Wetten, du putzt deine Zähne nicht richtig sauber? Tipps von der Expertin
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Wetten, du putzt deine Zähne nicht richtig sauber? Tipps von der Expertin

Gelernt ist gelernt? Beim Zähneputzen musst du diesbezüglich wohl umdenken. Studien zeigen: Die wenigsten bekommen ihre Zähne richtig sauber. Lies weiter, wenn du die Zahnreinigung neu lernen willst.

Zähneputzen: Kann doch jedes Kind! Auch, weil in Schweizer Kindergärten und Schulen regelmäßig mit den Kindern geübt wird, wie richtige Zahnpflege geht. Allerdings lassen neuere Untersuchungen nun aufhorchen – und daran zweifeln, wie gut das mit dem Zähneputzen funktioniert. Die Studien stammen aus Deutschland, wo es ebenfalls Prophylaxe-Maßnahmen in Bildungseinrichtungen gibt.

Fakt ist: Obwohl präventiv sehr viel für gute Mundhygiene getan wird, bleiben die Raten für Parodontitis und Gingivitis (zwei Formen von Zahnfleisch- rsp. Zahnhalteapparatsentzündung) hoch – und das weltweit. Anders ist es nur bei Zahnärztinnen und Zahnärzten: Laut dieser Studie bekommen die Fachleute eine nahezu perfekte Mundhygiene hin und haben dementsprechend niedrige Parodontitis- und Gingivitis-Raten.

Als Hauptverursacher für Entzündungen von Zahnfleisch und Zahnhalteapparat gilt Zahnbelag. Wird dieser beim Zähneputzen nicht ausreichend entfernt, kann die Plaque langfristig die Mundgesundheit ungesund beeinflussen. Die Folge: Mundgeruch, chronische Entzündungen am Zahnfleisch mit drohendem Zahnverlust – und auch für Karies sind bakterielle Plaque und Zahnstein ein prima Nährboden. Besonders der Übergang zwischen Zähnen und Zahnfleisch ist jene Stelle, die anfällig für derlei Erkrankungen ist.

Zwei Studien von 2023 zeigen die Defizite beim Zähneputzen

Warum aber sinken die Parodontitis-Raten nicht, auch wenn die Mehrheit der Erwachsenen angeben, sich regelmäßig die Zähne zu putzen? Verhaltenspsychologin Renate Deinzer von der Universität Gießen hat dazu zwei Studien aufgestellt, die 2023 publiziert wurden. Die Professorin leitet das Institut für Medizinische Psychologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen.

In einer Studie ließ Deinzer ermitteln, ob sich die Probanden ihrer Defizite beim Zähneputzen bewusst sind. Im Schnitt hielten die Probanden ihre Zähne für sehr sauber – und gingen davon aus, 70 Prozent der Messstellen, die sich am Zahnfleischrand befanden, geputzt zu haben. Tatsächlich waren es aber nur rund 30 Prozent.

Für ihre zweite Studie musste eine Probanden-Gruppe ihre Zähne «so gründlich wie möglich putzen, sodass sie ganz sauber sind», während die andere ihr Putzverhalten «wie gewöhnlich» anwenden sollte. In der Gruppe 1 putzten sich die Teilnehmenden deutlich länger die Zähne und nutzten häufiger Zahnseide.

Dennoch zeigten sich bei der anschließenden Messung des Zahnbelags keine Unterschiede: Weniger als 40 Prozent der Messstellen am Zahnfleischrand waren plaquefrei – und zwar in beiden Gruppen. Besonders vernachlässigt hatten die Probanden ihre Zahninnenseiten und die Zwischenräume ihrer Zähne.

Muss jeder nun das Zähneputzen neu lernen?

Einfach nur «viel hilft viel» gilt beim Zähneputzen offenbar nicht. Deshalb rufe ich bei Studienleiterin Renate Deinzer an, um herauszufinden, worauf es beim Zähneputzen ankommt.

Frau Deinzer, jeder glaubt, gute Zahnpflege zu betreiben – Ihre Ergebnisse aber zeigen Defizite. Warum ist das so?

