«Thomas, ich komme nicht rein!»  Ich bin der IT-Supporter meiner Familie
Meinung

«Thomas, ich komme nicht rein!» Ich bin der IT-Supporter meiner Familie

Thomas Meyer
10.12.2021

Es ist toll, wenn man etwas beherrscht – allerdings muss man es dann auch oft für andere beherrschen. Wie ich meine Familie immer wieder in IT-Fragen unterstütze und weshalb mein Nachfolger bereits feststeht.

Ich liebe mein gelbes iPhone 11. Wir verbringen jeden Tag viele Stunden miteinander – ich habe bereits darüber berichtet. Mit den Einstellungsmöglichkeiten bin ich bestens vertraut und kann fast alle Probleme, die sich im Smartphone-Alltag stellen, selber lösen. Selbiges gilt für meinen iMac.

Das hätte ich allerdings besser für mich behalten. Denn seit meine Familie begriffen hat, dass ich auf praktisch jede Apple-Frage eine hilfreiche und erst noch verständlich formulierte Antwort habe, bin ich zu ihrem offiziellen IT-Supporter geworden. Auch die Mutter meines Sohnes nimmt diesen Dienst gern in Anspruch wie auch meine Partnerin, wobei die beiden bereits einer Generation angehören, die nur selten an die Grenze ihres technischen Verständnisses stösst. Sie haben ein-, höchstens zweimal im Jahr ein Anliegen. Meine Verwandten hingegen, nun ja: etwas häufiger.

Ein kleiner Edward Snowden

Der einfachste Kunde von Meyers Apple Support ist mein Vater. Er hat in den 1980er- und 1990er-Jahren wie ich tausende von Flight-Simulator-Flugstunden absolviert, (wir wechselten uns an unserem Atari ST ab, so war beinahe ein 24-Stunden-Flugbetrieb möglich) und hat sich seither einiges an Fachwissen angeeignet. Allerdings auch ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis, was sich daran zeigt, dass er für jedes Login ein eigenes Passwort besitzt.

Das ist an sich nicht falsch, und allein die Tatsache, dass er jeweils mehrere Minuten braucht, um anhand diverser A4-Blätter herauszufinden, welches Passwort zu welchem Login gehört, kann man als erhöhten Schutz vor unerlaubtem Zugriff bezeichnen. Meine Hilfestellung besteht in der Folge hauptsächlich darin, seine handschriftlichen Notizen dem richtigen Zweck zuzuweisen. Oder iCloud davon abzuhalten, sich seiner Fotos, Kontakte und Termine zu bemächtigen. Er traut Clouds nicht. Er ist der Edward Snowden der Familie.

Mein Vater über New York, 1986
Mein Vater über New York, 1986

Meine Mutter wiederum hat erst spät in ihrem Leben ein Smartphone und einen Laptop angeschafft und ein ausgesprochen wörtliches Verhältnis dazu. Obwohl ich ihr schon manches Mal erklärt und demonstriert habe, was ein Lesezeichen ist und wie man es setzt, speichert sie die Web-Pages konsequent auf dem Computer; mitsamt allen Bildern, mal auf dem Desktop, mal in irgendeinem Ordner. Und wenn ich das dann aufräume, also lösche, fragt sie, durchaus logisch: «Aber wie soll ich etwas, das mich interessiert, denn sonst speichern? Da steht doch speichern!»

Richtig metaphorisch wird es, wenn wir telefonieren. Dann sagt sie: «Thomas, es geht nicht!», worauf ich aufwendig ermitteln muss, was «es» ist, und – weitaus komplizierter – was zu «geht nicht» geführt hat. Auch «Ich komme nicht rein!» ist gar nicht so einfach zu entschlüsseln. «Mein Bildschirm ist ganz schwarz!» nimmt sich dagegen, auch wenn das natürlich nie gut ist, direkt banal aus.

Ein kleines Bermuda-Dreieck

Meine Schwester schliesslich wäre eigentlich gar nicht auf meine Hilfe angewiesen, ist aber ein Bermuda-Dreieck im Kleinformat. Immer wieder spuken technische Geräte in ihrer direkten Umgebung oder geben gleich ganz den Geist auf. Sprachnachrichten sind nicht abrufbar. Ticket-Automaten, die eben noch perfekt funktioniert haben, bekommen einen schwarzen Bildschirm, kaum tritt meine Schwester an sie heran (möglicherweise eine erbliche Belastung durch meine Mutter). Kassencomputer stürzen ab, wenn sie bezahlen will. Fotosammlungen verschwinden auf mysteriöse Weise. Kürzlich hat sie ein neues MacBook Air gekauft und meldete, die Akkuleistung sei noch schlechter als bei ihrem mittlerweile acht Jahre alten bisherigen Modell.

Die HD meiner Schwester verachtfacht sich mal eben.
Die HD meiner Schwester verachtfacht sich mal eben.

Was sich militärisch vermutlich hervorragend nutzen liesse – man müsste meine Schwester einfach neben sensible feindliche Bauten hinstellen –, stellt im täglichen Gebrauch ein erhebliches Problem dar. Immer wieder ruft sie mich an – falls das technisch überhaupt möglich ist – und beklagt den Totalausfall ganzer Systeme.

Die iranische Atomanlage Natans nach einem Besuch meiner Schwester.
Die iranische Atomanlage Natans nach einem Besuch meiner Schwester.

Ich kann meist nicht helfen, außer durch heiteres Gelächter, was Verzweifelten nur selten hilft, und durch tiefes Mitgefühl, nachdem ich empört auf den hohen Grad der Verzweiflung hingewiesen wurde.

Der wahre IT-Sachverständige der Familie ist jedoch mein Sohn. Er beherrscht sein iPad im Schlaf, gern auch bis in den Schlaf, hat kaum je eine Frage zur Benutzung und reisst mir den Nintendo-Switch-Controller ungeduldig aus den Händen, weil es ihm viel zu lange dauert, wenn ich etwas in den Mario-Party-Einstellungen suche. Es ist offensichtlich, dass er mich für einen technischen Trottel hält, bei dem jede Hoffnung verloren ist.

Mir soll das nur recht sein: Den Job der technischen Familienbetreuung gebe ich gern ab.

Musst du auch dauernd für Familie und Freunde IT-Rätsel lösen? Erzähl mir davon in den Kommentaren!

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Der Schriftsteller Thomas Meyer wurde 1974 in Zürich geboren. Er arbeitete als Werbetexter, bis 2012 sein erster Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» erschien. Er ist Vater eines Sohnes und hat dadurch immer eine prima Ausrede, um Lego zu kaufen. Mehr von ihm: www.thomasmeyer.ch. 


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