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Deutsch, Dania Schiftan, 2018
Fetisch, Schmerz, Unlust. Dania Schiftan therapiert täglich Menschen, die Probleme mit ihrer Sexualität haben. Einblick in die Arbeit einer Sexualtherapeutin.
Meine Füsse versinken im konfettibunten Flausch-Teppich. Der Raum ist lichtdurchflutet und versprüht den unbeschwerten Charme einer Smarties-Tüte. In Dania Schiftans Zürcher Praxis erinnert nichts an bedrückende Gefühle. Ein düsteres Ledersofa, wie ich es sonst aus Filmen kenne, suche ich bei der Sexualtherapeutin vergebens. Seit 13 Jahren arbeitet Schiftan in eigener Praxis mit Paaren und Singles, die mehr aus ihrer Sexualität herausholen wollen. Mit Menschen, deren Sexualleben nicht so erfüllend ist, wie sie es sich vorstellen oder bei denen etwas in der Sexualität nicht klappt. Im Gespräch mit der Sexologin erfahre ich, was ihre Patienten am häufigsten beschäftigt und mit welchen Vorurteilen sie in ihrem Beruf zu kämpfen hat.
Du hast keinen alltäglichen Beruf. Wie bist du zu deinem Job gekommen?
Dania Schiftan, Sexologin und Psychotherapeutin: Mein Vater war Tierarzt, meine Mutter Kinderpsychologin und ich ein Kind, das sehr viele Fragen gestellt hat. Zum Glück waren bei uns zu Hause alle offen, sodass meine Fragen stets beantwortet wurden. Während meines Psychologie-Studiums hatte ich dann meine erste längere Beziehung. Plötzlich hatte ich persönlichere Fragen, wie zum Beispiel: Wie kann ich in meiner Sexualität noch mehr Genuss empfinden? Solche Fragen, die meinen Paar-Alltag betrafen, konnte ich mir durch den Studiumsstoff nicht beantworten. Dort wurden meist nur extreme Themen und Probleme behandelt wie beispielsweise Fetische und strafrechtliche Fälle. Also wandte ich mich an eine Gynäkologin. Die konnte mir zwar mit ihrem ärztlichen Wissen bei einigen Dingen weiterhelfen, bei anderen Fragen hingegen musste sie auf ihre persönlichen Erfahrungen zurückgreifen. Mir war klar: Wenn ich schon Fragen hatte, dann war ich bestimmt nicht die Einzige. So kam ich auf die Idee für meine Liz-Arbeit.
Was hast du im Rahmen dieser Arbeit untersucht?
Ich habe eine Studie zum Sexualverhalten der Deutschschweizer durchgeführt. 15 000 Leute haben meinen Fragebogen ausgefüllt, wovon etwa 6 900 brauchbar waren. Das ist eine horrende Zahl. Und das, obwohl mir im Vornherein gesagt wurde, dass wohl nicht so viele daran Teilnehmen würden. Das Thema fand Anklang. Von da an fing ich an, mich während des Studiums und meiner Psychotherapieausbildung weiterzubilden. Heute beantworte ich den anderen die Fragen, die ich einst selbst gestellt habe.
Gab es Leute in deinem privaten Umfeld, die kein Verständnis für deine Berufswahl hatten?
Im Gegenteil. Ich hatte stets die Unterstützung meiner Familie. Mein damals über 80-jähriger Grossvater korrigierte sogar meine Liz-Arbeit und das, obwohl er aus einer anderen Generation stammt und ein ganz anderes Verständnis von Intimität und Moral hatte. Ich glaube, er war ein paarmal sehr peinlich berührt von meinen Texten. Dennoch stand er voll und ganz hinter mir.
Wirst du manchmal auch mit Vorurteilen konfrontiert?
Viele denken, dass ich sie als Psychotherapeutin ständig analysiere und dass ich mir anhand von ihrem Auftreten überlege, was sie wohl für ein Sexleben haben. Die Leute fühlen sich schnell durchschaut. Was ich ganz klar sagen kann: In meinem Alltag, wenn ich privat unterwegs bin, mache ich das nicht.
Du hast ein Buch darüber geschrieben, wie die Frau durch Übung leichter zum Höhepunkt kommt. Ist das eines der häufigsten Probleme, mit denen Patientinnen zu dir kommen?
Das ist tatsächlich so. Viele Frauen, die bei mir Hilfe suchen, haben Probleme, zum Orgasmus zu gelangen. Leider musste ich feststellen, dass Frauen diesen Umstand oft als gegeben hinnehmen. Sie denken, dass das bei ihnen nun mal so ist. Dabei kann frau daran arbeiten. Auch Schmerzen beim Sex und das Thema Lust respektive Unlust sind Probleme, die viele Frauen beschäftigen. Ich helfe ihnen, mit den richtigen Übungen, Massnahmen und Trainings Veränderungen herbeizuführen.
