HDMI 2.1: Chroniken eines Clusterfucks
HDMI 2.1 hätte die Wiederkunft von HDMI-Jesus sein sollen. Aber aktuell scheint die Schnittstelle, die die grossen Datenmengen zwischen Next-Gen-Konsolen und Fernseher bewältigt, mehr Probleme zu machen als Lösungen zu bieten.
Luca, welchen Fernseher empfiehlst du für die kommende Konsolengeneration? Die Frage ist immer dieselbe. Kommt derzeit oft per Mail. Denn die PlayStation 5 und die Xbox Series S oder X stehen im Haus, und Schweizer Gamer wollen für ihr liebstes Hobby den perfekten Fernseher.
Die Antwort müsste einfach sein. Eigentlich. Die vergangene Konsolengeneration bot noch UHD-Auflösung bei 60 Bildern oder Frames pro Sekunde (FPS). Die neue Generation bringt 120 FPS oder 60 FPS bei 8K-Auflösung. TVs müssen also mit neuen, deutlich vergrösserten Datenmengen klarkommen als vorher, um Next-Gen-tauglich zu sein.
Das Zauberwort ist HDMI 2.1. Das ist die neue, verbesserte Schnittstelle zwischen TV und Konsole.
Ganz easy also: Unterstützt dein Fernseher HDMI 2.1, bist du auf der Sonnenseite des Konsolen-Lebens. Richtig? Schön wär’s. HDMI 2.1 bereitet Herstellern so viele Probleme, dass seit Wochen kaum ein Tag vergeht, ohne dass irgendwer irgendwo eine mal mehr, mal weniger skandalöse Entdeckung macht. Meistens so à la «bei Hersteller X funktioniert HDMI-2.1-Feature Y nicht» und «es wird an ein Firmware Update gearbeitet, aber wie, wann und ob es überhaupt kommen wird, das weiss niemand so genau».
Zeit für eine Chronik des Scheiterns. Und mein persönliches, neues Unwort des Jahres.
Firmware Update.
4. Mai: LGs verkrüppeltes HDMI 2.1
2019 ist LG der erste TV-Hersteller, der die neue HDMI-2.1-Schnittstelle in seine TVs verbaut und dafür grosses Lob erntet. «Zukunftssicher» seien LG-TVs, so der Tenor in der Branche, auch bei mir. Schliesslich ist schon im April 2019 klar, dass die neue Konsolengeneration nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.
Ein Jahr später dann der erste mittelgrosse Skandal, der eigentlich gar keiner ist. Im Mai 2020 gibt LG bekannt, dass die neue TV-Generation zwar HDMI 2.1 beherrsche, die Schnittstelle aber anders als noch die 2019er-TVs nicht die volle HDMI-2.1-Bandbreite von 48 Gigabits pro Sekunde (Gbit/s) ausnutzt, sondern «nur» 40 Gbit/s.
Die Befürchtung vieler LG-Kunden: Reicht die Bandbreite für UHD-Auflösung und 120 FPS dann überhaupt noch aus? LG meint ja. Für UHD-Auflösung bei 120 FPS und HDR-Qualität sei die Bandbreite noch immer gross genug. Kein Drama also. Und überhaupt: Ihre intelligenten Bild- und Ton-Optimierungen würden bessere Resultate erzielen, wenn Rechenkapazität vom HDMI-2.1-Port abgezogen und stattdessen den AI-Funktionen des TVs zugewiesen würden.
Mittlerweile gelten LGs 2020er-OLED-TVs tatsächlich als derzeit beste erhältliche Gaming-TVs auf dem Markt. Das findet auch Kollege und Gameredaktor Phil, der den TV als Gaming-Monitor auf Herz und Nieren geprüft hat.
Soweit, so gut, HDMI 2.1.
2. September: LG gibt VRR-Probleme zu
Vier Monate später. John Archer, Forbes-Journalist, ist einer der Ersten, der auf ein HDMI-2.1-Feature stösst, das LG-Fernsehern Probleme bereitet: variable Bildraten.
Das Problem ist folgendes: Grafikkarten besitzen variable Rendering-Raten. Fernseher hingegen fixe Bildraten. Sind diese beiden Raten nicht synchron, kommt’s zu Rucklern und «zerrissenen» Bildern, Tearing genannt. HDMI 2.1 bekämpft das und führt ein für TVs neues Feature ein: variable Bildraten. Auf englisch: Variable Refresh Rates (VRR).
