Einatmen, ausatmen: Wahrscheinlich hast du verlernt, richtig zu atmen
Hintergrund

Einatmen, ausatmen: Wahrscheinlich hast du verlernt, richtig zu atmen

Bei deiner Geburt nimmst du den ersten tiefen Atemzug. Bei einer Lebenserwartung von 75 Jahren hörst du erst 630 Millionen Atemzüge später wieder auf. Obwohl du dein Leben lang praktisch ununterbrochen amtest, hast du wahrscheinlich verlernt, richtig zu atmen. Atempädagoge Norbert Faller sagt, warum. Und wie «richtig atmen» geht.

10 000 Liter Luft bewegst du täglich durch deine Atemwege. Ein scheinbar müheloser Kraftakt, den dein Körper unaufgefordert und von selbst bewältigt. Schon die ersten Sekunden deines Lebens (post-partum) beginnst du mit einem tiefen Einatmen und entfachst damit eine Lebenserhaltungsmaßnahme, die dir bis zu deinem letzten Atemzug erhalten bleibt. Dein Atem trägt dich durchs Leben – in zwei simplen Bewegungen: einatmen, ausatmen.

Atmen erhält nicht nur dein Leben, es hält dich gesund. Wer richtig atmet schläft besser, ist weniger leicht gestresst und hat einen schärferen Fokus. In Zeiten von Dauerstress und Alltagshektik ist das gesunde Atmen umso wichtiger. Nur so kannst du verhindern, dass dir dein Alltag nicht wortwörtlich den Atem raubt.

Das weiß auch Norbert Faller, Atempädagoge mit eigener Praxis in Wien und Buchautor von «Atem und Bewegung». «Wir sehen, dass sich die heutige Lebensweise auch in unserem Atem spiegelt», erklärt der Atempädagoge. «Die Menschen sind gestresst, ihr Atem wird kürzer, ist nur Brustatmung und die Atemfrequenz erhöht sich.» Die gute Nachricht ist: Gesundes Atmen lässt sich lernen – mit ein wenig täglicher Übung.

Richtiges atmen: Wie geht das und kann ich auch «falsch» atmen?

Dein Körper atmet von selbst, jede Sekunde deines Tages. Was daran kannst du also falsch machen? Zunächst sei gesagt: Du machst überhaupt nichts falsch. Aber dein Atem reagiert sensibel auf körperliche Empfindlichkeiten, zum Beispiel auf Stress. «Im Atem zeigt sich die Verfassung eines Menschen. Generell können wir schon sagen: Wie die meisten Menschen heute atmen, ist nicht gesund», sagt Faller. Durch Stress wird dein Atem oberflächlich, das heißt er geht nicht tiefer als bis in den Brustbereich, du atmest schneller und ohne Atempausen. Falsch ist der Atem dann, wenn sich die verkürzte Atmung nicht mehr entspannt, wenn «ein gewisses Muster permanent besteht, unabhängig von Situation und Verfassung.»

Was macht also einen gesunden Atem aus? In erster Linie: Flexibilität. Ein gesunder Atem reagiert flexibel auf die jeweilige Situation und Verfassung. Schneller bei Erregung und ruhig bei Entspannung. Außerdem atmest du im Idealfall durch die Nase. So wird die Luft gewärmt und gefiltert, bevor sie in die Lunge kommt. Wichtig für gesundes Atmen ist außerdem die Atempause zwischen Aus- und Einatmen, sagt Faller. Im Idealfall atmest du außerdem in die Tiefe: Die Atembewegung geht bis in den Bauchraum und bleibt nicht im Brustbereich stecken. Eine gesunde Atmung ist somit ein Spiegel des vegetativen Nervensystems. Das Atemzentrum unterliegt den Einflüssen des Vegetativums – und umgekehrt: Nervensystem und Atmung beeinflussen sich gegenseitig.

Fight or Flight: Deine Atmung und das vegetative Nervensystem

Deine Atmung reagiert also auf körperliche Empfindlichkeiten wie Stress, Trauma oder Entspannung. Das liegt an der engen Verkabelung von Atemsystem und vegetativem Nervensystem: Denn darin sitzen die beiden Gegenspieler Sympathikus und Parasympathikus. Während der Sympathikus deinen Puls in die Höhe treibt und aktivitätssteigernd wirkt, läutet der Parasympathikus Ruhe- und Regenerationsphasen ein. Im Idealfall wechseln sich Sympathikus und Parasympathikus je nach Situation ab. Salopp gesagt, bringt dich dein Sympathikus nach dem Aufstehen in Schwung während dich der Parasympathikus in den Schlaf wiegt.

