Viele Symptome, viele Ursachen. Warum man beim Testosteronmangel genau hinschauen muss
Hintergrund

Viele Symptome, viele Ursachen. Warum man beim Testosteronmangel genau hinschauen muss

Annalina Jegg
28.10.2022

Lassen Libido und Erektionen nach, weil der Testosteronspiegel sinkt? Deuten beim 40plus-Mann Schweißausbrüche und Stimmungsschwankungen nicht auf die männlichen Wechseljahre hin? Nun ja, es ist ein bisschen komplizierter. Typisch Mann.

Schweißausbrüche. Stimmungsschwankungen. Nachlassende Libido: Weithin bekannte Symptome, die dich beim Älterwerden begleiten können. Schriftsteller Thomas Meyer hat hier wunderbar aufgeschrieben, wie es aussehen kann, ein «Leben ohne Latte». Bei Frauen heißt diese Zeit Wechseljahre – und bei den Männern? Gibt es die Andropause, das männliche Pendant zur weiblichen Menopause? Ein Anruf bei Professor Prof. Dr. Günter Stalla, Internist, Endokrinologe, Androloge und Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. «Nein, der Begriff «Andropause» existiert als etablierter Fachbegriff in der Endokrinologie und in der Andrologie nicht. Was mit den Männern in dieser Zeit passiert, ist nicht vergleichbar mit der Menopause.»

Hormone, stopp: Bei der Frau endgültig & akut, beim Mann schleichend & ohne Ende

Denn: Die Wechseljahre der Frau beginnen in der Prä- und Perimenopause mit fallenden Hormonwerten – aber sie enden endgültig mit der Menopause, der allerletzten Periodenblutung: «Das ist ein kurzes Ereignis in der Altersklasse zwischen 50 bis 52 Jahre, bei dem es zu einem kompletten Stopp der Hormonproduktion kommt.» Und beim Mann? Geht zwar mit dem 40. Lebensjahr die Produktion des Hormons Testosteron kontinuierlich nach unten – etwa um ein Prozent jährlich. Doch dieser Prozess ist schleichend. Und er kommt, anders als beim weiblichen Geschlecht, nie zum Erliegen: Männer können bis zu ihrem Tod Kinder zeugen. Frauen sind nach der Menopause nicht mehr fruchtbar.

«Was sich zudem nicht pauschal sagen lässt: Dass im Alter bei jedem Mann der Testosteronspiegel zu niedrig ist», sagt Stalla. «Es gibt ältere Männer, die haben durchaus normale Werte. Sie sind biologisch gesund, trainieren ihren Körper, haben keine Vorerkrankung. Und dann gibt es eine zweite Gruppe, bei denen geht das Testosteron herunter. Das hat dann entweder funktionelle oder organische Ursachen.» Es heißt also zu unterscheiden beim Testosteronmangel, in der Fachsprache «Hypogonadismus» genannt.

Erst die Pfunde, dann der Testosteronmangel

Beim sogenannten «primären Hypogonadismus» liegt die Ursache in den Hoden und ist in der Regel organisch, also angeboren. Doch auch Medikamente oder Erkrankungen oder Bestrahlungen können die Hoden schädigen. Laut der «European Male Ageing Study» (EMAS) betrifft die primäre Form des Testosteronmangels zwei Prozent der Männer, die zweite Form, der «sekundäre Hypogonadismus», 11,8 Prozent. Bei ihnen hängt der Hormonabfall mit der Steuerungszentrale im Hirn zusammen, konkret: Hypophyse oder Hypothalamus sind betroffen. Beide können z.B. durch Schädel-Hirn-Trauma, durch Tumore und genetische Disposition nachhaltig gestört sein.

Oder aber – und jetzt heißt es aufhorchen, Männer – durch Mangelernährung, Adipositas, Diabetes Typ 2, Medikamente (dazu zählt auch Alkohol). Experte Stalla sagt: «Übergewicht ist die häufigste Ursache für den funktionellen Testosteronmangel.» Die gute Nachricht: Bei dieser Form des Testosteronmangels haben Männer es durchaus selbst in der Hand. Stichwort Lebensstil:

Behandelt man Ursachen wie Bauchfett oder schlechte Ernährung, steigt das Testosteron und die Symptome verbessern sich oder verschwinden ganz.

«Wenn ich mich gesund ernähre, wenn ich ein Hobby als psychischen Ausgleich habe, wenn ich genügend Schlaf habe und körperlich aktiv bin, reduziere ich ganz viel von dem, was zu einer funktionellen Störung wie Hypogonadismus führen kann», sagt Androloge Stalla. Dann braucht es gar keinen Hormonersatz, den viele Anti-Aging-Praxen gern schnell verschreiben. Auch hier gilt: Pauschalisieren geht nicht. «Natürlich, wenn ich als Arzt Symptome finde, die auf Hypogonadismus hindeuten, kann man dem Patienten für drei Monate Testosteron geben. Um anschließend zu schauen, ob es dem Mann subjektiv oder objektiv besser geht. Doch zuvor gehören die Ursachen abgeklärt!» Durch eine Hormongabe länger als sechs Monate aber reduziere man die natürliche Steuerungsfunktion im Hirn langfristig. «Damit ist eine Therapie eingeleitet, die den Patienten schädigt. Das ist für mich nicht Medizin, das ist ein Geschäftsmodell.»