Ist VRR beim Fernseher aktiviert, synchronisiert er seine Bildrate mit der Rendering-Rate der Konsolen- oder PC-Grafikkarte. So entsteht kein Tearing. Allerdings führt laut Archer das Aktivieren von VRR in dunklen Bildbereichen zu Schwarz, das eher einem verwaschenen Grau gleicht. Besonders gut zu sehen bei OLED-TVs, deren Schwarz deutlich dunkler ist als bei LCD-TVs.
Eine Lösung gibt es derzeit nicht. Archer berichtet aber, dass LG das Problem erkannt habe und an einer Lösung arbeite.
20. September: Nvidias Grafikkarten und ihr anfangs kaputtes HDMI 2.1
Wieder John Archer. Diesmal berichtet der Tech-Experte über HDMI-2.1-Probleme der neuen Grafikkartengeneration Nvidias im Zusammenspiel mit LGs HDMI-2.1-Fernseher. Erneut ist es die variable Bildrate, die rumspackt. Genaugenommen ist es Nvidias eigenes VRR-Verfahren, G-Sync.
- G-Sync bei bis zu 120 FPS führt zum kompletten Bildverlust – Blackscreen
- Erzwungene Farbunterabtastung bei 120 FPS bei 2020er-TVs, unabhängig von G-Sync oder VRR
Während die Schuld zunächst bei LG und seinem beschnittenen 40-Gbit/s-HDMI-2.1 gesucht wird, wird erst später klar, dass das Kompatibilitätsproblem wahrscheinlich von der Grafikkarte verursacht worden ist.
Mittlerweile ist das Problem dank neuem LG-Firmware-Update und Nvidia-Grafikkarten-Treiber gelöst. Zumindest berichten das Vincent Teoh, unter anderem TV-Kalibrierer und TV-Tester von HDTVTest, und zahlreiche Leser-Kommentare in Tech-Foren. Apropos: Falls du mit deiner Nvidia-Grafikkarte immer noch Probleme hast, schau mal hier nach. Da scheint’s ein paar Leute zu geben, die auch nach dem Firmware- und Treiber-Update Probleme hatten, die dann gefixt wurden.
23. Oktober: Receiver mit HDMI-2.1-Totalausfall
Einen Monat später nehmen Berichte über Kompatibilitätsprobleme nicht ab. Im Gegenteil. Neu ist allerdings, dass LG-Fernseher für einmal nicht betroffen sind. Es sind Receiver der Marke Denon, Marantz und Yamaha, die ins Kreuzfeuer der Medien geraten.
Gute Nachrichten für die Südkoreaner. Schlechte Nachrichten für die anderen. Zyniker hätten bis hierhin argumentieren können, dass LG dem neuen Standard schlicht nicht gewachsen sei. Dann kam aber Nvidias Grafikkartenproblem. Jetzt die Receiver.
Ist der Standard an sich zu anspruchsvoll? Zu kompliziert? Zu inkompatibel mit gegenwärtiger Hardware?
Jedenfalls benutzen alle drei Hersteller dieselben HDMI-2.1-Chipsätze von Chiphersteller Panasonic Solutions. Diese Chipsätze seien fehlerhaft: Sie steuern die vier mit HDMI 2.1 eingeführten Daten-Lanes à 12 Gbit/s (insgesamt 48 Gbit/s) nicht richtig an. Dadurch kommt es zu Blackscreen am Fernseher. Das haben wir auch schon in unserem digitec Podcast diskutiert.
Denon, Marantz und Yamaha arbeiten derweil fieberhaft an Lösungen, die «in Zukunft» veröffentlicht werden. Vielleicht. Sollte das Problem tatsächlich von der fehlerhaften Hardware verursacht werden, dann wird kein Firmware Update der Welt es lösen können.
3. November: LGs VRR-Problem ist noch immer nicht gelöst
Es kommt noch dicker für HDMI 2.1. John Archer, der bei LGs VRR-Problemen ursprünglich nur vom verwaschenen Grau in dunklen Bildbereichen gesprochen hat, sagt, dass mittlerweile auch Flimmern und Bildartefakte in dunklen Szenen auftauchen, wenn VRR aktiviert würde.
Und LG?
Die Südkoreaner haben zwar noch keine Lösung, aber immerhin den Ursprung des Problems gefunden: die Gamma-Korrektur.
Was genau heisst das? Das menschliche Auge hat eine Eigenart: Es nimmt Helligkeitsunterschiede nicht linear wahr. Das heisst, dass es in besonders dunklen oder hellen Bildbereichen Helligkeitsunterschiede nicht gleich gut erkennt wie in den mittleren Bereichen.
