Zu groß, zu klein, zu krumm: Was gegen Lebensmittelverschwendung hilft
330 Kilogramm Lebensmittelmüll versursacht jeder Schweizer und jede Schweizerin im Jahr. Noch eine krasse Zahl: Wäre die Lebensmittelverschwendung ein Staat, würde sie auf Platz drei der größten CO2-Emittenten rangieren, direkt hinter China und den USA. Doch jeder einzelne von uns kann mit ein paar Hacks seinen Beitrag leisten.
Den nächsten Bissen von deiner Schoggi solltest du dir langsam auf der Zunge zergehen lassen, denn er wird bittersüß: Bei der Herstellung von Schokolade wird fast mehr entsorgt, als abgepackt und verkauft wird. Der Grund ist absurd: Vor jedem Sortenwechsel – zum Beispiel von Milch- auf Zartbitterschokolade – werden die Maschinen mit reiner Schokolade «gespült» und diese «Chargentrennmasse» danach als ein kiloschweres Abfallprodukt entsorgt. Nobel geht die Welt zugrunde.
Richtig Fahrt nimmt die Reise Richtung Absurdistan auf, wenn man sich die Verschwendung von Lebensmitteln global ansieht: Während laut Welthunger-Index 828 Millionen Mensch von chronischem Hunger betroffen sind, schafft es ein Drittel der weltweit produzierten Lebensmittel erst gar nicht vom Feld auf den Teller der Endverbraucherinnen und -verbraucher. Jedes Jahr werden Lebensmittel im Wert von 400 Milliarden US-Dollar zwischen Ernte und Einzelhandel entsorgt, schreibt die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO).
Gründe sind vor allem kosmetischer Natur. Zu klein, zu groß, zu krumm: Nur bis zur Perfektion genormte Lebensmittel schaffen es in die Supermarktregale. Und ist das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) einmal überschritten, werden Produkte sogar noch originalverpackt entsorgt. In der Schweiz rechnet das Bundesamt für Umwelt mit vermeidbaren Lebensmittelverlusten von 330 Kilogramm pro Kopf und Jahr.
Eine Entwicklung, die nicht nur in der Schweiz zu beobachten ist: Laut Angaben des Statistikamtes der Europäischen Union entfallen 53 Prozent aller Lebensmittelabfälle in der EU auf private Haushalte.
Die etwas ambivalente Nachricht ist: Lebensmittelverschwendung beginnt am Esstisch von jedem und jeder Einzelnen – sie kann aber auch genau dort enden. Wie das geht, liest du weiter unten. Vorher klären wir noch die Frage, wie die Überproduktion und das Klima zusammenhängen.
Reste essen ist Umweltschutz
Das Thema Lebensmittelverschwendung ist nicht nur angesichts Welthungers brisant. Vielmehr hat weggeworfenes Essen auch die Klimakrise im Schlepptau, denn: Knappe Ressourcen wie Wasser, Landflächen und Energie für Anbau, Verarbeitung und Transport werden (viel zu) oft für die Mülltonne aufgewandt. Ein Beispiel: Für die Menge der entsorgten Lebensmittel werden knapp 30 Prozent der weltweit verfügbaren Anbauflächen unnötig genutzt, schließt die deutsche Verbraucherzentrale.
Und dieser Lebensmittelmüll hat eine enorme Klimawirkung. Lebensmittelverluste in der EU verursachen im Jahr dieselbe Menge klimaschädlicher Gase wie die gesamten Niederlande. Eine Studie der FAO zeichnet global ein noch düstereres Bild: Vermeidbarer Lebensmittelmüll emittiert weltweit im Jahr 4,4 Gigatonnen CO2.
Wäre die Lebensmittelverschwendung ein Staat, würde sie auf Platz drei der größten CO2-Emittenten rangieren, direkt hinter China und den USA.
