Canon PowerShot A50, eine Digicam aus dem letzten Jahrtausend
Wie schlecht ist eine Digitalkamera aus dem letzten Jahrtausend? Ich habe mir eine Canon PowerShot A50 ersteigert und knipse damit herum. Bei der Exkursion in die Steinzeit der Digitalfotografie werden mir die Fortschritte der letzten 20 Jahre bewusst.
Zeitreise ins Jahr 1999: Computer haben Röhrenbildschirme und wählen sich mit seltsamen Geräuschen ins Internet ein, wo sie während Stunden die Telefonleitung besetzen. Das Web besteht aus Baustellen-Symbolen und Pirouetten drehenden @-Zeichen. Erst ein paar Nerds wissen, was Google ist. Die besten Desktop-Computer benötigen zwischen 20 und 50 Sekunden, um ein 90 MB grosses Tiff in Photoshop zu öffnen. Mit Handys kann man nur telefonieren und SMS schreiben. Und oft nicht mal das, weil keine Antenne in der Nähe ist. Willkommen im letzten Jahrtausend.
In dieser Zeit stellt Canon der Öffentlichkeit die PowerShot A50 vor, eine digitale Kompaktkamera, die sich an Hobbyfotografen richtet. An eine sehr spezielle Sorte von Hobbyfotografen. Die Digitalfotografie ist noch nicht massentauglich. Die Kamera kostet über 1000 Franken (1300 DM) und hat nur 1280×980 Pixel, also knapp 1.3 Megapixel.
Die geringe Auflösung der Kameras ist in den Anfängen der Digitalfotografie das grösste von vielen grossen Problemen. Eingescannte Filmnegative von Analogkameras bieten viel höhere Auflösungen, man ist sich also durchaus Besseres gewohnt. Auch gibt es bereits 1999 Digicams mit deutlich höherer Auflösung, allerdings zu surrealen Preisen. Kodak bringt zum Beispiel die DCS 660 heraus, eine auf der Filmkamera Nikon F5 basierende Digicam mit 6 Megapixeln. Kostenpunkt: 46 690 Franken (exkl. MWSt).
Das Ding läuft!
Da komme ich mit 50 Franken für meine antike Powershot in Originalverpackung vergleichsweise günstig weg. Es fehlen drei kleine Schrauben und ein kleines Stück des Akkuverschlussdeckels, zudem ist der Bildschirm etwas zerkratzt. Das ist aber alles nicht weiter schlimm. Die Frage ist, ob das Ding noch einwandfrei läuft.
In meinem Paket sind zwei Akkus enthalten. Der eine sieht aus wie neu, hat angeblich eine höhere Kapazität und ein schönes Schweizerkreuz, das wohl als Qualitätslabel dienen soll. Er funktioniert nicht. Der zweite Akku sieht mit seinem abgerissenen Boden völlig kaputt aus, funktioniert aber.
Erstaunlich. Bei so alten Geräten ist der Akku fast immer hinüber. Da neue Akkus dieses Typs nicht mehr hergestellt werden, habe ich mich vergewissert, dass ich diese Kamera zur Not auch mit einer Einwegbatterie betreiben könnte: Die PowerShot A50 würde eine Lithium-Batterie vom Typ 2CR5 akzeptieren.
Die Bedienung funktioniert anders als heute üblich. Mir ist anfangs nicht klar, wie ich die Kamera einschalten muss. Aber glücklicherweise habe ich darüber mal einen Beitrag geschrieben. In meiner eigenen Anleitung lese ich: «Steht im Benutzerhandbuch.»
Ich schaue also im Benutzerhandbuch nach: Ein- und Ausschalten geschieht über das Modusrad. Das scheint auf den ersten Blick clever, ist es aber nicht. Schaltet sich die Kamera im Modus P selbst ins Standby, kann ich sie nicht auf «Aus» stellen, ohne sie dafür extra wieder einzuschalten. Denn dazwischen befindet sich noch ein anderer Modus, sodass sich das Rad nicht direkt auf die Aus-Stellung drehen lässt. Das ist wohl der Grund, weshalb alle späteren Kameras einen separaten Ein-Aus-Schalter haben.
Schalte ich das Gerät ein, öffnet sich der Objektivdeckel und das Objektiv fährt sofort aus. Dann passiert mindestens fünf Sekunden lang nichts. Der Computer aus dem Jahr 1999 muss erst hochfahren.
