Ein Bad im Vulkan, Hitze und ein schwelender Konflikt
Lous und Julen träumen von einem Bike-Trip entlang der alten Seidenstrasse. Wie weit sie es schaffen, steht in den Sternen. Was sie erleben, steht hier. Im Osten der Türkei stossen die beiden an unsichtbare Grenzen.
Auf dem Weg nach Adıyaman werden die Strapazen immer grösser. Lous und Julen, die seit Anfang Juli mit ihren Velos in der Türkei unterwegs sind, nehmen das Taurusgebirge in Angriff. Unter der sengenden Sonne schmelzen die Energiereserven schnell dahin, wird jeder Hügel zur Herausforderung.
Die beiden lernen, dass eiskaltes Wasser bei 59 Grad über dem schattenlosen Asphalt nach 17 Minuten Körpertemperatur erreicht. Nach 32 Minuten würde es als Tee durchgehen. Selbst die Gipfel scheinen zu schmelzen. Sanft und weich reihen sie sich aneinander, was darüber hinwegtäuscht, wie hoch sie sind.
Aufsteigen
Der Erlebnishunger bleibt grösser als der Wunsch nach Abkühlung. Zum Nemrut, dessen 2150 Meter hoher Gipfel Heiligtum, Grabstätte und heute ein Nationalpark ist, brechen Lous und Julen um vier Uhr morgens auf.
Sie scheitern weder an Hitze noch an der Höhe, dafür beinahe an ein paar Lira Eintritt. Kleingeld haben sie nicht mit und vor dem Erlebnis fordern nicht Götter, sondern die Hüter des Nationalparks eine kleine Opfergabe. Als das mit modernen Mitteln übers Smartphone geklärt ist, ist der Weg frei zu den jahrtausendealten Steinfiguren von Zeus, Apollo oder Antiochus.
Auftanken
Ein Höhepunkt. Danach geht es bergab. Tut auch mal gut. Nicht historisch wertvoll, dafür eine Art moderne Oase sind die Tankstellen am Wegesrand. Hier gibt es mitten im Nichts alles, was das Bikerherz begehrt. Kühle Getränke, Verpflegung und Gas für den Campingkocher. «Das sind perfekte Plätze zum Übernachten», sagt Julen. «Sie haben rund um die Uhr offen und sind ein sicherer Ort.»
In Siverek entdecken die beiden diese Möglichkeit für sich. Sie werden willkommen geheissen, mit Sitzgelegenheiten versorgt und ein Hund gesellt sich dazu. Hier können Lous und Julen auftanken. Es ist ein einfaches Leben, das sich gut anfühlt. Auch wenn in dieser Gegend nicht alles einfach ist. Es existieren unsichtbare Grenzen. Das ist erstmals so richtig zu spüren, als sie Diyarbakır erreichen.
Aufpassen
«Nach Diyarbakır gab es viele Polizeikontrollen, Militär und Polizei sind dort stationiert», erzählt Lous. «Die Leute identifizieren sich hier nicht mit der Türkei. Wir haben ein paar Worte Kurdisch gelernt, das schätzen sie sehr.» Die Menschen sagen: Kurdistan. Der Staat sagt: Türkei. «Ich als Baske kann die Situation ein wenig nachvollziehen», sagt Julen. Der Konflikt in der Region schwelt wie eh und je, nur aus dem westlichen Bewusstsein ist er weitestgehend verschwunden. «Trotzdem ist es hier sehr friedlich und wir fühlen uns sicher», beteuern beide.
Aufpumpen
Unsichtbare Grenzen gibt es nicht nur im Land, sondern auch im Körper und beim Material. Wann die Luft raus ist, merkt man oft erst, wenn es soweit ist. «Wir hatten so viele platte Reifen», erzählt Lous. «Manchmal ist das frustrierend, aber es gehört dazu.» Das erste Mal flicken die beiden am vierten Tag ihrer Tour. Es folgen schleichende Plattfüsse en masse, umgefallene Bikes am Morgen, Schrauben, die sich in Schläuche bohren – das volle Programm, das, wie Lous und Julen bei einer späteren Begegnung erfahren, nicht für alle dazugehört: «Wir haben einen Österreicher getroffen, der nach 5000 Kilometern noch keine Panne hatte. Da waren wir neidisch!»
Aufatmen
Genauso wichtig, wie unterwegs zu sein, sind die Pausen. Runterzufahren. Luft zu holen. Energie zu tanken. Besonders verlockend in der Hitze ist kaltes, klares Wasser. In Malabadi fliesst der Batman. Jugendliche zeigen den Fremden begeistert ihre Superhelden-Skills im Wasser und posen ein wenig, bevor das obligatorische Freundschafts-Selfie mit den Leuten am Ufer ansteht.
Immer wieder werden Lous und Julen gefragt, ob sie sich sicher fühlen und wie sie über die Türkei denken. «Die Menschen sind um den Eindruck der Ausländer gegenüber die Türkei besorgt», sagt Lous. Für die Reisenden reiht sich eine positive Erfahrung an die nächste. Feinselig zeigen sich nur die Hunde, die in der folgenden Nacht aggressiv bellend das Zelt belagern, während Lous und Julen regungslos darin ausharren.
Aufregend
Nach den Highlights ihrer Reise gefragt, können Lous und Julen nur lachen. Sie ist voller Highlights. Aber ein Erlebnis hebt Julen doch noch hervor: Nemrut. Nicht den oben erwähnte Berg, sondern den anderen Nemrut am Vansee. «Das ist ein Vulkan mit zwei Seen im Krater», sagt Julen. Ein Anblick, den sie sich hart verdienen müssen. «Es war ein wirklich steiler Anstieg und sehr windig.» Obwohl beide nicht ganz fit sind, nehmen sie die Tortur auf sich. Beinahe werden sie von der Strasse geweht. «Wir haben uns nicht gut gefühlt, hatten schon eine Woche lang Probleme wegen einer Wasservergiftung, aber wir mussten einfach hin», sagt Lous. «Im Krater herrscht ein ganz eigenes Ökosystem.»
Eigen ist auch Fevzi, der am Ende des Wegs einen kleinen Shop betreibt und nebenbei die dort lebenden Bären füttert. «You look tired, very very tired!», begrüsst er Julen, bevor er sich mit folgendem freundlich gemeinten Satz an Lous wendet: «And you are big monkey!»
Es bleibt seltsam und seltsam schön mit dem ungewöhnlichen Mann, der einen Bärenschutz um das Zelt der Reisenden zieht. Sie laden ihn zum Essen ein, bevor er die beiden in dieser Vollmondnacht zu einem Bad in der heissen Quelle des Kraters führt.
«Ich hatte noch nie ein Bad mit so vielen Anweisungen», erzählt Lous. Linker Fuss, rechter Fuss. Jeden Schritt gibt Fevzi vor und kümmert sich um seine Besucher, bis Lous und Julen nach einem Tee am Feuer schlafen gehen. «Solche Erlebnisse sind ein Highlight, weil der Mann so interessant und liebenswert war», sagt Lous. Ein Bad im Vulkan, eine Erinnerung fürs Leben.
Lous und Julen sind immer noch unterwegs. Wie es weitergeht, erfährst du im nächsten Teil.
Sportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.