Was hilft gegen Stress? Zum Beispiel ein langer Kuss
Hintergrund

Was hilft gegen Stress? Zum Beispiel ein langer Kuss

Er hat Jahrtausende lang das Überleben der Menschen gesichert: Stress. Heute scheint es manchmal fast einfacher, dem Tod zu entrinnen als chronischem Stress. Doch es gibt Auswege.

Stress ist eine der Volkskrankheit unserer Zeit. Wie könnte es auch anders sein? Der Alltag ist voll von Stress-Auslösern: Vom ersten schrillen Wecker- oder Handyläuten bis zu den zermürbenden Abendnachrichten.

Die Anforderungen des Alltags stressen dich zurecht. Die tröstliche und zugleich besorgniserregende Nachricht: Du bist nicht allein. Dem Schweizer Job-Stress-Index 2022 zufolge leiden 30 Prozent der Erwerbstätigen unter emotionaler Erschöpfung und Stress. Sie berichten von deutlich mehr Belastungen als verfügbaren Ressourcen im Berufsalltag.

Die globalen Zahlen geben noch mehr zu denken, wie eine Umfrage das World Economic Forum zeigt: 43 Prozent der Befragten aus 100 Ländern berichten im Global Workplace 2021 Report von regelmäßigem und anhaltendem Stress – Tendenz steigend. Grund genug, den Blick auf das Gefühl zu richten, dass nicht nur die Schweiz, sondern die ganze Welt auf Trab hält.

Gut, dass es Ratgeber gibt wie «Stress» von Emily und Amelia Nagoski. Sie erklären, was hinter Stress steckt und wie man mit Stresssituationen erfolgreicher umgehen kann.

Fight or Flight: Was steckt hinter dem Stressgefühl?

Stress im 21. Jahrhundert ist eine spannende Sache: Auslöser von Stress (die «Stressoren») sind längst nicht mehr (akut) lebensbedrohlich (à la: ein Säbelzahntiger verfolgt dich), die chemischen Stressreaktionen in deinem Gehirn suggerieren es dir aber. Anders ausgedrückt unterscheidet dein Körper nicht zwischen der Steuererklärung und einem Raubtierangriff. In beiden Fällen schreit dich dein Gehirn an, endlich in Aktion zu treten: zu kämpfen – oder zu fliehen. Stress ist also eine Überlebenstaktik des Körpers. Heute kann eine Aufgabe im Job, eine schwierige Familiensituation oder eine unbequeme Körperwahrnehmung einen solchen Stressor darstellen. Die neurologische und physische Reaktion darauf bezeichnen wir als Stress.

Stress: Was passiert in deinem Körper?

Siehst du dich also mit einem Stressor konfrontiert, schießt ein Hormoncocktail aus Adrenalin, Kortisol und Endorphinen ins Blut und provoziert eine komplexe körperliche Reaktion: Dein Herz schlägt schneller, dein Blutdruck steigt, deine Muskeln sind gut durchblutet und angespannt, deine Sinne sind geschärft und das Schmerzempfinden gedämpft.

Gleichzeitig treten andere Körperfunktionen in den Hintergrund, die du gerade nicht unmittelbar benötigst, um die Gefahr zu überleben: Die Verdauung verlangsamt und die Immun- und Sexualfunktion verändert sich, wie eine Studie im Fachblatt Excli Journal bestätigt. Vielleicht kennst du das Gefühl der Appetitlosigkeit, wenn der Stress zu groß wird.

Stressoren bedrohen heute nicht mehr dein Leben.

Stress ist aber durchaus eine Bedrohung für deine Gesundheit – sobald er chronisch wird. Die beiden Autorinnen Emily und Amelia Nagoski bringen diese Absurdität in ihrem Buch auf den Punkt. Sie schreiben: «In der modernen, nachindustriellen westlichen Welt tötet dich der Stress schneller als der Stressor.»

Depression und Diabetes: Die Folgen von chronischem Stress

Früher hat sich der Stress durch die Eliminierung des Stressors weitgehend beruhigt. War die Flucht erfolgreich oder der Angreifer besiegt, hat sich das mit dem Stress oft auch erledigt. Und heute? Du kannst auf der Arbeit nicht einfach aufstehen und weglaufen oder den anstrengenden Kollegen attackieren. «Kampf oder Flucht» ist im 21. Jahrhundert kein angebrachtes Stressmanagement mehr.

Wir stecken im Stresszyklus fest, weil wir in stressauslösenden Situationen feststecken, sagen die Nagoswkis. Hält dieser Zustand zu lange an, finden wir also keinen Umgang mit dem Stress und keinen Ausweg aus der Stresssituation, können die Folgen gesundheitsgefährdend sein.

Ein Forschungsteam konnte zum Beispiel in einer Studie nachweisen, dass chronischer Stress den präfrontalen Kortex und das limbische System verändert. Diese Gehirnareale reduzieren sich bei anhaltendem Stress im Volumen, zeigten Tierversuche. Und diese Veränderung der Gehirnstruktur könnten Forschenden zufolge auch der Auslöser von Krankheiten wie Depression sein. Die Autorin eines Review-Artikels im Fachblatt Future Science kommt zu ähnlichen Ergebnissen und ergänzt: «Die Konsequenzen dieser Gehirnveränderungen können sich potenziell auf andere Areale ausweiten und so kognitive, emotionale und verhaltenspsychologische Dysfunktionen begünstigen, die typischerweise mit chronischem Stress in Zusammenhang stehen.»

