Genial vital!
Deutsch, Yael Adler, 2023
Am Altern kommt niemand vorbei. Dabei kann es durchaus Spaß machen, behauptet Hautärztin und Ernährungsmedizinerin Dr. Yael Adler in ihrem neuen Buch «Genial vital!». Ein Gespräch über wirkungslose Wirkstoffe in Cremes, Anti-Aging-Tipps für den Alltag – und warum «Arschgesicht» eigentlich ein Kompliment ist.
Wohl jeden Tag bekommt Hautärztin Dr. Yael Adler in ihrer Praxis Fragen gestellt wie diese: Was hilft gegen Falten? Wie wird mein Bindegewebe wieder straff? Was empfehlen Sie, um jünger auszusehen?
Den einen ultimativen Tipp gibt es natürlich nicht. Vielmehr ist es hilfreich, erst einige Zusammenhänge in deinem Körper zu verstehen, um ihn dann beim Altern unterstützen zu können. Ganz konkret funktioniert das mit vielen «Vital-Hacks». Einige davon, verrät die Medizinerin und Bestseller-Autorin in ihrem neusten Buch «Genial vital! Wer seinen Körper kennt, bleibt länger jung» – und hier im Interview:
Frau Dr. Adler, lassen Sie uns übers Älterwerden sprechen. Was passiert beim Altern, ganz simpel ausgedrückt?
Die Zellen altern, manche schneller, andere langsamer. Es altern Funktion und Regeneration und damit die Organe des Menschen. Es alter nicht alle gleich – so kann jemand mit Falten und grauen Haaren noch gute Muskeln haben. Oder ein dementer Mensch kann sich noch gut bewegen. Außerdem hat Altern auch mit der Psyche zu tun. Wenn Gebrechen kommen, man Falten hat: Dann hadern viele damit. Es erinnert an Tod, Ende. Man fühlt sich wie 30, sieht aber im Spiegel, dass man es nicht mehr ist. Das kann bedrückend sein. Hinzu kommt zunehmend ein sozialer Aspekt: Dass Menschen um einen herum altern, ist nicht mehr so sichtbar – gefördert durch die sozialen Medien, weil Photoshop und Filter benutzt werden. Zunehmend auch Anti-Aging-Behandlungen wie Botox- oder Hyaluronsäure-Spritzen, Laser und operative Verfahren.
Ihr neues Buch haben Sie «Genial vital» genannt. Warum vital – was bedeutet das für Sie?
Bei mir in der Sprechstunde sehe ich jeden Tag Menschen, die gesund und mit Lebenskraft altern. Es ist ihre Vitalität, die sie jung fühlen und aussehen lässt. Und deshalb habe ich im Buch eine Reise durch die Zellen und Organe unternommen. Ich möchte Menschen mündig machen und ihnen Körperwissen an die Hand geben. Vitalität ist etwas, wonach man streben kann. Ohne, dass man dem Anti-Aging-Wahn verfallen muss. Es geht mir nicht um «forever young» und wie man mit übermäßigen Tuning-Maßnahmen jünger aussehen kann. Ich will niemanden dazu animieren, noch mehr in die Beauty-Industrie zu investieren. Es gibt Menschen, die wollen sich keine Anti-Falten-Creme kaufen. Und trotzdem vital älter werden. Ich nehme die gängigen Maßnahmen mit ihren Chancen und Risiken inklusive falscher Versprechen unter die Lupe.
Das Alter macht vielen Angst. Um diese Angst hat sich eine ganze Branche gebildet. Ob Mikronährstoffe, Cremes mit speziellen Wirkstoffen oder Beauty-OPs: Was lohnt sich aus Ihrer Sicht so gar nicht?
Wenn man jung aussehen will und diese Trends mitmachen will, kann man das machen. Nur: Niemand sollte glauben, dass sich mit Tabletten und Cremes und Spritzen einem ungesunden Lebensstil entgegenwirken lässt. Vieles, was als Anti-Aging-Heilsversprechen gilt, ist einfach nur Mythos. Nehmen wir etwa den Trend Gua Sha. Das können Sie aus Wellnessgründen machen oder um Stress abzubauen. Aber Sie sollten nicht glauben, dass Ihre Haut dadurch Hyaluron oder Kollagen aufbaut und geliftet wird. Das ist ein falsches Versprechen. Mit Nahrungsergänzungsmitteln kann man unterstützen, insbesondere dann, wenn sie im Blut fehlen. Da kann man sie auch messen und gezielt nachhelfen.
