«Ant-Man and the Wasp: Quantumania»: Der Eroberer rettet das Marvel-Universum
Seit «Avengers: Endgame» fällt es dem Marvel-Film-Universum schwer, die vielen Fortsetzungen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. In «Ant-Man and the Wasp: Quantumania» könnte er endlich gefunden worden sein. Und er hat einen Namen: Kang the Conqueror.
Eines vorweg: In diesem Review gibt’s keine Spoiler. Du liest nur Infos, die aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt sind.
Meine Vorfreude auf einen neuen Marvel-Film war schon grösser. Nicht, dass der Comic-Gigant nur noch schlechte Filme oder Serien produziert. «Spider-Man: No Way Home» etwa ist ein Fan-Service der Extraklasse. «Shang-Chi» eine willkommene Abwechslung zu den üblichen amerikanischen Settings. Und «Loki» öffnete dem Marvel Cinematic Universe (MCU) interessante neue Türen. Abseits davon sah es in den letzten Monaten aber oft düster aus. Durchschnittlich, bestenfalls.
Marvel Studios steckt seit «Avengers: Endgame» in einer Mini-Krise.
Es ist, als ob die Kino-Community seit dem Abschluss der Infinity-Saga im Jahr 2019 auch einfach satt ist. Vorbei die Zeiten, in denen Filme wie «Guardians of the Galaxy», «Captain America: The Winter Soldier», «Thor: Ragnarok» oder «Black Panther» auch ausserhalb von Nerd-Kreisen für anerkennendes Nicken sorgten. Mittlerweile wirken Marvel-Filme eher beliebig. Vom berühmten, mehrphasigen Masterplan des Kevin Feige, Marvel-Boss, ist längst nichts mehr zu spüren. Kann «Ant-Man and the Wasp: Quantumania» das sinkende Schiff wieder auf Kurs bringen?
Spoiler (der einzige, versprochen): Ja.
Darum geht’s in «Ant-Man and the Wasp: Quantumania»
Einst sass Scott Lang (Paul Rudd) wegen eines verpfuschten Diebstahls im Gefängnis ein. Danach traf er den genialen Wissenschaftler und Firmenboss Hank Pym (Michael Douglas). Er wurde zu Ant-Man, bekämpfte irre Titanen und reiste Seite an Seite mit Captain America und Iron Man durch die Zeit. Mittlerweile ist er ein Nationalheld, der Bücher schreibt und Autogrammstunden abhält.
Und er ist Vater. Auch wenn Scotts 18-jährige Tochter Cassie (Kathryn Newton) ganz nach der eher aufmüpfigen Seite ihres Vaters schlägt, ist das Leben schön. Seltsam schön, wie Scott selber sagt. Gemeinsam mit Freundin Hope (Evangeline Lilly) und Hanks Frau Janet (Michelle Pfeiffer) bildet sich eine Patchwork-Familie, in der es manchmal Reibereien gibt, in der sich aber trotzdem alle den Rücken freihalten.
Zumindest, bis es sie eines Tages zurück in den Quantum Realm verschlägt – die subatomare Dimension jenseits unserer Vorstellungskraft, in der ein Mikrokosmos existiert. Und darin ein Feind, der das Reich längst erobert hat. Der noch viel mehr erobern will. Nicht nur die ganze Welt. Nicht nur das ganze Universum. Sondern das ganze Multiversum.
Er kommt: Kang the Conqueror
«Das stärkste Band der Freundschaft ist ein gemeinsamer Feind», sagte einst der britische Dramatiker, Poet und Novellist Frankfort Moore. Vielleicht ist es genau dieser gemeinsame Feind, dem es dem MCU seit dem Sieg über Thanos in «Avengers: Endgame» fehlt. Fast zehn Jahre lang zog sich die vom irren Titanen ausgehende Bedrohung wie ein roter Faden durch die Marvel-Filme. Verband sie. Gab ihnen eine gemeinsame Stossrichtung.
Ein «Endgame».