Renate Deinzer: Wir können nur spekulieren, woran das liegt. Was im Zuge unserer Forschung deutlich geworden ist: Was Probanden unter gründlicher Zahnhygiene verstehen, weicht deutlich ab von dem, was Fachleute empfehlen. Für die Mehrheit der Probanden ist «gründlich» offenbar gleichzusetzen mit «lange Zähneputzen». Die Kohorte in unserer Studie, die zu besonders gründlichem Putzen angeregt wurde, hat einfach nur die Stellen im Mund, die ohnehin schon gut geputzt wurden, noch besser geputzt. Was ein Indikator dafür ist, dass Menschen «gründlich» mit «Zeit» gleichsetzen. Ihnen fehlt aber ein Bewusstsein dafür, was wichtig ist beim Zähneputzen.

Offenbar kommt es auf den Übergang zwischen Zahnfleischrand und den Zähnen an?

Genau, aber kaum jemand weiß, wie wichtig diese Stelle ist. Im Kindergarten wird vor allem auf die Prävention von Karies fokussiert. Und Karies spielt sich im Kindesalter vor allem auf den Kauflächen an. Das ist aber die vom Zahnfleischrand am weitesten entfernte Stelle. Wenn Menschen mit dieser Einstellung ihre ersten 15 Lebensjahre die Zähne geputzt haben, denken sie nach dieser Zeit natürlich: «Ich kann doch Zähneputzen». Hinzu kommt: Ich könnte mir vorstellen, dass es den Fachleuten viel zu selbstverständlich ist, dass der Übergang zum Zahnfleischrand so wichtig ist. Wurden Sie jemals in Ihrer Zahnarztpraxis mit Tabletten angefärbt, um zu schauen, wie gut Sie geputzt haben?

Nein... Das ist für mich eine Sache aus der Kindheit.

Sehen Sie – das deckt sich mit den Aussagen, die ich von Zahnärzten und Zahnärztinnen höre. Diese sagen häufig, das Anfärben sei Erwachsenen zu peinlich.

Müssen wir alle umlernen beim Zähneputzen?

Nun, es ist schon ein Trauerspiel: Ich kenne keine Gesundheitsvorsorge, die von so vielen Menschen ausgeübt wird. Das ist ein toller Erfolg. Gleichzeitig scheinen wir es aber nicht gut genug zu vermitteln, so dass das Ziel – saubere Zähne – nicht erreicht wird. Für die Menschen, die wir für die Studien im Labor hatten, kann ich unbedingt sagen: Ja, sie müssen das Zähneputzen neu trainieren, wenn sie es effektiv ausüben wollen. Offensichtlich ist Zähneputzen ein stark eingebranntes, motorisches Muster. Das ist wie beim Schreiben mit der Hand: Wenn wir nicht darüber nachdenken, schreiben wir nie so hübsch, wie wenn wir uns vornehmen, mit Schönschrift zu schreiben. So ist es auch beim Zähneputzen: Wer das neu lernen will, muss Schönschreiben im Mund lernen.

Sicher haben Sie konkrete Ratschläge dazu, welche Technik die beste ist?

Nein, das weiß man noch nicht. Wissenschaftlich lässt sich dazu keine Aussage machen. Aber was wir wissen: Ziel des Zähneputzens muss sein, die Plaque vollständig zu entfernen und zwar insbesondere auch am Zahnfleischrand. Die Zahnbürste muss also am Zahnfleischrand sein. Folgende Ratschläge sind bis jetzt nicht wissenschaftlich untersucht, aber Sie können sie ausprobieren, um so Ihre Zähne rundum sauber zu bekommen: Nehmen Sie sich eine feste Reihenfolge beim Zähneputzen vor, zum Beispiel: erst Oberkiefer, dann Unterkiefer, dort jeweils erst Innen, dann Außen, dann Kauflächen. Bei den Außen und Innenflächen putzen Sie sorgfältig jeden einzelnen Zahn mit jeweils zehn Bewegungen. Achten Sie dabei unbedingt darauf, dass Sie die Zahnbürste auch am Zahnfleischrand spüren, so dass der Zahn auch am Übergang zum Zahnfleisch sauber wird. Fangen Sie beim hintersten Zahn an und arbeiten Sie sich dann bis zur Mitte Zahn für Zahn vor. Dabei ist nicht die Zeit relevant. Wichtiger ist, dass Sie am Ende jeden Zahn von außen und innen geputzt haben. Dann kommen noch die Kauflächen, hier reicht einfaches Schrubben. Ganz wichtig außerdem: die Zwischenräume. Empfehlenswert ist es, einmal am Tag vor dem Zähnebürsten alle Zwischenräume mit Zahnseide, Dentalsticks mit Silikon oder Interdentalbürsten zu reinigen. Bei deren Anwendung kann es hilfreich sein, sich nochmals zahnärztliche Hilfe zu holen.

