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Heute schon einen Schweißausbruch gehabt? Was dahinterstecken kann
Jeder 90. Mensch auf der Welt ist von Hyperhidrose betroffen: Das starke Schwitzen ist zwar keine gefährliche Krankheit, aber sie ist lästig und kann einen zermürben. Ein Experte klärt über Ursachen und Behandlung auf.
Du bist mitten im Vorstellungsgespräch. Klar bist du nervös und willst dich von der besten Seite zeigen. Doch dann: Der erste Händeschlag ist feucht, dein Gesicht zerfließt unter Schweißperlen und an den Ärmeln deines hellblauen Hemds zeichnen sich tiefe, dunkle Flecken ab. Dir kommt übermäßig starkes Schwitzen bekannt vor? Dann könntest du mit einiger Wahrscheinlichkeit an Hyperhidrose leiden.
Hyperhi-was? Keine Sorge, wenn du noch nie davon gehört hast. Szenen wie diese sind zwar vielen Menschen bekannt, über das Krankheitsbild selbst wissen aber die wenigsten Bescheid. «Die Hyperhidrose ist kein Problem der Lebensquantität. Man lebt dadurch keinen Tag kürzer», beruhigt Dr. Christoph Schick vom Deutschen Hyperhidrosezentrum. «Aber: Betroffene büßen viel ihrer Lebensqualität ein.» Die Hyperhidrose ist also keine gefährliche Krankheit – aber eine verdammt lästige.
Auslöser und Ursachen: Warum schwitze ich so viel?
Ungefähr jeder 90. Mensch auf der Welt leide an Hyperhidrose, sagt Dr. Schick. Er geht seit vielen Jahren der Frage nach, welche Mechanismen hinter dem starken Schwitzen stecken und warum manche Menschen stärker betroffen sind, als andere. Die Ursache ist einfach erklärt: Hyperhidrose ist angeboren. «Menschen mit Hyperhidrose haben eigentlich ein neurologisches Problem», sagt Dr. Schick. «Es handelt sich um einen Fehler in der Steuerung des Schwitzens – und der wird vererbt.»
Was die Schweißausbrüche auslöst, ist etwas vielfältiger. Warme Temperaturen etwa, insbesondere große Temperatursprünge reichen aus, um schier unaufhaltsames Schwitzen in Gang zu setzen. Stark Betroffene gehen beispielsweise vom Kalten ins Warme und sind schweißgebadet. Ein anderer Auslöser kann körperliche Aktivität sein, denn Wärme ist nicht nur um dich herum, sondern kann in dir drin entstehen, zum Beispiel wenn du dich viel bewegst.
Schwitzen, wenn dir warm ist oder du Sport betreibst – ist das nicht normal? Ja, soweit kann es alle treffen. Doch hier trennen sich die «Normalschwitzenden» von den Hyperhidrose-Betroffenen: Emotion als Auslöser.
Dr. Schick: «Menschen, die an Hyperhidrose leiden, haben letztlich eine Sympathikus-Überaktivität.» Der Sympathikus ist jener Teil deines vegetativen Nervensystems, der die Aktionsfähigkeit steigert, deinen Puls antreibt und den Herzschlag erhöht. In deinem Gehirn liegt das vegetative Nervensystem inklusive Sympathikus direkt über dem Hypothalamus – und der steuert die Schweißproduktion. In dieser Studie im Journal of Neurology & Neuromedicine ist der Aufbau deutlich dargestellt.
«Die Emotionszentrale ist also anatomisch gewissermaßen mit der Schweißsteuerung verlinkt», sagt Dr. Schick. Wird die Aktivität – etwa vor einem Vorstellungsgespräch – im Emotionszentrum zu hoch, passiert Folgendes: «Die Auslöseschwelle wird überschritten, das Signal schwappt ins Nachbarzentrum und drückt den Schweißknopf.» Menschen, die übermäßig stark schwitzen, haben eine niedrigere Auslöseschwelle und eine exponentielle, anstatt einer linearen Verlaufskurve: Das Schwitzen setzt plötzlich und mit voller Wucht ein und lässt sich erstmal nicht mehr bremsen.
Der Schweiß kann am ganzen Körper ausbrechen, am häufigsten sind aber Hände, Füße, die Achselhöhlen, der Gesäßbereich und der Kopf betroffen.
Primäre und sekundäre Hyperhidrose
Die genetisch vererbte Krankheit mit Überaktivität des Sympathikus-Nervs gilt als primäre Hyperhidrose. Manchmal ist das starke Schwitzen aber auch Bote einer anderen Diagnose: Die Krankheit ist nicht Ursache des Schwitzens, sondern das Schwitzen Symptom einer anderen Erkrankung. Dann spricht man von der sekundären Hyperhidrose.
