Was soll ich bloß sagen? Wie du die richtigen Worte für Freunde in Not findest
Hintergrund

Was soll ich bloß sagen? Wie du die richtigen Worte für Freunde in Not findest

Mareike Steger
16.10.2024

Wenn Menschen, die dir nahestehen, einen schweren Schicksalsschlag erleiden, fehlen dir womöglich die richtigen Worte. Und statt zu trösten, meldest du dich gar nicht. Dann ist dieser Text für dich. Regel Nummer 1: Es ist nie zu spät, sich zu melden.

Jeder wäre gern für immer so unbeschwert wie noch als Kind. Doch wenn ein lieber Freund oder eine enge Freundin einen Schicksalsschlag erleidet – Jobverlust, Trennung, Krankheit oder Tod einer nahen Person – , ist es unweigerlich: Du bist dran. Und solltest Trost spenden können. Weil das aber vielen schwer fällt, habe ich mit Chris Paul darüber geredet. Sie ist Dozentin und Expertin für Trauer und Verlustbegleitung und hat über das Thema viele Bücher geschrieben. Darunter «Ich lebe mit meiner Trauer»und «Keine Angst vor fremden Tränen».

Ich lebe mit meiner Trauer (Deutsch, Chris Paul, 2021)

Ich lebe mit meiner Trauer

Deutsch, Chris Paul, 2021

Ich lebe mit meiner Trauer (Deutsch, Chris Paul, 2021)
Ratgeber

Ich lebe mit meiner Trauer

Deutsch, Chris Paul, 2021

Frau Paul, macht es einen Unterschied, ob wir jemanden trösten, weil ein lieber Mensch gestorben ist oder weil jemand seinen Job verloren hat? Bewerten wir das unterschiedlich schwer?

Chris Paul: «Bewertung» ist das richtige Stichwort. Die Bewertung ist in uns selbst. Wenn wir einen Verlust als sehr schwerwiegend bewerten – wie den Verlust eines Kindes – dann blockiert diese Bewertung das eigene Denken und Handeln. Dann trauen wir uns oft nicht, überhaupt ein Trost-Angebot zu machen. Das ist nicht nur bei Todesfällen so, sondern bei allen Schicksalsschlägen. Beispiel Trennungen: Eine Ehe, die 40 Jahre gedauert hat und nun zerbricht, ist für uns bedeutsamer als eine Trennung von einem Partner, mit dem man gerade einmal drei Monate zusammen gewesen ist. Aber solche Bewertungen im eigenen Kopf können sehr hinderlich sein.

Angenommen, man ist schon so weit, zu erkennen, dass dieses Bewertungssystem blockiert. Wie kommt man da heraus – und tröstet?

Bei dem Verlust durch Tod gibt es deutlich mehr Möglichkeiten, Trost zu spenden. Allein schon durch die Rituale rund um den Tod: etwa zur Beerdigung mitzugehen, später gemeinsam das Grab zu besuchen oder es zu versorgen. Diese Rituale gibt es nach einer Trennung oder wenn jemand schwer erkrankt ist, nicht. Aber eine gewisse Grundhaltung ist bei allen Schicksalsschlägen dieselbe. Sie sollten sehen: Da ist ein Mensch in Not, da könnte ich etwas tun, damit er diese Not besser aushalten kann.

Wieso brauchen wir überhaupt Trost von anderen?

Die Frage ist: Muss man es Trost nennen? Nennen wir es einfach Unterstützung. Wir sind Herdentiere, wir sind genetisch programmiert auf Kontakt mit anderen. Wir fühlen uns sicherer, wenn wir mit anderen zusammen sind. Und gerade, wenn jemand einen Verlust erlebt, sei es durch Tod oder Trennung oder auch durch eine Demenz, dann geht etwas verloren. Ein Mensch, der mir lieb ist, der Teil meines Alltags war, ist nun nicht mehr an meiner Seite.

Es geht darum, Einsamkeit zu verhindern?

Genau. Viele Menschen brauchen kein großes Trostangebot. Sie brauchen die Nähe und die Zuwendung anderer Menschen. Also: Hören Sie auf, sich Gedanken über das perfekte Trost-Angebot zu machen. Menschen wollen keine schlauen Sätze, sondern Nähe und Sympathie und Freundschaft und Geduld. Ein Mensch in der Krise will merken: «Ich falle nicht aus der Welt. Ich werde nicht geschnitten oder zum Tabu oder zum Stigma. Ich bin weiterhin der Mensch wie vorher, nur, dass man mit mir gerade rücksichtsvoller umgehen sollte.»

