen, ob eine Mitarbeit von Kindern möglich ist. Gassigehen mit Tierheimhunden darf man in der Regel erst ab 18 Jahren, davor müssen Papa oder Mama mit. Hinzu kommt: Aus emotionaler Sicht ist dieser Tierkontakt schwierig, denn sind die Tiere vermittelt, muss dein Kind Adieu sagen. Und das kann ihm das Herz brechen. Doch es lernt dabei, dass Tierbesitz auch Arbeit bedeutet: Käfige säubern, Futter herrichten, sich verlässlich kümmern und ja, auch Trauer verspüren beim Abschied.

Catsitting

Braucht auch einen Erwachsenen als Begleitung, kann aber sehr nett sein: Katzensitter auf Zeit. Falls du keine Bekannten hast, die im Urlaub Betreuung für ihr Büsi brauchen, können du und dein Kind auch bei Fremden Katzen sitten – sogar mit der Möglichkeit, in deren Wohnung zu schlafen. Doppelt aufregend! Die App Cat in a Flat bringt Suchende zusammen.

Gassi-Apps

Hundefans ohne eigenen Hund laden sich die App Dogorama herunter, um sich mit Hundehaltenden zum Gassigehen zu verabreden. Bei Sympathie und mit einer Portion Glück entsteht daraus fürs Kind eine tolle Bindung zum Tier – fast als wäre es seins.

Assistenzhund betreuen

Ein heißer Tipp, der nur funktioniert, wenn deine Familie das tierische Familienmitglied auch wieder ziehen lassen kann: Halte Ausschau nach einem Welpen auf Zeit. Sogenannte Partnerhunde, also Assistenzhunde für Menschen mit Beeinträchtigungen, müssen vor ihrer Ausbildung Alltagserfahrungen machen: von lautem Kindergeschrei über Staubsaugerlärm bis zum Shoppen im vollen Einkaufscenter oder Gassigehen und Toben im Wald. Dafür suchen Organisationen regelmäßig Gastfamilien. Die Hunde werden in der Regel für sieben bis acht Monate an die Familien vermittelt. Ihr könnt euch aber auch melden, wenn ihr nur in den Ferien oder an Wochenenden Zeit habt. Futter- und Tierarztkosten übernehmen die Vereine. Zum Beispiel werden in der Schweiz Gastfamilien gesucht von «Lecopain» und «Farah Dogs». In Österreich kannst du bei Partner Hunde Österreich oder bei Animal Training Center anfragen.

Lesehund

Einige Bibliotheken bieten tiergestützte Pädagogik an: Ein Lesehund kommt mit zu Vorlesestunden und hat beim Lesen eine beruhigende Wirkung auf die Kinder. Meist darf das Tier auch gestreichelt werden. Dass dein Kind so eine enge Beziehung aufbauen kann, ist nicht gegeben. Doch wenigstens motiviert der Hund ganz sicher zum Lesen. Unter Lesehund gibt es eine Liste mit Lesehund-Teams in der Schweiz. In der Bibliothek Knonau und in der Stadtbibliothek Katharinen in St. Gallen beispielsweise sind die regelmäßigen Lesehund-Termine stark nachgefragt.

Schulhund

Noch besser: Wenn es an der Schule deines Kindes einen eigenen Hund in der Klasse gibt. Und wenn nicht: Vielleicht kannst du die Lehrkräfte davon überzeugen, dank der nachweisbaren Vorteile eines Schulhundes.

Bauernhof

Auf Bauernhöfen geht es zwar weniger ums Kuscheln mit dem Tier als vielmehr ums Anpacken. Für ein paar Tage lang stillt es vielleicht trotzdem die Sehnsucht deines Kindes, wenn es im Stall mithilft. Schau einmal unter Myfarm oder Farm.myswitzerland, welche Höfe Mitarbeit suchen. Ältere Kinder ab 14 Jahren können wochenweise oder in den Sommerferien beim Landdienst in Kontakt zu Tieren treten. Infos und Partnerhöfe findest du unter Agriviva.

Titelfoto: shutterstock

11 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar
Mareike Steger
Autorin von customize mediahouse
oliver.fischer@digitecgalaxus.ch

Ich hätte auch Lehrerin werden können, doch weil ich lieber lerne als lehre, bringe ich mir mit jedem neuem Artikel eben selbst etwas bei. Besonders gern aus den Themengebieten Gesundheit und Psychologie.


Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

Kommentare

Avatar