Auch Cremes mit Wirkstoffen wie Hyaluronsäure und Vitamin A sind demnach rausgeworfenes Geld?
Die Haut wird von innen nach außen aufgebaut, es müssen Stoffe wie Fette, Eiweisse, Vitamine und weitere sowie natürlich Wasser angeliefert werden. Das alles funktioniert nur von innen. Von außen ist die Haut schon fertig. Sie hat eine Hautbarriere, um Erreger und Chemikalien draußen zu halten. Und so hält die Hautbarriere auch die Anti-Aging-Wirkstoffe draußen. Um wirklich etwas zu bewirken, müssten die Wirkstoffe bis in die zweite Hautschicht dringen, die Lederhaut. Das dürfen Kosmetika aber nicht. Natürlich arbeitet die Industrie daran, ihre Wirkstoffe tiefer in die Haut zu transportieren. Doch die Effekte sind marginal. Und, ganz entscheidend: Es altert nicht nur die Haut. Sondern auch Fett, Muskeln, Knochen. Beim Anti-Aging ist es also nicht damit getan, nur an einer Stelle wie der Haut zu arbeiten und dazu einzelne gehypte Wirkstoffe, wie Vitamin C oder Coenzym Q10, zu nutzen. Die Menschen kaufen sich mit einer Creme nicht frei von der Verantwortung für ihren Körper.
Auch Nahrungsergänzungsmittel sind keine gute Idee? Die wirken ja von innen?
Ich empfehle durchaus Mikronährstoffe und Nahrungsergänzungsmittel. Aber nur nach ärztlicher Beratung – man kann im Blut messen, wo Mängel vorliegen. Es gibt Erkrankungen zum Beispiel der Haut, wo es hilft, Selen oder Zink einzunehmen. Selen können Sie übrigens ganz einfach mit zwei Paranüssen pro Tag zu sich nehmen. Nahrungsergänzungsmittel können auch sinnvoll sein, wenn man älter wird, viel Sport treibt, an einer Krankheit leidet oder unter Stress. Bloß empfehle ich nicht, Mikronährstoffe einfach nach dem Gießkannenprinzip zu sich zu nehmen. Vitamin B12 etwa kann Akne verursachen und es ist in der Diskussion, ob es Lungenkrebs fördern könnte. Oder nehmen Sie Sportler: Wenn jemand trainiert, dann bilden sich freie Radikale. Die will der Körper selber mit eigens hergestellten Anti-Oxidantien neutralisieren. Gibt man nun diesen Sportlern einen Vitamin-Mix, dann ist der Körper dazu nicht mehr ausreichend in der Lage.
Wenn bunte Pillen also nicht das Allheilmittel sind beim Älterwerden, was ist es dann?
Lebensstil, Lebensstil, Lebensstil. Wie man altert, hängt zu 10 bis 30 Prozent von der Genetik ab. Der Rest ist Lifestyle. Die meisten Menschen denken ja erst über Tabletten oder Schönheits-OPs nach, wenn sie einen Leidensdruck haben. Dabei können sie präventiv agieren, indem sie eine bewusste, gesunde Lebensmittelauswahl treffen und sich viel bewegen. Mit Bewegung meine ich nicht nur Kraftsport und Ausdauer, sondern auch Koordination, Bewegungsabläufe, Rhythmen und auch Dehnen sowie variable Trainingsintensitäten. Vital zu altern, heißt: Ganzheitlich zu agieren. An mehreren Stellschrauben zu drehen. Es ist nicht nur eine Maßnahme, es sind viele. Das macht es übrigens auch abwechslungsreich.
Es gibt aus der Forschung ein anschauliches Beispiel, wie der Lebensstil sogar ältere Menschen noch positiv beeinflussen kann. Stichwort Telomerase...
