tolino stylus vision color pen
Tolino Vision Color: der E-Reader, der etwas zu viel will
Der Vision Color von Tolino ist farbiger E-Book-Reader und – dank eigenem digitalen Stift – gleichzeitig auch noch ein Notizblock. Klingt gut, aber das Konzept hat auch ein paar Schwächen.
Du willst nur einen ordentlichen kompakten E-Reader? Was du liest, ist fast immer Schwarz auf Weiss? Notizen machst du nur auf echtem Papier? Dann musst du hier nicht weiterlesen. Kauf dir den Tolino Shine 5, den ich kürzlich ebenfalls getestet habe (hier mein Bericht).
Der Vision Color ist interessant für dich, wenn du regelmässig farbige Publikationen liest, also Comics, Kinderbücher oder Sachbücher mit farbigen Abbildungen. Oder wenn du in der Schule, der Lehre oder an der Uni Notizen machen oder Bücher und Dokumente mit Markierungen und Anmerkungen versehen willst. Diese beiden Aspekte habe ich mir beim Test des Vision Color besonders angesehen.
4096 eher blasse Farben
Im Vision Color ist ein E-Ink-Kaleido-3-Display mit 1264 x 1680 Pixel verbaut. Es stellt 4096 Farben dar, kann 16 Graustufen anzeigen und hat eine Auflösung von 150 ppi bei Farbe und 300 ppi in Schwarzweiss-Auflösung. Laut Display-Hersteller ist die Farbsättigung 30 Prozent besser als beim Vorgänger.
In der Praxis bleiben die Farben auf dem Vision Color trotzdem enttäuschend blass – besonders dann, wenn du zum Beispiel an ein gedrucktes «Lustiges Taschenbuch» denkst und dann das Abbild des bunten Comics auf dem E-Reader siehst.
Trotzdem macht es Spass, farbige Inhalte auf dem Vision Color anzuschauen. Schon allein, dass die Übersicht meiner Bücher mit farbigen Covern daherkommt, ist ein echtes Plus. Du gewöhnst dich an die Blässe ausserdem schnelll. Bist du Comic-Fan, wirst du es schätzen, dass du auf einem Gerät deine ganze Sammlung Comics abspeichern könntest.
Komfortabel lesbar sind Comics und Graphic Novels primär im A5-Format; dafür ist der 7-Zoll-Screen des Vision Color gemacht. Ich habe beim Testen versucht, einen Asterix-Band zu lesen – und aufgegeben. Das ständige Zoomen, um die Sprechblasen lesen zu können und das Verschieben des Ausschnitts, hat es mir nach zehn Minuten schon verleidet. Dafür sind auch der Prozessor und der Arbeitsspeicher im Vision Color nicht ausgelegt. Besonders das Verarbeiten von farbigen Inhalten bringt ihn spürbar an die Grenze der Leistungsfähigkeit. Hineinzoomen oder Umblättern geht eben nicht so fix wie auf dem iPad oder dem Smartphone, sondern es gibt häufiger mal eine Sekunde Pause. Einmal habe ich das Betriebssystem sogar zum Absturz gebracht, weil ich zu viel wollte.
Farbe geht zu Lasten der Schärfe
Weil der Vision Color die Farbkarte spielt, verliert er bei der Schärfe gegenüber der Konkurrenz. Vor allem auch gegenüber der aus dem eigenen Haus: So stellt der ebenfalls vor Kurzem erschienene Shine 5 in der Schwarzweiss-Version Text knackscharf dar. Der Vision Color ist hier aufgrund der verwendeten Technik des Farbdisplays leicht im Nachteil. Bei diesem liegt nämlich über der Schicht mit den Schwarzweiss-Kügelchen noch eine LCD-Schicht, durch die es die rote, gelbe oder blaue Einfärbung gibt. (Interessieren dich die physikalisch-technischen Details zum Aufbau, findest du hier einen guten Beitrag dazu.)
Lese ich auf dem Vision Color ein normales E-Book, habe ich das Gefühl eines verwaschenen Hintergrunds. Selbst in der höchsten Helligkeitsstufe bleiben die winzigen Farbelemente der Zusatzschicht und trüben das Leseerlebnis bei reinem Text.
Notizen und Markierungen
Mit dem extra erhältlichen «Stylus» wird der Vision Color zu einem Notizbuch. Du kannst damit im Wesentlichen zwei Dinge tun:
- Textstellen in vorhandenen Büchern und Dokumenten markieren.
- In einem eigenen Notizbuch schreiben und zeichnen.
Der «Stylus» kostet knapp 70 Franken. Er hat einen USB-C-Anschluss zum Laden, sein hinteres Ende funktioniert wie ein Radiergummi und vorne hast du die Auswahl aus drei unterschiedlichen Stiftspitzen. Über einen Knopf im vorderen Drittel kannst du eine Textmarker-Funktion aktivieren. Ausserdem, und das ist sehr praktisch, hält der Stift magnetisch an der Seite des Readers.
Textstellen markieren
Wenn du eine Semesterarbeit erstellst oder ein Referat für die Schule vorbereitest, wirst du verschiedene Dokumente durchlesen und dich durch Bücher arbeiten. Du wirst dir Textstellen markieren oder Notizen dazu machen. Dafür ist der Tolino-Stift gemacht. Du kannst ihn wie einen Kugelschreiber verwenden und deine Markierungen sogar in verschiedenen Farben machen.