Ich habe Ihnen zwei Beispiele mitgebracht, wie man es wohl nicht richtig macht. Beispiel eins: Ich sehe meine Schwägerin nur ein- bis zweimal im Jahr. Als ihre Mutter gestorben ist, habe ich sie telefonisch nicht erreicht. Und ihr nur einen immerhin sehr wohlüberlegten Kondolenzbrief geschrieben. Bis heute zweifle ich, ob das genug war.

Es könnte gut sein, dass das reicht. Was wir geben, sollte kongruent sein mit der Beziehung, die wir vorher hatten. Wenn wir mit jemandem nur eine lockere Beziehung haben, die Person nur selten sehen und ein naher Verwandter stirbt, müssen Sie keine Riesenunterstützung anbieten. Das wird auch gar nicht erwartet. Für Ihr Beispiel heißt das: Wenn Sie Ihrer Schwägerin eine Kondolenzkarte geschickt haben, in die Sie Zeit und Gedanken gesteckt haben, kann das etwas sehr Kostbares sein. Dann schreiben Sie vielleicht zum Todestag im nächsten Jahr wieder eine Karte. Denn gerade Jahrestage sind für Trauernde Tage, die besonders schwer auszuhalten sind.

Mein anderes Beispiel: Als einer alten Schulfreundin etwas Trauriges widerfahren ist, worüber sie mich per SMS informiert hatte, schrieb ich ihr tröstende Worte zurück. Verbunden mit dem Satz. «Ich rufe dich bald an.» Nun ja... das habe ich nicht geschafft. Und es irgendwann sein gelassen, weil ich mich so geschämt habe.

Es ist nie zu spät, sich zu melden. Das ist wichtig zu wissen. Tatsächlich sind Sie aber mit Ihrem Angebot, zu dem Sie gar nicht in der Lage waren, ins Fettnäpfchen getreten. Leichter aus der Nummer herausgekommen wären Sie mit einer SMS-Nachricht wie: «Ich denke an dich.» Bei ganz nahen Familienangehörigen erwartet man, dass sie sich persönlich melden – andernfalls kommt es zu ganz schweren Verwerfungen. Menschen, denen man nicht so nahesteht, freuen sich auch, wenn Sie alle paar Tage eine SMS schreiben. Etwa bei einer Freundin, die gerade eine Scheidung durchlebt: «Ich denke an dich. Weißt du noch, wie wir voriges Jahr auf der Blumenschau waren und du dich über die Fresien so gefreut hast?». Anders als nach dem Tod des Partners, erinnern Sie nach einer Trennung bitte nicht an den Ex-Partner. Erwähnen Sie die Beziehung, die Sie und die Freundin haben. Je näher wir jemandem stehen, desto mehr erwartet das Gegenüber etwas Persönliches und Hilfreiches.

Also Floskeln besser bleiben lassen?

Schminken Sie sich Floskeln ab, ja. Alle Trauernden sind genervt von solchen dummen Sprüchen. Und jemand, der zum Beispiel gerade in der Chemotherapie ist, braucht auch keine aufmunternden Sprüche. Senden Sie lieber Ich-Botschaften, wie: «Ich bin sprachlos, ich mach mir Sorgen um dich. Oder: Ich habe Angst um dich. Ich möchte dich unterstützen.» Und senden Sie schöne Fotos von berührenden oder schönen Dingen – vom Sternenhimmel, vom Sonnenuntergang oder schicken Sie Gedichte, wenn jemand die gerne mag. Bleiben Sie in Kontakt.

Haben Sie Beispiele für Floskeln?

«Du bist so stark». «Jetzt wird es langsam besser». «Du kommst darüber hinweg». «Du musst nach vorne schauen.». «Reiß dich zusammen». «Du musst nur loslassen.» «Irgendwann weißt du, wozu es gut war.» «Du bist noch so jung.»

Das klingt furchtbar übergriffig.

Das ist es auch. Es gibt nur eine Floskel, die als gesellschaftliche Konvention gilt und somit in Ordnung geht: Wenn man beim Tod eines Menschen sein «Beileid» ausdrückt. Da geht es nicht um die Worte, sondern um die Anteilnahme, die man damit meint. «Mein herzliches Beileid» ist also eine Abkürzung von: «Ich habe davon gehört und es berührt mich emotional. Ich denke an dich.»

Muss man immer anrufen? Oder darf man Text-Nachrichten schicken?

Wenn Sie es gewohnt sind, so zu kommunizieren und beide diese Form der Kommunikation mögen, senden Sie eine Nachricht, ja. Auch eine Sprachnachricht finde ich persönlich sehr schön, mit ihr ist man viel näher am Gegenüber dran. Aber senden Sie nicht aus Angst vor dem persönlichen Gespräch nur SMS oder Sprachnachrichten oder nette Fotos. Schätzen Sie situativ ein, was wann gerade passt. Bei jemandem, der gerade eine Krebsbehandlung durchmacht, sind Text-Nachrichten vielleicht das, was im Moment für den Kranken kräftemäßig geht. Aber irgendwann braucht es doch den Anruf oder den Brief.