Übrigens bleibt das Objektiv immer ausgefahren stehen, wenn der Akku leer ist. Das ist bei dem alten Akku schon nach 20-30 Bildern der Fall. Die Kamera erkennt nicht rechtzeitig, dass der Strom zur Neige geht. Eine Anzeige des Akkustands gibt es nicht. Zudem muss ich jedes Mal das Datum und die Uhrzeit wieder neu einstellen. Das liesse sich allerdings durch eine neue Stützbatterie beheben.
Ja, sie kann RAW. Nein, das hilft nicht viel
Ich knipse zuerst ein paar Fotos im JPEG-Format. Helle Bildpartien werden sehr schnell überbelichtet, wie das Bild links zeigt. Das lässt sich nachträglich nicht mehr korrigieren, siehe Bild rechts.
Die Kamera hat eine Belichtungskorrektur, die stelle ich auf –0.6 EV. Das muss ich im Menü machen. Nun geraten zwar die Schatten zu dunkel, doch das lässt sich korrigieren.
Das RAW-Format ist für solch nachträgliche Korrekturen besser geeignet, und die Kamera beherrscht es. Ich stelle also im Menü von JPEG auf RAW um. Als ich danach ein Foto machen will, passiert nichts. Nichts geht mehr, ich kann die Kamera nicht einmal ausschalten. Schon defekt? Nein: Die Kamera braucht etwa 20 Sekunden, um das 1.5 MB grosse File auf die CF-Karte zu schreiben. In dieser Zeit ist alles blockiert.
Der Mehrwert von RAW ist bescheiden. Viel kann ich in der Nachbearbeitung nicht herausholen. Ich vermute, dass es an der Bittiefe liegt. JPEG hat 8 bit pro Farbkanal (256 Farben). Eine heutige Kamera hat 14 bit (16384 Farben). Die PowerShot A50 rechnet intern mit 10 Bit. Laut diesem Tool hat das RAW-File selbst nur 8 Bit. So sieht es für mich beim Bearbeiten auch aus.
RAW-Aufnahmen kann ich auf der Kamera selbst nur als Mini-Icon (160×120 Pixel) ansehen.
Einen Vorteil hat das RAW-Format aber. Die Farbgebung ist von der Grundausrichtung ganz anders als in JPEG, und gefällt mir besser. Es wirkt fast ein wenig wie Film.
Zwei Beispiele mit relativ schwachem Licht, die ich nachträglich aufhellen musste:
Das ist eine Gegenlichtaufnahme. Gar nicht schlecht, muss ich sagen.
Laaaaangsam
Es ist klar, warum die Kamera keine Videofunktion hat: Der Speichervorgang ist viel zu langsam. Serienbilder gehen in JPEG mit reduzierter Auflösung (640×480 Pixel). Damit schafft die Kamera etwa ein Foto pro Sekunde.
Ebenfalls langsam ist der Autofokus. Im Benutzerhandbuch werden «sich bewegende Motive» als «ungeeignet für den Autofokus» beschrieben. Manuell fokussieren ist aber nicht möglich. Ich kann höchstens versuchen, mit halb durchgedrücktem Auslöser vorzufokussieren.
Sucher und Bildschirm
Auf die Farbdarstellung des Bildschirms ist absolut kein Verlass. Blauer Himmel erscheint in der Regel türkis. Zudem hängt die Darstellung stark vom Blickwinkel ab.
Der Bildschirm, respektive seine Hintergrundbeleuchtung, saugt den Akku schnell leer. Es ist aber möglich, ohne Monitor zu fotografieren, dann hält der Akku lauf Handbuch vier Mal länger. Infos werden auf dem kleinen Zweit-LCD eingeblendet, der ohne Hintergrundbeleuchtung auskommt. Und es gibt einen optischen Sucher, der mit dem Objektiv mitzoomt.
Bei Aufnahmen im Nahbereich zeigt der Sucher aber einen falschen Bildausschnitt. Man schaut nämlich nicht wie bei einer Spiegelreflexkamera durchs Objektiv, sondern oben drüber.
In der Dämmerung
Anders als bei späteren Kompaktkameras entsteht kaum Bildrauschen bei schlechtem Licht. Das ist nicht weiter erstaunlich, denn dies Wunderwerk der Technik nimmt einfach immer mit 65 ISO auf. Im Dunkeln wird das Bild dann halt dunkel. Mit reduzierter Auflösung sind höhere ISO-Werte möglich. Aber wer will eine Auflösung von 1.3 Megapixel noch weiter reduzieren?
