Stress im Bauch: Ursachen und Therapie des Reizdarmsyndroms
Das Reizdarmsyndrom zählt zu den häufigsten Magen-Darm-Erkrankungen weltweit. Trotzdem gibt es der Medizin nach wie vor Rätsel auf. Entscheidender Faktor scheint die Ernährung zu sein.
Es zählt zu den häufigsten und zugleich relativ ungeklärten Magen-Darm-Diagnosen weltweit: Das Reizdarmsyndrom (RDS). Zwischen fünf und zehn Prozent der Weltbevölkerung leiden Schätzungen zufolge an unspezifischen Blähungen, Durchfall, Verstopfung und Bauchkrämpfen. Wird kein anderer Auslöser für die Beschwerden gefunden, wird dahinter schnell ein Reizdarm vermutet.
«Es gibt viele chronische Magen-Darm-Erkrankungen. Und oft wird etwas als Reizdarm bezeichnet, was keiner ist», sagt Prof. Dr. Daniel Pohl, leitender Arzt für Gastroenterologie und Hepatologie am Universitätsspital Zürich. Wie eine sichere Abklärung des Reizdarmsyndroms funktioniert, welche Symptome dafürsprechen und wie man die Erkrankung mit Entspannung, Ernährung oder Hypnose behandeln kann, erklärt der Experte.
Komplexes Erscheinungsbild: Wie äußert sich ein Reizdarm?
Die unspezifischen Symptome führen oft dazu, dass sich Patientinnen und Patienten in ihrem Leiden nicht ernstgenommen fühlen und es lange dauert, bis die Diagnose gestellt wird. Deshalb ist wichtig klarzustellen: Der Reizdarm ist kein Hirngespinst, sondern eine funktionelle Erkrankung des Darms. Wie sich diese Erkrankung äußert, ist vielfältig.
Das Darmzentrum Bern beschreibt in einer Veröffentlichung vier symptomatische Typen des Reizdarmsyndroms: Bei Typ 1 kommt es zu Durchfällen, während Typ zwei von Verstopfung geplagt ist. Bei Typ 3 wechseln sich Durchfall und Verstopfung ab und schließlich gibt es noch Typ 4, bei dem es vor allem zu Blähungen und Schmerzen kommt.
Definiert wird ein Reizdarmsyndrom über chronische Bauchschmerzen, für die keine anderweitige Erklärung gefunden wird. Diagnoseleitend ist die Dauer der Bauchschmerzen und die Veränderung des Stuhls: «Wenn ein Patient mit chronischen, nicht akuten Bauchschmerzen kommt – wenn er also mindestens einmal pro Woche Bauchschmerzen hat und das über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten, dann kann ein Reizdarmsyndrom vorliegen», sagt Prof. Pohl. «Auch eine Veränderung der Stuhlfrequenz oder der Stuhlkonsistenz sind für die Diagnose eines Reizdarmsyndroms notwendig.»
Der Reizdarm ist keine lebensbedrohliche Erkrankung, aber eine zermürbende. Es kommt zu keinen Alarmsymptomen wie Blut im Stuhl, Nachtschweiß oder Fieber. Aber: Die Ursachen sind nicht vollständig geklärt und auch bei Diagnose und Behandlung müssen Patientinnen und Patienten geduldig sein.
Ursachen: Was man über die Entstehung des Reizdarmsyndroms weiß
Beim Reizdarm scheinen viele Faktoren zusammenzuspielen. Genetische Veranlagung, schwere Magen-Darm-Infekte, psychische Traumata oder «erlernte Faktoren» wie die Ernährung oder andere Prägungen durch Familienangehörige und Partner können Auslöser sein. «Wenn Papa nach dem Essen immer Bauchschmerzen hatte, merke ich mir das als Kind und bin später auch gefährdeter. Das ist so eine Lernkomponente», sagt der Experte. Faktoren wie Zucker, Rauchen, Stress, Alkohol oder Schlafmangel sind zusätzliche Treiber der Erkrankung.
Zentral scheint aber die Veränderung der Darmflora und die gestörte Kommunikation zwischen dem zentralen Nervensystem im Gehirn und dem Darmnervensystem zu sein: zwischen dem Kopfhirn und dem Darmhirn.
Der Darm ist mit einem Nervensystem ausgestattet, das dem Nervensystem im Gehirn strukturell sehr ähnlich ist. Sprich: Dein Darm ist nicht nur ein plumpes Verdauungsorgan, sondern beeinflusst auch deine emotionale Gesundheit: Gefühle und auch Entscheidungen (nicht grundlos «Bauchentscheidungen» genannt). Prof. Pohl: «Ein einfaches Beispiel für diese Kommunikation: Man hat eine wichtige Prüfung vor sich und bekommt plötzlich Durchfall.»
Für die Misskommunikation zwischen Kopfhirn und Darmhirn stehen verschiedene Auslöser im Verdacht. Schwere Magen-Darm-Infekte zum Beispiel, erklärt der Experte, «dabei wird das lokale Immunsystem mobilisiert und Allergene, die natürlich Teil der Nahrung sind, können in die Darmschleimhaut eindringen. Die dabei gebildeten Antikörper bleiben dann oft im Körper – auch wenn der Infekt bereits ausgeheilt ist.» Beim Reizdarm reagiert der Körper dann immer mit einer Aktivierung der Antikörper und der Ausschüttung von Histamin, sobald er mit denselben Allergenen und Nahrungsmitteln konfrontiert ist.
