Unterdiagnostiziert und verharmlost: Frauenkrankheit Endometriose
Jede zehnte Frau ist im Durchschnitt von Endometriose betroffen – Fachleute rechnen sogar mit einer weitaus höheren Dunkelziffer. Denn: Oft bleibt die chronische Krankheit unerkannt – und für die Medizin ist sie noch immer rätselhaft.
Als Julia mit 22 Jahren das erste Mal die Anti-Baby-Pille absetzt, geht es los. Schmerzen beim Sex, während der Menstruation, auf der Toilette, Krämpfe und Schmerzen bis zur Übelkeit. «Es hat sich angefühlt wie eine Geburt. Ich konnte nicht gehen und hatte kontraktionsartige Schmerzen im Unterbauch» erzählt Julia. Erst sechs Jahre später folgt die Diagnose: Sie leidet an Endometriose. Viele Menschen haben davon noch nie gehört. Dabei ist die Krankheit die zweithäufigste Frauenerkrankung.
Bei den Schätzungen, wie viele Frauen daran leiden, klaffen die Zahlen weit auseinander: Zwischen einer vorsichtig geschätzten Prävalenz der Endometriose von mindestens 10 bis 15 Prozent bis hin zu sogar 30 Prozent aller Frauen im reproduktionsfähigen Alter.
Häufig hängt die Krankheit mit weiblicher Unfruchtbarkeit zusammen. Die deutsche Stiftung Endometriose Forschung sagt dazu: «Die Endometriose-Prävalenz bei Laparoskopien (Bauchspiegelung) zeigt, dass bis zu 50 Prozent der Patientinnen, bei denen eine Laparoskopie zur Kinderwunschdiagnostik durchgeführt wurde, an Endometriose leiden.»
Symptome von Endometriose
Die Krankheit erzeugt Symptome, die sich vor allem im Unterbauch abspielen. René Wenzl und Alexandra Perricos schreiben in ihrem Fachartikel für die Österreichische Ärztezeitung vom 25. Oktober 2020: «Jede zweite Frau im fortpflanzungsfähigen Alter, die chronische Unterbauchschmerzen hat, leidet an Endometriose.» Meist sind es sehr schmerzhafte Regelschmerzen, doch auch Schmerzen beim Sex, beim Wasserlassen oder Stuhlgang können auf Endometriose hinweisen. Es können auch, wie bei Julia, alle Symptome auftreten.
Mit der späten Diagnose ist Julia keine Ausnahme: Im Schnitt dauert es sechs Jahre, bis die Krankheit bei Betroffenen erkannt wird. Wie kann das sein? «Frauen sind gewöhnt, dass ihre Menstruation mit Schmerzen verbunden ist», sagt Gynäkologin und Endometriose-Expertin Dr. Elisabeth Janschek vom Endometriosezentrum LKG Villach. Jedes Mädchen und jede Frau sollte aber wissen: Die Regelblutung ist keine Krankheit – und sollte nicht automatisch immer wehtun.
Doch was genau passiert bei Endometriose eigentlich? Und wieso hängen die Schmerzen mit der Regel zusammen?
Endometriose: Was dahintersteckt
Bei einer Endometriose wuchert Gewebe, das dem «Endometrium» (also der Gebärmutterschleimhaut) ähnlich ist, außerhalb der Gebärmutter. Diese «Insel»-Schleimhäute unterliegen dann dem weiblichen Zyklus – genau wie die reguläre Schleimhaut in der Gebärmutter baut sich auch das versprengte Gewebe alle vier Wochen auf und blutet. Da sie nicht abfließen können, stauen sich Blut und Schleimhaut auf – in Folge wachsen die Endometrioseherde, es kommt zu Entzündungen, verdicktem Gewebe, Vernarbungen und Zysten.
In den meisten Fällen siedeln sich die versprengten Schleimhautzellen im Bereich des kleinen Beckens an: an den Eierstöcken oder zwischen Gebärmutter und Mastdarm. Doch auch im Bauchfell kann es zu Wucherungen kommen. Breitet sich die unentdeckte Endometriose jahrelang aus, können die Herde die Eileiter verkleben – und zu Unfruchtbarkeit führen. Aber auch Organe wie Gebärmutter, Eileiter, Eierstöcke, Harnblase und Darm können völlig miteinander verkleben. In seltenen Fällen können die Zellen auch Organgrenzen überschreiten und an Niere, Blase oder der Lunge wachsen. «Diese Form der Krankheit nennt sich tiefinfiltrierende Endometriose und trifft auf rund 10 Prozent aller Diagnosen zu», sagt Expertin Janschek.
