«Loki», Staffel 2: Endlich wieder eine gute Marvel-Serie
Das Multiversum ist ausgebrochen – und damit ein alles zerstörender Krieg. Dem will sich Tom Hiddleston als Schabernack treibender Loki in den Weg stellen. Die gute Nachricht: Staffel 2 präsentiert sich dabei genauso stark und mitreissend wie die erste Staffel.
Eines vorweg: In diesem Review gibt’s keine Spoiler zu Staffel 2, aber zu Staffel 1. Du liest nur Infos zu Staffel 2, die aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt sind.
So sehr ich Marvel-Serien wie «Moon Knight», «Falcon and the Winter Soldier» oder «WandaVision» mag – das Gefühl, dass die durchweg soliden Serien eben doch nur abgespeckte Versionen eines potenziell grossartigen Marvel-Films sind, lässt mich nie los. Aber das ist nur einer von vielen Gründen, weshalb es mir in letzter Zeit schwer fällt, mich für neue Filme und Serien aus dem Marvel-Universum zu begeistern.
«Loki» bildet die – Achtung – glorreiche Ausnahme. Schon die erste Staffel schaffte es, eine Geschichte zu erzählen, in der unglaublich viel auf dem Spiel steht – nämlich das Universum selbst. Und doch fühlte sich die Story persönlicher an, als sie es vor dem Hintergrund des Weltuntergangs sein dürfte. Intim, beinahe.
«Wenn Staffel 2 von ‘Loki’ nur halb so gut ist wie Staffel 1, bin ich trotzdem sehr dankbar», schrieb Leser ralf1973 in der Kommentarspalte meiner Oktober-Streaming-Tipps. Nach vier von sechs Folgen – soviel durfte ich vorab sehen – kann ich dich schon mal beruhigen, lieber ralf1973: «Loki», Staffel 2 ist besser als «nur halb so gut». Viel besser.
Darum geht’s in «Loki», Staffel 2:
Wir erinnern uns: Am Ende der Zeit, da war He Who Remains – Jener, der bleibt. Das einzige Wesen, das das Ende des Universums und allen Seins miterlebt hat. Zumindest in den Comics. In der Serie war er eine von Millionen Varianten des Mannes, der mit sich selbst einen multiversalen und alles vernichtenden Krieg führte. Durch einen Trick aber gelang es Jenem, der bleibt, den Krieg zu gewinnen. Dann erschuf er die TVA, die Time Variance Authority, mit der er fortan dafür sorgte, dass nur noch ein einziger, wahrer Zeitstrahl existierte – und damit keine weiteren Varianten seines bösen Selbst.
Äonen lang ging das gut. Aber selbst Jener, der bleibt, musste irgendwann einsehen, dass auch er nicht die Macht hat, dem Universum seine Geschichte – seinen Wahren Zeitstrahl – für immer aufzuzwingen. Als Loki (Tom Hiddleston) und seine Variante Sylvie (Sophia Di Martino) ihn letztlich finden, wird er getötet. Und mit ihm seine sorgfältig aufgebaute, beschützte Ordnung: Das Multiversum wird erneut geboren. Chaotisch und voller Gefahren – und unzähligen He-Who-Remains-Varianten.
Bevor sich Loki ihnen stellen kann, muss er aber noch ganz eigene Probleme lösen. Zeitzerrungen zum Beispiel. So heisst das noch unbekannte Phänomen, das Loki befallen hat und ihn unkontrolliert zwischen Vergangenheit und Zukunft springen lässt. Zudem droht nicht nur der Wahre Zeitstrahl zu kollabieren, sondern das Multiversum selbst. Denn der Stoff, aus dem die Zeit gemacht ist, droht ob dem, was da noch kommt, zu zerreissen.
Es bleibt verrückt – glorreich verrückt
Oh, was habe ich «Loki» vermisst. Die Verrücktheit der Serie. Die wirren Ideen und witzigen Konzepte, an die ich während meinen Folgenanalysen so manche Hirnzelle verloren habe – so fest musste ich mich anstrengen, die Dinge gedanklich zusammenzuhalten. Daran ändert auch Staffel 2 nichts. Eine Staffel, die sich keinen ruhigen Einstieg gönnt, sondern direkt da anschliesst, wo Staffel 1 aufgehört hat: Loki befindet sich auf einem scheinbar alternativen Zeitstrahl, auf dem Kang, der Eroberer – derjenige aus «Ant-Man and the Wasp: Quantumania» – das Sagen hat.
