Geschichten aus der Velowerkstatt: die Reifenpanne
Frühlingsgefühle auf zwei Rädern – gibt es etwas Schöneres? Ich finde nicht. Es sei denn, die Pannenhexe schlägt zu und du stehst ohne Luft im Reifen in der Pampa.
So früh war er noch nie da, der Frühling. Zumindest nicht seit 1896. Am 20. März 2024 stand die Sonne morgens um exakt sechs Minuten nach vier mitteleuropäischer Zeit senkrecht über dem Äquator. Somit hat der astronomische Frühling auf der Nordhalbkugel begonnen. Keine Minute zu früh für meinen Geschmack. Für viele ist das der Moment, das Velo aus dem Winterschlaf wach zu küssen. Und kurz darauf kommt leider oft auch die erste Panne der Saison.
Ich hole mir Rat beim Fachmann
Die häufigste Panne? Ich würde nebst dem schleichenden Plattfuss, bei dem häufig ein nicht sauber verschraubtes Ventil das Problem ist, auf den Reifenschaden tippen. Eine Scherbe, ein Nagel oder spitzer Stein durchstösst den Reifen. In meinem Fall wäre das dann der Tubeless-Pneu meines Gravel- oder E-Mountainbikes. In einem solchen Fall ist guter Rat teuer, ich hole ihn mir beim Fachmann. Genauer gesagt bei Elia Widmer von Hilite Bikes in Basel. Der gelernte Werkzeugmacher ist dort einerseits am Bau ihrer Customized Fahrräder beteiligt und kümmert sich andererseits als Velomechaniker um die kleineren und grösseren Wehwehchen von Rennrad und Co.
Was tun bei einem Tubeless-Reifenschaden?
Diese Reifen haben einen speziellen Aufbau und gewährleisten die Luftdichtheit auch ohne zusätzlichen Schlauch. In das Tubeless-System wird eine Dichtmilch eingefüllt, die bei einer Panne das Loch von innen verschliesst. Der Vorteil der Tubeless-Reifen besteht unter anderem darin, dass sie durch ihre Konstruktion im Vergleich zu Schlauch- oder Faltreifen weniger anfällig für einen Platten sind. Allerdings sind sie wartungsintensiver. Doch dazu mehr in einem separaten Beitrag.
In der Regel geben Hersteller der Dichtmilch an, dass ihre Produkte Löcher von bis zu sechs Millimetern Durchmesser abdichten können. Und das während der Fahrt, in Sekundenbruchteilen – ohne, dass du etwas machen musst. Wie und ob das funktioniert, wollen Elia und ich etwas genauer wissen und malträtieren den «G-One R» von Schwalbe, mit dem ich nun seit rund einem Dreivierteljahr unterwegs bin. Es bricht mir ein wenig das Herz, diesen tollen Reifen einfach so zu opfern. Aber nun gut.
Das Loch, das Elia mit dem Schraubenzieher in den Reifen gestochen hat, entspricht in etwa sechs Millimetern. Dennoch schafft es die Dichtmilch nicht, es zu schliessen. Natürlich hatte er zuvor extra frische Dichtflüssigkeit nachgefüllt. Trotzdem verliert der Reifen immer wieder die Luft, die der Velomech hineinpumpt.
Passiert sowas im Gelände während der Fahrt und nicht gewollt in der Werkstatt, musst du zuerst herausfinden, wo am Reifen der Schaden entstanden ist. Zu diesem Zweck legt Elia das Bike auf den Boden, pumpt Luft in den Reifen und schaut, wo die Dichtmilch austritt. Die Partikel in der Milch, Fasern usw., bleiben beim Loch hängen und bilden dort einen Pfropfen. Falls nicht, kommt Plan B zum Zug.
So kommt der Plug in den Fahrradreifen
Das Zauberwort heisst Plug. Es gibt diese kleinen «Gummiwürste» von verschiedenen Herstellern, in verschiedenen Grössen und Farben. In der Regel sind sie entweder schwarz oder braun – wie die Reifen. Ausserdem benötigst du ein spezielles Werkzeug, um die Plugs ins Loch zu bekommen und den Reifen abzudichten. Die Werkstatt von Hilite Bikes ist natürlich komplett ausgestattet. Elia schneidet einen Plug auf die richtige Grösse zu und schliesst damit das Loch im Schwalbe G-One R.
Quelle: Christian Walker
Ich bin fast ein wenig erleichtert, benötigt auch der Fachmann einige Anläufe, bis der Plug mit der richtigen Grösse im Reifen sitzt und das Loch schliesslich abdichtet. Es ist ein, wie sagen wir in der Schweiz so schön, kleines «Geknübel». Und ich stelle mir vor, wie viele Flüche ich wohl gen Himmel schickte, würde ich das im Winter draussen mit klammen Händen machen müssen. Nicht wie heute in der gemütlichen Werkstatt.
Schlussendlich ist der Plug im Pneu und die inszenierte Panne behoben. Elia füllt nochmals Dichtmilch nach und pumpt den Reifen wieder auf. Fertig.
Quelle: Christian Walker
Produkte, die du brauchst
Du bist mit Tubeless-Reifen unterwegs? Dann empfiehlt es sich folgendes Material und Werkzeug für den Fall der Fälle stets dabei zu haben:
- Plugs inkl. Werkzeug
- Dichtmilch
- CO₂-Kartusche/Handpumpe
Ich habe dir hier entsprechende Beispiele verlinkt. Natürlich findest du in unserer virtuellen Velowerkstatt ähnliche Produkte anderer Anbieter. Ausserdem brauchst du eine Schere, zum Beispiel eine kleine Nagelschere, um die Plugs unterwegs zuzuschneiden.
Es gibt auch Hersteller wie Milkit, die ein spezielles Werkzeugset entwickelt haben, in dem eine Schere bereits verbaut ist. Die ist aber ziemlich klein und unhandlich. Noch dazu hat das Teil einen stolzen Preis.
Weitere Geschichten aus der Velowerkstatt folgen. Die Themen: neue Tubeless-Reifen fürs Gravelbike, Kettenunterhalt und nie mehr quietschende Bremsen.
Titelbild: Christian WalkerVom Radiojournalisten zum Produkttester und Geschichtenerzähler. Vom Jogger zum Gravelbike-Novizen und Fitness-Enthusiasten mit Lang- und Kurzhantel. Bin gespannt, wohin die Reise noch führt.