Schwalbe G-One R
28 x 1.70, 45-622
Nach 3 000 Kilometern ist es Zeit für einen Reifenwechsel an meinem Gravelbike. Es ist ein Drama in mehreren Akten. Mit Happy End?
Es ist Zeit. Zeit für einen Reifenwechsel an meinem Gravelbike. Nach 3 000 Kilometern ist der Gummi langsam, aber sicher heruntergefahren. Wie sehr wird mir erst während der ersten Ausfahrt mit den neuen Reifen klar werden. Doch dazu später mehr. Jetzt geht es erstmal darum, neue Tubeless-Reifen aufzuziehen. Diese Reifen haben einen speziellen Aufbau und gewährleisten die Luftdichtheit auch ohne zusätzlichen Schlauch. In das Tubeless-System wird eine Dichtmilch eingefüllt. Sie dient als «flüssiger Schlauch» und verschliesst im Falle eines Lochs die Stelle ruckzuck von innen.
Dann kann es also losgehen mit dem Wechsel. Halt, Moment. Welche Reifengrösse brauche ich eigentlich?
Ich verstehe nur Bahnhof. Auf den Reifenseiten sind diverse Zahlen aufgedruckt. Bei meinem alten Pneu sieht das so aus:
Die Sache ist kompliziert. Die Grössen von Fahrradreifen werden heute nämlich nach der Europäischen Reifen- und Felgennorm ETRTO (European Tire and Rim Technical Organization) bezeichnet. In der Praxis verwenden die Reifenhersteller aber auch die älteren englischen und französischen Notationen/Aufschriften.
Diese Grössenbezeichnung (z.B. 38-622) gibt die Breite (38 Millimeter) und den Innendurchmesser (622 Millimeter) des Reifens an.
Die Zollbezeichnung (z.B. 28 x 1,50) gibt den ungefähren Aussendurchmesser (28 Zoll (ca. 710 Millimeter)) und die Reifenbreite an (1,50 Zoll (ca. 38 Millimeter)).
Die französische Grössenangabe (z.B. 700 x 38C) gibt den ungefähren Aussendurchmesser (700 Millimeter) und die Reifenbreite (38 Millimeter) an.
In meinem Fall bedeutet das also, dass die alten Reifen 38 Millimeter breit sind und einen Innendurchmesser von 622 Millimetern haben. Ich kann auf die Felgen jedoch auch breitere Reifen aufziehen. Bis zu maximal 45 Millimeter. Wie gesagt, es ist kompliziert. Soll ich bei 38 Millimetern bleiben? Auf 40 wechseln? Oder sogar auf 45 Millimeter?
Ich entscheide mich, einen breiteren Reifen auszuprobieren und wähle einen mit 45 Millimetern. Wennschon, dennschon. Sofort stehe ich vor dem nächsten Problem: Welches Profil brauche ich? Auch da gibt es in unserem Sortiment unzählige Varianten. Bisher war ich das ganze Jahr über mit den gleichen Reifen unterwegs.
Viele Biker wechseln jedoch im Sommer und Winter oder bei Trockenheit und Nässe die Reifen. Und fahren bei unterschiedlichen Bedingungen mit unterschiedlichen Profilen. Auch der Rollwiderstand, je nach Unterlage, ist ein Faktor. Simpel gesagt: weniger Rollwiderstand, gleich weniger Energieverlust. Schliesslich lande ich bei einem Modell von Schwalbe.
Der G-One R ist gemäss Hersteller hauptsächlich für Asphalt, Schotter- und Waldwege sowie trockene, einfache Trails gemacht. Bei Regen sollte er auch im Gelände noch ganz ordentlich funktionieren. Bei schlammigen Verhältnissen ist er dann nicht mehr geeignet. Jetzt, zu Frühlingsbeginn und mit dem Sommer vor der Nase scheint mir das eine vernünftige Wahl zu sein. Insgesamt erhoffe ich mir vom G-One R weniger schnell zu ermüden, durch mehr Laufruhe und weniger Vibrationen im Gelände.
Kann es jetzt also wirklich losgehen mit der Montage? Fast. Zuerst brauche ich noch ein Dichtmittel. Da ich kürzlich neue Reinigungsprodukte von BBB getestet habe, steht auch noch eine Flasche ihres neuen biologischen Mittels irgendwo in der Garage herum.
Jetzt aber echt: der Reifenwechsel. Was in der Boxengasse eines Formel-1-Rennstalls etwa 2,5 Sekunden für vier Räder in Anspruch nimmt, dauert bei mir im Garten 2,5 Stunden. Kurz zusammengefasst erfolgt der Wechsel in vier Schritten:
Wenn du dein Bike jedoch zum ersten Mal von einem Schlauch- auf einen Tubeless-Reifen umrüstest, sind noch einige zusätzliche Arbeitsschritte wie zum Beispiel das Kleben eines Felgenbandes nötig. Diesen Schritt muss ich jedoch nicht machen, da das Felgenband bereits auf die Felge geklebt und ein entsprechendes Tubeless-Ventil montiert ist.