TVs korrigieren diese Eigenart mit Gammakurven: Sie sorgen dafür, dass Farben in dunklen Bereichen heller und Farben in hellen Bereichen dunkler dargestellt werden als sie eigentlich sind. So, dass unser Auge in allen Bildbereichen Helligkeitsunterschiede linear – also genau gleich gut – wahrnimmt. LGs Problem ist, dass seine Gammakorrektur auf eine Bildrate von 120 Hertz (Hz) respektive 120 Frames pro Sekunde ausgelegt ist. Bei aktiviertem VRR sind allerdings auch tiefere Bildraten möglich.
Ein Beispiel: In einer grafikintensiven Szene senkt sich die Bildrate einige Sekunden lang von 120 FPS auf 60 FPS. In diesen Sekunden baut sich das Bild also nicht mehr 120-Mal pro Sekunde auf, sondern nur noch 60-Mal. Momente, in denen jeder einzelne dieser Frames im Vergleich zu vorher doppelt so lange auf dem Bildschirm zu sehen ist. Das führt laut LG dazu, dass sich die Pixel, die diese Frames darstellen, aufgrund der auf 120 FPS optimierten Gammakurve «überladen». Und das führt zu den von Archer berichteten Problemen.
Lässt sich das durch ein Firmware Update lösen? LG will sich da nicht in die Karten blicken lassen, arbeitet aber fieberhaft an einer Lösung. Laut Vincent Teoh sei ein Firmware Update, das das Problem tatsächlich komplett lösen könne, unwahrscheinlich.
Wahrscheinlicher sei es, so Vincent im Video oben, dass ein Update zwar das verwaschene Grau und das Flimmern reduzieren könne, aber nicht gänzlich eliminieren. Das würde wohl erst die nächstes Jahr erscheinende, neue Generation von LG-TVs, wenn die gewonnenen Erkenntnisse in die Hardware-Entwicklung miteinfliessen werde.
Aber: Was da oben wie der totale Super-GAU klingt, könnte auch eine Suppe sein, die deutlich zu heiss gekocht wird. In Foren und Kommentarspalten gibt’s nämlich viele Leser, die über keine solchen Flimmer-Probleme oder verwaschene Graus klagen.
Dazu gehört auch Kollege und Gameredaktor Phil: «Ich besitze selber den LG CX, habe über 30 Stunden ‘Assassin’s Creed’ auf der Xbox Series X bei aktiviertem VRR gezockt und nie was gemerkt.»
4. November: Sony kommt unter die Räder
Die Kadenz steigt. HDMI 2.1 macht überall Probleme. Neu auch bei Sony. Ausgerechnet. Dort steht der Release der Playstation 5 an. Zusammen mit der Next-Gen-Konsole bewerben die Japaner den Bravia XH90 als ihr Gaming-TV-Flaggschiff, das perfekt für die Playstation 5 gerüstet sei.
Das Problem: Das am 14. Oktober erschienene Update, mit dem der TV für die Playstation 5 hätte «ready» gemacht werden sollen, kann wohl kein echtes, natives UHD-Bild mit 120 Hz darstellen.
4kfilme.de vermutet, dass das Bild im Game-Mode zuerst auf HD-Auflösung und 120 Bildern pro Sekunde gerendert und erst dann auf UHD-Auflösung hochskaliert wird. Gut zu sehen bei Schriften, Texten und geraden Linien, die nicht messerscharf, sondern verschwommen wirken. Ein Hinweis auf das gefälschte, nicht native UHD.
Sony will aber nichts von Problemen wissen. In einem ersten Statement gegenüber Vincent Teoh, das gar auf dem 27. Oktober datiert, argumentieren die Japaner, dass der Bravia XH90 eine extrem flüssige Darstellung liefere, was für Gamer ja das Wichtigste sei. Die erwähnten Nebeneffekte hätten damit zu tun, dass UHD bei 120 Hz nunmal eine hohe Bandbreite benötige. Im bewegten Bild würden die Nebeneffekte aber gar nicht weiter auffallen.
Der Aufschrei der Sony-Community lässt nicht lange auf sich warten. Genau wie LG und Samsung verwendet Sony nämlich eine HDMI-2.1-Schnittstelle mit vier Daten-Lanes à 10 Gbit/s. Insgesamt also «nur» 40 Gbit/s statt den eigentlichen 48 Gbit/s Bandbreite, die dem neuen HDMI-Standard zur Verfügung stünden. Die Vermutung, dass der Sony-TV damit zu wenig Bandbreite hätte, macht sich breit.
Ist sie auch zutreffend?
