Der Hashimoto-Guide - Ihr Weg zum Therapie-Erfolg
Deutsch, Marcel Dörsing, Christian Lunow, 2022
Die Schilddrüse ist das Gaspedal deines Körpers. Stimmt damit etwas nicht, gerät der gesamte Motor außer Takt. Tatsächlich erkranken immer mehr Menschen an der Schilddrüsenunterfunktion Hashimoto-Thyreoiditis – viele davon, ohne es zu wissen.
Hashimoto-Thyreoiditis mag klingen wie der Name einer exklusiven japanischen Modemarke. In Wirklichkeit ist es jedoch nichts Begehrliches, sondern eine ernste Krankheit.
Ähnlich wie Endometriose und das polyzystische Ovarialsyndrom gehört die Hashimoto-Thyreoiditis zu den Krankheiten, bei denen es oft Jahre bis zur Diagnose dauert.
Bei der Autoimmunkrankheit greift das eigene Immunsystem das Gewebe der Schilddrüse an, was zu einer chronischen Entzündung führt und letztlich zur Zerstörung der Drüse. Bleibt Hashimoto unbehandelt, wird irgendwann die Produktion der lebensnotwendigen Schilddrüsenhormone eingestellt. Und ohne diese geht es nicht: Sie stimulieren nicht nur den Stoffwechsel und gewinnen aus der Nahrung Vitamine, sondern steuern so gut wie alle wichtigen Körperfunktionen, von Blutdruck über Verdauung bis hin zur Psyche.
Als «Gaspedal des Körpers» wird die schmetterlingsförmige, walnussgroße Schilddrüse, die sich unterhalb des Kehlkopfs um die Luftröhre schmiegt, auch bezeichnet. Und wenn das Gaspedal streikt, kommt der gesamte Motor ins Stottern – deshalb treten Hashimoto-Symptome auch in vielfältiger Form auf.
Schätzungsweise vier bis zehn Prozent der Bevölkerung werden eines Tages an Hashimoto erkranken, «manche Studien gehen von bis zu zwölf Prozent aus», so Dr. med. Christian Lunow in seinem Ratgeber «Der Hashimoto-Guide». Der Mediziner ist Ärztlicher Leiter vom Zentrum für Schilddrüsenerkrankungen in Bornheim und Bonn und einer der wenigen Experten in Deutschland für die Autoimmunerkrankung.
Der Hashimoto-Guide - Ihr Weg zum Therapie-Erfolg
Deutsch, Marcel Dörsing, Christian Lunow, 2022
Auf seinem Informationsportal hashimoto-thyreoiditis.de spricht er gar von Hashimoto als Volkskrankheit – wobei 75 Prozent der Betroffenen nicht einmal wüssten, dass sie daran leiden. Fakt ist: Die Hashimoto-Thyreoiditis ist eine der häufigsten Autoimmunerkrankungen und in westlichen Industrienationen die häufigste Ursache für eine Unterfunktion der Schilddrüse. Fast jede zehnte Person Mitteleuropas ist betroffen. Grund genug, endlich über die Erkrankung aufzuklären.
Frauen sind auffallend häufiger von der Erkrankung betroffen, etwa sieben- bis zehnmal häufiger als Männer. Die Erkrankung betrifft Frauen zum Beispiel nach der Geburt eines Kindes: «In Deutschland wird in etwa 7 Prozent der Fälle nach der Geburt von Kindern mit der Entwicklung einer Autoimmunerkrankung der Schilddrüse gerechnet», schreibt die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie auf ihrer Website.
Die Gründe für die Häufung sind nicht abschließend geklärt; ein hormoneller Zusammenhang gilt aber als wahrscheinlich. Ungeklärt ist auch, ob die steigenden Diagnosezahlen wirklich damit zusammenhängen, dass mehr Menschen an Hashimoto erkranken – oder ob vielmehr das Bewusstsein für die Krankheit gestiegen ist und deshalb häufiger nach den entsprechenden Antikörpern gesucht wird. Doch der Hashimoto-Anstieg passt zu dem Phänomen, das die medizinische Welt schon länger beobachtet: Autoimmunkrankheiten werden generell mehr diagnostiziert.
