Genug ist genug? Wie viel ein kleines Tierleben wert ist
Hintergrund

Genug ist genug? Wie viel ein kleines Tierleben wert ist

Zubehör, Spezialfutter, Tierarzt: Hunde und Katzen kosten viel Geld. Das verstehen alle. Doch warum finden es viele normal, Hamster, Wellensittich oder Kaninchen eher einzuschläfern statt teuer zu behandeln? Ist nicht jedes Haustierleben gleich viel wert?

Neulich beim Tierarzt: «Das macht 548.46 Euro.» Ausnahmslos alle in meinem Freundeskreis, denen ich diese Summe nannte, verdrehten die Augen – sogar jene, die selber Haustiere halten.

«So viel Geld für ein so kleines Tier?», hieß es stets. Denn: ich rede hier von einem Kaninchen. Jenem Tier, das der deutsche Tierarzt Ralph Rückert mittlerweile aus triftigen Gründen als fragwürdiges Haustier ansieht. Ich habe selbst schon beschrieben, dass Kaninchen unterschätzt werden und im Grunde Luxus-Haustiere sind. Sie sind übrigens auch Meister im Verstecken ihrer Symptome. Oft zeigen Kaninchen bis zu ihrem Tod nicht, wie schlimm es um sie steht.

Doch was tut man mit einem Tier, das – wie Experte Rückert beschreibt – «im Zooladen perverserweise nur die Hälfte eines Stoffkaninchens von Steiff kostet, bei Erkrankungen aber genauso teuer werden kann wie jeder Hund»?

Ethische Frage: Worum geht es bei der Tierliebe?

Verdrehst du jetzt auch schon die Augen? Weil: hunderte Euro rsp. Franken für ein Kaninchen? Gegenfrage: Warum zahlen Menschen allein für den Kauf eines Rassehunds mehrere 1000 Euro, Folgekosten noch gar nicht inbegriffen?

Diese Frage verlangt nach einem Anruf bei Angela Martin, sie ist Professorin an der Uni Basel, Philosophin und spezialisiert auf Bioethik. Also, Frau Martin, wer hat recht: Meine Freundinnen, die mich in puncto Hasenliebe für verrückt halten. Oder ich, die sich unabhängig von der Art des Haustiers darum kümmert und natürlich auch zahlt?

«Es geht nicht darum, wer im Recht ist», sagt die Expertin. «Tierhalterinnen und Tierhalter, die sich umfassend um ihr Haustier kümmern, verhalten sich richtig, wenn sie in die Veterinärpraxis fahren und auch bereit sind, die anfallenden Kosten zu tragen. Es ist nun einmal so: Sobald man sich ein Tier zulegt, ist dieses völlig abhängig von Menschen. Diese müssen sich vorher bewusst sein: Was kann alles auf mich zukommen? Bin ich bereit, auch im Krankheitsfall für das Tier zu sorgen? Für wie viele Jahre verpflichte ich mich? Was für ein Tier nehme ich, wie sind seine Bedürfnisse und wie halte ich es artgerecht? Wer sich all das vor der Adoption des Tieres überlegt, handelt vorbildlich.»

Doch sogar Personen mit eigenen Haustieren machen offenbar Unterschiede bei ihrer Tierliebe. Denn warum werde ich belächelt, wenn ich meine Geldbörse weit öffne für die bestmögliche Behandlung meines Kaninchens, während Fans von Hunden oder Katzen für deren Unterhalt jedes Jahr mehr Geld ausgeben? Der Heimtiernahrungsmarkt wächst seit Jahren kontinuierlich, in der Schweiz beispielsweise jährlich um 14 Prozent. Wenn es jedoch um Kleintiere geht, geht die Tierliebe nicht so weit?

Menschen diskriminieren Tiere – und sind dabei nicht sehr kohärent

«Aus ethischer Sicht macht eine solche Unterscheidung keinen Sinn. Ja, gewisse Tiere kosten mehr in der Anschaffung und im Unterhalt. Doch das sagt nichts über ihren Wert als Individuum aus», sagt die Philosophin Angela Martin. Ist es eine Frage der Kultur, welches Investment ins Tier man für angemessen hält? Nach dem Motto: Für den Golden Retriever geben wir viel Geld aus, für den Goldfisch nicht?«Tatsächlich sind wir da kulturell geprägt», betätigt Martin. «Wir gehen davon aus, dass der Mensch zuoberst steht und darunter gilt eine Hierarchie: Je näher das Tier beim Menschen steht, desto mehr Wert hat es für ihn. Aber was heißt schon «nah»? Und wie begründet man das? Das ist eine völlig anthropozentrische Sicht. Aus ethischer Sicht ist das irrelevant. Stattdessen sollte man sich fragen: Geht es dem Tier gut?»

