LEGO Titanic
10294, LEGO Creator Expert, LEGO Seltene Sets
Ziemlich genau vor 25 Jahren kam die «Titanic» auf die Leinwand. Ich war sogar zweimal im Kino. Jetzt habe ich mich an die Lego-Version gewagt – und dabei am Schluss fast noch Schiffbruch erlitten.
Wir schreiben das Jahr 1998. Ich verbringe die Frühlingsferien in Mainz, bei der Oma meiner ersten Freundin. Zwar ist seither genau ein Vierteljahrhundert vergangen, doch ich erinnere mich noch ziemlich genau, wie mich meine Freundin fragte, ob ich «Titanic» ein zweites Mal mit ihr im Kino anschauen wolle. «Natürlich», sagte ich zu ihr, was nicht nur der Verliebtheit geschuldet war. Der Film war es schlicht und einfach wert, zweimal ein Kinoticket zu lösen.
Als ich vor einigen Wochen zufällig das Lego-Modell der Titanic sah, war für mich sofort klar, dass ich diese zu Ehren des Film-Jubiläums nachbauen will.
Also bestellte ich mir das detailgetreue Modell im Massstab 1:200. Mit einer Länge von 135 Zentimetern zählt das Schiff zu den grössten Lego-Modellen aller Zeiten. Über 9000 Teile beinhaltet das Set. Nur die Lego-Weltkarte und der Lego-Eiffelturm haben noch mehr Teile. An ein so grosses Lego-Bauvorhaben wie die Titanic habe ich mich noch nie zuvor gewagt. Schon der Transport der Verpackung vom Büro nach Hause in der S-Bahn war ein Spektakel. Ich erntete nicht wenige neidische Blicke, als ich mit der sehr grossen Verpackung den Zug betrat.
Zu Hause angekommen, ging’s dann gleich ans Auspacken. Das Lego-Set besteht eigentlich aus drei grossen Packungen. Der Grund: Das Modell der Titanic lässt sich in drei Segmente unterteilen.
Jeder der drei Packungen liegt je eine Bauanleitung bei, wobei man eher von Büchern sprechen müsste. Über 1100 Bau-Schritte werde ich bewältigen, ehe der Dampfer fertig gebaut sein wird. Wie viele Stunden mich das kosten wird, frage ich mich. Und versichere gleichzeitig meinem Chef,, dass ich sicher nicht die ganze Zeit des Zusammensetzens als Arbeitszeit verbuchen werde.
Endlich kann es also losgehen. Schritt für Schritt zeigt mir die Anleitung, wie aus 9000 Teilen die Titanic entstehen soll. Doch nicht nur das: Ich erfahre auch Wissenswertes über die Titanic – angereichert mit historischen Aufnahmen. Schon nach wenigen Minuten erreiche ich beim konzentrierten Arbeiten einen meditativen Zustand, den wohl so manche passionierte Lego-Fans aus eigener Erfahrung kennen. Da ich mich aber gerade nicht als solchen bezeichnen würde, unterlaufen mir als Laie zu Beginn kleine Fehler. Die Fehler anschliessend aber wieder zu korrigieren, ist zum Teil so mühsam, dass ich diese Lektion schnell lerne. Ich lasse mir jetzt etwas mehr Zeit. Nach rund acht Stunden ist die erste von drei Segmenten fertig. Stolz betrachte ich das Resultat und rechne aus: Gut 24 Stunden werde ich also total benötigen, um die Titanic fertig zu bauen.
Es ist nicht so, dass mir das Zusammenbauen keinen Spass bereitet und ich dabei nicht bestens abschalten könnte. Und doch würde ich gerne einen Teil der Arbeiten an meine Kinder delegieren, damit die Titanic quasi zum Familienprojekt wird. Doch aus mir unerfindlichen Gründen hält sich das Interesse meiner Kinder in Grenzen, weshalb ich auch die restlichen rund 6000 Teile alleine zusammensetzen muss.
Allmählich passiert dabei das, was ich befürchtet habe. Die Bauschritte beginnen sich zu wiederholen, was mit zunehmender Langeweile einhergeht. Gleichzeitig bin ich aber fasziniert, wie detailliert die nachgebaute Titanic wird. So bilde ich im Inneren den Speisesaal der 1. Klasse, die grosse Treppe, einen der Kesselräume, die vielen Kabinen der verschiedenen Passagierklassen oder das Schwimmbecken nach. Weiter zählen etwa mehr als 300 Bullaugen, die Rettungsboote, die Bänke und ein Frachtkran zu den authentischen Details.
Während ich so baue, schwelge ich in Erinnerungen an den fantastischen Film. Natürlich war er kitschig. Natürlich voller Pathos. Doch die Bilder und auch die Filmmusik haben sich bis heute in meinen Kopf gebrannt. Und damit bin ich ganz sicher nicht der einzige. In der ewigen Bestenliste belegt das Epos von Regisseur James Cameron mit knapp zwei Milliarden eingespielten Dollars den vierten Platz. Stolze elf Oscars gewann der Film; unter anderem in der Kategorie «Bester Film». Doch nicht primär die Zahlen sind es, die diesen Film so einzigartig machen, sondern die Handlung und vor allem die beiden Hauptdarsteller Kate Winslet und Leonardo DiCaprio. Rose und Jack lernen sich auf der tragisch endenden Jungfernfahrt der RMS Titanic im Jahr 1912 kennen. Die ganze, über dreistündige Handlung hier wiedergeben zu wollen, würde den Rahmen sprengen. Unvergessen bleiben unter anderem die Szenen, in denen sich Jack auf das Bugreling stellt und laut «I’m the King of the world» ins Meer hinaus schreit. Oder die Szene, in der der durchgefrorene, im Eismeer treibende Jack mit letzter Kraft die Hand von Rose hält, ehe er in den Tiefen des Meeres versinkt.
