Ratgeber
Zu Besuch bei einer Sexologin
von Natalie Hemengül
Gedanken haben Kraft. Kraft, die du im Schlafzimmer zu deinem Vorteil nutzen kannst. Doch wie funktioniert das Kopfkino? Und wie viel haben sexuelle Fantasien eigentlich mit der Realität gemein?
Sie ist selten eine ausgereifte Geschichte, deren Plot du von A bis Z in deinem Kopf abspulst. Manchmal ist sie nur ein Gefühl. Eine Erinnerung an vergangene Momente. Oder einzelne Bildfetzen. Gar nur ein Duft.
Die sexuelle Fantasie.
So vielfältig ihre Formen auch sind, so haben sie doch eines gemeinsam: Sie sind für die Erregung das, was der Feuerfunke für den Zunder ist. «Fantasien können im Wechselspiel mit deinem Körper Erregung entfachen», sagt Sexualtherapeutin Dania Schiftan. Laut ihr überträgt sich die Aufregung, die im Kopf entsteht wie ein Echo auf den Körper. In abgeschwächter Form. «Es ist mit der Vorfreude vergleichbar. Denkst du an ein zukünftiges Ereignis, auf das du dich freust, wird dein Körper warm und beginnt zu kribbeln. Dasselbe passiert, wenn du dein Kopfkino einschaltest. Du steigerst dich in etwas rein und dein Körper reagiert auf diese Gedanken. Umgekehrt geht das übrigens auch.» Erregung ist somit keine Frage des Zufalls. Du kannst mit deinem Kopfkino deiner Lust auf die Sprünge helfen. «Besonders für Frauen ist die sexuelle Fantasie ein hilfreiches Tool, um Lust zu schaffen, wenn keine da ist. Oder, um die vorhandene Lust zu steigern», erklärt Schiftan.
Fantasien sind vielfältig. Laut Schiftan können sich Menschen von vielem angezogen fühlen. Auch in monogamen Beziehungen. «Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Partner oder eine Partnerin die gesamte Bandbreite dessen abdeckt, was sich das Gegenüber wünscht, ist klein. Aus meiner Sicht muss der Partner oder die Partnerin das auch nicht können. Fantasien sind ein Weg, die Paarsexualität um Aspekte zu ergänzen, die ausserhalb einer monogamen Partnerschaft liegen.» Solche Fantasien können wiederum beim Partner oder der Partnerin die Angst auslösen, dass es sich dabei um Wünsche handelt, die im realen Leben umgesetzt werden wollen. «Manche Menschen schämen sich deshalb für ihre Fantasien oder ekeln sich gar vor ihnen.» Dabei geben Fantasien gemäss Schiftan weder Aufschluss darüber, was ein Mensch wirklich erleben will, noch darüber, welchen Charakter eine Person hat.
Doch wie verhält sich die Fantasie dann zur Realität?
«Zwischen der Fantasie und der Realität herrscht eine Diskrepanz. Das heisst, dass Fantasien nicht sofort mit unterdrückten Wünschen gleichgesetzt werden dürfen. Was im Kopfkino prickelnd ist, muss es im wahren Leben nicht auch sein», erklärt Schiftan. Fantasiert eine Frau beispielsweise von gleichgeschlechtlichem Sex, fühlt sie sich nicht zwangsläufig auch im echten Leben von Frauen angezogen. «Solche Fantasien können zwar ein Hinweis dafür sein, dem man gerne nachgehen darf, sie können aber genauso gut darauf zurückzuführen sein, dass eine Frau durch Selbsterforschung das weibliche Geschlecht erotisiert.» Fantasie und Realität lassen sich also unterscheiden, gehen aber dennoch Hand in Hand. Nur liegt der Zusammenhang nicht offenkundig da, wo wir ihn vermuten.
«Wovon eine Person fantasiert, hängt auch von der Art und Weise ab, wie sie sich im echten Leben selbst Lust verschafft», sagt die Expertin. Das bedeutet, dass die Technik, die in der Selbstbefriedigung zum Einsatz kommt, die Leitplanken für deine Fantasie setzt. «Erregen dich beispielsweise starker Druck und Reibung, spult dein Kopfkino mit hoher Wahrscheinlichkeit einen angespannten Film ab, in dem harte Berührungen, Fesselspiele oder Ähnliches vorkommen.» Was dir körperlich gefällt, überträgt sich somit indirekt in dein Kopfkino. Im Umkehrschluss lassen sich Fantasien auch verändern, indem du bei der Selbstbefriedigung die Technik oder das Setting änderst.
