Gesunde Zähne sind erblich, oder? Bekannten Mundhygiene-Fakten auf den Zahn gefühlt
Milchzähne brauchen keine Pflege, Kaugummikauen ersetzt Zähneputzen nicht und ohne Zahnseide werden unsere Beißer nicht sauber – was daran stimmt und was nicht?
Zahnpflege ist wohl die erste Routine, die wir in unserem Leben hassen lernen: Sie fängt an mit dem ersten Zahn, der sich unter Schmerzen aus unserem Kiefer quält und endet erst mit dem letzten Atemzug durch die künstlichen Drittzähne. Je älter wir werden, desto aufwendiger und teurer wird die Zahnhygiene, mehr Hilfsmittel kommen ins Spiel und mitunter auch erschreckendere Geräte, die wir vom Behandlungsstuhl aus erspähen und/oder rattern hören ...
Warum wir uns das antun? Einerseits wissen wir: Es führt kein Weg an guter Pflege unserer Beißer vorbei. Versäumte Zahnpflege und Lebensstil-Entscheidungen wie das Rauchen führen eher früher als später zu schmerzhaften Eingriffen. Andererseits sind Zähne unser Kapital. Das zeigt ein Blick nach Österreich. Laut einer Umfrage ist jede zweite Person in Österreich davon überzeugt: Schöne Zähne machen attraktiver und 30 Prozent verbinden gar beruflichen und privaten Erfolg mit schönen Zähnen.
Eine internationale Studie aus 45 Ländern hat zudem festgestellt: Fast 79 Prozent der Befragten stufen die tägliche Zahnpflege als «sehr wichtig» ein. Das spiegelt sich auch darin wieder, dass 2021 alleine in Deutschland rund 13,6 Milliarden Euro in Zahn- und Mundpflegeartikel umgesetzt wurden.
Auch wenn in der Schweiz bereits überdurchschnittlich viel Bewusstsein rund um die richtige Zahnpflege herrscht, fragen sich manche vielleicht noch hier und da: Sind all die Anwendungen, Tools und Geheimtipps der Mundhygiene wirklich notwendig? Bis wohin rechtfertigt sich die aufwendige Zahnpflege und was davon können wir uns auch sparen? Hier kommen sieben Zahnpflege-Fakten unter die Lupe:
Zahnpflege-Fakt 1: Gesunde Zähne vererben sich (leider) nicht
Beginnen wir von vorne … Noch vor dem ersten Milchzahn, sogar noch vor unserer Geburt: bei den Genen. Gesunde und weiße Zähne vererben sich – nein, eben nicht!
Unsere Zähne sind von einem Biofilm umgeben, der sich bei Befall kariogener Bakterien verändert und sich daraufhin Karies ausbreiten kann. Forschende wollten in einer Zwillingsstudie herausfinden, ob diese Bakterien vererbt sind oder ob mangelnde Zahnhygiene für ihr Ausbreiten verantwortlich ist. Das Ergebnis ist leider eindeutig: Zwar sind manche Mundbakterien erblich, aber nicht die Kariesbakterien. Vielmehr kamen die untersuchten Bakterien von zu viel Zucker.
Die Autorinnen und Autoren der Studie schließen daraus: Zwar ist das bakterielle Milieu in unserem Mund erblich, dieser Effekt sei aber vor allem im frühen Kindesalter feststellbar. Heißt: Je älter wir werden, desto weniger können wir uns bei Zahnproblemen auf schlechte Gene berufen, sondern müssen uns an der eigenen Nase nehmen – und besser pflegen.
Zahnpflege-Fakt 2: Milchzähne brauchen besonders intensive Pflege
Es irrt, wer glaubt: Weil ein Milchzahn ohnehin wieder ausfällt, braucht er keine besondere Zahnpflege. Vielmehr ist ein junges Zähnchen besonders pflegebedürftig, da besonders anfällig für Karies (meist trifft es laut einer Studie die Backenzähne). In seinem Buch «Auf den Zahn gefühlt» schreibt Zahnarzt Stefan Fickl, warum das so ist: «Bei Milchzähnen ist im Unterschied zu bleibenden Zähnen die Zahnschmelz-Schutzschicht viel dünner und die Zähne stehen enger beieinander.» Die dünne Schmelzschicht ist quasi eine Steilvorlage für Kariesbakterien – und darüber hinaus erschweren die nah beieinander stehenden Milchzähne es, Zahnfüllungen gut zu befestigen.
