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Hintergrund

Ab 45 droht Männern eine verhängnisvolle Negativspirale

Viele Männer kümmern sich über Jahrzehnte zu wenig um ihre Gesundheit. Sie sterben deshalb im Schnitt früher als Frauen. Dabei könnten sie relativ einfach gegensteuern, wie Dr. Tobias Jäger im Interview erklärt.

«Echte Männer gehen zur Vorsorge» – so versucht das Kantonsspital Aarau Männer ab 50 zur Prostata-Untersuchung zu motivieren. Einer, der «die Männer» ziemlich gut kennt, ist Dr. Tobias Jäger. Der Facharzt für Urologie gilt in Deutschland als einer der wichtigsten Experten für Männergesundheit. Sein Buch mit diesem Titel gibt es auch bei uns im Shop.

Männergesundheit (Deutsch, Tobias Jäger, 2024)
Sachbücher

Männergesundheit

Deutsch, Tobias Jäger, 2024

Im Interview will ich herausfinden, wie Männer den Abstand bei der Lebenserwartung zu den Frauen schliessen könnten.

Herr Dr. Jäger, Frauen in der Schweiz werden knapp fünf Jahre älter als Männer. Das ist aber keineswegs Schicksal oder genetisch verursacht, oder?
Dr. Tobias Jäger: Nein, der Lebenswandel ist ein wesentlicher Grund dafür, dass Männer früher sterben. Es gibt eine sehr interessante Studie, bei der die Lebenserwartung von Männern und Frauen ausgewertet wurde, die in Klöstern leben. Männer profitieren sehr stark, weil ihnen das Kloster einen gesunden Lebenswandel ermöglicht.

Etwas, was Männern ausserhalb der Klostermauern fehlt?
Die Klosterstudie zeigte, was passiert, wenn gewisse Faktoren aus der Gleichung genommen werden, zum Beispiel Rauchen, Alkoholkonsum oder Unfälle bei Aktivitäten mit hohem Risiko. Es gibt aber noch mehr, was Männer tun können, um länger zu leben.

Jetzt bin ich gespannt.
Als sogenannte protektive Faktoren sind zwei Dinge klar identifiziert: Sport und Bewegung. Das allerdings hören viele Männer nicht so gerne. Einige nehmen lieber Proteinpulver oder Vitamintabletten als etwas für ihre Gesundheit zu tun, was anstrengend ist.

Und was ist mit den Tausenden, die täglich in Fitnessstudios pilgern?
Da geht es nicht immer um Sport. Schaut man sich in mancher Muckibude um, dominieren die Männer, die schnell optische Effekte erzielen wollen. Da steht dann weniger der nachhaltige und anstrengende Muskelaufbau im Vordergrund.

Was wäre besser?
Ich plädiere für ein ausgewogenes Training, in dem der Mann sowohl etwas fürs Herz-Kreislauf-System macht als auch für die Kraft. Schon ein einfaches Training mit Klimmzügen, Liegestützen und Situps ist effektiv. Zweimal in der Woche jeweils 20 bis 30 Minuten sollten es allerdings schon sein.

Es gibt auch diejenigen, die beim Triathlon oder beim Marathon der Midlife-Crisis davonlaufen wollen …
Wer sich aus einer Sinnkrise heraus quasi aus dem Stand heraus derart extreme Anstrengungen zumutet, ist schnell mal in Gefahr. Das sind dann die tragischen Fälle, bei denen jemand auf der Laufstrecke an Herzversagen stirbt. Das soll nicht heissen, dass man auch mit 40 oder 50 noch etwas anfangen kann. Aber dann eben erst nach einem medizinischen Check-Up.

Ein gutes Stichwort: Männer gelten ja eher als Vorsorgemuffel.
Und das zeigen auch die Daten. Frauen entwickeln schon ab jungem Alter, ab der Geschlechtsreife, eine Art Vorsorgeroutine. Für Männer gibt es jahrzehntelang keinen Grund, einen Arzt oder eine Ärztin aufzusuchen. Erst ab einem Alter von etwa 40 rückt das Thema langsam wieder in den Fokus.

Auch wegen der Prostata-Untersuchung – für viele Männer wahlweise Tabu oder Horror.
Ja, viele fürchten die rektale Tastuntersuchung, oft auch «kleine Hafenrundfahrt» genannt. Dabei ist sie nicht einmal der beste Weg, einen eventuellen Tumor an der Prostata festzustellen.

Was ist die Alternative?
Es ist eine neue Leitlinie auf dem Weg, die auf den PSA-Wert im Blut setzt. Es geht darum, zum Beispiel im 40. Lebensjahr einmal den Ausgangswert des Prostata-spezifischen Antigens, kurz PSA, im Blut festzustellen. Je nach Entwicklung des Werts bei regelmässigen Untersuchungen ist eine gute Früherkennung von Prostatakrebs möglich.

Und die «kleine Hafenrundfahrt» entfällt.
Sie hätte dann nicht mehr die Bedeutung wie heute. Das würde sicher helfen, Männern die Angst vor der Vorsorge zu nehmen.

Sie plädieren in Ihrem Buch dafür, dass bei der Vorsorge der Testosteron-Spiegel untersucht wird. Warum?
Bei Testosteron denken die meisten Menschen an Muskeln und an Sexualität. Aber es ist auch darüber hinaus massiv wichtig, zum Beispiel spielt es eine wesentliche Rolle beim Stoffwechsel und für die Psyche. Ein Kollege hat es einmal als «Königshormon des Mannes» bezeichnet.

Wie äussert sich ein tiefer Testosteron-Spiegel?
Männer sind dann oft müde, fühlen sich abgeschlagen, sind leicht reizbar, schlafen schlecht. Bisher wird in diesen Fällen oft in Richtung Burn-out diagnostiziert. Leider ist es in der medizinischen Praxis eher unüblich, dass der Testosteronspiegel untersucht wird. Entsprechend wird die Ursache, nämlich zu wenig Testosteron, zu selten erkannt.

Ist ein tiefer Testosteronspiegel ab einem gewissen Alter unvermeidbar? Oder kann ich etwas dagegen tun?
Richtig gesunde und fitte Männer haben bis ins höhere Lebensalter einen normalen Testosteronspiegel. Es ist kein unvermeidbares Schicksal oder Schuld der Evolution. Aber ja, im Alter zwischen 45 und 50 Jahren ist die Gefahr gross, in eine Negativspirale zu rutschen. Viele nehmen dann zu. Und jedes Gramm zusätzliches Fett baut Testosteron ab, was wiederum zu Antriebslosigkeit führen kann, zu weniger Sport, zu noch mehr Fett – es ist ein Teufelskreis.

Wie können Männer dem entfliehen?
Es hilft, in einer Partnerschaft zu leben. Frauen sind ein positiver Faktor für die Gesundheit der Männer. Sie essen selbst häufig gesünder und können die Männer auch gut motivieren, einen Arzt aufzusuchen. Und es gibt noch eine Sache, die Männer überzeugen müsste, in die eigene Gesundheit zu investieren.

Die da wäre?
Wer im mittleren Alter Sport treibt, erhält seine Erektionsfähigkeit mit grosser Wahrscheinlichkeit im höheren Lebensalter. Damit kann ich die Männer motivieren. Zudem kommen Tumore bei sportlich Aktiven seltener vor.

Männer und Vorsorge

Wie hältst du es mit der Gesundheitsvorsorge?

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