Ein langer Weg zur Diagnose
Wieso Frauen überhaupt an Endometriose erkranken? Das ist noch nicht geklärt. Auch, weil in den letzten Jahrzehnten sehr wenig Geld in Forschung investiert wurde. Aus Deutschland kommt diesbezüglich eine gute Nachricht: Ab 2023 sollen Forschungsgelder in Höhe von 5 Millionen Euro bereitgestellt werden.
So wie im November seit einigen Jahren als «Movember» für psychische Gesundheit bei Männern, Prostata- und Hodenkrebs sensibilisiert wird, wird jeweils im März in vielen Ländern der «Endometriose Aufmerksamkeitsmonat» ausgerufen. Das Symbol ist der «Yellow Ribbon» (auf dem Titelbild).
In Österreich ist Prof. Dr. Peter Oppelt Experte auf dem Gebiet Endometriose. Der Vorstand der Johann-Kepler-Universitätsklinik für Gynäkologie, Geburtshilfe und Gynäkologische Endokrinologie in Linz beschäftigt sich seit vielen Jahren intensiv mit der Krankheit. «Vor 20 Jahren hatte Endometriose keinen Stellenwert», sagt er. Anders als heute habe es kaum Forschungsgelder gegeben und kaum Aufklärung für Ärzte und Ärztinnen. Mit der Folge der Unterdiagnostizierung bei den Betroffenen, bis heute: «Wir können davon ausgehen, dass es viel mehr Frauen gibt, die Endometriose haben, ohne dass es diagnostiziert wurde.»
Interessanterweise gilt: Befund ist nicht gleich Befinden: Manche Patientinnen haben laut Befund kleine Endometriose-Herde, die Schmerzen bis zur Ohnmacht auslösen. Andere weisen im Befund großflächige Verklebungen auf, haben aber keine oder nur geringe Schmerzsymptome. Warum? Man weiß es nicht. Die Krankheit ist für die Medizin nach wie vor rätselhaft.
Julia diagnostiziert sich schließlich selbst, recherchiert im Netz und hat den Verdacht: Es könnte Endometriose sein. Um durch die ersten Tage ihrer Periode zu kommen, ist sie auf schwere Schmerztabletten angewiesen. Als Julia nach einigen Monaten mit ihrem Verdacht zur Frauenärztin geht, passiert das: «Die Ärztin hat meinen Verdacht ziemlich abgetan. Und wollte mir wieder die Pille verschreiben. Ich könnte sonst aber auch einfach ein Kind bekommen, dann würden sich die Symptome meist von selbst legen.» Denn Endometriose wird vom weiblichen Hormon Östrogen befeuert, in der Schwangerschaft aber bekommt Progesteron die Oberhand.
Endometriose: Weiblicher Schmerz wird nicht ernst genommen
Drei Jahre lang lässt sich Julia hinhalten, nimmt weiter Schmerzmittel – dann erst holt sie sich Hilfe. Ein Schlüsselerlebnis bewegt sie dazu, ein Endometriose-Zentrum aufzusuchen. «Ich bin über das Wochenende weggefahren und habe im Auto bemerkt, dass ich meine Periode bekomme und kein Schmerzmittel eingepackt habe. Ich habe Panik bekommen – und zum ersten Mal bemerkt, was die Krankheit psychisch mit mir macht.»
Eine Bauchspiegelung im Endometriosezentrum bestätigt, was Julia seit Jahren vermutet: Sie hat eine Zyste am Eierstock, ein klares Anzeichen auf Endometriose. «Ich hatte immer das Gefühl, ich sei verrückt, zu empfindlich oder würde mir alles einbilden. Es war so schön endlich zu wissen, dass ich nicht verrückt bin.»
