Apples Vision Pro ist nicht visionär
Die Katze ist aus dem Sack, Apple hat sein erstes Augmented Reality Headset angekündigt. Es ist technisch beeindruckend, wirkt auf mich aber ziellos.
Wozu? Das frage ich mich jedes Mal, wenn es um die virtuelle Realität geht. Ich hatte gehofft, dass Apple mir diese Frage beantworten kann – die Firma, die einer breiten Masse gezeigt hat, wozu ein Computer gut ist. Oder ein Smartphone. Oder ein Tablet. Oder eine Uhr mit Bildschirm.
Ich hatte gehofft, dass Apple mir analog dazu die Augen öffnet, wozu ich Virtual (VR) oder Augmented Reality (AR) in meinem Leben brauche. Schon so lange schwärmt CEO Tim Cook davon. Gestern präsentierte er an der World Wide Developers Conference endlich Apples Einstieg in die futuristische Produktkategorie: Das Vision Pro ist das erste Headset der Kalifornier.
Technisch ist das Gerät allem Anschein nach ein Meisterwerk: leistungsfähig und mit einem vielfachen der Pixeldichte der Headsets anderer Hersteller. Daneben denkt Apple beim Design auch an wichtige Dinge wie individuelle Passform und gute Lösungen für Brillenträger wie mich. Super. Der Preis ist entsprechend astronomisch. 3500 US-Dollar. Das ist mir egal, ein Pionier-Produkt darf teuer sein.
Eine neue Art von Bildschirm – und jetzt?
Was mir fehlt, ist eine Vision. Welches Problem soll ein solches Gerät lösen? Am Ende des Tages lieferten mir Tim Cook und seine Vice Presidents of irgendwas keine befriedigende Antwort auf meine Frage: Wozu? Die meisten Anwendungsbeispiele liefen auf das Gleiche heraus – das Vision Pro projiziert einen grossen Bildschirm in mein Zimmer. Cool, aber sowas habe ich schon. Es nennt sich Monitor oder Fernseher.
Ob ich darauf nun Panoramafotos bestaunen, Filme schauen oder arbeiten soll: Das alles kann ich heute schon. Die Gestensteuerung à la Minority Report ist bestimmt elegant und gut umgesetzt – doch Mäuse, Tastaturen und Fernbedienungen werden in vielen Fällen effektiver bleiben. Es spielt auch keine Rolle, wie gut Apple das Vision Pro polstert und an mein Gesicht anpasst. Am Ende ist es ein Ding, das ich mir auf den Kopf setzen muss. Eine Einschränkung meiner physischen Freiheit.
Ich wünsche mir, dass ich mich irre
Damit ich das in Kauf nehme, brauche ich klar erkennbare Vorteile. Im professionellen Umfeld könnten das digitale Inhalte auf Baustellen, in Ingenieurbüros oder an Universitäten vielleicht sein. Als Heimanwender lässt mich das kalt. Am ehesten kitzelte Disney-Chef Bob Iger mit diffusen Versprechen von immersiven 3D-Inhalten meine Neugier. Solche sind in Form von Games schon heute der einzige Grund, warum ich mir je ein VR-Headset überstülpe. Apropos Spiele: Wer wie ich auf Apples fulminanten Einstieg in VR-Games hoffte, wurde enttäuscht. Nicht einen einzigen konkreten Titel gab es aus Cupertino.
Apple hat ein gutes AR-Headset präsentiert. Nicht mehr und nicht weniger. Erste Hands-On-Berichte bestätigen, dass es der Konkurrenz technisch überlegen ist. Aber es ist und bleibt ein AR-Headset, egal ob Tim Cook es einen «Spatial Computer» nennt. Es kann die gleichen Dinge, die ein Meta Quest Pro kann. Nur viel besser.
Reicht das? Ich bezweifle es. Ich wünsche mir, dass ich mich irre. Dass sich aus dem Nichts eine überzeugende Vision manifestiert, sobald Apple die Entwicklerinnen und Entwickler auf die neue Plattform loslässt. Dass ich ein Aha-Erlebnis habe, wenn ich zum ersten Mal ein Vision Pro aufsetze. Und vor allem, dass es nach dem allfälligen ersten Wow-Effekt nicht in einer Ecke Staub ansetzt. Dafür wäre es dann doch zu teuer.
Als Kind verbrachte ich zu viel Zeit vor selbstgebauten PCs. Viele Jahre und ein Journalismus-Studium später bin ich wieder gleich weit. Ich schreibe über Apple, Fotografie, Monitore und Geschichten an der Schnittstelle zwischen Technik und Wirtschaft.