Der Tolino Shine 4 ist ein schneller Zwerg – aber seine Apps bieten Rätsel
Produkttest

Der Tolino Shine 4 ist ein schneller Zwerg – aber seine Apps bieten Rätsel

Nachhaltiger und schneller – das will die vierte Generation des kleinen E-Readers von Tolino sein. Der Shine hält einiges von dem, was er verspricht. Aber er kostet auch Nerven.

Der Krimi, den ich gerade lese, hat über 900 Seiten. Ein Wälzer ist er aber trotzdem nicht, denn ich lese «Blutland» auf einem Shine 4, dem kompakten E-Book-Reader von Tolino. Der hat einen kleinen Bildschirm. So verteilt sich der Text einfach auf eine höhere Zahl virtueller Seiten als in der gedruckten Ausgabe. Ist das Gerät so spannend wie mein Krimi?

Zunächst zu den Äusserlichkeiten. Das 6-Zoll-Gerät ist gewohnt sauber verarbeitet. Die Rückseite kommt nicht mehr im Einheitsschwarz daher. Neu ist sie dunkelblau, was mir erst bewusst aufgefallen ist, als ich es im Werbetext zum Gerät gelesen habe. Dort steht auch, dass bei der Herstellung des Shine 4 erstmals recyceltes Plastik verwendet wurde.

Das Muster auf der Rückseite deutet Wellen an – passend zur Farbe Ozeanblau.
Das Muster auf der Rückseite deutet Wellen an – passend zur Farbe Ozeanblau.
Quelle: Martin Jungfer

Die Rückseite hat eine leichte Textur. Die Design-Abteilung hat sich offenbar von den Wellen des Meeres inspirieren lassen. Das Gerät liegt mit den rückwärtigen Noppen gut in der Hand. Trotzdem ist es glatt genug, dass ich Staub und anderen Dreck leicht abwischen kann. Der Shine 4 hat nur einen Knopf zum Einschalten. Dazu kommt der USB-C-Ladeanschluss. Beim Vorgänger war noch der fummelige und veraltete Micro-USB-Anschluss verbaut.

Unten ist der USB-C-Anschluss verbaut. Leider nicht ganz mittig, so dass ich das Ladekabel nicht blind einstecken kann.
Unten ist der USB-C-Anschluss verbaut. Leider nicht ganz mittig, so dass ich das Ladekabel nicht blind einstecken kann.
Quelle: Martin Jungfer

Screen des Shine 4: Anzeige ist hell und scharf

Beim Shine 4 kannst du die Helligkeit und Farbtemperatur des Screens einstellen. Entweder du betätigst dich selbst als Licht-DJ und schiebst an den beiden Reglern. Oder du lässt den Shine 4 die Arbeit machen und verlässt dich auf die Automatik. Die sorgt dann dafür, dass du tagsüber fast keine Beleuchtung hast, was den Akku schont. Am Abend im Schein der Kerze am Nachttisch springt sie dagegen an. Zusätzlich passt sich die Farbtemperatur der Tageszeit an. Am Morgen ist die Beleuchtung eher kaltweiss, am Abend dann warmweiss. Das finde ich sehr angenehm. Ich habe auf das manuelle Einstellen zugunsten der Automatik schnell verzichtet.

Helligkeit und Farbtemperatur können individuell eingestellt werden. Ich bevorzuge die Automatik.
Helligkeit und Farbtemperatur können individuell eingestellt werden. Ich bevorzuge die Automatik.
Quelle: Martin Jungfer

Das Schriftbild erscheint mir schärfer und vor allem klarer, als ich es vom Vision 6 gewohnt bin (hier der Testbericht dazu). Ich konnte kein Ghosting feststellen, also keine Reste von Inhalten der zuvor gelesenen Seite. Tolino spricht von einem «E Ink Carta HD»-Display. In Zahlen ausgedrückt sind das 300 ppi bei 1072 × 1448 Pixel. Dazu gibt es 16 Graustufen. Das reicht für die Anzeige eines Buchcovers, für mehr aber auch nicht.

Handling: Doppeldaumen oder L-Haltung

Ich musste mich an die Grösse des Shine 4 erst gewöhnen. Im Alltag nutze ich derzeit ein iPhone in «Max»-Grösse und für die Lektüre von Büchern den Vision 6.