Die hohe Schmerztoleranz der Frauen und wenig Aufklärung aus der Forschung sind Gründe, weshalb Endometriose bis heute unterdiagnostiziert bleibt. Hinzu kommt: Fehldiagnosen sind häufig, etwa Entzündungen der inneren Geschlechtsorgane, PMS oder gar psychogene Beschwerden. Und das macht natürlich etwas mit den Betroffenen: Nicht ernst genommen zu werden mit ihren Schmerzen, lässt sie an sich zweifeln, sich nicht normal fühlen.
Gynäkologin Dr. Janschek erfährt immer wieder, dass sich selbst bei vermeintlich schmerzfreien Verläufen der Endometriose bei genauerem Nachfragen herausstelle: Patientinnen haben sich einfach an den Schmerz gewöhnt. Sie empfiehlt: «Wer aufgrund der Periode nicht arbeiten gehen kann, Schmerzen bis zur Ohnmacht hat und den ganzen Alltag rundum die Menstruation strukturiert, sollte sich auf Endometriose untersuchen lassen.»
Und Dr. Peter Oppelt betont: «Patientinnen büßen viel ihrer Lebensqualität durch die Krankheit ein.» Im Berufsleben, der Partnerschaft und auch sonst. Wer an Endometriose leidet, hat mit schweren Schmerzen zu kämpfen, die nicht normal sind. In Einzelfällen komme es sogar zu Organschäden. Umso wichtiger sei es, bei Verdacht, ein Endometriosezentrum mit geschulten Spezialistinnen und Spezialisten aufzusuchen. Zu hundert Prozent abklären lässt sich die Erkrankung nur über eine Bauchspiegelung.
Behandlung der Erkrankung: Ohne Hormone geht es meist nicht
Auch weil wir generell wenig über die Ursachen der Endometriose wissen, ist die Krankheit bis heute nicht heilbar. Es können nur ihre Symptome behandelt werden. Trotzdem ist nicht garantiert, dass unter einer Therapie die Beschwerden ganz verschwinden. Für gewöhnlich hören diese erst dann auf, wenn Frauen in der Menopause sind (mit Ausnahmen). Liegt einmal die Diagnose durch eine Bauchspiegelung vor, gibt es zwei Behandlungswege: die Operation, meist mittels Bauchspiegelung, und die Hormontherapie. Entscheidend ist dabei das Alter der Patientin. «Ist der Kinderwunsch abgeschlossen, sprechen wir mit der Patientin darüber, die Reproduktionsorgane operativ zu entfernen. In den meisten Fällen können wir die Krankheit aber mit einer konservativen Hormontherapie ganz gut behandeln», sagt Experte Oppelt.
Julias Operation ist jetzt drei Jahre her. Die Endometriose-Herde wurden verödet und Verwachsungen an Eierstock und Darm entfernt. Seither befindet sich ihr Uterus im «Winterschlaf», erzählt sie. «Ich nehme eine ganz leichte Pille, das heißt ich habe gar keine Monatsblutung mehr. Denn mit der Periode könnte sich alles wiederaufbauen und von vorne beginnen.»
Am Anfang war das sehr frustrierend, sagt Julia. Nur die beiden Optionen zu haben: Hormone oder ein Pokern mit der eigenen Unfruchtbarkeit. Endometriose-Spezialistin Dr. Janschek kennt das Unbehagen von Patientinnen mit der Anti-Baby-Pille. Sie rät zu Gelassenheit: «Ich glaube, wir müssen das alles weniger dramatisch sehen. Hormone sind per se nichts Schlechtes. Ja, es ist eine chronische Erkrankung aber in den meisten Fällen liegt ein milder Verlauf vor, der sich durch Hormone beruhigen lässt. Ein Mensch mit Diabetes ist auch auf Insulin angewiesen, weil wir die Zellen, die Insulin produzieren, nicht nachbilden können.» Mittlerweile geht es Julia gut mit der Behandlung durch die Gestagenpille. Sie ist schmerzfrei, und das ist für sie das Wichtigste.
Auf Grund der Hinweise in den Kommentaren haben wir nachträglich zwei Passagen im Text angepasst. Jeweils der erste Satz der Abschnitte direkt unterhalb der Zwischentitel «Endometriose: Was dahintersteckt» und «Behandlung der Erkrankung: Ohne Hormone geht es meist nicht».
Titelbild: shutterstock.comIch liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party.