Blende und Verschlusszeit lassen sich nicht direkt einstellen. Es gibt lediglich eine Einstellung «Lange Zeiten», die längere Belichtungszeiten ermöglicht. Dabei schliesst die Kamera einfach die Blende auf den kleinstmöglichen Wert (f/11), was unter Umständen zu längeren Belichtungszeiten führt. Ausgerechnet bei wenig Licht die Blende zu schliessen, damit noch weniger Licht reinkommt, ist eine ziemlich originelle Idee. Um nicht zu sagen bekloppt.
Als ich in der Dämmerung mit dieser Einstellung Fotos gemacht habe, wusste ich nicht, dass nur mit f/11 aufgenommen wird. Und habe mich noch gewundert, dass der Autofokus so schlecht funktioniert.
Gegen die Sonne kommt die geschlossene Blende gut; aber «lange Zeiten» gibt es da nicht (1/125 Sekunde).
Das ist natürlich alles stark bearbeitet. So stark, wie es das limitierte RAW-Format zulässt.
Die fantastische, erstaunliche und wundervolle Panoramafunktion
Dass eine Digicam von 1999 eine Panoramafunktion hat, kommt für mich überraschend. Der Nutzen liegt jedoch auf der Hand: Durch das Zusammensetzen mehrerer Aufnahmen entsteht ein Bild mit höherer Auflösung. Bei 1.3 Megapixeln Grundauflösung sehr, sehr erwünscht.
Panoramen sind waagrecht, senkrecht und als 2×2-Matrix möglich. Waagrecht und senkrecht können auch mehr als vier Bilder zusammengesetzt werden. Die Kamera zeigt das zuvor aufgenommene Bild und das Sucherbild überlappend an, so dass ich den Ausschnitt passend wähle. Dabei ist auch sichergestellt, dass der Überlappungsbereich genug gross ist.
Natürlich rechnet die Kamera die Einzelbilder nicht selbst zusammen. Was hast du gedacht? Wir sind im Jahr 1999. Dafür installiere ich eine Software mit der mitgelieferten CD. Kompatibel zu Windows 95, 98 und NT 4.0. Passt also.
Bei meinem horizontalen Panorama funktioniert das richtig gut. Besser als mit Adobe Lightroom, das ich zum Vergleich herbeigezogen habe. Die Panoramafunktion von Lightroom erzeugt beim einen Bildübergang einen gut sichtbaren Fehler. Das aus vier Bildern zusammengesetzte Panorama hat eine Breite von immerhin 3424 Pixeln.
Mit der Matrix-Aufnahme hat die Software hingegen Mühe. Die Brücke erscheint als abenteuerliche Konstruktion. Der Metallpfosten und die Stromdrähte bekommen ein paar künstliche Dellen.
Der Grund für die Probleme: Bei nach oben gerichteter Kamera verlaufen die Linien anders. Adobe Lightroom berücksichtigt das und erzielt ein besseres Resultat. Die Auflösung der Matrix-Bilder beträgt etwa 1950×1300 Pixel.
Fazit: Der Nerd in mir freut sich
Ich habe soeben eine Kamera getestet, die du weder kaufen, noch zu irgendwas gebrauchen kannst. Ein mögliches Fazit wäre deshalb, dass ich ein Nerd bin.
Und die Kamera? Diese PowerShot A50 funktioniert nach so langer Zeit immer noch einwandfrei. Das alleine verdient schon Applaus, finde ich. Mit dafür verantwortlich ist sicher der Objektivschutz.
Das Teil ist nicht so schlecht, wie ich erwartet habe. Es ist mir gelungen, einige ganz nette Bilder damit zu machen. Dafür muss das Licht stimmen und nur statische Motive kommen in Frage. Ich sehe es als Training: Es diszipliniert mich, die Kamera nur dann einzuschalten, wenn gute Chancen auf ein gutes Bild bestehen.
Natürlich: Die Auflösung ist lachhaft, die Geschwindigkeit ein Witz, die Bedienung umständlich und die Akkulaufzeit wäre selbst mit einem neuen Akku mies. Aber das war alles zu erwarten. Man wirft einer Kutsche aus dem 18. Jahrhundert schliesslich auch nicht vor, dass sie keinen Fahrspur-Assistenten hat.
Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.