Warum es zudem schon bei kleinen Kindern darauf ankommt, die Zähne im Blick zu haben, zeigt das recht junge Phänomen der Kreidezähne: Diese Verkalkungsstörungen zeigen sich durch bräunliche oder gelbliche Verfärbungen. Oft reagieren Kinder bei diesen Zähnen mit dem brüchigen Zahnschmelz recht empfindlich, meist sind die hinteren Backenzähne betroffenen. In der Fachsprache «Molare-Inzisive-Hypomineralisation» genannt, kennt man in der Forschung die Ursachen für Kreidezähne bislang nicht. Im Verdacht stehen Weichmacher aus Trinkfläschchen und Schnullern, schreibt Zahnarzt Fickl in seinem Buch. Ein Kreidezahn, dessen Zahnschmelz defekt ist, geht mit einem erhöhten Karies-Risiko einher. Braune Verfärbungen, auch schon am Milchzahn, gehören unbedingt in die frühe Behandlung bei Zahnarzt oder Zahnärztin. Aus einem Kreidezahn beim ersten Zahn wird oft ein Karieszahn auch beim bleibenden Zahn.
Zwischen 60 und 90 Prozent der kindlichen Kariesfälle entfallen auf die Vertiefungen der Backenzähne. Deshalb kann man die Fissuren der Backenzähne auch schon bei Milchzähnen mit einem Kunststofflack versiegeln. In der Schweiz wird der Fluroidlack nur bei erhöhtem Kariesrisiko im Kindesalter empfohlen. Allerdings heißt es in der Leitlinie «Fluoridierungsmaßnahmen zur Kariesprophylaxe» diverser Zahnärztlicher Fachgesellschaften sehr eindeutig: «(...) die Verwendung eines Fluoridlacks während der ersten sechs Schuljahre (...) führte zu einer verringerten Kariesprävalenz. Das galt ebenso für Fissurenversiegelungen». Am besten fragst du in deiner Zahnarzt-Praxis nach, ob man dort zu Versiegelungen und Fluoridlack für Kinder rät.
Was du in Sachen Zahnpflege bei Kindern mit Milchzähnen sonst noch beachten solltest, hat Kollegin Katja Fischer zusammengetragen:
Zahnpflege-Fakt 3: Fluoridhaltige Zahncreme ist essenziell für gesunde Zähne
Fluorid bei der Zahnpflege ist in der Schweiz Standard, dennoch kommt es durchaus zu «Kontroversen», wie es im «Update Fluorid» des «Swiss Dental Journal SSO», Ausgabe 130/9-2020 heißt: Es würden «Fluoride und fluoridhaltige Produkte mit unspezifischen Beschwerden wie Magenschmerzen, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen usw. in Verbindung gebracht, wobei hier eine entsprechende wissenschaftliche Grundlage fehlt. In letzter Zeit kommen häufiger Fragen zum Einfluss von Fluoriden auf die kognitiven Fähigkeiten von Kindern auf.»
An diesen Irrglaube muss niemand glauben. Denn Fakt ist: Fluoridhaltige Zahncreme ist besonders gut für unsere Zähne. Fluorid schützt unsere Zähne, weil es den Zahnschmelz härter macht und damit die Widerstandsfähigkeit der Zähne erhöht. Und das ist besonders bei Milchzähnen wichtig, weil der Zahnschmelz von Kindern wie gesagt noch weicher ist als der von Erwachsenen.
Fluoridbehandlungen werden daher zur Kariesprävention empfohlen – und das ab dem Kindesalter. Das Robert Koch Institut schreibt im «Journal of Health Monitoring» dazu: «Empfehlungen gehen davon aus, dass die Kariesreduktion umso größer ist, je häufiger die Zähne mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta geputzt werden.» Fast 300 klinische Studien gibt es, die die klinische Wirksamkeit von Fluorid bestätigen, und eine Meta-Analyse der Cochrane Collaboration untermauert diese.