Gute Nachrichten: Schauspieler Jonathan Majors hat das Potenzial, das Charisma und die Gravitas, dem MCU wieder eine übergeordnete, alles in den Schatten stellende Präsenz zu geben, auf die das Franchise hinauslaufen darf. Gänzlich neu ist Schauspieler Majors uns Marvel-Fans nicht. Bereits in der Disney+-Serie «Loki» spielte er eine wichtige Rolle: He Who Remains – jener, der bleibt. Damals gab er ihn noch herrlich überdreht und gleichzeitig nonchalant. Ein Vorgeschmack dessen, was noch kommen würde.
Wir erinnern uns: He Who Remains ist der Teufel (nein, nicht Mephisto) am Ende der Zeit. Als Wissenschaftler entdeckte er einst die Existenz des Multiversums – gleichzeitig wie seine Varianten, also Versionen seiner selbst aus einem anderen Universum. Anfangs besuchten sie sich gegenseitig. Friedlich. Aber bald schon begannen sie, die Unendlichkeit des Multiversums anzugreifen. Die Varianten gaben sich viele Namen. Herrscher. Eroberer. Immortus. Rama-Tut. Scarlet Centurion. Jede Variante mit dem Ziel, der alleinige Herrscher des Multiversums zu werden.
Letztlich war es He Who Remains, der sich Alioth als erster zunutze machte. Alioth, das kosmische Wesen, die riesige Wolke, die alles zerstört, einsaugt und absorbiert, was sie berührt. Ganze Dimensionen bringt sie zum Einsturz. Ganze Realitäten verschlingt sie. Ganze Multiversen verleibt sie sich ein. So wurden Millionen von Kang-Varianten besiegt und das Multiversum auf den einzigen, vom grössenwahnsinnigen He Who Remains diktierten Zeitstrahl reduziert – bis Loki und Sylvie ihn töteten und das Multiversum erneut geboren werden konnte. Und damit He-Who-Remains-Varianten.
«See you soon», flüsterte He Who Remains noch augenzwinkernd, bevor er starb. Er wusste, dass «er» wiederkommen wird – schrecklicher und gefährlicher denn je.
Genau diese Rückkehr verkörpert Majors in «Quantumania». Denn diese Variante – Kang the Conqueror – ist ein durchtriebener Kriegsstratege, voller Charme und gleichzeitig eiskaltem Kalkül. Er ist aber auch eine Naturgewalt, entsetzlich und grauenvoll, nicht davor zurückscheuend, alles brutal niederzureissen, was sich ihm in den Weg stellt. Genau damit rechtfertigte der grössenwahnsinnige He Who Remains sein Handeln: Um Kang aus dem Spiel zu halten, war jedes Mittel recht. Die Ehrfurcht, mit welcher der scheinbar omnipotente He Who Remains von ihm sprach – Kang wird ihr gerecht.
Tatsächlich dauert es eine Weile, bis Kang seinen grossen Auftritt im Film hat. Sein drohender Schatten ist aber von der ersten Sekunde an zu spüren. Fast alle Charaktere, auf die unsere Helden im Laufe des Abenteuers treffen, strahlen pure Furcht aus, wenn sie von ihm reden. Auch das trägt in kürzester Zeit zur Bildung des Mythos «Kang» bei. Clever. Und wenn Kang dann das erste Mal in Erscheinung tritt, ist es Jonathan Majors überwältigende Performance, welche dafür sorgt, dass die aufgebauten Erwartungen nicht in einer bodenlosen Enttäuschung münden.
Ganz im Gegenteil. Kang the Conqueror ist gekommen, um zu bleiben. Zumindest bis zum Finale von Phase 6 des MCUs. Dann nämlich, wenn im Mai 2025 der nächste Avengers-Film in die Kinos kommt: «Avengers: The Kang Dynasty».