Das iPhone kann ich noch gut in einer Hand halten und mit dem Daumen bedienen. Beim im Oktober 2021 erschienenen Vision 6 freue ich mich über den breiten Rand auf der Seite. Er ist doppelt praktisch: Am Rand halte ich den Reader nicht nur fest, sondern kann dort auch meinen Daumen parkieren. Der Shine 4 hingegen hat für mich eine unbequeme Zwischengrösse. Ich kann ihn mit seinen elf Zentimetern Breite zwar gut in meiner offenen Hand halten, aber das wird nach spätestens einer halben Stunde anstrengend. Ich habe mir daher angewöhnt, mit Daumen und Zeigefinger der einen Hand ein L zu formen. Der Shine 4 liegt dann dort wie in einem Rahmen, mit der anderen Hand stütze ich den Reader und verhindere, dass er herausfällt. Alternativ habe ich eine Doppeldaumen-Haltung gefunden, bei der ich mit Daumen und Zeigefinger beider Hände den Reader am unteren breiten Rand halte.

Würde ich den Shine 4, wie den Vision 6, versuchen, mit nur einer Hand am seitlichen Rand zu halten, hätte ich zwei Probleme. Erstens müsste ich zum Umblättern – und das ist beim kleinen Screen recht häufig nötig – die andere Hand benutzen. Hier fehlt eben ein Knopf. Zweitens ist der Rand zu schmal, mein Finger würde einen Teil des Textes verdecken oder den Screen berühren. Und dann blättert der Reader eben auf die nächste Seite.

Mein rechter Daumen ist zu breit für den schmalen Rand des Shine 4. Deshalb blättere ich häufiger versehentlich eine Seite weiter.
Mein rechter Daumen ist zu breit für den schmalen Rand des Shine 4. Deshalb blättere ich häufiger versehentlich eine Seite weiter.
Quelle: Martin Jungfer

Ich könnte zwar den Shine 4 auch im Querformat nutzen und so den breiten Rand zum einhändigen Halten nutzen. Für mich fühlt sich das Lesen eines Buches im Querformat aber irgendwie falsch an, weil die Zeilen dabei unnatürlich lang sind.

Performance: Umblättern ohne Spannungsabfall

Apropos Blättern. Hier macht sich der neue Chip positiv bemerkbar, der den Tolino antreibt. Der Quadcore-Prozessor sorgt gemäss Tolino für eine «20 Prozent kürzere Reaktionszeit gegenüber dem Vorgänger». Ich bin kein Freund solcher Angaben, weil sie zum einen schwer überprüfbar sind. Zum anderen ist mir wichtiger, wie sich das im Alltag anfühlt. Die Quadcore-Leistung spürst du eher, wenn du mehrere Seiten vor oder zurück blätterst. Nur: Wer macht das bei einem Roman?

Beim normalen Gebrauch gilt: Der Shine 4 blättert so schnell um, dass bei einem spannenden Krimi die Spannung nicht bricht. Gefühlt eine halbe Sekunde vergeht nach dem Tippen, bevor die neue Seite da ist. Das schaffen Reader mit älteren Chips auch. Und wenn es 20 Prozent langsamer passiert, würde ich es kaum merken.

Der Quadcore-Prozessor hilft auch nicht viel, solltest du mit dem Shine 4 einmal im Internet surfen wollen. Das macht auf keinem solchen Gerät Spass und ist höchstens notwendiges Übel. Zum Beispiel, um die E-Reader-Ausgabe einer Zeitung aufs Gerät zu bringen oder es mit dem Service einer öffentlichen Bibliothek zu verbinden.

Wasserschutz: Badewannen-Test ist bestanden

Neu soll der Shine 4 einen Ausflug ins Badewasser schadlos überstehen. Das Wetter lädt derzeit nicht zum Baden im See ein, daher habe ich einen Tauchgang im Badewasser simuliert. Der Shine 4 übersteht den Sturz ins schaumige Nass, bei dem ich von meiner Tochter assistiert wurde. Nur, falls du dich über meine kleine Hand und das Armband im Video wunderst.

Apps und Services sind immer noch mühsam

Leider ist die entspannende Wirkung des Schaumbads nach der App-Installation auf dem Shine 4 schnell wieder weg. Die App-Landschaft für die Tolino-Geräte und damit auch den neuen Shine 4 sind auch Ende 2022 noch kein Selbstläufer. Um die Tolino-E-Reader sinnvoll nutzen zu können, empfehle ich dringend ein Kundenkonto bei Thalia (Deutschland) oder Orell Füssli (Schweiz), die beide zur Tolino-Allianz gehören. So wandern gekaufte digitale Bücher nämlich am einfachsten auf das Lesegerät.

So ein Kundenkonto habe ich wegen früherer Tests bereits und musste mich also nicht durch Synchronisierungen und Authentifizierungen kämpfen. Aber ich wollte mir es trotzdem nicht zu einfach machen. Deshalb habe ich die E-Book-Flatrate mit dem Namen Skoobe ausprobiert. «Skoobe» – wenn man «Ebooks» rückwärts liest. Wow, was für ein genialer Marketing-Schachzug! Nicht. Die Flatrate gibt es schon seit 2012, 2018 ist Thalia bei der Firma dahinter gross eingestiegen.

