Kleines Tier, hohe Ansprüche: Was Kaninchen als Haustiere alles brauchen
Hintergrund

Kleines Tier, hohe Ansprüche: Was Kaninchen als Haustiere alles brauchen

Kaninchen sind niedlich und lösen den «Ich-will-dich-streicheln»-Reflex aus. Dabei mögen sie kaum etwas weniger, als angefasst zu werden. Überhaupt ist es an der Zeit, mit dem Irrglauben aufzuräumen, Kaninchen seien anspruchslose Haustiere.

Zwei Knopfaugen, seidig-schwarzes Fell und eine ständig wackelnde Stupsnase: Gegen das Kindchenschema, das ich in der Tierabteilung eines Kaufhauses erblickte, war ich machtlos. Und meine Eltern gegen mich. Ich war elf Jahre alt und kurz darauf zog das Tierbaby bei uns ein. Wie so viele Eltern dachten auch meine, Kaninchen seien die perfekten Haustiere für ein Kind: klein, günstig, anspruchslos und kuschelig. Dabei haben Kaninchen, einen großen Bewegungsdrang, ihre richtige Ernährung geht ins Geld und vor allem: sind sie absolut keine Streicheltiere. Das alles wussten wir damals nicht.

Deshalb machten wir nach dem Kauf falsch, was falsch zu machen war: Wir adoptierten nur ein Kaninchen, kauften einen Käfig und gaben ihm Körnerfutter, Karotten und Äpfel. Glücklicherweise spürte ich schon damals als Kind, wie wenig einem Tier ein Leben hinter Gitterstäben gefällt, das in Freiheit bis zu 60 km/h schnell sprinten kann. Und so lief Trixie tagsüber frei in der Wohnung herum oder draußen im Garten, wo fröhlich das Blumenbeet umgepflügt wurde. Nur nachts musste die Wackelnase in den Käfig – immerhin mit XXL-Maßen, auf die ich bestanden hatte.

Prime Time: Abends und früh morgens sind Kaninchen besonders munter

Dabei ist ein Kaninchen – Merkregel Nr. 1 – ein Dämmerungstier. Früh am Abend und früh morgens ist es am aktivsten und will hoppeln, Männchen oder Luftsprünge machen (Kaninchen springen locker bis zu einem Meter hoch) oder graben (möglichst weit, Wildkaninchen legen bis zu 50 Meter lange Gänge an). Ein Grund, warum Kaninchen im Kinderzimmer fehl am Platz sind. In unserem Zuhause fielen bald Stuhlbeine, Kissen und Tapeten Trixies Nagetrieb zum Opfer. Dabei sind Kaninchen gar keine Nagetiere, sondern zählen zoologisch zu den Hasenartigen. Dinge anknabbern tun die meisten von ihnen trotzdem.

Nach wenigen Wochen dann die Überraschung: Trixie war gar keine Trixie. Der Name blieb dem Rammler trotzdem, das Markieren mit Urin leider auch. Eine Kastration hätte das abgestellt, doch auch das unterließen wir aus Unwissenheit. Vor Streicheleinheiten floh das Häschen, dafür teilte es gern Bisse aus. Und weil wir in den Sommerferien keine optimale Betreuung für ihn fanden, reiste Trixie nach Dänemark einfach mit. Im Ferienhaus lebte er wie im Schlaraffenhasenland: Morgens durch die offene Verandatür ins Freie und rein in die dänischen Dünen, abends kam er brav ins Haus zurückgehoppelt. Dass Trixie nie abgehauen ist, muss Anfängerglück gewesen sein.

Kuschel-Tiere: Kaninchen wenigstens zu zweit halten

Heute wohnen in meinem Haushalt wieder Kaninchen. Dieses Mal habe ich mich – Internet sei Dank – vorher gut informiert. Aus meiner Sicht die beste Online-Infoquelle für Fans von Hasenartigen ist «Kaninchenwiese». Über Jahre erstellt von der angehenden Tierärztin Viola Schillinger, hat sie ihr Wissen zudem kompakt in einem Buch verpackt.

Anders als Feldhasen, die Einzelgänger sind, leben Kaninchen in großen Gruppen. Wer jemals gesehen hat, wie hingebungsvoll sich Kaninchen gegenseitig ablecken und ständig die Nähe des anderen suchen, um zu kuscheln, würde nie auf die Idee kommen, ein solch soziales Tier alleine zu halten. Daher Merkregel Nr. 2: Kaninchen brauchen mindestens ein Partnertier.

Artgerecht gehalten, finde ich persönlich Kaninchen spannender als TikTok. Unsere beiden Löwenkopfkaninchen laufen tagsüber im Gartenfreilauf herum und bieten vom Home-Office aus ständig Gelegenheiten zum Beobachten. Selbst mein Pre-Teen-Sohn stößt spitze «Mama, soooo süß!»-Laute aus, wenn Hermine mit den Pfoten lustig ein Ohr nach unten knickt, um es zu putzen oder sich Löwi mit Schwung in die Seitenlage zum Schlafen floppt. Dann sieht sie für Nicht-Eingeweihte aus wie ein lebloses Stofftier – und kann selbst Kaninchenkennerinnen und –kenner regelmäßig zum Beinahe-Herzstillstand bringen.