Wie bei den meisten Autoimmunerkrankungen gibt es nicht eine einzige Ursache für Hashimoto. Es spielen mehrere Faktoren zusammen: die genetische Veranlagung, die individuellen Körpereigenschaften plus Umwelteinflüsse. Bislang konnten aber keine eindeutigen Ursache-Wirkung-Beziehungen identifiziert werden. Höchstwahrscheinlich, schreibt Christian Lunow in seinem Buch, kommen mindestens zwei Ereignisse schicksalhaft zusammen: «Bad Genes» (schlechte Gene) und «Bad Luck» (Pech).
Als Risikofaktoren für Hashimoto diskutiert die Forschung unter anderem gesteigerte Jodzufuhr, Chemikalien, Infektionen mit Bakterien und Viren (zum Beispiel das Hepatitis-C-Virus), Alkohol, Tabakkonsum, Stress, Vitamin-D-Mangel.
Und wenn man schon schlechte Gene und Pech hat, gilt für Hashimoto-Thyreoiditis-Erkrankte leider auch: Es können andere Begleit- und Folgeerkrankungen hinzukommen, auch aus dem Autoimmunumfeld wie Morbus Crohn, Diabetes oder Zöliakie.
Ein Grund, warum die Diagnose bei Hashimoto-Thyreoiditis oft lange dauert, sind ihre Symptome: Diese sind unspezifisch und können variieren – und Betroffene gewöhnen sich mit der Zeit an sie. Sie klagen zum Beispiel über Müdigkeit, Traurigkeit, Antriebslosigkeit, Gelenk- oder Nackenschmerzen, starke Gewichtszunahme, ständiges Frieren, Herzrasen. Zudem schleicht sich die Krankheit oft langsam ins Leben, was auch zu Fehldiagnosen wie Burnout führen kann. Bei älteren Menschen hingegen tippt man bei diesen Symptomen oft erst einmal auf normale Alterserscheinungen statt auf eine Schilddrüsenunterfunktion.
Die diffusen Symptome allein reichen nicht aus, um die Diagnose sicherzustellen. Doch sie sind eines von mehreren Mosaikstücken, aus denen sich das Bild einer Hashimoto-Thyreoiditis zusammensetzt. Bei Verdacht lässt man im Blut die Schilddrüsenhormone (TSH, fT3, fT4) und Antikörper (TPO-AK) bestimmen. Fachleute empfehlen zusätzlich einen Ultraschall der Schilddrüse, um die Erkrankung eindeutig nachzuweisen
Was Erkrankte über den TSH-Wert wissen sollten: Er ist zwar ein «sensitiver Messfühler», so Mediziner Lunow, doch zugleich auch «entsprechend störanfällig». Sprich: Er ist «nicht der unbestechliche Zeuge, für den er oftmals gehalten wird.»
Denn einerseits, betont auch die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie, schwankt der TSH-Wert zum Beispiel jahreszeitenbedingt, bei Schlafmangel, bei hormonellen Umstellungen (Pubertät, Schwangerschaft, Wechseljahre) oder bei Infektionen. Andererseits ist der TSH-Wert von Mensch zu Mensch höchst unterschiedlich, wie diese dänische Studie zeigt: «Jeder Mensch hat eine individuelle, einzigartige Schilddrüsenfunktion», so die Forschenden. «Dementsprechend ist ein Testergebnis innerhalb der Laborreferenzgrenzen nicht unbedingt normal für eine Person.»
Was wiederum bedeutet: Die bislang geltenden Normwerte für den TSH-Wert sind problematisch. Je nach Individuum kann der Referenzrahmen nämlich zu eng sein – und schon eine latente Schilddrüsenunterfunktion vorliegen, die aber unbehandelt bleibt. Deshalb muss ein TSH-Laborergebnis immer im Zusammenhang mit den anderen Werten plus den Symptomen gestellt und regelmäßig überprüft werden.