Eins vorneweg: Ich habe die Feinmotorik einer Kartoffel. Und ich mache das zum ersten Mal. Entsprechend mühsam ist die ganze Angelegenheit. Das fängt beim Abziehen der alten Reifen von den Felgen an und hört beim Befüllen der neuen Reifen mit Dichtmittel auf. Dazwischen muss ich einige Male fluchen, frage beim Universum um Hilfe und schaue nebenbei immer wieder bei Youtubern zu, die das im Nu erledigt bekommen. Letzteres frustriert zusätzlich.
Da die alten Reifen regelrecht an den Felgen kleben, brauche ich viel Kraft, um sie zu lösen. Im Anschluss reinige ich die Felgen mit einem Haushaltstuch aus Papier und ein wenig lauwarmem Wasser. Auf Youtube wird da unterschiedlich geputzt: Einige machen es so wie ich, andere benutzen zum Beispiel ein Fasertuch mit ein bisschen Bremsenreiniger. Am Schluss sollte die Felge einfach sauber sein.
Dann wird es aber erst richtig lustig. Die neuen Reifen auf die Felgen zu bekommen, stellt sich nämlich als nervigste Aufgabe heraus. Beim ersten Rad mache ich den Fehler, den Reifen zur gleichen Zeit beidseitig auf die Felge aufziehen zu wollen. Keine gute Idee. Später merke ich (hätte ich mal auf Youtube besser aufgepasst), dass der Pneu erst mit der einen, dann mit der anderen Seite auf die Felge kommt.
Und ein kleines, aber sehr wichtiges Detail: Ich muss darauf achten, den Reifen in der korrekten, sprich in der Fahrtrichtung aufzuziehen. Sonst fange ich dann nochmals von vorne an. Die Reifen sind jeweils entsprechend angeschrieben, ich muss jedoch ein bisschen suchen, bis ich die Kennzeichnung finde. Bei Schwalbe heisst sie «Rotation».
Ist das geschafft, muss der Reifen aufgepumpt werden. Und zwar möglichst schnell, damit er sauber auf der Felge zu sitzen kommt. Dazu verwende ich den Booster von Milkit. Wie das genau funktioniert, siehst du im anschliessenden Video. Danach lasse ich die Luft wieder entweichen und fülle die Dichtmilch durch das Ventil ein.
Auch hierzu gibt es unzählige Youtube-Videos. Die gängige Methode ist das Befüllen durch das Ventil. Es besteht aber auch die Möglichkeit, den Reifen anzuheben und die Dichtmilch von der Seite in die Felge laufen zu lassen. Das gibt jedoch meistens eine ziemliche Sauerei: Die Dichtmilch härtet rasch aus und hinterlässt lästige Flecken auf der Felge. Nichts für Fahrradästheten.
Hier kommt das grosse Manko des BBB Dichtmittels: Ich habe eine 500 Milliliter-Flasche und muss etwa 50 Milliliter pro Rad einfüllen. Also setze ich die Flasche aufs Ventil und drücke die Milch durch die kleine Öffnung in die Felge. Die Flasche hat aber keine Dosieranzeige, sodass ich keine Ahnung habe, wie viel Dichtmittel sich schliesslich im Rad befindet. Das ist blöd. Waren die fehlenden Dosiermöglichkeiten bei den neuen, nachhaltigen Fahrradeinigern von BBB ein wenig nervig, empfinde ich das bei der Dichtmilch als grossen Nachteil. Ich hätte schon gerne gewusst, wie viel sich tatsächlich im Reifen befindet. Da geht es immerhin um die Sicherheit.
Nun gut. Zum Schluss pumpe ich den Reifen mit der Velopumpe auf etwa drei Bar auf und höre ein leises Pffffff. Nicht ganz dicht. Die Luft entweicht durch das Ventil. Die kleine Mutter an der Felge ist nicht festgeschraubt. Als auch das noch behoben ist, ist es beinahe geschafft. Schliesslich muss das Rad noch in alle Richtungen gedreht und gewendet werden, damit sich die Milch verteilt und alles komplett abgedichtet ist.
Karfreitag. Es regnet und ich wage mich mit den neuen G-One R von Schwalbe auf eine Ausfahrt. Ein leicht mulmiges Gefühl begleitet mich auf den ersten Kilometern, da ich immer noch unsicher bin, was die Dichtmittelmenge betrifft. Habe ich genug eingefüllt? Ja, scheinbar, denn ich komme problemlos wieder nach Hause.
Ostersamstag. Die Sonne scheint und ich mache mich auf zur nächsten Runde. Das mulmige Gefühl des Vortages weicht einem Gefühl des Fliegens. Es rollt: hurra, den neuen Reifen. Wieder zu Hause, sagt mir Strava, dass ich auf vier Abschnitten neue persönliche Bestzeiten aufgestellt habe. Das Gefühl des Fliegens hat nicht getäuscht. Die nächsten Wochen bin ich nun mit dem Schwalbe G-One R unterwegs. Einen ausführlichen Testbericht dazu gibt's später.
Vorerst gilt: Ende gut, alles gut.
Vom Radiojournalisten zum Produkttester und Geschichtenerzähler. Vom Jogger zum Gravelbike-Novizen und Fitness-Enthusiasten mit Lang- und Kurzhantel. Bin gespannt, wohin die Reise noch führt.