Auch schwere psychische Traumata können hinter der Störung der Darm-Hirn-Achse stecken. «Es gibt Daten, die zeigen, wie viele Reizdarmsyndrom-Patienten Opfer von psychischen oder physischen Traumata waren. Das ist leider auf genaueres Nachfragen bei vielen in der Anamnese zu finden.»
Diagnose: So wird die Erkrankung festgestellt
Entscheidend für die erfolgreiche Behandlung ist eine saubere Diagnose. Und die ist bei der Vielfalt an möglichen Auslösern gar nicht so einfach.
Für die Diagnose gibt es die ROM-IV-Kriterien oder die im DACH-Raum gängige S3-Leitlinie. «Die S3-Leitlinie erhebt drei Faktoren», sagt Dr. Pohl. «Halten die Beschwerden länger als drei Monate an? Gehen sie mit Stuhlveränderungen einher? Und ist der Patient in seinem Alltag eingeschränkt?» Darüber hinaus muss abgeklärt werden, ob keine andere Erkrankung, zum Beispiel die Zöliakie, hinter den Beschwerden steckt.
Dafür wird ein Bluttest durchgeführt, bei dem Entzündungsstatus, Leberwerte, Nierenwerte, Zöliakie-Antikörper oder auch die Schilddrüsenwerte kontrolliert werden. Zusätzlich wird der Stuhl untersucht und bei Patienten und Patientinnen mit durchfallähnlichen Zuständen wird meistens noch eine Darmspiegelung durchgeführt. Prof. Pohl betont: «Bei Frauen sollte auch immer ein endovaginaler Ultraschall durchgeführt werden. Dabei kann man ein Ovarialkarzinom ausschließen, das anfänglich häufig als Reizdarm fehldiagnostiziert wird.» Weil man das Karzinom in der Darmspiegelung nicht erkennen kann, sollten sich Frauen mit Verdacht auf Reizdarm also immer auch gynäkologisch untersuchen lassen.
Reizdarm behandeln: FODMAP-Diät ...
Für die Behandlung des Reizdarmsyndroms braucht es transdisziplinäre Ansätze aus Gastroenterologie, Psychologie, Entspannungslehre und Ernährungsberatung.
Zunächst können die Symptome Verstopfung, Durchfall oder Bauchschmerzen medikamentös behandelt werden. Darüber hinaus sollte aber vor allem an der Ernährung gearbeitet werden. «Bis zu 86 Prozent der Patienten haben Beschwerden, die sich durch die Ernährung modifizieren lassen», sagt der Experte. Ernährungsempfehlungen sind so individuell wie das Reizdarmsyndrom selbst – ein bewährter Weg ist aber die FODMAP-Diät.
«FODMAP» steht für fermentierbare Oligosaccharide, Disaccharide, Monosaccharide und Polyole – also stark gasproduzierende Lebensmittel. «Im Grunde sind FODMAPS fermentierbare Zucker», sagt der Experte. «Zum Beispiel Fruchtzucker oder Laktose. Die können im Dünndarm häufig nicht vollständig resorbiert werden und gelangen dann in den Dickdarm wo es zu Gasbildung und Schmerzen kommt.» Beschwerden werden in einem FODMAP-Belastungstest erhoben und entsprechende Lebensmittel danach streng aus der Ernährung gestrichen.
... und medizinische Hypnose
«Ich würde diese Diät immer mit einer professionellen Ernährungsberatung begleiten», sagt Prof. Pohl. «Die FODMAP-Diät ist kalorienärmer, es kann zum Nährstoffmangel oder sogar zu Essstörungen kommen.» In professioneller Ernährungsberatung können FODMAPS nach maximal drei bis sechs Wochen nach und nach wieder in die Ernährung eingeführt werden.
Und weil beim Reizdarmsyndrom auch psychische Belastungen wie Traumata oder Stress eine Rolle spielen, werden begleitende Psychotherapie und Entspannungsübungen zur Behandlung empfohlen.
Die Bauchhypnose ist eine weitere medizinische Entspannungstechnik, die auch in wissenschaftlichen Studien überzeugt. Dabei werden durch Klänge und Bilder negative Gedanken abgebaut, die mit den Beschwerden einhergehen sowie Stressabbau und Entspannung geübt. Die Behandlung ist nicht Standard, aber eine wirkungsvolle, ergänzende Therapie, die von Betroffenen meist selbst gezahlt werden muss.
«Es gibt Patienten, die sich nicht gut für die medizinische Hypnose eignen: Patienten, die kein Verständnis für ihre Diagnose haben, die das Konzept der Kommunikation zwischen Psyche und Darm nicht verstehen, die keine Zeit für eine Auseinandersetzung mit ihrer Krankheit haben oder aufbringen wollen oder aktiv Drogen konsumieren.» Geeignet sind dagegen Patientinnen und Patienten, die motiviert sind, Zeit mitbringen und aktiv nach Coping-Strategien für Stress und die Symptome ihres Reizdarmsyndroms suchen.
Ich liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party.