Bei Stress ist der Sympathikus dauerhaft aktiviert und dein Organismus jederzeit im Modus: «Fight or Flight» (Kampf oder Flucht). Durch deine Atmung kannst du diese Anspannungszustände lösen und das Vegetativum beruhigen. Das zeigt unter anderem eine Vergleichsstudie in Frontiers of Human Neuroscience. Darin heisst es: «Langsames Atmen hat einen starken Einfluss auf das parasympathische Nervensystem.» Durch tiefes und vor allem langsames Ein- und Ausatmen kannst du deinen Parasympathikus aktivieren und so den Körper beruhigen. Das bestätigt auch Norbert Faller: Beim tiefen Ein- und Ausatmen verlangsame sich unser Organismus. «Ein vertieftes Atmen regt den Parasympathikus und damit die Erholungsfähigkeit an.»

Das funktioniert übrigens auch in die andere Richtung: Durch Hyperventilation – also schnelles Ein- und Ausatmen – aktivierst du den Sympathikus und dein Körper geht in die Leistungsbereitschaft. Zum Beispiel vor wichtigen sportlichen Leistungen oder vor einem Eisbad.

Wie wirkt sich richtiges Atmen auf deine Gesundheit aus?

Weil du mit deiner Atmung Einfluss auf dein vegetatives Nervensystem nehmen kannst, gilt kontrolliertes Atmen in der Forschung als Ausweg aus schlaflosen Nächten. Zum Beispiel zeigen Studien wie diese im Fachblatt Journal of Behavioral Medicine: Probanden, die vor dem Zubettgehen langsame Atemübungen praktizierten, konnten eher durchschlafen und waren seltener von unruhigen Nächten gequält.

Bewusstes Atmen zeigt zudem positive Effekte auf unsere Konzentrationsfähigkeit und Impulskontrolle. Das konnten Forschende im Fachblatt Frontiers in Psychology feststellen. Nach einem achtwöchigen Training für Zwerchfell- und Bauchatmung zeigt sich: Probanden zeigten weniger Stress und einen gelösten Umgang mit traumatischen Erlebnissen. Zudem konnte bereits nach 15-minütigem Atemtraining eine erhöhte Konzentrationsfähigkeit festgestellt werden.

Einatmen, ausatmen: 3 Übungen für Zuhause

Es gibt also gute Gründe, das Atmen nicht vollständig dem Reflex deines Körpers zu überlassen. Hin und wieder an einer gesunden Atmung zu arbeiten, kann dich in Höchstleistungen und in vollkommene Entspannung versetzen. Klingt gut? Norbert Faller hat drei Atemübungen mit uns geteilt, die du in deinen Alltag integrieren kannst.

1. Atembewegung spüren

Gesundes Atmen geht in die Tiefe. Bei dieser Übung geht es darum zu spüren, wohin im Körper die Atembewegung fließt. Bleibt sie im Brustbereich oder geht sie tiefer bis in den Bauch und ins Becken? Dazu setze dich gemütlich hin, stelle die Beine fest auf den Boden und schließe die Augen. Lege eine Hand zunächst an die Körperstellen, wo deine Atembewegung hingeht. Lege anschließend deine Hand erst auf den unteren Bauch, dann auf die Brust und zuletzt auf den Rücken und nimm wahr, ob du die Atembewegung unter der Hand spüren kannst. Atempädagoge Faller erklärt: «Bei dieser Übung werden angesprochene Bereiche des Körpers aktiviert und man wird ruhiger und entspannter.»

2. Nasenflügel dehnen

Diese Übung hilft dir dabei, deine Atemwege durch Dehnung zu befreien und die Luftzufuhr zu erleichtern. Dazu setz‘ dich gemütlich und aufrecht hin und schließe deine Augen. Beginne damit, deine Nase entlang zu streichen. Lege danach deine Daumen an die Nasenflügel-Innenwände und ziehe die Nasenflügel vorsichtig auseinander. Beim Auseinanderziehen der Nasenflügel atme ein, beim Loslassen atme aus. Nach dem Ausatmen mache eine kurze Pause. Das kannst du sieben bis acht Mal wiederholen: «Die Atemwege werden hier auf sanfte Wege geweitet und die Luft kann leichter ein- und ausströmen», sagt Faller.

3. Vorderfuß und Ferse mit der Atmung heben

Setz‘ dich bequem hin und stelle deine Füße parallel und hüftbreit auf den Boden. Schließe anschließend die Augen und entspanne dich. Mit dem Einatmen hebe einen Vorderfuß, mit dem Ausatmen setze den Vorderfuß ab. Nach einer kurzen Atempause hebe beim nächsten Einatmen die Ferse desselben Fußes und setze sie mit dem Ausatmen wieder ab. Wiederhole die Übung nun auf der anderen Seite. «Die Übung sollte in einem Tempo durchgeführt werden, an das sich der Atem mühelos und entspannt anpassen kann», sagt Faller. «Zwischen Bewegung und Atem soll dabei ein Zusammenspiel entstehen.» So spielen sich Organismus und Atmung aufeinander ein und verlangsamen dadurch. Eine perfekte Übung für mehr Ruhe und Entspannung.

Titelbild: Pavel Lozovikov via unsplash

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Olivia Leimpeters-Leth
Autorin von customize mediahouse

Ich liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party. 


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