Interessant und irritierend ist, dass Anmerkungen, die ich in Büchern gemacht habe, verschwinden, wenn ich die Grösse der Schriftart verändere. Statt sie mitzuskalieren werden sie als Screenshot gespeichert. Am Rand des Textes sind sie weiterhin erreichbar. Ein Klick darauf und sie werden eingeblendet.
Notizen erstellen
Zum Kugelschreiber und Textmarker kommen in der Notizbuch-Funktion weitere Stift-Varianten dazu: Füllfederhalter, Kalligrafiestift und Pinsel. Jetzt ist der «Stylus» drucksensitiv. Drückst du ihn fester aufs Display oder hältst ihn in einem bestimmten Winkel, wird dein Strich breiter. Wäre ich künstlerischer begabter, könnte ich wohl tatsächlich einigermassen brauchbare Zeichnungen erstellen.
Sogar mathematische Formeln kann ich hinkritzeln und sie direkt berechnen lassen. Oder ein Diagramm oder eine Infografik skizzieren, die dann in saubere geometrische Körper übersetzt wird. Das allerdings klappte im Test mal recht, öfter aber mal schlecht. Dann wurde aus einem von mir gezeichneten Infografik-Balken zu einem «H» oder «D».
Ich kann mich aber auch auf das geschriebene Wort konzentrieren, das habe ich als Journalist schliesslich gelernt. Hier gefällt mir, dass der Vision Color eine erstaunlich gute Handschrifterkennung hat. Obwohl ich auf der glatten Oberfläche noch weniger schön schreibe als ohnehin, erkennt die Software, was ich schreibe und überträgt es ohne per Knopfdruck in Druckbuchstaben. Das passiert atemberaubend schnell, was mich überrascht, weil der Vision Color sonst eher kein Rennpferd ist, wenn Rechenleistung gefragt ist.
Theoretisch könnte ich mir also unterwegs handschriftlich Notizen machen, das Notizbuch speichern und später damit weiterarbeiten. Richtig viel habe ich mir während des Testzeitraums trotzdem nicht notiert. Das liegt an der Grösse des Vision Color; ich habe einfach keinen guten Platz, um während des Schreibens meinen Handballen abzulegen. Ich lande immer auf der Kante des Geräts. Oder ich berühre versehentlich das Display und ein Menü öffnet sich. Und wenn ich ohne Ablegen der Hand schreibe, ist mir das schlicht zu anstrengend auf die Dauer.
Und sonst?
Zusätzlich zur Farbdarstellung und dem Notizbuch-Feature vereint der Vision Color alles, was ich von einem guten E-Book-Reader erwarte. Er ist solide verbaut, wasserdicht und liegt wirklich gut in der Hand. Ich bin Fan des Formfaktors mit dem etwas breiteren Rand auf einer Seite und den beiden Blättertasten, weil ich damit sehr gut einhändig lesen kann. Dazu hat das Gerät einen Rotationssensor. Ich kann den Reader beliebig halten und habe trotzdem den Text immer korrekt vor mir.
Nichts zu meckern habe ich am Speicherplatz und der Laufzeit des Geräts. Nur der exzessive Gebrauch der Notizbücher hat in meinem Test dem Akku zugesetzt. Ansonsten ist die E-Ink-Technologie genügsam, so dass du den Vision Color auch wochenlang in der Schublade liegen lassen kannst und er trotzdem einsatzbereit ist, wenn du Lust auf ein Buch hast.
Bei den lesbaren Formaten ist der Vision Color wenig wählerisch. Im Prinzip verarbeitet er, was da so kreucht und fleucht – von epub über mobi bis zu cbz und cbr. Lediglich bei Büchern aus fremden Quellen mit dem Adobe-DRM-Kopierschutz musst du einen Umweg über den Computer gehen.
Rein theoretisch lässt sich das auch über den Browser machen, der auf dem Vision Color installiert ist, aber die Nerven und die Geduld habe ich zumindest nicht. Surfen ist auf E-Readern auch im Jahre 2024 nicht empfehlenswert.
Da lehne ich mich lieber mit Kopfhörern zurück und lasse mir ein Buch vorlesen. Denn dank der neuen Software kann der Vision Color auch Hörbücher abspielen. Nicht über einen eigenen Lautsprecher (den er nicht hat), sondern über einen per Bluetooth verbundenen Speaker oder Kopfhörer.
Fazit
Ein ordentlicher E-Reader mit Farbe zum attraktiven Preis
Pro
- sehr ordentlicher Akku
- flexibel und offen bei E-Book-Formaten
- starke Handschriften-Erkennung im Notizbuch
- Hörbuch-Funktion (über Bluetooth)
- liegt angenehm in der Hand, für Links- und Rechtshänder geeignet
- sehr stabile Verarbeitung, sogar wasserdicht
Contra
- Darstellung von Text wirkt nicht so scharf wie bei reinen Schwarzweiss-Readern
- Farben werden eher blass dargestellt
- «Stylus» muss extra gekauft werden
- CPU und Arbeitsspeicher bei Farb-Inhalten schnell an der Grenze
Journalist seit 1997. Stationen in Franken, am Bodensee, in Obwalden und Nidwalden sowie in Zürich. Familienvater seit 2014. Experte für redaktionelle Organisation und Motivation. Thematische Schwerpunkte bei Nachhaltigkeit, Werkzeugen fürs Homeoffice, schönen Sachen im Haushalt, kreativen Spielzeugen und Sportartikeln.