Geheilt werden kann Hashimoto-Thyreoiditis nicht – Betroffene müssen ein Leben lang Medikamente nehmen. Nehmen die autoimmunbedingten Gewebeschäden zu, sinkt die natürliche Hormonproduktion. Deshalb brauchen Erkrankte eine Hormonersatztherapie: Sie nehmen die fehlenden Hormone als synthetisches T4 in Form von Levothyroxin-Tabletten (L-Thyroxin) zu sich, seltener als Tropfen.
Erfahrene Ärztinnen und Ärzte machen dabei nicht alles an den Laborwerten fest. Entscheidend ist das Befinden der Erkrankten. Bessern sich die Symptome durch L-Thyroxin, ist es der richtige Weg. Wenn nicht, muss die Dosierung der Hormongabe über Trial and Error nachjustiert werden – oft auch über Wochen oder gar Monate mit engmaschigen Kontrollen inklusive Blutuntersuchungen.
Ziel der Behandlung sei eben nicht ein optimaler TSH-Wert, sagt Experte Lunow, denn – siehe oben – für einen individualisierten optimalen TSH-Wert gebe es ja keine objektiven Kriterien. Deshalb sei «das subjektive Wohlbefinden des Patienten das Maß aller Dinge».
Mit zunehmendem Alter und bei sich ändernden Hormonwerten z.B. aufgrund von Schwangerschaft, muss man die Hormondosis ohnehin anpassen. Immer sei das therapeutische Ziel, «sich dem individuellen TSH-Bedarf wenigstens anzunähern.» Eine erfahrene ärztliche Begleitung ist bei Hashimoto demnach unabdingbar.
In einer britischen Studie stellten Forschende fest: Rund fünf bis zehn Prozent der Hashimoto-Erkrankten leiden weiter an Symptomen (selbst wenn der TSH-Wert eingestellt ist). Hashimoto-Experte Lunow schätzt den Prozentsatz sogar als noch höher ein. Unter Umständen kann statt der Monotherapie mit L-Thyroxin eine T3T4-Kombinationstherapie notwendig sein, die das sensible Gleichgewicht von TSH, T4 und T3 besser ausbalanciert.
Doch auch andere Faktoren können die Erkrankung und somit die Therapie beeinflussen. Man müsse sich die Erkrankung wie einen «Brand in einem Haus» vorstellen, heißt es im «Hashimoto-Guide». «Ebenso wie die verwendeten Baustoffe Geschwindigkeit und Hitze des sich ausbreitenden Feuers beeinflussen, kann die Anwesenheit bestimmter Stoffe und die Abwesenheit anderer Stoffe den Verlauf der Entzündung beeinflussen.»
Nun hat der Körper gewissermaßen «Brandschutzmittel» zur Verfügung – und das sind Nährstoffe wie Zink, Selen, Vitamin D. Bei Hashimoto-Erkrankten aber fehlen diese häufig, so Mediziner Lunow: «Zu den häufigsten Mangelerscheinungen, auf die wir bei unseren Patienten stoßen, zählen Vitamin-D-Mangel, Selen-, Eisen- und Vitamin B-Mangel.» Deshalb sollten Betroffene diese Werte zusätzlich zu den Schilddrüsenhormonen regelmäßig checken lassen.
Auf eigene Faust mit Nahrungsergänzungsmitteln zu substituieren, ist allerdings keine gute Idee. Denn bei einer dauerhaften Selen-Zufuhr beispielsweise erhöht sich das Risiko, an Typ2-Diabetes zu erkranken. Die Gabe von Mineralstoffen und Vitaminen muss daher in medizinischer Absprache und unter Beobachtung erfolgen.
Spezielle Hashimoto-Diäten, die wirksam sind, gibt es nach derzeitigem Wissenstand nicht. Eine gesunde Ernährung gegebenenfalls mit Reduktion von Kohlenhydraten zugunsten von Fett und Eiweiß kann sich jedoch als günstig erweisen – und manche Betroffene verspüren eine Verbesserung ihrer Symptome, wenn sie auf Gluten verzichten.
Ich hätte auch Lehrerin werden können, doch weil ich lieber lerne als lehre, bringe ich mir mit jedem neuem Artikel eben selbst etwas bei. Besonders gern aus den Themengebieten Gesundheit und Psychologie.