Was beschäftigt Männer?
Männer bedrückt häufig ein verfrühter Höhepunkt oder der Verlust sowie der gänzliche Wegfall einer Erektion. Unlust ist ebenfalls ein Thema. Misserfolge im Sexleben sind demotivierend und wecken Ängste, die Partnerin zu verlieren. Generell haben Frauen und Männer gleich viele Probleme. Es kommen auch immer wieder Menschen mit Fragen zu ihrer sexuellen Identität zu mir. Ich zeige ihnen dann, dass das Spektrum der Sexualität grösser und vielschichtiger ist, als die meisten annehmen.
Gibt es bei der Sexualtherapie eine untere oder obere Altersgrenze?
Das kommt stark darauf an, was du unter Sexualtherapie verstehst. Grundsätzlich ist eine Therapie in jedem Alter möglich. Letztens hatte ich einen Mann hier, der 70 war und der seine Erektion verliert. Der Hausarzt sagte ihm, das sei normal. Er hingegen sagte, er möchte sich nicht einfach damit abfinden, weil ihm die Sexualität so viel gebe. Also arbeiten wir daran.
Auch Mütter, die Fragen zur Entwicklung oder Aufklärung ihrer Kinder haben, fragen mich um Rat. In der Regel sind meine Patienten zwischen 18 und 75.
Wie lange begleitest du deine Klienten im Durchschnitt?
Es gibt Leute, die kommen nur für zwei Stunden vorbei, andere wiederum lassen sich zwei bis drei Jahre lang therapieren. In meinem Fall sind die Übergänge zur Psychotherapie fliessend und ich mache beides leidenschaftlich gerne.
Was ist deiner Meinung nach die häufigste Ursache für Probleme mit der eigenen Sexualität?
Dass das Thema Sexualität komisch gehandhabt wird. Einerseits redet man darüber, als wäre es supereasy und als wären wir alle offen. Gleichzeitig gibt es wenig gute Aufklärung. Wir erlernen unsere Sexualität nicht. Kaum jemand spricht mit uns darüber, welche Abläufe im Körper stattfinden oder wie wir selbst positiv Einfluss auf die eigene Lust nehmen können. Es ist die Diskrepanz zwischen dem eigenen Erleben und der Wahrnehmung, dass man vermeintlich offen und locker mit dem Thema umgehen muss. Diese zwei Erfahrungen decken sich nicht. Das wiederum erzeugt eine Spannung, die anstrengend ist. Deshalb trauen sich Menschen gar nicht erst, Fragen zu stellen. Sie denken, sie seien komisch, weil sie etwas nicht wissen.
Ich stelle mir vor, dass es viel Überwindung kostet, sich in Sachen Sexualität professionelle Hilfe zu holen ...
Sobald die Leute bei mir sind, merken sie schnell, dass es gar nicht so schwierig ist, über intime Themen wie zum Beispiel einen Fetisch zu sprechen. Die Angst ist vor der ersten Sitzung am grössten, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt. Deshalb wünsche ich mir, dass die Arbeit von uns Sexologen bekannter wird. Menschen haben oft die falsche Fantasie, dass wir merkwürdig sind und die Sitzungen abstrus ablaufen. Bei der Form der Sexualtherapie, die ich anbiete, muss sich niemand ausziehen und Erregung ist auch keine im Spiel. Der Wunsch nach Veränderung ist jedoch Voraussetzung für eine Therapie. Die eigene Situation nicht einfach hinnehmen und aktiv etwas daran verändern zu wollen. So ein Einsatz erfordert Mut. Mut, die eigene Geschichte anzugehen. Diesen Willen bei anderen zu beobachten, ist für mich das Schönste an meinem Job.
Dies ist der erste Artikel einer mehrteiligen Serie mit Dania Schiftan zum Thema Sexualität. Du hast spannende Anmerkungen oder Fragen, die du in den kommenden Beiträgen klären willst? Lass es uns in den Kommentaren wissen oder schreib mir eine Mail an natalie.hemenguel@digitecgalaxus.ch
Alle weiteren Beiträge aus der Serie findest du hier:
Als Disney-Fan trage ich nonstop die rosarote Brille, verehre Serien aus den 90ern und zähle Meerjungfrauen zu meiner Religion. Wenn ich mal nicht gerade im Glitzerregen tanze, findet man mich auf Pyjama-Partys oder an meinem Schminktisch. PS: Mit Speck fängt man nicht nur Mäuse, sondern auch mich.