Keine Bange: Ich verrate nicht, was dahintersteckt. Das würde dir den Spass am Rätseln nehmen. Schliesslich ist «Loki» die einzige Serie von Marvel, die mit dem Hauptquartier der Time Variance Authority eine Welt erschafft, in der nichts unmöglich ist und die alles in Frage stellt. Selbst das Raum-Zeit-Kontinuum. Manchmal auch ganz beiläufig. So läuft’s halt bei der TVA. Sie ist ja nichts Geringeres als eine kosmische Kraft, die in Form einer unendlich grossen bürokratischen Agentur den natürlichen Fluss von Zeit und Realität überwacht – im Muff einer 1970er-Büroeinrichtung. Genau diese Skurrilität ist es, die «Loki» ausmacht.
Zum besagten Muff gehört erneut Mobius, der immer noch herrlich weltlich von Owen Wilson gespielt wird. Gerade sein Casting war in der ersten Staffel ein regelrechter Meistergriff. In den Comics ist Mobius nämlich kein besonders spannender Charakter. In der Serie schon. Nicht nur, weil es bei Owen Wilson oftmals reicht, sich selbst zu spielen, um sich unsere Sympathie zu sichern. Wilson verleiht seinem Charakter auch noch etwas, das ihm in den Comics fehlt: Melancholie.
Denn Mobius und die anderen TVA-Agentinnen und -Agenten, so erfahren wir am Ende der ersten Staffel, wurden nicht von den Time Keepern gezüchtet, geboren und aufgezogen. Ihnen war es nie bestimmt, für die TVA Papierkram zu erledigen und Dokumente zu unterschreiben – so viel zur Bürokratie. Tatsächlich hatten sie alle einst ein Leben auf dem Wahren Zeitstrahl, ehe man sie dort rausriss, ihr Gedächtnis manipulierte und sie zu einer lebenslangen Anstellung verdonnerte. Dessen ist sich Owen Wilsons Mobius lange Zeit zwar nicht bewusst. Aber in seiner irrationalen und nie erfüllten Schwärmerei für Jetskis und anderen Kram aus den 1990er-Jahren steckte von Anfang an ein überraschend ehrlicher, verborgener Schmerz.
Jetzt, da die Katze in Staffel 2 aus dem Sack ist, muss sich Mobius dieser Erkenntnis stellen. Und mit ihm die gesamte Belegschaft der Time Variance Authority. Manche hadern mit dem Leben, das sie hätten haben können. Anderen wiederum wird bewusst, welche unmenschlichen Gräueltaten sie Äonen lang im Namen falscher Götter – den Time Keepern – verbrochen haben. Denn mit jeder gestutzten alternativen Zeitlinie, die wie ein ungewollter Ast vom Wahren Zeitstrahl abzweigte, vernichteten sie nicht nur He-Who-Remains-Varianten, sondern Milliarden von Menschenleben. Dem muss ein Ende gesetzt werden.
Oder … Etwa doch nicht?
Was, wenn die bösen Varianten erneut einen multiversalen Krieg auslösen, der so zerstörerisch ist, dass er das gesamte Multiversum vernichten könnte? Dann gäbe es nicht nur keine Abzweigungen, sondern auch keinen Wahren Zeitstrahl mehr. Das Ende aller scheint vorprogrammiert. Eine moralische, ja fast schon machiavellische Zwickmühle, in die Staffel 2 da eintaucht und der Serie mehr Tiefe gibt als alle anderen Marvel-Serien zuvor.
Wenn’s was zu kritisieren gibt, dann die Länge … Pardon, die Kürze
Was «Loki» allerdings fehlt, ist die Zeit, diese Tiefe ordentlich auszuspielen. Das ist nicht nur ein Problem dieser Serie. Es ist ein Problem aller Marvel-Serien. «Loki», Staffel 2, hat erneut nur sechs Folgen, und alle sind inklusive Abspann kaum länger als 50 Minuten. Das reicht nicht, um wichtigen Wendungen oder Erkenntnissen jenes Gewicht zu geben, das sie verdient hätten.
Um nicht zu spoilern, ein Beispiel aus der ersten Staffel, als sich Mobius seiner langjährigen Freundin Renslayer (Gugu Mbatha-Raw) entgegenstellt. Uns Zuschauenden wurde zu dem Zeitpunkt schon erklärt, die beiden verbinde eine Freundschaft, die bereits Jahrtausende währt. Wir wissen darum, dass gerade ein grosser Moment passiert, als Renslayer Mobius in den Rücken fällt. Wir fühlen es aber nicht.
