Ratgeber
Zu Besuch bei einer Sexologin
von Natalie Hemengül
Ein roter Lackschuh. Oder ein stinknormaler Wollpullover. Alles kann zum Gegenstand eines Fetisches werden. Aber wie entstehen Fetische überhaupt? Sexualtherapeutin Dania Schiftan über ein Leben im Spannungsfeld zwischen Lust und der Angst, nicht verstanden zu werden.
Stell dir vor, ein Freund vertraut dir an, dass er einen Wollpullover-Fetisch hat. Wie würdest du dich fühlen? Unbehaglich, verständnislos, irritiert? Dann bist du damit nicht alleine. «Das Thema Fetisch erschreckt die Menschen. Das liegt daran, dass es sich dabei um eine Art Extremform der Sexualität handelt, die viele nicht nachvollziehen können», sagt Sexualtherapeutin Dania Schiftan. Dabei ist das Thema laut ihr weitaus weniger aufregend, als im Volksmund darüber geredet wird. Dennoch hält sich das Stigma hartnäckig.
Um zu verstehen, weshalb Fetische als «extrem» wahrgenommen werden, müssen wir uns zunächst mit der Frage beschäftigen: Was ist ein Fetisch überhaupt? «Einfach ausgedrückt ist es eine Spezialisierung eines Menschen auf ein Objekt oder ein Szenario, das Auf- und Erregung in ihm auslöst.» Im Unterschied zu einer Vorliebe definiert sich ein Fetisch durch seine Ausschliesslichkeit. Das bedeutet, dass ein Fetischist nur durch das Einbinden eines spezifischen Szenarios oder eines Gegenstands erregt werden kann. «Ein Fetisch schränkt die Betroffenen stark ein, da sie ausserhalb ihres Fetisches keine Erregung empfinden können», sagt die Expertin. Eine Vorliebe hingegen lässt Spielraum zu. «Wer beispielsweise eine Vorliebe für schöne Unterwäsche hat, kann sich diese einfach dazu fantasieren oder auch mal weglassen. Das tut der Erregung keinen Abbruch.»
Aber wie kommt eine solche Spezialisierung überhaupt zustande? Grundsätzlich kann sich ein Fetisch laut Schiftan in jedem Alter entwickeln. «Die Ursprünge eines Fetisches lassen sich jedoch in den meisten Fällen in die jungen Jahre eines Menschen zurückverfolgen. Abhängig davon, wie weit die Person entwickelt ist und wann sie ihre Sexualität entdeckt. Das kann beispielsweise zwischen sieben und dreizehn Jahren der Fall sein.»
Schiftan nennt dazu folgendes Beispiel: Ein Junge schleicht sich heimlich an die Unterwäscheschublade seiner Mutter, obwohl er weiss, dass es ihm verboten ist. Er tut es dennoch und zieht sich die Unterwäsche an. Dabei verspürt er Aufregung, die, wie wir bereits in einem anderen Beitrag gelernt haben, nahe an der Erregung liegt. Der Junge wiederholt die Aktion immer wieder, weil er merkt, dass sie bei ihm zu einem guten Gefühl führt. Auf diese Weise bringt er seine Erregung mit der Unterwäsche in Verbindung. Wird dieser Ablauf oft wiederholt, kann es passieren, dass diese Person nur noch erregt wird, wenn Unterwäsche im Spiel sind.
«Über die Jahre kann sich dieser Fetisch mehr und mehr spezialisieren. Ist es am Anfang noch jede Art von Unterwäsche, darf es irgendwann nur noch Spitzenunterwäsche aus Seide sein.» Zudem ist es laut Schiftan möglich, dass sich zwar fetischistische Tendenzen in der Jugend abzeichnen, diese aber durch neu Gelerntes an Bedeutung verlieren.
Wovon sich ein Mensch angezogen fühlt, kann auf andere fremd oder eigenartig wirken. «Daher auch die Angst und das Unverständnis der Menschen. Was ich häufig beobachte, ist auch eine Tendenz zum 'Sensation Seeking' wenn es um Fetische geht. Je ausgefallener ein Fetisch, desto mehr Aufmerksamkeit bekommt er von der Gesellschaft.» Dabei können es häufig sehr gewöhnliche, alltägliche Dinge sein, die zum Gegenstand eines Fetisches werden.
«Basierend auf meinen Erfahrungen kann jeder einen Fetisch entwickeln. Fetische bedingen also keine spezifische psychische Konstitution», sagt Schiftan. Das Geschlecht hingegen kann eine Rolle spielen. «Fetische sind eher ein Männerthema, weil sie im Vergleich zu Frauen vermehrt auf visuelle Reize anspringen. Das heisst, sie werden durch das erregt, was sie sehen. Bei Frauen hingegen beobachte ich häufiger Stimmungsfetische.» Das kann laut der Expertin zum Beispiel ein Romantikfetisch sein. Das bedeutet, dass eine bestimmte Atmosphäre nötig ist, um erregt zu werden. Kerzen, bestimmte Gerüche oder auch Musik.
Unverständnis für einen Fetisch ist besonders in einer Partnerschaft eine Herausforderung, der Schiftan in ihrer Praxis immer mal wieder begegnet. Bei ihr lernen Paare, wie sie mit einem Fetisch umgehen können. «Hat nur eine Partei der Beziehung einen Fetisch, kann ein gemeinsamer Nenner erarbeitet werden. Das heisst: Auf der einen Seite darf die Person mit dem Fetisch lernen, die eigene Sexualität zu erweitern, sodass sie auch durch andere Dinge erregt werden kann. Bis hin zu einer Sexualität, die die Partnerin oder den Partner mit einschliesst und nicht nur ein Objekt oder ein Szenario voraussetzt. Auf der anderen Seite wird der Partner oder die Partnerin ohne Fetisch motiviert, den Fetisch bis zu einem gewissen Grad mitzumachen.»