Jede unserer Körperzellen hat nur eine bestimmte Lebenszeit. Unsere Chromosomen tragen Schutzkappen an ihren Enden, die sogenannten Telomere. Diese gelten als eine biologische Uhr der Körperzellen und verkürzen sich bei jeder Zellteilung. Doch unser Körper kann das Enzym Telomerase bilden, das die verschlissenen Telomere zu Teilen wieder aufbauen kann. Aus der Forschung wissen wir: Es ist der Lebensstil, der die Telomerase unterstützen kann. In einer Forschungsgruppe der Medizin-Nobelpreisträgerin Elizabeth Blackburn konnte die Telomerase-Aktivität von Männern, die sich ein Vierteljahr überwiegend von Pflanzenkost ernährten und täglich eine halbe Stunde spazierten, enorm gesteigert werden: zwischen 30 und 80 Prozent. Bei den Männern, die an der gesunden Ernährung festgehalten hatten, waren nach fünf Jahren die Telomere nicht nur nicht geschrumpft: Sie hatten sich sogar verlängert. Das heißt: Mit einem gesunden Lebensstil können wir diese Zündschnüre des Alterns langsamer abbrennen lassen – und unser Leben um Jahre verlängern.
Was können wir ganz konkret selbst tun, um länger zu leben?
Wer auf Zucker und tierische Produkte verzichtet, schafft es, die Zellen zu verjüngen, ohne dass man sich groß quält. In Studien zeigte sich: Pflanzenbasierte Kost kann die Alterungsschalter in den Zellen ausbremsen. Wenn wir uns das Mikrobiom im Darm anschauen – wo wir in der Forschung noch lange nicht am Endpunkt angekommen sind –, zeigt sich: Das menschliche Wohlbefinden hängt ganz stark mit dem Darm zusammen. Und die Darmflora können wir mit löslichen Ballaststoffen stärken, zum Beispiel mit Leinsamen, Wurzelgemüsen oder Bittersalaten – oder Sie nehmen Akazienfasern zu sich: Wer davon täglich einen Esslöffel in Flüssigkeit einnimmt, verbessert massiv die gute Bakterienflora im Darm. Außer der Pflanzenkost gibt es noch einen anderen wichtigen Faktor, der das Altern verlangsamt: das Fasten.»
Das heißt, jeder sollte ein paar Mal im Jahr auf Fastenkur gehen?
Nein, das muss man nicht, und auch eine Nulldiät ist nicht gut – die wirft die Hungerhormone an. Besser fürs nachhaltige Abnehmen sind Kaloriendefizite, von 300 bis 500 Kalorien am Tag. Eine gesunde und interessante Fastenart ist das Scheinfasten mit 800 Kalorien aus Pflanzenkost und ohne Zucker und Alkohol für ein paar Tage – das hat schon einen messbaren Effekt. Oder Sie machen Intervallfasten, optimal dabei ist das Dinner Canceling. Beim Fasten kommt es zur Autophagie in den Zellen, sie werden entrümpelt und verjüngen sich dadurch. Die Autophagie beginnt besonders nach 48 bis 72 Stunden, weshalb das Intervallfasten dafür etwas zu kurz ist. Setzen Sie aber auf Lebensmittel, die mit einem geringen Insulin-Anstieg verbunden sind, wie Linsen oder Pseudo-Getreide, also Buchweizen, Quinoa, Amaranth. Dann können sich die Fettzellen gut öffnen. Wenn man zusätzlich die Kalorien reduziert, lernt der Körper, mehr Fett zu verbrennen als Zucker. Dann können wir auch abnehmen.
Im Buch beschreiben Sie sehr ausführlich, welche Prozesse im Körper vor sich gehen. Da kommt dann auch Fachchinesisch ins Spiel: AGE, Sirtuine, mTor ...
Dieses Buch ist anders als meine anderen. Auch unterhaltsam, aber weniger Geschichten, weil es so viele wichtige Fakten gibt, die aufgeschrieben gehören. Ich erkläre die Anti-Aging-Prozesse für jeden normalen Körper: Diese Zusammenhänge kennen viele Menschen nicht. Also, mTor (Mechanistic Target of Rapamycin) ist ein Nährstoffsensor in der Zelle, der angefeuert wird, wenn Nährstoffe angeliefert werden. Er veranlasst die Zellteilung und das Gewebewachstum. Das Resultat: Übergewicht, Diabetes, Entzündungen. Kommt mTor zur Ruhe – durch Fasten und Pflanzenkost –, kann es zur Autophagie kommen. Dann können die Fettzellen ihre Speicherenergie loswerden. AGE bedeutet «Advanced Glycation Endproducts». Das sind neue Verbindungen von Aminosäuren und Zucker, die durch Industriekost entstehen. Diese AGEs verkleben unsere Körpereiweiße. Zucker beispielsweise klebt sich dann ans Hämaglobin, dadurch reduziert sich der Sauerstoff im Blut. Somit sind AGEs etwa auch für Hautalterung verantwortlich.