Dahinter können neurologische Krankheiten wie Parkinson oder Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes stecken, sagt der Experte. Auch viele Medikamente lösen starkes Schwitzen aus, darunter Psychopharmaka wie Antidepressiva oder Blutdruckmittel. Im schlimmsten Fall deutet das starke Schwitzen auf eine entstehende Tumorerkrankung hin.
Warnzeichen sind Experte Schick zufolge, ein plötzliches Auftreten, Nachtschweiß und die fehlende familiäre Häufung. In jedem Fall – primär oder sekundär – ist eine ärztliche Abklärung zu empfehlen, um schwerwiegende Diagnosen auszuschließen.
Umgang mit Hyperhidrose: Tipps für den Alltag
Behandlungen der Hyperhidrose reichen von einfachen Deos bis hin zum operativen Eingriff. Einzig dein persönlicher Leidensdruck ist ausschlaggebend dafür, ob und was es an Massnahmen braucht. Du kannst aber sowieso einiges in deinem Alltag tun, um dem Schwitzen gegenzusteuern.
Vorne voran: Kühlung.
«Kühlung signalisiert dem Gehirn: Schwitzen ist gerade nicht notwendig», sagt Dr. Schick. Er empfiehlt, sich nach Möglichkeit leichter anzuziehen, die Raumtemperatur zu reduzieren, heiße Speisen zu vermeiden und auch den Morgenkaffee lieber lauwarm zu trinken. Besonders ein Luftzug, etwa durch einen Ventilator oder Fächer am Arbeitsplatz, kann den gewünschten Kühleffekt haben. Denn: «Bei einer Luftbewegung kommt es automatisch zu Verdunstung auf der Haut und das hilft bei der Kühlung», sagt Dr. Schick.
Die beste Zone, um diesen Reflex auszulösen, ist übrigens der Kopf. Kühlt der Kopf ab, sendet er einen allgemeinen Stoppreflex für das Schwitzen aus.
Hyperhidrose behandeln: Welche nachhaltigen Lösungen gibt es?
Abfinden muss sich niemand mit der Hyperhidrose. Heilen kann man die Krankheit zwar aufgrund der genetischen Komponente nicht – aber man kann sie sehr gut behandeln. Dazu gibt es zwei Behandlungswege, sagt der Experte: «Entweder man bremst die Schweißdrüse selbst, oder man bremst die Nervensteuerung.»
1. Deos und Antitranspirantien
Der erste Schritt sollte immer eine lokale und nicht invasive Behandlung direkt an der betroffenen Stelle sein. Deos mit Antitranspirantien – auch «Schweißhemmer» genannt – verstopfen die Drüse und reduzieren so exzessives Schwitzen. Konkret bilden Antitranspirantien Kristalle (der bekannteste ist Aluminiumchlorid), die in die Schweißdrüse eindringen, auskristallisieren und den Drüsengang blockieren.
Aluminiumsalze haben allerdings keine gute Reputation und die meisten Deo-Hersteller verzichten seit Jahren auf ihren Einsatz. Tatsächlich sollten die Antitranspirantien auf keine Mikroverletzungen, die möglicherweise bei der Rasur entstehen, aufgetragen werden. Das rät das Bundesinstitut für Risikobewertung. Auch Dr. Schick rät: «Wichtig bei der Anwendung ist: Nicht am Tag der Rasur und nicht am Tag danach. Leichte Mikroverletzungen nach der Rasur können zu einer erhöhten Aufnahme der Aluminiumsalze führen.» Ansonsten sei die Anwendung ungefährlich.
2. Tabletten gegen exzessives Schwitzen
So wie es Medikamente gibt, die stärkeres Schwitzen auslösen, gibt es Medikamente, die es hemmen. Anders als bei den Deos, werden dabei nicht die Schweißdrüsen ausgebremst, sondern der Drüsennerv. Zum Einsatz kommen dafür oftmals Medikamente, die eigentlich für andere Beschwerden entwickelt wurden – darunter auch das Magen-Darm-Präparat Metanemylium bromid. Ein schwaches Medikament, sagt Dr. Schick, das man ausprobieren könne.
Das Problem dabei: «Das Medikament hat nur die Zulassung für die Achsel-Hyperhidrose. Das ist bei einer Tablette, die am ganzen Körper wirkt, per se schon Unfug.» Nebenwirkungen sind vor allem ein trockener Mund, da alle Drüsennerven blockiert werden. In einem Video empfiehlt die Dermatologin Dr. Yael Adler das Medikament höchstens als kurzfristige Lösung für wichtige Termine, da die Wirkung ungefähr sechs Stunden anhält.
Neu am Markt ist dagegen die Creme Axhidrox. Dr. Schick hat bei der Entwicklung mitgearbeitet, ist laut eigenen Angaben aber finanziell nicht daran beteiligt. Auch hier wird der Drüsennerv blockiert. Allerdings wird der Wirkstoff nicht oral eingenommen, sondern lokal auf die betroffene Stelle aufgetragen. Das ist möglich, weil der Wirkstoff so klein ist, dass er die Hautbarriere überwinden kann.