Wie auch? Die Serie bräuchte deutlich mehr Folgen, in der die beiden beispielsweise zusammen Fälle lösen und sich gegenseitig den Rücken stärken – für alle Zeit. Immer. In den sechs kurzen Episoden hingegen hatten die beiden bloss eine Szene in Renslayers Büro, in der Besagtes nicht gezeigt, sondern eben nur gesagt wurde, damit wir Zuschauende es jetzt auch wissen.
Staffel 2 leidet in ähnlichen Szenen unter derselben Krankheit. Nicht, weil das Drehbuch zu seicht geschrieben wäre oder die Schauspielenden ihre Charaktere schlecht spielten. Es fehlt schlichtweg die Laufzeit, um die bedeutungsschweren Ereignisse adäquat vorzubereiten.
Tom Hiddleston on fire – aber jemand anderes stiehlt allen die Show
Und dennoch: Gerade, weil Tom Hiddleston noch immer genauso viel Freude an seiner Rolle hat wie anno dazumal bei seinem ikonischen Auftritt an der Comic Con vor knapp zehn Jahren, tut die mangelnde Zeit der Serie nicht allzu fest weh. Dafür spielt Hiddleston noch immer zu durchtrieben, schelmisch und kalkuliert. Für einmal darf er sogar wieder richtig wild drauflos zaubern. Denn wo Thor die Kraft und Stärke seines Vaters Odin geerbt hat, kommt Loki nach seiner Adoptivmutter Frigga, einer Meisterin der Zauberkünste.
Was ebenfalls noch immer wie die Faust aufs verlorene Auge Odins passt, ist das Zusammenspiel der Charaktere. Etwa Lokis und Mobius nunmehr gefestigte Freundschaft, die von viel Verständnis für die Schwächen des anderen geprägt ist, auch wenn sie sich noch immer kabbeln wie ein altes Ehepaar. Genau da treffen auch Wilsons Schalk auf Hiddlestons britisches Understatement – die beiden ergänzen sich, als ob sie ihr ganzes Leben nichts anderes getan hätten, als zusammen vor der Kamera zu stehen.
Oder Loki und Sylvie. Technisch gesehen ein und dieselbe Figur, weil Sylvie eine Variante Lokis ist. In Staffel eins bahnte sich eine Romanze zwischen den beiden an. Eine Romanze mit sich selbst, sozusagen. «Es ist kompliziert», sagt Mobius dazu trocken. Aber «Loki», die Serie, lässt es funktionieren, weil die wenige Zeit, die ihnen für Zwischenmenschliches bleibt, perfekt genutzt wird, um wenigstens ihren Figuren die nötige Tiefe zu geben.
Der eigentliche Szenen-Stehler ist aber ein anderer: OB, ein neuer und von «Everything Everywhere All at Once»-Star Ke Huy Quan gespielter Charakter. Eigentlich sowas wie der Hauswart, Elektriker, Techniker und Reparatur-Service-Angestellte der TVA. Ke Huy Quan spielt dabei so schrullig und liebenswert, wie man ihn aus fast allen seinen Filmen kennt. Gerade anfangs ist es seine unbändige Energie, die die Serie regelrecht durch die ersten zwei Folgen peitscht und beinahe vergessen lässt, dass nicht er, sondern andere die Hauptrolle spielen.
Noch so ein gutes Gespür beim Casting. Die Macher von «Loki» sind echt gut darin.
Fazit: Unbedingt gucken!
Keine Frage: «Loki», Staffel 2, fesselt, unterhält und macht noch immer verdammt viel Spass. Dies, weil sie stoisch an den Stärken der ersten Staffel festhält. Namentlich an der schieren Skurrilität der vielleicht mächtigsten aller kosmischen Kräften des Marvel-Universums, der TVA, die – warum auch immer – einfach ein muffiges Büro der 1970er ist. Dazu kommen sämtliche wichtigen Charaktere der ersten Staffel zurück. Und damit die bereits bestens eingespielten Dynamiken. Allen voran jene von Hiddlestons Loki und Mobius. Dazu kommt Ke Huy Quans OB, ein liebenswert schrulliger Charakter, wie es ihn nur in der TVA geben könnte.
Auf dem Spiel steht dabei noch immer nichts Geringeres als das Universum selbst. Gut so. Denn so ist «Loki» eine der wenigen Marvel-Serien, die sich nicht nach der abgespeckten Versionen eines eigentlich viel besseren Kinofilms anfühlen.
Empfehlung: gucken.
«Loki», Staffel 2, startet am 6. Oktober auf Disney+ mit der ersten Folge. Danach folgt eine Folge pro Woche. Insgesamt sind es sechs Folgen à ca. 50 Minuten.
Titelfoto: Disney / Marvel StudiosAbenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»