Vermeidbarer und nicht-vermeidbarer Lebensmittelmüll
Wie der Begriff «Verschwendung» bereits suggeriert, ist Lebensmittelmüll großenteils vermeidbar. Es handelt sich also um Lebensmittel, die zum Zeitpunkt ihrer Entsorgung noch genießbar gewesen wären. Zum Beispiel das ungeöffnete Joghurt, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum vor zwei Tagen abgelaufen ist: Aller Wahrscheinlichkeit nach ist es noch genießbar und du solltest zumindest einmal daran riechen, um festzustellen, ob es wirklich schon reif für den Müll ist.
Niemand muss sich nun durch die verdorbenen Reste des Kühlschranks arbeiten. Oft hilft beim Verringern von Lebensmittelmüll schon ein wenig Umsicht beim Einkauf oder beim Kochen. Augen, Nase und Mund offen zu halten kann bei der Bewertung vermeidbarer Lebensmittelabfälle helfen – und zwar genau in dieser Reihenfolge: Sieht das Produkt noch frisch aus? Riecht es frisch? Schmeckt es frisch? Ja? Dann muss es nicht in den Müll. Punkt.
Tipps für den Alltag: So gehst du die Lebensmittelverschwendung an
Dieser Test ist selbstverständlich nur die Spitze des Eisbergs. Nachdem in Europa ein Großteil der Lebensmittelabfälle auf die Kosten privater Haushalte geht, gibt es ein paar simple Regeln im Lebensmittel-Management, denen du zuhause bei der kulinarischen Wochenplanung folgen kannst.
1. Plane deinen Einkauf, um weniger Essen zu verschwenden
Es ist wahrscheinlich Usus, aber: Um Lebensmittelmüll zu vermeiden, solltest du insgesamt weniger Lebensmittel einkaufen. Konkret nur so viel, wie du in einer bestimmten Zeit auch essen kannst. Statt dem Großeinkauf für die kommenden zwei Wochen besser kleinere Einkäufe einplanen und den Kühlschrank nur für die nächsten zwei bis drei Tage füllen. So behältst du den Überblick, was sich in deinem Kühlschrank befindet und in welcher Kombination du die Lebensmittel verkochen wolltest.
Hilfreich ist es außerdem eine Einkaufsliste zu führen, um Impulskäufe zu vermeiden: Was an Lebensmitteln brauchst du in den kommenden Tagen und welche Reste müssen bald gegessen werden? So gehst du sicher, dass du nichts doppelt und dreifach kaufst, während andere Produkte verderben.
2. Stopp Lebensmittelverschwendung: Lagere deine Lebensmittel richtig
Die richtige Lagerung ist der Schlüssel zur längeren Haltbarkeit. Zum Beispiel müssen nicht alle Lebensmittel in den Kühlschrank: Während sich Pilze dort länger halten, tut die Kälte Tomaten oder Auberginen nicht gut – also ab damit bei Raumtemperatur in Vorratskammer oder auf Küchenablage. Auch Karotten, Kartoffeln und Zwiebeln müssen nicht in den Kühlschrank, sie halten am besten an einem kühlen, dunklen Ort und lagern im Idealfall im Keller.
Zudem verspricht eine Ordnung im Kühlschrank eine längere Haltbarkeit: Fleisch und leicht Verderbliches sollte möglichst weit hinten und unten gelagert werden (da es dort besonders kalt ist), Milchprodukte in die Mitte des Kühlschranks und offene, verarbeitete Speisen in die oberen Fächer.
Außerdem gibt es Obst- und Gemüsesorten, die besser nicht nebeneinander gelagert werden sollten. Zum Beispiel Äpfel und Bananen: Äpfel sondern ein Gas ab, das den Reifungsprozess von Bananen beschleunigt und sie schnell matschig werden lässt. Dasselbe gilt übrigens für die Lagerung von Äpfeln neben Birnen, Zitronen oder Tomaten.
Als kleinen Lagerungs-Trick kannst du dir außerdem angewöhnen, Neugekauftes im Kühlschrank nach hinten zu sortieren. So isst du dich quasi von alt nach neu und vermeidest Lebensmittelabfälle.