Weil Kaninchen so perfekt zum nur Beobachten sind, eignen sie sich wenig für (kleine) Kinder. Merkregel Nr. 3: Kaninchen hassen es, hochgehoben und getragen zu werden. Sie hoppeln weg, kratzen oder zwicken – aus purem Instinkt: Schließlich bedeutet für das Fluchttier alles, was von oben kommt, Todesgefahr. Kuscheln tun sie am liebsten mit ihrem Partnertier. Streicheleinheiten vom Mensch genießen sie nur, wenn sie dabei am Boden kauern dürfen. Hüpft dein Kaninchen dafür freiwillig auf den Schoß, freu dich darüber. Aber erzwinge nichts. Und, da ähneln Kaninchen den Katzen: Sie bleiben zum Streicheln nur so lange, wie sie es mögen.

Irrglaube: Kaninchen brauchen weder Körnerfutter noch Brot

Wie Katzen lassen sich auch Kaninchen mit Leckerlis bestechen. Oder zu Tricks bewegen oder gar zum Springen über kleine Hürden. Zugleich sind sie so herrlich konservativ, was ihre innere Uhr angeht: Punkt 19 Uhr verlassen meine Zwei ihren Freilauf, um im Gehege ungeduldig auf frisches Futter zu warten. Dass sie sich ihr Bäuchlein den ganzen Tag mit Futter vollschlagen könnten, weil 200 Quadratmeter Grün zu ihren Füßen liegen – geschenkt. Auch andere Kaninchenhaltende berichten: Gefressen wird am liebsten, was frisch gerupft serviert wird. «Als würdest du den Kellner bitten, das Schnitzel noch in mundgerechte Stücke zu schneiden», kommentierte unlängst eine Bekannte das Phänomen.

An dieser Stelle müssen wir über einen Irrglauben reden: Nein, Kaninchen brauchen kein Körnerfutter oder hartes Brot. Im Gegenteil, das schadet ihnen sogar. Auch Obst und Wurzel- oderKnollengemüse sollten sie nur in Maßen mümmeln. Woran das liegt, erklärt Merkregel Nr. 4: Als Folivore, also Blattfresser, ist das Kaninchen auf frisches Grünfutter angewiesen: Wiesengewächse wie Gras, Löwenzahn, Schafgarbe, Spitzwegerich und Sauerampfer, aber auch Äste und Wildkräuter. Kaninchenzähne wachsen ein Leben lang und schleifen sich beim Kauen gegenseitig ab, nicht durch die Nahrung. Bekommt das Tier hingegen Hartes zu fressen, funktioniert der Zahnabrieb nicht optimal. Schlimme Zahnerkrankungen und tödlich endende Abszesse können die Folge sein.

Hauptsache grün und frisch: Das wollen Kaninchen das ganze Jahr

Wer seine Kaninchen richtig ernähren will, geht pflücken. Normalerweise finde ich das total entspannend – grüne Wellness am Abend zwischen Wiesenbärenklau und Schachtelhalm. Nur wenn ich bei Dauerregen stundenlang Gräser abzupfe, dabei in die Pflanzenbestimmmungs-App starre, ich leider schon wieder keine Gummistiefel angezogen habe und irritierte Blicke von Hundehalterinnen und -haltern ernte, wünsche ich mir mitunter, keinen Blattfresser daheim hocken zu haben.

Doch sobald ich nicht mehr bei Wind und Wetter durchs Grün krieche, weil der Winter da ist, heißt es: Jetzt wird’s teuer. In den kalten Monaten brauchen Kaninchen Frischkost wie Bittersalate, Küchenkräuter, Kohl und Gemüsegrün aus dem Supermarkt. Pro Monat kommen so schnell einige hundert Euro zusammen. Ohnehin sind Kaninchen in der Haltung fast so teuer wie Katzen, wie heimwerker.de ausgerechnet hat. Von wegen klein und günstig ...

Platz da: Ein Tier braucht ständig zwei Quadratmeter Fläche, mindestens

Überhaupt sind Kaninchen in Wahrheit Luxustiere: Allein die Anschaffungskosten für die teils selbstgebaute Unterkunft lagen bei mir fast im vierstelligen Bereich. Meine Zwei bewohnen nachts eine begehbare Voliere mit Regendach und Schlafkiste auf sechs Quadratmeter Grundfläche. Kommentar unserer Nachbarin, als sie zum ersten Mal unseren Garten betrat: «Der Stall euer Häschen ist ja größer als unser Kinderzimmer!»

Tja, Kaninchen brauchen Platz – und das rund um die Uhr. Merkregel Nr. 5: Plane pro Tier mindestens zwei Quadratmeter ein. Der Tierhaltungsrechner vom Schweizer Tierschutz STS geht bei zwei Tieren sogar von einer Mindestfläche von sechs Quadratmetern aus.

Mein erstes Kaninchen, Herr Trixie, verbrachte gut zwei Jahre bei uns. Am Ende entwischte er uns doch. Nicht in Dänemark, sondern bei meiner Oma auf der Veranda. Diese führte auf einen ein Hektar großen Garten mit angrenzendem Wald hinaus. Bis heute hoffe ich, dass Trixie dort nicht sofort einem hungrigen Wildtier begegnet ist. Verglichen damit leben meine jetzigen Häschen in Fort Knox: Noch der kleinste Schlupfwinkel ist mit mardersicherem Draht geschützt. Denn Marder können sich durch Löcher quetschen, die so klein wie ein Hühnerei sind. Türen mit Schieberegler hingegen können sie nicht öffnen. Zum Glück!

Titelfoto: Yossi Goldberg via unsplash

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Mareike Steger
Autorin von customize mediahouse
oliver.fischer@digitecgalaxus.ch

Ich hätte auch Lehrerin werden können, doch weil ich lieber lerne als lehre, bringe ich mir mit jedem neuem Artikel eben selbst etwas bei. Besonders gern aus den Themengebieten Gesundheit und Psychologie.


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