Auf den 2-Minuten-Timer im Badezimmer kann ich also pfeifen, wenn nicht die Zeit das Entscheidende ist.

Genau. Das Allerwichtigste ist, systematisch vorzugehen: Am besten beim hintersten Zahn beginnen und sich wie eben beschrieben einmal durch den Mund durcharbeiten. Ob Sie das kreisend oder vertikal oder horizontal machen – dazu gibt es zu wenig Daten, die belegen, was am besten wäre. Spüren Sie nach dem Putzen mit der Zunge nach, ob sich die Zähne bis zum Zahnfleischrand hin schön glatt anfühlen. Fühlt es sich noch pelzig an, dann dort nachputzen. Sie können sich auch Färbetabletten holen und das Ergebnis kontrollieren.

Putzt man erst richtig bis zum Zahnfleischrand, wenn es dort wehtut?

Nein, es muss nicht wehtun. Doch es kann durchaus sein, dass das Zahnfleisch zu bluten anfängt, wenn man gründlich bis an den Rand geht. Lassen Sie sich davon nicht abschrecken. Bluten ist ein Indikator für Zahnfleischentzündung. Gelingt das Putzen optimal, hört das Bluten normalerweise nach wenigen Tagen auf. Hört es nicht auf, kann das ein Hinweis auf eine parodontale Zahnfleischtasche sein. Dann kann es sein, dass Sie selbst gar keine Chance mehr haben, die Zähne sauber zu bekommen, sondern dass der Zahnarzt oder die Zahnärztin mithelfen muss, damit Ihr Mund wieder hygienefähig wird.

Wie putzt es sich besser: Mit elektrischer Zahnbürste oder mit Handzahnbürste?

Eine Meta-Analyse zeigt: Elektrische Zahnbürsten sind hinsichtlich Plaque-Entfernung etwas überlegen. Einschränkend möchte ich aber dazu sagen: Häufig wurden dabei die Probanden bei der Verwendung der elektrischen Zahnbürste vorher instruiert, jene mit der Handzahnbürste bekamen hingegen keine Anweisung zum Putzen. Oder aber es wurde bei der Verwendung der manuellen Bürste eine Technik vorgeschrieben, die schwierig umzusetzen war. Wir an der Universität Gießen haben Studierende, die sich auch zuhause mit der Handzahnbürste die Zähne putzen, mit solchen vergleichen, die das mit der elektrischen Bürste machen. Da kamen zwischen Handzahnbürste und Elektromodell gar keine Unterschiede heraus. Zum Schluss habe ich aber noch eine gute Nachricht...

Oh ja, lassen Sie hören!

Sie müssen nicht nach jeder Mahlzeit Zähneputzen. Aus parodontologischer Sicht reicht eine vollständige Plaque-Entfernung pro Tag völlig aus. Wann Sie das machen – morgens oder abends oder mittags – ist dabei wahrscheinlich viel weniger wichtig, als dass Sie es machen. Putzen Sie sich Ihre Zähne also dann supergründlich, wann Sie dafür Zeit und Nerven haben. Das zweite Mal am Tag putzen Sie, um die Fluoride aus der Zahnpasta gegen Karies gründlich auf den Zahnschmelz zu verteilen.

Titelbild: shutterstock

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Mareike Steger
Autorin von customize mediahouse
oliver.fischer@digitecgalaxus.ch

Ich hätte auch Lehrerin werden können, doch weil ich lieber lerne als lehre, bringe ich mir mit jedem neuem Artikel eben selbst etwas bei. Besonders gern aus den Themengebieten Gesundheit und Psychologie.


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