3. Hinterfrage das MHD
Das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) ist ein Indikator dafür, wie lange der Hersteller für die Frische seines Produkts garantiert. Es sagt dir: Dieses Produkt ist «mindestens haltbar bis» und nicht «ungeniessbar ab» dem aufgedruckten Datum. Es handelt sich um eine empfohlene Konsumationsfrist, die du aber in den meisten Fällen – insbesondere bei guter Lagerung – nochmal selbst überprüfen solltest. Benutze deinen gesunden Menschenverstand: Ist das Produkt originalverpackt, sieht es gut aus und riecht es noch gut, ist der Verzehr bedenkenlos möglich.
Anders ist das bei dem Verbrauchsdatum: Es markiert den letzten Tag, an dem ein Lebensmittel verkauft oder gegessen werden darf. Das Verbrauchsdatum kennzeichnet sehr leicht verderbliche Lebensmittel wie Hackfleisch oder Fisch, die nach kurzer Zeit (wegen Keimen wie Salmonellen) ein Gesundheitsrisiko darstellen können. Diese Lebensmittel solltest du möglichst vor oder am Verbrauchsdatum verzehren.
4. Einkochen und Einfrieren
Diesen Tipp kannst du sehr einfach befolgen, um Lebensmittel länger haltbar zu machen: Ein Laib Brot oder Gebäck zum Beispiel kann im Gefrierfach monatelang konserviert werden und bei Gelegenheit aufgetaut und ohne großen Geschmacksverlust genossen werden. Das gilt natürlich auch für andere Lebensmittel wie Fleisch oder bereits verarbeitete Speisen wie Eintöpfe oder Kuchen. Aber auch Milch im Tetrapack kann mühelos im Gefrierfach haltbar gemacht werden.
Eine andere Möglichkeit ist, Lebensmittel einzukochen: Die überreifen Tomaten kannst du zum Beispiel zu einer Tomatensauce verkochen und zur nächsten Pasta servieren. Und aus den Äpfeln, die den Herbst ihres Lebens bereits hinter sich haben, kannst du ein Apfelmus zaubern oder sie in einem Apfelstrudel verarbeiten.
5. Unterstütze die Industrie, damit weniger Essen weggeworfen wird
Nicht nur bei dir zuhause, auch in der Industrie fallen Lebensmittelabfälle an. Ein Umstand, dem sich schon einige kleine Start-Ups verschrieben haben. Mit der App «Too Good To Go» kannst du dir zum Beispiel für wenig Geld am Ende des Tages in Restaurants, Bäckereien oder vom Biomarkt um die Ecke Überreste des Tages abholen. Damit wird am Ende des Tages weniger entsorgt. Kritikerinnen und Kritiker sagen zwar: Damit werden keine großen Anreize für die Industrie gesetzt, ihre Gesamtproduktion tatsächlich zu reduzieren – schließlich verdienen sie an der Überproduktion Geld und wissen, dass ihnen die überschüssige Ware für weniger Geld abgenommen wird. Ein Blick in den Schweizer B2B-Marktplatz zeigt, mit welchen Mengen Überschuss der Hersteller am Tagesende sitzen bleibt.
Andere Start-Ups wie «Rettergut» bewahren Lebensmittel entlang der gesamten Wertschöpfungskette – vom Feld bis zum Einzelhandel – vor der Entsorgung und verkaufen sie in Form von Pestos, Suppen oder Süßigkeiten. Ihr erstes Produkt war übrigens die eingangs erwähnte Mixschokolade aus Chargentrennmasse, ein Abfallprodukt der industriellen Schokoladenproduktion.
In der Schweiz gibt es viele Möglichkeiten, sich gegen Lebensmittelverschwendung zu engagieren. Der «Food Chat» zum Beispiel kauft Früchte und Gemüse von Großhändlern mit kleineren Mängeln und Schönheitsfehlern (auch «Sonderlinge» genannt) und vertreibt diese via Whatsapp an interessierte Lebensmittelretter. Auch Initiativen wie «RestEssBar» deponieren regelmäßig überschüssiges Essen in öffentlichen Kühlschränken zur feien Entnahme und für größere Events kannst du Caterings wie «Zum guten Heinrich» buchen, die mit krummem Gemüse kochen, das üblicherweise auf dem Feld liegen bleibt.
Titelfoto: shutterstockIch liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party.