Aber nur, weil Thalia resp. Orell Füssli und Skoobe unternehmerisch eng verbunden sind, heisst das noch lange nicht, dass ich mit meinem Kundenkonto beim einen das Angebot beim anderen nutzen kann. Nein, da braucht’s dann ein weiteres Kundenkonto bei Skoobe. Und das ist auf dem Shine 4 kein Spass, wenn ich dafür den lahmen Browser benutze. Bei der Kreditkartenprüfung ist mir der sogar einmal abgestürzt. Irgendwie hat es dann doch noch geklappt.

Solltest du mit dem Gedanken spielen, deinen technisch durchschnittlich begabten Eltern oder gar Grosseltern einen Shine 4 mit Skoobe-Flatrate zu schenken, leg gleich einen Gutschein für die Einrichtung mit darauf , den sie bei dir einlösen können. Und hoffentlich haben sie nicht bereits woanders gekaufte E-Books, die sie sich dann auf dem neuen Tolino wünschen. Dafür brauchst du dann zwingend einen Computer. Ich erkläre das hier nicht, sondern verweise auf die Anleitung.

Fazit: Der Shine 4 ist (fast) ein Kindle-Killer

In der Preisklasse um die 150 Franken oder Euro hat Tolino mit dem Shine 4 ein ausgereiftes Gerät auf den Markt gebracht. Gegenüber dem Vorgänger gefällt mir vor allem, dass jetzt auch ein Badeunfall kein Todesurteil für den Reader ist. Der verdoppelte Speicher für noch mehr Bücher ist wohl etwas für Leute, die mehrere hundert Bücher auf einem Reader dabei haben wollen. Ich kenne niemanden, der bei modernen E-Book-Readern jemals an die Grenzen seines Speichers gekommen wäre.

tolino shine 4 (6", 16 GB, Schwarz, Blau)

tolino shine 4

6", 16 GB, Schwarz, Blau

tolino shine 4 (6", 16 GB, Schwarz, Blau)
eReader

tolino shine 4

6", 16 GB, Schwarz, Blau

Das Lesen auf dem 6-Zoll-Gerät macht vor allem dank der automatischen Helligkeitseinstellung und des guten Schriftbildes Spass. Dank seines Formats passt er sogar in die Manteltasche und ich kann im Tram oder im Zug ein paar Kapitel lesen, statt die Zeit in Social Media zu verdaddeln.

Auf dem Foto in Nahaufnahme wirkt die Schrift ausgefranster, als ich ich sie im Alltag wahrnehme.
Auf dem Foto in Nahaufnahme wirkt die Schrift ausgefranster, als ich ich sie im Alltag wahrnehme.
Quelle: Martin Jungfer

Ist der Shine 4 ein Kindle-Killer? Auf jeden Fall hält er technisch locker mit dem Paperwhite von 2021 mit. Der bietet zwar ein etwa zehn Prozent grösseres Display, hat aber ansonsten sehr ähnliche Leistungsdaten. Die Entscheidung für einen Kindle oder ein Tolino-Gerät ist am Ende immer auch eine des Universums, in dem du dich bewegen möchtest. Mit einem Kindle wirst du deine Bücher vorrangig bei Amazon kaufen und die dortige E-Book-Flatrate vielleicht interessant finden. Mit dem Shine 4 bist du Teil der Tolino-Welt – wobei du hier wenigstens auch nicht bei Thalia oder Orell Füssli gekaufte Bücher auf den E-Book-Reader bekommst. Der Preis für die Offenheit: Wo die Amazon-Dienste unkompliziert und effizient miteinander funktionieren, kann es bei Tolino und seinen Partnern durchaus einmal vertrackt werden.

Falls du übrigens eh nicht in der Badewanne liest und beim schnellen Umblättern auf 20 Prozent mehr Geschwindigkeit verzichten kannst, lohnt sich auch ein Blick auf den Shine 3. Das Vorgängermodell ist mit dem Erscheinen des Shine 4 spürbar günstiger zu haben.

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Journalist seit 1997. Stationen in Franken, am Bodensee, in Obwalden und Nidwalden sowie in Zürich. Familienvater seit 2014. Experte für redaktionelle Organisation und Motivation. Thematische Schwerpunkte bei Nachhaltigkeit, Werkzeugen fürs Homeoffice, schönen Sachen im Haushalt, kreativen Spielzeugen und Sportartikeln. 


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