Wie nehmen wir AGEs auf?
Durch Wurst, Fast Food, Gegrilltes, Käse und sie bilden sich selbst durch Haushaltzucker, Fructose, Weißmehl und Milch. Wer Milch mag, sollte nicht mehr als 200 Milliliter am Tag trinken. Denn im Übermaß genossen, steht Milch im Verdacht, das Risiko für Übergewicht, Diabetes, Demenz und einige Krebsarten zu erhöhen. Besser als Milch sind fermentierte Produkte wie Kefir oder original griechischer Joghurt. Wichtig beim Anti-Aging sind zudem Sirtuine, das sind Jungbrunnenproteine – die können wir durchs Fasten aktivieren. Oder über sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, etwa durch Trauben, Curcuma mit Pfeffer, Erdnüsse, Äpfel, Brokkoli, Cashewkerne und vieles mehr.
Was gehört noch zum gesunden Lebensstil dazu: Welche «Altersbeschleuniger», wie Sie es im Buch nennen, sollte man vermeiden?
Auf jeden Fall: die Sonne in zu großen Mengen. Die lässt die Haut am stärksten altern. Sie beeinflusst die äußere Alterung. Sonnenlicht erhöht das Hautkrebsrisiko, macht Altersflecken, erweiterte Äderchen, Knitterfalten ... Um es zu veranschaulichen, komme ich gern mit meinem Kalauer: Schau dir deinen Popo an – der ist genauso alt wie dein Gesicht, hat aber nicht dessen Flecken und Falten. Eben weil er nicht so viel Sonne abbekommt. Daher ist Arschgesicht sogar ein Kompliment. Andere Altersbeschleuniger sind Rauchen, Alkohol oder Feinstaub. Aber auch Stress,zu wenig Schlaf oder mangelnde soziale Beziehungen.
Über Sport haben wir bislang noch kaum geredet... Dabei gilt Bewegung als eines der Anti-Aging-Mittel schlechthin. Was empfehlen Sie Couch-Potatoes?
Sich zum Sport zu motivieren, kann man heutzutage mit vielen Tricks. Denken Sie an all die technischen oder sozialen Devices. Apps können Trainingserfolge messen, Sie können sich mit Freunden messen oder beim Sport Podcasts hören ... Unser Körper funktioniert in Rhythmen, er braucht Gewohnheit. Aber: Er braucht auch unterschiedliche Reize – das heißt: Wechseln Sie die Sportart und die Abläufe. Trainingserfolge funktionieren messbar in jedem Alter.
Zusammengefasst könnte man sagen: Es will nicht nur niemand älter werden, sondern es macht auch jede Menge Arbeit? Zumindest, wenn man vital altern will...
Der Körper braucht Instandhaltungsarbeiten wie ein Haus. Das bröckelt vor sich hin, aber irgendwann gibt es blinde Fenster oder Leitungen verstopfen und Schimmel setzt sich an. Wer länger leben will, ist gut beraten zur Vorsorge zu gehen. Und sich um sich zu kümmern wie um jemandem, der einem wichtig ist. Auf sich zu achten, bringt mehr Lebensqualität. Dabei geht es gar nicht um Geld, das man in den Körper investieren muss. Sondern um Verständnis für die Abläufe im Inneren – und die Entscheidungen im Alltag, die daraus resultieren. Dann sind die «Instandhaltungsarbeiten» auch ohne Anstrengung gut möglich. Außerdem kann sich jeder aussuchen, worauf er setzt. Man kann die Maßnahmen, die wir jetzt besprochen haben, nicht alle ständig und vollständig durchziehen. Es reicht, dass man dranbleibt, dann kann man sich auch Stressoren leisten. Ich finde: Wer versteht, was in seinem Körper alles vorgeht und wie man ihn mit bestimmten Tricks unterstützen kann – dem macht es mehr Spaß, älter zu werden.
Titelfoto: shutterstockIch hätte auch Lehrerin werden können, doch weil ich lieber lerne als lehre, bringe ich mir mit jedem neuem Artikel eben selbst etwas bei. Besonders gern aus den Themengebieten Gesundheit und Psychologie.