Älteste Kamera mit Live-Bildschirm: Die Casio QV-10 von 1995
Ein Leser zeigt mir die erste Kamera der Welt mit Farb-Bildschirm. Um die Fotos auf den PC zu bringen, musste er eine eigene Software schreiben. Die Kamera hat ein drehbares Objektiv und einen unbeabsichtigten Selbstzerstörungsmechanismus.
Meine kürzlich erworbene Digicam aus dem Jahr 1999 ist zwar in die Jahre gekommen, aber verglichen mit den ersten Kameras von einigen von euch ist sie direkt modern. Das schliesse ich aus den Kommentaren meines Berichts über die antike Canon PowerShot A50.
Besonderes Interesse geweckt hat bei mir User DigiFennek, der schreibt, dass er seine Casio QV-10 wieder zum Laufen bringen will. Diese Kamera wurde in Japan bereits Ende 1994 vorgestellt und war ab 1995 auch in Europa erhältlich. In diesem Jahr hat Stefan, wie DigiFennek normalerweise heisst, zugeschlagen: Zum Schnäppchenpreis von unter 1000 Franken kaufte er sich die Kamera, die eigentlich 1300 Franken gekostet hätte.
Als ich ihn frage, ob er die Kamera zum Laufen gebracht habe und mir ein Beispielbild mit der Kamera schicken könne, schreibt er zurück:
Hier sind offenbar Nerd-Skills gefragt. Einige Tage später hat es Stefan geschafft: Die Verbindung zwischen PC und Kamera funktioniert. Stefan kommt mich auf der Redaktion besuchen und ich kann selbst kurz mit der Casio QV-10 herumspielen.
Was sofort auffällt: Das Objektiv der Kamera lässt sich auf die andere Kameraseite drehen, so dass es in die gleiche Richtung zeigt wie der Bildschirm. So lassen sich Selfies aufnehmen.
Sensationell gut für 1995
Dass Casio hier bereits eine Selfie-Funktion eingebaut hat, überrascht mich im ersten Moment. Doch die Idee ist naheliegend, denn diese Kamera ist die erste der Welt, bei der du dich selbst während der Aufnahme live sehen kannst. Das liegt am Bildschirm. Die Casio QV-10 gilt als erste Kamera überhaupt mit einem eingebauten Farb-LCD, der sich auch als Sucher verwenden lässt. Kleine LCDs, die Aufnahmedaten anzeigen konnten, gab es schon bei Filmkameras. Aber ein Sucherbild live anzeigen ist eine ganz andere Sache. Die zeitliche Verzögerung ist zwar deutlich sichtbar und die Bildwiederholrate alles andere als flüssig, aber für 1995 ist das sensationell.
Aus heutiger Sicht: So schlecht, dass es schon wieder gut ist
Auf Firlefanz wie Blitz oder Einstellung von Blende, Verschlusszeit und ISO-Empfindlichkeit verzichtet Casio. Zoom gibt es auch keinen, obwohl eine Taste so angeschrieben ist. Da die Kamera kein Datum und keine Uhrzeit kennt, gibt es nichts, was sie in die Exif-Daten schreiben könnte. Abgesehen davon, dass der Exif-Standard zur Geburtsstunde der Casio QV-10 noch gar nicht erfunden ist.
Der Fokus kann weder manuell noch automatisch verstellt werden. Wenigstens gibt es einen Makromodus, mit dem Nahaufnahmen möglich sind. Wie nahe ich damit ran gehen kann, kann ich nicht sagen, auf dem Bildschirm ist kaum zu erkennen, ob der Fokus gepasst hat. Im Endergebnis auch nicht. Von daher nur konsequent, dass Casio sich gar nicht um den Fokus gekümmert hat.
Da die Blende nicht verstellt werden kann, sind die Bilder überbelichtet, sobald es ein bisschen hell ist. Die Kamera hat jedoch so etwas wie einen ND-Filter: Eine Schicht wird vors Objektiv gelegt, um es abzudunkeln. Angeblich wird dadurch die Blende von f/2 auf f/8 geändert.
Die Auflösung der Bilder liegt bei sagenhaften 480×240 Pixeln. Die Fotos kommen in einem verzerrten Seitenverhältnis aus der Kamera und müssen entweder auf 360×240 oder auf 480×360 Pixel umgeformt werden.
So ein Bild ist ungefähr 20 KB gross. Das dauert schon ein paar Sekunden, um zu speichern. Um so kleine Files hinzukriegen, werden die Bilder stark komprimiert. Ich habe noch nie bei einem JPEG direkt aus der Kamera Komprimierungs-Artefakte gesehen, doch hier sind sie überdeutlich.
Das Objektiv glänzt mit rekordverdächtigen chromatischen Aberrationen und Verzeichnungen.
Ein Foto zu viel, und die Kamera ist futsch
Die Casio QV-10 wird mit 4 AA-Batterien betrieben. Aufladbare Batterien sollte man nicht verwenden. Diese haben nur 1.2 V statt 1.5 V Spannung. Deshalb quittiert die Kamera den Dienst, sobald die Batterien nur ein kleines bisschen schwächer werden.
Das ist in diesem Fall nicht nur lästig, sondern gefährlich. Denn die Kamera hat einen ganz üblen Fehler: Wenn der Strom eigentlich schon fast aufgebraucht ist und man noch ein Foto schiesst, wird der Flash-Speicher korrumpiert und die Kamera lässt sich nicht mehr starten.
«Ich wusste das zum Glück nicht, sonst hätte ich nicht so entspannt fotografiert», erzählt Stefan. Eine Anzeige des Akkustands gibt es nämlich auch nicht. Zwei Jahre lang ging das gut, dann passierte es. Die Kamera wurde unbrauchbar.
Auferstehung in zwei Teilen
Viele Jahre später, so um 2005, entdeckte Stefan eine Software, mit der er die Kamera zurücksetzen konnte. So machte er sie wieder funktionsfähig. Aber erst heute funktioniert auch die Verbindung zum PC wieder. Und erst heute ist die Casio QV-10 alt genug, um als faszinierende Rarität gesehen zu werden.
Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.