Ein Beispiel dazu: Sebastian hat einen Windelfetisch. Seine Partnerin Sarah bietet Sebastian an, die Windel beim Sex nebenan auf das Bett zu legen, damit Sebastian diese jederzeit sehen und anfassen kann. Dass Sebastian die Windel anzieht, möchte Sarah aber nicht. Da ist ihre Grenze. «Es ist ein Verhandeln im Rahmen dessen, was für beide in Ordnung ist. Es gibt kein richtig oder falsch. Wichtig ist nur, dass man gemeinsam schaut, was geht und was nicht. Was ist möglich, was nicht. Was möchte ich und was nicht.» Kommunikation ist dabei zentral.
«Meistens versuchen Partner oder Partnerinnen erst, ihren Fetisch zu verheimlichen», sagt Schiftan. Ein Beispiel: Ben hat einen Fetisch für Frauen, die sehr hohe Schuhe tragen. Deshalb schenkt er seiner Frau Lisa immer wieder hohe Schuhe. Lisa interpretiert die Geschenke als Aufmerksamkeit und fühlt sich begehrt, bis sie irgendwann den Verdacht schöpft, dass es Ben dabei gar nicht um sie geht, sondern um die Schuhe selbst. Spätestens jetzt herrscht Klärungsbedarf. «In so einem Fall wäre es von Vorteil gewesen, wenn das Paar von Anfang an offen über das Thema gesprochen hätte.»
Schwierig wird es auch, wenn das Fetisch-Objekt so alltäglich ist, dass die Person ihm im täglichen Leben begegnet. «Dieser Umstand kann Menschen mit einem Fetisch daran hindern, Dinge zu unternehmen und auf die belastende Angst einzahlen, falsch verstanden zu werden.» Jemand, der beispielsweise einen Fetisch für aufblasbare Tier-Schwimmhilfen hat und diese im Freibad gerne beobachtet, hat dann Angst, dass die Menschen rund um ihn herum denken, er würde die Kinder beobachten, die damit spielen. Dabei geht es nur um das Objekt als solches.
Trotzdem stellt sich unwillkürlich die Frage: Kann ein Fetisch für Betroffene oder Aussenstehende gefährlich werden? «Solange der Fetisch legal ist und weder einen selbst noch andere gefährden kann, besteht ein sicherer Rahmen», erklärt Schiftan. Je nach Fetisch macht es durchaus Sinn, mit einer Fachperson genauer hinzuschauen. «Menschen werden schnell mal als pervers abgestempelt. Die Sache ist aber, dass zum Beispiel ein Windelfetisch im Normalfall dadurch entsteht, dass die Menschen damit schöne Gefühle wie das Umsorgtwerden, Geborgenheit und Sicherheit verbinden. Die Windel steht dann als Symbol für diese Gefühle.»
Schiftan betont jedoch auch, dass genau in diesem Punkt die Schwierigkeit für Therapeuten und Therapeutinnen wie sie liegt. Nämlich genau hinzusehen und mit den Patienten und Patientinnen herauszufinden: Worum geht es dir bei deinem Fetisch? «Wir Therapeuten müssen nachvollziehen können, was in den Patienten vorgeht, um so potenzielle Gefahren frühzeitig zu erkennen.»
Die Angst, nicht oder gar falsch verstanden zu werden, führt dazu, dass Fetischisten und Fetischistinnen sich schnell einsam fühlen. «Viele machen die Erfahrung, dass auch unter Freunden nicht darüber gesprochen wird. Das Internet federt das etwas ab. Dort schliessen sich Menschen mit ähnlichen oder gleichen Fetischen zusammen und tauschen sich aus.» Das gibt ihnen laut Schiftan Sicherheit und eine Vertrautheit, die sie sonst kaum zu spüren bekommen. Gleichzeitig können sie sich selbst richtig erleben und validieren. «Der Nachteil dabei ist, dass es so noch schwieriger wird, aus dieser Bubble herauszufinden.» Das heisst, man bleibt bei diesem Thema und unterstützt sich innerhalb der Community so sehr, dass ein Fetisch über die Zeit noch konkreter, noch spezifischer wird. So lange dabei aber niemand leidet, ist das laut Schiftan völlig in Ordnung. «Ich wünsche mir, dass wir uns als Gesellschaft mehr für die Sexualität der Menschen interessieren und nicht regelmässig vom Stuhl fallen, wenn wir dabei etwas hören, das uns unbekannt ist. Wenn wir aufrichtiges Interesse zeigen, muss sich niemand alleine fühlen.»
Dies ist der vierte Artikel einer mehrteiligen Serie mit Dania Schiftan zum Thema Sexualität. Du hast spannende Anmerkungen oder Fragen, die du in den kommenden Beiträgen klären willst? Lass es uns in den Kommentaren wissen oder schreib mir eine Mail an natalie.hemenguel@digitecgalaxus.ch
Schiftan arbeitet seit 13 Jahren als Sexologin und Psychotherapeutin in eigener Praxis in Zürich. Mehr über sie und ihren Job erfährst du im Interview mit ihr:
Alle weiteren Beiträge aus der Serie findest du hier:
Als Disney-Fan trage ich nonstop die rosarote Brille, verehre Serien aus den 90ern und zähle Meerjungfrauen zu meiner Religion. Wenn ich mal nicht gerade im Glitzerregen tanze, findet man mich auf Pyjama-Partys oder an meinem Schminktisch. PS: Mit Speck fängt man nicht nur Mäuse, sondern auch mich.