Abrupt werde ich aus meinen Tagträumen gerissen, als sich herausstellt, dass in der Packung tatsächlich ein falsches Teil dabei ist. Ich habe mich beim Bauen schon gefragt, wie es sein kann, dass bei über 9000 kein einziges Teil fehlt oder falsch geliefert ist? Doch bei Bau-Schritt Nummer 190 der dritten Anleitung passiert genau das. Die Rede ist von einem kleinen blauen Dreieck. Und da ich in der grossen Lego-Sammlung meines Sohnes kein Ersatzteil finde, baue ich halt das falsche Teil ein. Ich werde mich aber bestimmt noch bei Lego beschweren. Das darf einfach nicht passieren (Ironie off).
In die Kategorie «darf nicht passieren» fällt auch folgendes Malheur: Auch wenn das Lego-Bauen nicht sonderlich anstrengend ist, ist die regelmässige Zufuhr von Flüssigkeit doch wichtig. Dumm nur, dass ich die Teetasse so blöd platziert habe, dass ich sie umstosse und sich ihr Inhalt über die verstreuten Lego-Teile ergiesst.
Trotzdem habe ich nach weiteren rund acht Stunden die zweite von drei Passagen beisammen. Erstes Staunen seitens meiner Kinder ist der Lohn. Von meiner Frau kann ich selbiges nicht erwarten. Es ist schon schwer genug, ihr das stundenlange Lego-Bauen als Arbeit zu verkaufen.
Also ran an die dritte Passage. Mittlerweile habe ich den Dreh raus und bin deutlich effizienter geworden. Bestimmt schaffe ich das dritte und letzte Teil in weniger als acht Stunden, denke ich mir. Doch ich habe mich zu früh gefreut. Als ich schon fast am Ende bin, also mit dem Bauen, und zwei grössere Rumpfteile ineinander schieben soll, will mir das einfach nicht gelingen. Irgendein Verbindungsteil muss falsch sein, doch welches? Ich versuche es mit etwas Gewalt. Plötzlich ertönt ein ziemlich lauter Knall und einzelne Stücke der beiden Rumpf-Teile fliegen durch die Luft. Genauso dürfte es sich am 14. April 1912, kurz vor Mitternacht zugetragen haben, als der stolze Luxus-Dampfer etwa 300 Seemeilen südöstlich von Neufundland seitlich mit einem Eisberg kollidierte.
Fuck. Da muss ich wohl nochmals mehr oder weniger von vorne beginnen. Selbstredend bereitet das abermalige Zusammensetzen der zuvor zerstörten Teile wenig Spass.
Doch irgendwann ist auch das geschafft. Zwar habe ich durch die über eine Stunde in Anspruch nehmende Reparatur mein Ziel von total 24 Stunden nicht erreicht, doch immerhin bin ich unter der 30-Stunden-Marke geblieben. Stolz trage ich die 1,30 Meter grosse und 14 Kilogramm schwere Titanic in den Wohnzimmer und stelle sie auf unser Sideboard. Das Teil ist zwar ein Platzfresser und bestimmt auch ein Staubfänger par excellence. Doch es sieht verdammt gut aus. Und nicht nur das: Es lässt sich mit der Titanic sogar «spielen». So kann ich an den Schiffsschrauben drehen und sehen, wie sich die Kolbendampfmaschinen im Inneren bewegen. Ich kann den Anker setzen oder die Spannleine zwischen den Masten straffen.
Ich hätte meine Titanic sogar noch mit einer schönen Beleuchtung ausstatten können. Doch auf diesen Luxus habe ich dann doch verzichtet.
In den kommenden Tagen haben meine Kinder erstaunlich regelmässig Besuch. Sie alle wollen ihren Gspänli zeigen, was der Papi da Tolles zusammengebaut hat – das meiste in seiner Arbeitszeit wohlgemerkt. Bleibt die Frage, ob ich mir das Teil auch zugelegt hätte, wenn ich dafür hätte bezahlen müssen? Ich weiss es nicht. Ja, das Zusammensetzen hat Spass gemacht. Doch ist dies ein paar Hundert Franken wert, welche das Titanic-Modell derzeit kostet? Übrigens gehört das Modell nicht mir, sondern der Firma. Ich muss mir jetzt also nur noch überlegen, wie ich das Teil wieder ins Office zurückbringe. Eines ist gewiss: Die anerkennenden bis neidischen Blicke werden mir dann noch sicherer sein als beim Hintransport.
I’m the king of the world!
Titelfoto: Martin RupfZweifachpapi, nein drittes Kind in der Familie, Pilzsammler und Fischer, Hardcore-Public-Viewer und Halb-Däne. Was mich interessiert: Das Leben - und zwar das reale, nicht das "Heile-Welt"-Hochglanz-Leben.