«Fantasien sollten in erster Linie genossen und wertgeschätzt werden. Ob du eine Fantasie wirklich in die Tat umsetzen willst oder dich lediglich in deinem Kopfkino an ihnen erfreust, kannst du in Ruhe für dich herausfinden.»
Die Fantasie kann in der Sexualität als Anheizer dienen. Was aber, wenn selbst deine Fantasie einen kleinen Schubs braucht? «Neben dem selbstorchestrierten Kopfkino können auch Pornos und erotische Literatur sowie Audio-Angebote als Inspirationsquelle dienen – sofern du sie nicht zwanghaft zur Lusterzeugung einsetzt», so Schiftan.
Solche Hilfsmittel beanspruchen die Vorstellungskraft besonders stark. «Dadurch überträgt sich die erzeugte Erregung nur bedingt auf das Geschlecht, da der Fokus nicht auf dem Körper liegt, sondern im Kopf.» Stichwort: Echo. «Deshalb kann es durchaus Sinn machen, Tools lediglich zu Beginn als Zünder zu verwenden und dann wegzulegen. Oder anders herum: Hast du eher Mühe, deine Lust aufrechtzuerhalten, kannst du im Zweifel zu Pornos, Literatur und Co. greifen.»
Schwierig wird es, wenn die Erregung nur noch von einer spezifischen Fantasie abhängig oder störanfällig ist. «Eine ‘falsche’ Bewegung des Partners oder der Partnerin reicht dann, um der Erregung einen Abbruch zu tun.» Du fällst dann quasi aus deinem Film, weil dein Gegenüber der Rolle nicht gerecht wird, die sie oder er in deinem Kopf bekleidet. Weil nicht alles haargenau so abläuft, wie du dir es im Kopf ausmalst. «Damit eine Erregung übers Kopfkino auch nachhaltig funktioniert, müssen wir unsere Geschlechtsorgane miteinbeziehen.» Eine Art Ping-Pong zwischen Kopf und Körper. Das bedeutet, dass die Fantasie im Kopf die Lust initiiert und der Körper darauf reagiert. Dieser körperlichen Resonanz solltest du deine Aufmerksamkeit schenken. «Bleibt der Fokus hingegen im Kopf, klingt die Erregung bei der kleinsten Ablenkung ab.»
Dann wäre da noch eine andere Art von Kopfkino, die sich negativ auf die Lust auswirkt: die Alltagsgedanken. Habe ich die Wäsche aufgehängt? Soll ich meinen Friseurtermin doch lieber verschieben? Abschweifende Gedanken haben zwar nichts mit Erotik zu tun, spielen aber eine entscheidende Rolle dabei, ob und wie sehr du deine körperliche Erregung geniessen kannst.
Um aufregende körperliche Empfindungen wahrzunehmen, musst du deinen Kopf abschalten. «Fällt dir das schwer, können Atem-, Berührungs- und Konzentrationsübungen dabei helfen, das Augenmerk wieder auf den Körper und das Hier und Jetzt zu lenken.» So, dass du wieder spürst und wahrnimmst, was in deinem Körper stattfindet. Wo empfindest du Erregung? Wo sind die Hände deines Partners oder deiner Partnerin gerade? Dass die Gedanken dabei immer wieder mal abschweifen und die Erregung zwischendurch abflacht, ist laut Schiftan normal. «Wichtig ist nur, dass du immer wieder versuchst, zurück in die körperliche Achtsamkeit zu finden.» Übung macht die Meisterin. Oder den Meister.
Dies ist der sechste Artikel einer mehrteiligen Serie mit Dania Schiftan zum Thema Sexualität. Du hast Anmerkungen oder Fragen, die du in den kommenden Beiträgen klären willst? Lass es uns in den Kommentaren wissen oder schreib mir eine E-Mail an natalie.hemenguel@digitecgalaxus.ch
Schiftan arbeitet seit 13 Jahren als Sexologin und Psychotherapeutin in eigener Praxis in Zürich. Mehr über sie und ihren Job erfährst du in diesem Interview:
Alle weiteren Beiträge aus der Serie findest du hier:
Als Disney-Fan trage ich nonstop die rosarote Brille, verehre Serien aus den 90ern und zähle Meerjungfrauen zu meiner Religion. Wenn ich mal nicht gerade im Glitzerregen tanze, findet man mich auf Pyjama-Partys oder an meinem Schminktisch. PS: Mit Speck fängt man nicht nur Mäuse, sondern auch mich.