Testosteronmangel? Darum zum Arzt

Auch deshalb ist es so wichtig zu wissen: Nein, die Vielzahl der Symptome und möglichen Ursachen lassen sich nicht pauschal unter einem Schirm zusammenfassen. Erst recht nicht unter der fragwürdigen Bezeichnung Andropause oder männliche Wechseljahre, die ein Anti-Aging-Geschäftsmodell erst hervorbringen konnte, das Experte Stalla kritisiert. Sowieso sollten bei einem niedrigen Testosteronspiegel bei deinem Arzt oder deiner Ärztin stets die Alarmglocken schrillen: Denn dieser kann auch auf eine nicht erkannte Grunderkrankung hinweisen wie Diabetes, Herz-Kreislauf- oder Nierenerkrankung. Das gehört ordentlich abgeklärt.

Übrigens bringt ein Hormonabfall viele verschiedene Symptome mit sich: Sexuelle Symptome wie Libidoverlust, schwächere Erektionen und weniger morgendliche Erektionen, psychische Symptome wie depressive Verstimmung und Konzentrationsprobleme, somatische Symptome wie Hitzewallungen, Osteoporose, Gewichtszunahme, Tagesmüdigkeit. Erektionsstörungen hingegen, also erektile Dysfunktion, hat eher selten mit Testosteronmangel zu tun. Auch hier ist der Mann anders als die Frau im Wechsel: Während sie unter typischen Symptomen leidet, sind beim Mann «typische Symptome eher selten», heißt es im Fachartikel «Klimakterium virile – Mythos oder Realität?» im «Swiss Medical Forum», dem offiziellen Fortbildungsorgan der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte. Beim Alterungsvorgang, der von einem deutlichen Testosteronmangel begleitet sein kann – aber eben nicht muss –, gebe es «grosse interindividuelle Unterschiede». Also, Appell an die Herren der Schöpfung: Geht zum Fachmann oder zur Fachfrau, damit die analysieren, woher eure Beschwerden rühren.

Was können Männer tun, um Beschwerden im Alter vorzubeugen?

Wer jetzt schon ein schlechtes Gewissen hat, weil er gerade in Stück Pizza beißt statt in ein Salatblatt, bekommt es noch mit einem zweiten Experten zu tun. Der Urologe, Androloge und Autor «Der beste Sex deines Lebens» Dr. Frank Sommer hat noch ein paar gute Tipps für alle Männer. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit sowie Universitätsprofessor für Männergesundheit in Hamburg. Sommer stellt unserer Gesellschaft ein schlechtes Zeugnis aus: «Wir werden immer unfitter. Bei schlechtem Lifestyle beginnt bei vielen Männern ab dem 30. Lebensjahr ein Abfall von Hormonen.» Jedem seiner Patienten rät er eindringlich: Mann, übernimm mehr Selbstverantwortung für dich und deinen Körper.

So schwer ist es ja auch nicht: Bewege dich regelmäßig, nimm so wenig Gifte – Alkohol, Drogen, Nikotin – wie möglich zu dir und ernähre dich möglichst gesund. Und: Pflege deine Psyche. Tu das, was dich glücklich und zufrieden macht und vermeide bzw. reduziere Stress. «Das wirkt sich positiv auf deine Hormone aus», sagt Sommer.

Wer jetzt – ganz Mann – glaubt, er müsse vom Couchpotato gleich zum Marathon-Ass mutieren (und deshalb am Ende lieber sitzenbleibt): keine Bange. Weniger ist durchaus mehr. Experte Sommer drückt es so aus: «Sowohl muskuläre Übungen als auch kontinuierliche Bewegung, die das Herzkreislaufsystem anregt, unterstützen beim gesunden Älterwerden.» Das mögen ausgedehnte Spaziergänge, Joggen, Schwimmen oder Radfahren sein. Es hilft aber schon, wenn man nur kleine Dinge ändert. Zum Beispiel ab jetzt die Treppe statt den Aufzug nehmen oder das Auto öfter stehenlassen und kurze Strecken zu Fuß gehen. Auch die muskulären Übungen verlieren ihren Schrecken mit der 3x3x3-Methode:

  • 3 Übungen für die Muskelkraft,
  • 3-mal in der Woche,
  • 3 Minuten lang.

Das lässt sich für jeden leicht umsetzen und kann bereits einen großen Unterschied machen.

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Annalina Jegg
Autorin von customize mediahouse

Mich buchstabiert man so: Aufgeschlossen, Nachdenklich, Neugierig, Agnostisch, Liebt das Alleinsein, Ironisch und Natürlich Atemberaubend.
Schreiben ist meine Berufung: Mit 8 habe ich Märchen geschrieben, mit 15 «supercoole» Songtexte (die nie jemand
zu lesen bekam), mit Mitte 20 einen Reiseblog, jetzt Gedichte und die besten Beiträge aller Zeiten! 


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