Sie erklärt zudem, dass chronischer Stress zu einem geschwächten Immunsystem mit dauerhaft erhöhten Entzündungswerten führen kann. Das stehe mit Krankheiten wie Krebs, Diabetes, Autoimmunerkrankungen oder Erkrankungen des Herzkreislauf-Systems in Zusammenhang.

5 Übungen für den Alltag: So brichst du aus dem Stresszyklus aus

Du wirst nicht verhindern können, immer wieder in stressige Situationen zu geraten. Oft ist deine Stressreaktion aber gar nicht wirklich geeignet dafür. Wichtig ist darum: Du solltest einen Ausweg aus der Stressreaktion finden, um danach in einen entspannten Zustand zurückzufinden. Die Autorinnen Emily und Amelia Nagoski teilen fünf wirksame Möglichkeiten, erfolgreich mit Stress umzugehen.

1. Sport hilft bei Stress

Sport tut dem Körper und der mentalen Gesundheit gut. Das ist bekannt. In puncto Stress gilt sogar: Körperliche Bewegung ist nicht nur ein, sondern das wirksamste Mittel gegen Stress. 20 bis 60 Minuten körperliche Aktivität am Tag reichen aus, um dein Stresslevel für mehrere Stunden zu senken.

Durch die Bewegung wird das Stresshormon Kortisol nachweislich abgebaut und das Gehirn schüttet die Glückshormone Dopamin und Serotonin aus, wie eine Studie zeigt. Nicht zuletzt hilft dir Sport dabei, tief durchzuatmen – und da komme ich schon zum nächsten Punkt.

2. Tief durchatmen

Atmen geht bekanntlich auch ohne Sport. Deshalb empfiehlt sich bei Stress tiefes Ein- und Ausatmen mit einer Atempause zwischen den Atemzügen. So regulierst du die Stressreaktion herunter, senkst das Kortisol im Blut und signalisierst deinem Körper Ruhe und Sicherheit.

Eine einfache Übung geht folgendermaßen: Atme ein und zähle dabei bis fünf. Halte den Atem an und zähle wieder bis fünf. Atme anschließend aus und zähle bis zehn. Wiederhole die Übung so oft wie nötig, um den Puls zu senken und die Entspannung zu spüren.

Tiefes Durchatmen wird auch von der Weltgesundheitsorganisation bei Stress empfohlen. In ihrem Stresshandbuch und in diesem Galaxus-Beitrag findest du weitere wirkungsvolle Atemübungen.

3. Positive soziale Kontakte pflegen

Um den Stresszyklus zu durchbrechen, empfehlen die Autorinnen den angenehmen, vertrauten und positiven sozialen Austausch. Das zeigt sich auch in einer Studie von Sandstrom und Dunn von der University of Sussex und der University of British Columbia: Demzufolge sind Menschen mit einem größeren sozialen Umfeld glücklicher. Ein gemeinsamer Tee mit guten Freundinnen und Freunden, ein Telefonat oder ein Spaziergang mit deinen Lieblingsverwandten hilft also schon, den Stresspegel zu senken. Die WHO schreibt dazu in ihrem Handbuch: «Wenn wir am Leben teilhaben und anderen Aufmerksamkeit schenken […] können wir mit Stress und Belastungen viel besser umgehen.»

4. Der 6-Sekunden-Kuss gegen Stress

Auch die Umarmung deines Partners, deiner Partnerin oder eines sehr guten Freundes kann helfen, das Stresshormon Kortisol abzubauen. Das zeigt eine aktuelle Studie im Fachmagazin Plos One. Der Effekt ist auf die Ausschüttung des «Kuschelhormons» Oxytocin zurückzuführen, das eine wichtige Rolle in Partnerwahl und Eltern-Kind-Bindung spielt. Eine 20-sekündige Umarmung kann schon den gewünschten Effekt haben.

Der Beziehungsforscher John Gottman empfiehlt zudem den «Sechs-Sekunden-Kuss» als Zuneigungsübung: Küsse deinen Partner, deine Partnerin oder eine Person, die du sehr gerne hast, sechs Sekunden lang. Du wirst feststellen, dass sich dein Stresspegel senkt und du dich in einem angenehmen Equilibrium mit der Welt wiederfindest. Bei Bedarf kannst du die Übung natürlich so oft du willst wiederholen (im Konsens mit der anderen Person, versteht sich).

5. Kreativität

Wer nicht gerne Sport betreibt, keine willige Person für einen sechs Sekunden langen Kuss parat hat und auch eigentlich keinen Nerv für den Bürotratsch mit den Kolleginnen und Kollegen, findet vielleicht im kreativen Ausdruck ein passendes Tool zum Stressmanagement. So zeigt eine Studie wie Kreativität zu mehr Energie, Eifer und Begeisterungsfähigkeit verhelfen kann. Und wenn du kreativ bist, Musik machst oder etwas malst, werden Stresshormone abgebaut: Bei 75 Prozent der Probanden einer Studie wurde nach 45 Minuten kreativer Aktivität eine maßgebliche Reduktion des Kortisol-Levels gemessen.

Und nochmal: Es geht nicht darum, Stress völlig zu vermeiden. Vielmehr ist es am gesündesten, Auswege aus dem Stresszyklus und einen angemessenen Umgang mit Stress zu lernen. Dann baust du nicht nur Stress ab, sondern Resilienz und Widerstandsfähigkeit gegen stressige Situationen auf.

Titelbild: shutterstock

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Olivia Leimpeters-Leth
Autorin von customize mediahouse

Ich liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party. 


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