Ganz grundsätzlich gefragt: Wie kommunizieren, wie eher nicht?

Machen Sie ganz persönliche, klare Angebote: «Ich würde dich gerne sehen und bin morgen in deiner Nähe. Würde es dir um 17 Uhr passen?» Menschen, die Schicksalsschläge bewältigen, sind oft erschöpft und müssen ganz viel organisieren – und können nicht viel anfangen mit Wischi-Waschi. Gut sind konkrete, liebevolle Angebote. Das kann auch eine tolle Spargelsuppe sein, die Sie als Mitbringsel anbieten. Seien Sie nur nicht beleidigt, wenn sich das Gegenüber nicht sofort meldet oder Ihr Angebot ablehnt. Als gute Freundin, als guter Freund sollte man das länger durchhalten. Und egal, ob SMS oder persönliches Gespräch: Gehen Sie wirklich auf Ihr Gegenüber ein. Dazu gehört es, persönliche Fragen zu stellen und auch von sich zu sprechen. Zum Beispiel: «In unserem letzten Gespräch warst du so wütend. Ich frage mich, ob es jetzt immer noch so ist?». Beim Kontakt immer auf Augenhöhe bleiben.

Was außer Floskeln gehört beim Trostspenden zu den No-Gos?

Jede Form der Zwangsbeglückung. So etwas wie: Jetzt gehen wir aber mal raus/etwas essen/auf eine Party ... Schnelles Lösungen-Anbieten und -Präsentieren geht meistens in die Hose. Entweder macht es der Freund widerwillig mit oder gar nicht – und dann ist die berufene Helferin, beleidigt. Aber um sie geht es ja gar nicht.

Helfen Sie mir: Wie macht man es richtig?

Haben Sie zum Beispiel das Gefühl, der trauernde Freund oder die Freundin versinkt in Einsamkeit, dann seien Sie konkret, aber lassen trotzdem eine Wahl. Wie: «Dir hat es doch immer Spaß gemacht, mit mir und dem Hund Gassi zu gehen. Ich bring Max morgen mit, vielleicht magst du mit uns eine Runde hinausgehen.» Gut möglich, dass ein Nein kommt. Oder aber: Ihr Angebot regt bei dem Trauernden etwas an – und er sagt, was er wirklich braucht.

Ihre Beispiele klingen alle so leicht. Mir fallen solche passenden Sätze nie ein.

Haben Sie keine Scheu, es geht einfach um liebevolle Gesten. Und darum, dem anderen nichts aufzubürden. Der andere darf aus Ihrem Angebot wählen, aber er möge sich bitte keine Gedanken machen, wie es Ihnen damit geht und wie er reagiert. Viele Trauernde erzählen, wie schwer es für sie ist, dass ausgerechnet sie sich auch noch darum kümmern müssen, die verstörte Umgebung zu trösten.

Verstörte Umgebung, weil wir den Umgang mit Trauer und Schicksalsschlägen und Tod nicht gewohnt sind?

Ja. Wir sind eine sehr leistungs- und zielorientierte Gesellschaft. Alles, was mit Schwäche zu tun hat, wird nicht gern gesehen – und somit fehlt es auch an sozialen Techniken. Menschen lernen diese weder zu Hause noch in der Schule oder in anderen Gruppen. Und klar, Schicksalsschläge machen Angst. Sie erinnern uns daran, dass es auch uns selbst treffen kann. Und solchen Gedanken weichen viele aus. Die Forschung kennt die Spiegelneuronen bei Menschen: Wir spiegeln Gefühle unseres Gegenübers. Wenn wir uns fröhliche Menschen ansehen, hebt das unsere eigene Stimmung. Wenn wir uns mit traurigem befassen, senkt das unsere Stimmung. Natürlich hat jeder mehr Lust darauf, Karussell zu fahren und Eis zu essen, als jemanden mit Tränen und Verzweiflung zu begleiten. Trauer als Kulturtechnik gibt es kaum mehr – umso mehr sehe ich es als kulturelle Leistung zu entscheiden: «Ich setze mich aber trotzdem zu dir und schenke dir meine Zeit, weil du mir wichtig bist.»

Titelbild: shutterstock

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Mareike Steger
Autorin von customize mediahouse
oliver.fischer@digitecgalaxus.ch

Ich hätte auch Lehrerin werden können, doch weil ich lieber lerne als lehre, bringe ich mir mit jedem neuem Artikel eben selbst etwas bei. Besonders gern aus den Themengebieten Gesundheit und Psychologie.


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