Wir Menschen diskriminieren also speziestisch, aufgrund der Spezieszugehörigkeit. Gewisse Tierarten behandeln wir besser als andere.

«Doch zugleich sind wir in diesem Speziesismus nicht sehr kohärent: Schimpansen beispielsweise sind für uns näher an der Spezies Mensch. Aber dann müssten wir auch Ratten höher bewerten, die sind nämlich höchst intelligent. Zugleich spielen psychologische Faktoren mit hinein, durch die wir Tiere diskriminieren: Ob es sich um Nutztiere handelt oder um Tiere, die wir streicheln können.»

Zu oft unterschätzen Menschen Kosten und Zeitaufwand

Was hingegen aus ethischer Sicht zähle, betont die Expertin, sei einzig das Wohlergehen des Tieres. Somit stellt sich bei einer Tierarztbehandlung nur eine einzige Frage: Geht es dem Individuum danach besser oder schlechter? Und nicht: Stimme ich der Operation zu, damit ich, aus rein egoistischen Gründen, noch länger mit meinem Tier zusammenleben kann?

Von der Theorie zurück in die Praxis. In die Tierarztpraxis: Nach wenigen Wochen musste Kaninchen Löwi plötzlich wieder dorthin. Erst die kostspielige Notfallbehandlung und Zahn-OP, und nun hatte sich auch noch ein Kiefer-Abszess gebildet. Wieder stand eine Operation mit Narkose an. Die Nachsorge würde dieses Mal aufwendig und langwierig sein. Erfolgschancen? Ungewiss!

Ich gebe zu: Ich fragte die Tierärztin, ob ein Einschläfern nicht «besser» sei. Ihr empörtes «Nein, die OP ist eine Chance!» brachten mich und mein schlechtes Gewissen gleich zum Verstummen.

Bioethikerin Martin weiß, wie schwer das Business ist: Zu oft werde von Tierärztinnen und -ärzten gefordert, das Tier einzuschläfern – weil Herrchen oder Frauchen keine Urlaubsbetreuung mehr finden, den Aufwand unterschätzt haben oder die Krankheitskosten nicht mehr zahlen können oder wollen. «Die Frage ist aber: Sollten wir aus monetären Zwängen so leicht über Leben und Tod entscheiden? Für die Tierhalterin und den Tierhalter ist es die billigere Version. Für den Hamster, das Kaninchen, den Wellensittich ist es ein ganzes Leben. Sein Leben», sagt Angela Martin.

Und sie setzt nach: «Der Tod ist auch für Tiere die ultimative Schädigung – ihm werden damit alle Möglichkeiten genommen, zukünftige positive Erfahrungen zu machen.» Auch unter diesem ethischen Gesichtspunkt müsse man die Euthanasie eines Tieres beurteilen. Voreiliges Einschläfern? Aus diesem Blickwinkel völlig undenkbar.

Wann ist einschläfern die ethisch richtige Entscheidung?

Bei meinem kleinen Haustier ging es schließlich so aus: Die Ausgaben-Seite auf meinem Konto belief sich mittlerweile auf rund 900 Euro. Vier Wochen lang spülte ich den operierten Abszess meines Häschens. Es wehrte sich, ich sorgte mich. Deutlich besser ging es Löwi nicht. Oder doch? Wie konnte ich das entscheiden? Was war wirklich am besten für mein Tier?

Statt weiter an Symptomen herumdoktern zu lassen, wollte ich endlich die Ursache kennen, die mein Haustier so krank gemacht hatte. Also fuhr ich in die nächstgrößere Stadt in eine Spezialklinik mit Computertomografie für Kleintiere. Natürlich begleitet von augenrollenden Kommentaren meines Umfelds: «Du lässt nicht ernsthaft ein CT machen für deinen Hasen?!» Doch, ließ ich. Der Spezialist fand die Ursache dann. Leider mit keiner guten Prognose.

Am Ende, um weitere 600 Euro leichter, schien es aus ethischer Sicht als das Beste für mein Haustier, es über die Regenbogenbrücke zu schicken. Noch an seinem letzten Lebenstag quälten mich jedoch Zweifel: Tue ich das Richtige? Könnte Löwi es nicht doch noch ein paar Tage, einige Wochen länger schön bei uns haben? Würde nur ich das gut finden – oder auch das Tier? Schließlich vertraute ich auf das Urteil des Spezialisten. Einem engen Familienmitglied, wie unser Kaninchen es war, wünscht man kein Leben mit dauerhaften, schlimmen Schmerzen. Mögest du in Frieden ruhen, Löwi.

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Mareike Steger
Autorin von customize mediahouse
oliver.fischer@digitecgalaxus.ch

Ich hätte auch Lehrerin werden können, doch weil ich lieber lerne als lehre, bringe ich mir mit jedem neuem Artikel eben selbst etwas bei. Besonders gern aus den Themengebieten Gesundheit und Psychologie.


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