Unwahrscheinlich, so einleuchtend die Vermutung auch klingen mag. Schliesslich kriegen auch LG und Samsung trotz 40-Gigabit-Bandbreite ein UHD-Bild mit 120 Bildern pro Sekunde hin. Es spricht also nichts dagegen, dass Sony das nicht auch hinkriegen könnte.
7. November: Und dann noch die Next-Gen-Konsolen
Bleiben wir bei Sony und ziehen auch noch Microsoft mit rein. Beide Hersteller geben zu, dass vorerst weder die Playstation 5 noch die Xbox Series S oder X ein natives 8K-Signal ausgeben kann. Dies, obwohl beide damit werben. Im Falle der Playstation gar mit grossem 8K-Logo auf der Verpackung.
Das heisst nicht, dass die Konsolen kein 8K bei 60 FPS beherrschen. Nur, dass das HDMI-2.1-Feature vorerst deaktiviert bleibt. Beide Hersteller sagen, dass sie ein Firmware Update veröffentlichen werden, sobald erste Games in 8K-Auflösung entwickelt würden. Klingt einleuchtend. Trotzdem schade, müssen 8K-TVs das Upscaling vorerst noch selber übernehmen.
In Punkto HDMI 2.1 war’s das noch nicht. Zumindest nicht für Sony. Wie jüngste Reviews zeigen, wird die Playstation 5 vorerst nicht mal variable Bildraten beherrschen. Kein VRR also. Für niemanden.
Wird da ein Firmware Update kommen? Hoffentlich. Wahrscheinlich. Warten wir’s ab.
13. November: Sony krebst nun doch zurück
Zurück zum Bravia XH90, Sonys Flaggschiff-Gaming-TV. Wo vor Tagen noch niemand was von Problemen wissen wollte, sei man sich auf einmal bewusst geworden, dass die nach dem Update berichteten Bugs – auf einmal sind es doch keine Nebeneffekte mehr – auf ein Softwareproblem zurückzuführen seien.
Konsequenz: Sony arbeitet an einem – wait for it – Firmware Update, das das Problem «behandeln» wird. Vincent Teoh stellt fest, dass damit nicht klar ist, ob Sony das Problem tatsächlich lösen kann oder es lediglich umschiffen will. Etwa, in dem die benötigte Bandbreite bei UHD-Auflösung und 120 FPS durch Farbunterabtastung reduziert wird. So könnte doch noch ein natives UHD-Bild zustande kommen.
Hier greifen wir aber unterstellend vor. Genau wissen werden wir’s erst, wenn das Firmware Update da ist. Wann, ist ungewiss. Sony weist uns aber an, regelmässig auf dieser Seite nachzuschauen, bis das Firmware Update da ist. Vincent meinte noch in einem seiner jüngeren Videos: «Eigentlich bin ich ja professioneller TV-Tester. Aber mittlerweile fühle ich mich eher wie ein professioneller Firmware-Update-Tester».
Ja, welcher TV denn nun, Luca?
Liebe Leser. Falls eure Frage immer noch lautet, welchen TV ihr euch für die kommende Konsolen-Generation besorgen sollt: Ich weiss es nicht. Noch nicht. Ehrliche Antwort.
Warum? Genau wegen all dieser HDMI-2.1-Geschichten. Sie sind unberechenbar und lassen Prognosen zur Lotterie verkommen. Sie zeigen, dass Fernseher längst keine stieren Monitore mehr sind, die nur Bildinformationen wiedergeben. Fernseher sind moderne Computer. Rechnend, verarbeitend und mit fremder Hard- und Software interagierend. Bei neuen Technologien und Standards führt das zu Kinderkrankheiten. Im Falle von HDMI 2.1 wohl zu mehr, als viele es für möglich gehalten hatten.
Daran werden wir uns gewöhnen müssen. Firmware Updates sind mittlerweile genauso regelmässig wie Day-1-Patches in «World of Warcraft». Als Early Adopter einer neuen Technologie gehst du das Risiko ein, gutes Geld in unreife Technologie zu investieren, die dir zwar als erstes zur Verfügung steht, aber erst in späteren Versionen wirklich ausgereift ist.
Darum: Wenn du noch warten kannst, dann warte. Zumindest, bis die 2021er-TVs da sind und aus den Fehlern gelernt haben, die ihre Vorgänger jetzt noch machen.
Update 19.11.2020, 16:50 Uhr
Schneller als jede Push-Benachrichtigung der Welt habt ihr mich informiert, dass es an LGs VRR-Front bereits wieder Bewegung gibt:
Kurz: Ein Firmware Update könnte das Problem tatsächlich bald beheben oder zumindest stark reduzieren. Danke Leser Anonymous und Titanx fürs schnelle Update :-).
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»