«Das Mittel nimmt den Direktweg zum Nerv. So kommt es zu weniger Mundtrockenheit und auch andere Nebenwirkungen sind moderater», erklärt der Fachmann. Die Creme sollte nicht ins Auge kommen und kann grundsätzlich am ganzen Körper angewendet werden, wurde aber speziell für die Anwendung unter der Achsel entwickelt.
Die ersten vier Wochen kann Axhidrox einmal täglich appliziert werden, anschließend solltest du die Verwendung auf maximal zwei Mal pro Woche reduzieren bzw. die weitere Anwendung mit Arzt oder Ärztin besprechen.
3. Botox
Es stimmt, auch Botox kann bei starkem Schwitzen helfen und das Leiden für mehrere Monate beenden. Der Wirkstoff Botulinumtoxin wird an der betroffenen Stelle unter die Haut gespritzt, wirkt innerhalb weniger Tage und wird besonders für Menschen empfohlen, die eine schnelle, langfristige Behandlung ohne großen Eingriff mit langen Ausfallzeiten suchen.
Botulinumtoxin ist ein Abfallprodukt eines Bakteriums, das u.a. in verderblichen Wurstwaren lebt. Es zählt zu den stärksten Giften der Welt, ein Pfund davon würde laut Schick ausreichen, die gesamte Menschheit auszurotten.
«Botox wird darum in einer millionstel-Verdünnung lokal gespritzt und blockiert die Reizübertragung an den Synapsen. Der Wirkstoff wandert nur ein paar Zentimeter um die Einstichstelle herum und wirkt ungefähr ein halbes Jahr.» Nebenwirkungen seien unwahrscheinlich, trotzdem bestehe ein niedriges Infektionsrisiko und es können vorübergehend Blutergüsse um die Einstichstelle auftreten.
Im schlimmsten Fall könne es auch zu Lähmungen an anderen Körperstellen kommen, wenn das Gift zu weit in den Körper eindringe. «Ich habe in 24 Jahren noch keine Unverträglichkeiten auf die Behandlung erlebt», beruhigt Dr. Schick. Der Eingriff ist allerdings sehr teuer und wird nicht von der Krankenkasse gedeckt.
4. Sympathikus-OP gegen starkes Schwitzen und MiraDry
Ein operativer Eingriff für eine Krankheit, die kein Gesundheitsrisiko darstellt, wirkt auf den ersten Blick drastisch. Aber: «Hyperhidrose hat einen hohen Zermürbungseffekt. Sie ist immer da und bricht in den blödesten Situationen aus. Da kann man schon an den Punkt kommen, das Risiko einer Operation auf sich zu nehmen», sagt der Experte.
Zu Beginn: Die Operation ist kein Hochrisikoeingriff. Du solltest sie trotzdem erst dann in Erwägung ziehen, wenn alles andere nicht wirkt. Denn dabei wird der Sympathikus-Nerv selbst, der neben der Wirbelsäule verläuft, abgeklemmt. Weil der Ursachennerv für das Schwitzen keine Impulse mehr an die betroffenen Körperstellen sendet, verschwindet das starke Schwitzen für immer.
Die Operation eignet sich aber nicht für jede Körperstelle, sondern insbesondere für das Schwitzen an Händen, Füßen oder am Kopf. Immerhin: die Kosten werden meistens von der Krankenkasse übernommen. Es gibt allerdings einen entscheidenden Nachteil der OP, das sogenannte kompensatorische Schwitzen. Nach dem Eingriff kommt es zu vermehrtem Schwitzen an anderen Körperstellen, denn: «Durch die Operation wird die Schweisssteurung gesamthaft verändert, weil man in den Regelkreis eingreift.»
Eine weniger invasive Behandlung ist das neuartige Verfahren MiraDry. Mit Mikrowellen werden Schweißdrüsen auf 60 Grad erhitzt und somit verödet. «Die Energiewelle geht nicht in den Körper, sondern nur in die Unterhaut und in das Fettgewebe und tötet dort Schweißdrüsen, Geruchsdrüsen und Haarwurzeln,» sagt Dr. Schick. Das Verfahren ist aktuell nur für die Achsel-Hyperhidrose geeignet, ist aber für Betroffene eine langfristige, effektive und wenig invasive Lösung.
Wer an Hyperhidrose leidet, leidet. So viel steht fest. Behandlungen sollten trotzdem in der beschriebenen Reihenfolge ausprobiert werden, rät Experte Schick. Erst wenn Veränderungen der Raumtemperatur, Deos, Cremes und Tabletten keine Wirkung mehr zeigen, sollte über eine Operation nachgedacht werden. In jedem Fall ist eine ärztliche Abklärung anzuraten. So schließt du andere Diagnosen aus und findest die ideale Behandlung für deine Hyperhidrose.
Titelbild: shutterstock11 Personen gefällt dieser Artikel
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Ich liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party.