Und keine Sorge vor der kolportieren Giftigkeit des Stoffes – Fluorid ist nicht dasselbe wie Fluor, das giftige Gas. Oft rühren die besagten Kontroversen daher, dass beides miteinander verwechselt wird.
Für die Anwendung fluoridhaltiger Zahncreme bei Kindern und Erwachsenen gibt es in der Schweiz folgende Empfehlungen: Kinder unter zwei Jahren sollten zwei Mal täglich ihre Milchzähne mit einer Zahncreme geputzt bekommen, die einen Fluoridanteil von bis zu 500ppm aufweist. Bei älteren Kindern oder einem erhöhten Kariesrisiko empfiehlt man bis zu 1000ppm Fluoridanteil in der Zahnpasta. Und Erwachsene sollten zu einer Zahncreme mit bis zu 1500ppm Fluorid zurückgreifen. Bei älteren Menschen, bei freiliegenden Zahnhälsen oder nach Wurzelbehandlungen gehen Empfehlungen sogar bis zu 5000ppm Fluorid in der Zahncreme.
Zahnpflege-Fakt 4: Zahnseide ist als Karies-Prophylaxe durchaus verzichtbar
Vorne vorweg sei gesagt: Es gibt gute Argumente für die Zahnseide. Schließlich entfernt sie Speisereste und damit Mikroorganismen, die potentiell kariogen wirken können. Doch zu viele Gedanken sollten wir uns darüber auch nicht machen. Denn die Studienlage zu der Wirksamkeit von Zahnseide, mit der wir mechanisch unsere Zahnzwischenräume säubern sollen, ist nicht unbedingt überwältigend.
Die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferhygiene stuft das Zähneputzen mit fluoridhaltiger Zahncreme zum Beispiel als wichtiger ein. Für die positive, kariesprophylaktische Wirkung von Zahnseide gebe es keine ausreichende Evidenz, so die Gesellschaft.
Auch eine Analyse des Cochrane Instituts von zwölf hochwertigen Studien zur Wirksamkeit der Zahnzwischenraum-Reinigung zeigt: Zahnseide bietet einen nur geringen Schutz gegen Plaquebildung und Zahnfleischentzündungen, darüber hinaus überzeugte keine Studie von der positiven Wirkung von Zahnseide gegen Kariesbildung.
Wer das Augenmerk dagegen häufiger auf die Reinigung der Zahnzwischenräume legen sollte, sind Parodontose-Patientinnen und -Patienten. Sie sollten allerdings eher zu Interdentalbürstchen anstatt zur Zahnseide greifen – und dabei auf die passende Größe achten. Eine Beratung mit einem Zahnarzt oder einer Zahnärztin vorab ist auch hier zu empfehlen.
Zahnpflege-Fakt 5: Je öfter und länger wir unsere Zähne putzen, desto besser
Diese Aussage stimmt nur zum Teil. Laut den Fachempfehlungen führt mehrfaches und längeres Zähneputzen (öfter als zwei Mal täglich) zu einer besseren Kariesprävention. Das steht in einer Leitline der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Die Gesellschaft bestätigt: Einmaliges Zähneputzen pro Tag führe zu einer durchschnittlichen Plaque-Reduktion von 42 Prozent, nach einminütigem Zähneputzen könne eine Plaque-Reduktion von 27 Prozent und bei zweiminütigem Putzen von 41 Prozent festgestellt werden.
Allerdings schreiben die Autorinnen und Autoren der Richtlinie auch: «Es wird vermutet, dass die karieshemmende Wirkung wahrscheinlich nicht so sehr von der Häufigkeit als vielmehr von der Qualität des Zähneputzens abhängt.» Wichtiger sei also die «optimierte individuelle und systematische Vorgehensweise» beim Zähneputzen.
Obwohl die Häufigkeit im Verhältnis zur Zahnputz-Technik weniger wichtig zu sein scheint, gibt es Mindestanforderungen: Das Österreichische Gesundheitsportal empfiehlt dafür die «2x2 Formel»: nach dem Frühstück und vor dem Schlafengehen zweiminütiges Zähneputzen. Optimal sei das Zähneputzen nach jeder Mahlzeit, in Formeln ausgedrückt: «3x2» – drei Mal täglich für zwei Minuten. Wichtig dabei ist, nicht direkt nach dem Essen zur Zahnbürste zu greifen. Obst aber auch Softdrinks und manche Kohlehydrate bringen das neutrale Klima im Mundraum zumindest kurzfristig aus dem Gleichgewicht, wodurch der Zahnschmelz leichter angreifbar wird. Warte daher ungefähr 30 Minuten, bevor du nach dem Essen deine Zähne putzt.