Wenn doch nur alles Gold wäre, was glänzt
Bleibt die Frage, was «Quantumania» jenseits des Bösewichts zu bieten hat. In der ersten Hälfte vor allem eines: Ant-Man-Humor. Dass Hauptdarsteller Paul Rudd seine Karriere einst mit Komödien begann, ist in jedem Frame zu spüren. Auch, dass Regisseur Peyton Reed bereits zum dritten Mal Regie führt und genau weiss, wie seine bereits etablierten Charaktere funktionieren. Auch wenn sich das ganze Setting um die Ant-Man-Filme herum ständig ändert – sie zu schauen, fühlt sich jedesmal wie nach Hause kommen an.
Nicht vollends überzeugt hat mich allerdings der Quantum Realm, die subatomare Dimension, in der Zeit und Raum keine Rolle spielen und in der ein ganzer Mikrokosmos samt riesigen, futuristischen Städten existiert, bevölkert von alienartigen Wesen, Tieren und Humanoiden. In «Avengers: Endgame» diente dieser Quantum Realm als Quasi-Vehikel, um durch ihn hindurch in die Vergangenheit zu reisen, wo die Avengers die kaputte Zeitlinie zu reparieren versuchen. In «Quantumania» hingegen ist er der Hauptschauplatz des Films – und was für einer.
Da sind abstrakte Langhälse. Ganze Welten, die sich am Horizont krümmen. Lebendige Häuser geformt wie hügelige Schwämme. Rochen-artige Wesen, die Menschen auf ihrem Rücken tragen. Schwebende rote Kissen, die ähnlich wie Schwarmfische durch die Luft düsen. Und, und, und. Kein Zweifel: Optisch ist das mysteriöse Quantum Realm eine Augenweide. Sobald sich aber echte Schauspieler darin bewegen, wird in vielen Aufnahmen offensichtlich, dass kaum Sets für den Film gebaut worden sind. Stattdessen passiert vieles vor dem Greenscreen; die Szenerie wurde im Nachhinein am Computer eingefügt.
Nicht, dass das für Hollywood-Filme ungewöhnlich wäre. Aber so deutlich wie in «Quantumania» ist mir das noch selten aufgefallen. In manchen Szenen hätte ich fast schwören können, das Laufband zu sehen, auf dem die Schauspielenden bloss vorgaben, zu rennen. Solche Sachen reissen mich aus dem Film. Genauso wie die grosse, im Trailer angedeutete Endschlacht. Wäre es nicht die gefühlt tausendste – allein im MCU –, wäre ich womöglich beeindruckt. Aber hier reisst sie kaum noch wen vom Hocker. Stattdessen denke ich mir: «Echt jetzt, schon wieder?»
Fazit: Absolut sehenswert – dank Kang
Kein Zweifel: Jonathan Majors Kang ist der Grund, um «Quantumania» zu sehen. Seine Performance hat Kraft und gibt dem MCU wieder eine Marschrichtung, auf die das 2025 kommende «Avengers: The Kang Dynasty» zusteuern kann.
Abseits davon ist «Ant-Man and the Wasp: Quantumania» meistens äusserst unterhaltsam und witzig – das liegt vor allem am bestens etablierten Paul Rudd. Dazu kommt das optisch beeindruckende Quantum Realm, das wir so noch nie in all seiner Glorie haben bestaunen dürfen. Nur der letzte Film-Drittel fällt etwas flach, weil wir ihn in ähnlicher Form schon zigmal gesehen haben. Schade, haben die Macherinnen und Macher es verpasst, uns Fans etwas Neues zu bieten. Oder aber es ist nach über 20 Marvel-Filmen – die ganzen Serien zähle ich nicht mal mit – einfach zu schwer geworden, Geschichten zu erzählen, die sich wirklich neu und unverbraucht anfühlen.
«Ant-Man and the Wasp: Quantumania» läuft ab dem 15. Februar im Kino. Laufzeit: 125 Minuten. Freigegeben ab 12 Jahren.
Update 23.2.2023: Zum Interview mit Regisseur Peyton Reed und Hope-Darstellerin Evangeline Lilly geht's hier:
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»