Trotz allem lässt sich schlussfolgern: Es kommt weniger auf die Häufigkeit an, sondern darauf, möglichst alle Zähne mit Fluorid zu erwischen. Genauso wichtig: die Zahnübergänge. An den Stellen, wo Zahnfleisch und Zahn aufeinandertreffen, bildet sich sehr häufig Karies, weshalb du ihrer Reinigung die notwendige Aufmerksamkeit schenken solltest.
Zahnpflege-Fakt 6: Ein Kaugummi ersetzt das Zähneputzen
Nun ja, zumindest teilweise. Ein Kaugummi erspart uns zwar nicht das tägliche Zähneputzen, wem aber die Zeit und Möglichkeiten fehlt, drei Mal täglich Zähne zu putzen, könne zwischendurch den Mund mit Wasser durchspülen oder auf einen Kaugummi zurückgreifen. Einzige Voraussetzung: Der Kaugummi muss zuckerfrei sein.
Beim Kauen des Kaugummis wird der Speichelfluss angeregt, und Speichel «stärkt den Zahnschmelz, wirkt antibakteriell und spült auch noch die Zahnzwischenräume durch», beschreibt es Zahnarzt Fickl in «Auf den Zahn gefühlt». Studien haben gezeigt: Kalziumhaltige Kaugummis können zur Remineralisierung der Zähne beitragen und präventiv gegen Karies wirken. Forscherinnen und Forscher haben zudem im Chinese Journal of Dental Research herausgefunden, dass fluoridhaltige Kaugummis eine leicht erhöhte Fluoridaufnahme in den Zahnschmelz bewirken. Zuckerfreie Kaugummis sind damit eine durchaus nützliche Ergänzung der täglichen Mundhygiene, sie können das Zähneputzen aber niemals vollständig ersetzen.
Zahnpflege-Fakt 7: Ölziehen fördert die Mundhygiene
Sehr umstritten ist das Thema Ölziehen. Die Praktik wurde aus der Ayurveda-Kultur (dort gehört die Praktik als Gandusha bekannt, zum so genannten Dhauti, einer der sechs Hauptreinigungsübungen das Hatha Yogas) direkt in die Regale der Drogeriemärkte geschwemmt. Wer den Mund täglich mit einem Löffel Leinsamen-, Sesam-, Kokos- oder anderen pflanzlichen Ölen spült, heißt es, habe eine verbesserte Mundhygiene und höhere Zahngesundheit. Die Prozedur soll Bakterien binden und so den Mundraum entgiften und sogar die Zähne aufhellen. Dazu muss man sagen: Die Studienlage rundum das Ölziehen ist generell dünn. Wissenschaftlich konnten zumindest positive Effekte auf Mund- und Zahnhygiene belegt werden.
So kommen Forschungsergebnisse zu dem Schluss: Durch das Ölziehen werde das Zahnfleisch gestärkt, wodurch es seltener zu Entzündungen komme. Die Autorinnen und Autoren fassen zusammen: «Ölziehen kann als Prävention für mehr Zahngesundheit angewandt werden.» In einer anderen Studie wurde gezeigt, dass sich Kariesbakterien und Lactobacillus acidophilus im Mundraum schon nach einer Woche Ölziehen wesentlich reduziert hatten. Wissenschaftliche Belege für eine entgiftende Wirkung auf den restlichen Körper fehlen aber gänzlich.
Und jetzt kommt ein großes Aber: Das Team von Medizin Transparent sieht die dünne Studienlage sehr kritisch. Durchgeführte Studien seien mangelhaft und nicht aussagekräftig, so ihr Fazit. Sich aufs Ölziehen als Kariesprophylaxe zu verlassen, ist demnach keine gute Idee.
Titelbild: shutterstockIch liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party.