Täglich ein Büschel Haare weniger? Was Haarausfall über die Gesundheit aussagt
Alopezia, also Haarausfall, ist mehr, als täglich ein paar Haare in der Bürste stecken zu haben. Mancher lässt sich beheben, anderer nicht. Welche Ursachen es für den Haarverlust geben kann.
«Du hast die Haare schön!» oder etwa nicht? Wer an frühzeitigem Haarausfall oder lichter werdendem Haar leidet, leidet – Frauen stärker als Männer. Denn schöne und gesunde Haare bedeuten in unserer Gesellschaft viel: Sie gelten als Zeichen von Vitalität und Stärke. In der Antike verortete man gar den Sitz der Seele im Haar.
Angeblich entscheiden die Haare bzw. die Frisur beim ersten Aufeinandertreffen darüber, ob man sich sympathisch findet oder nicht, haben Forschende in ihrer empirischen Untersuchung festgestellt. Und vielleicht erinnerst du dich an die UK-Serie «Fleabag» und den legendär gewordenen Satz «Hair is everything!», den Hauptdarstellerin Phoebe nach einem verkorksten Haarschnitt ihrem Coiffeur Anthony entgegenschleudert? Haare zu verlieren, so viel steht fest, rüttelt am Selbstwert und schränkt die Lebensqualität ein.
Bevor es tiefer in die Materie geht, muss die wichtigste aller Fragen auf den Prüfstand:
Wie viel Haarverlust pro Tag ist normal?
Haare verändern sich im Alter, das gehört zum natürlichen Alterungsprozess. Sie werden dünner und weniger dicht. Die Wachstumsphasen der einzelnen Haarfollikel werden kürzer und das kontinuierliche Wachstum der Haare nimmt ab. Daraus folgt: Haare zu verlieren, ist normal. Punkt. Nur: wie viel?
Laut wissenschaftlicher Forschung verliert der Mensch täglich zwischen 50 und 100 Haare. Dies ist Teil des natürlichen Haarzyklus, der in drei Phasen unterteilt ist: Wachstumsphase (Anagen), Übergangsphase (Katagen) und Ruhephase (Telogen). In der Telogenphase löst sich das Haar schließlich vom Haarfollikel und fällt aus, um Platz für neues Haar zu schaffen. Steigt die Zahl des Haarverlusts auf mehr als 100 Haare pro Tag (bei Kindern: 50 bis 80) und hält über Wochen an, kann von Haarausfall gesprochen werden. Und dann?
Haarverlust: Drei häufige Formen, unterschiedliche Ursachen
Wer über Dauer einen derart hohen und regelmäßigen Haarverlust bemerkt, sucht am besten eine dermatologische Fachpraxis auf. Ein sogenannter Trichoscan analysiert digital die Kopfhaut, die Haarwurzeln, die Haardichte sowie den Haarzustand. Außerdem empfiehlt es sich, bei Hausarzt oder -ärztin ein Blutbild machen zu lassen: Denn es kann auch ein Nährstoffmangel wie z.B. Eisenmangel vorliegen, der den Haarausfall verursacht. Am häufigsten sind drei Formen. Dazu zählen androgenetischer bzw. anlagebedingter Haarausfall, kreisrunder sowie diffuser Haarausfall.
1. Erblich bedingter Haarausfall: Der Schopf wird lichter
Mit 95 Prozent am häufigsten ist der so genannte androgenetische Haarausfall, also der erblich bedingte Haarausfall (Alopezia androgenetica). Dabei reagieren die Haarwurzeln aufgrund einer erblicher Veranlagung überempfindlich auf männliche Geschlechtshormone, die sogenannten Androgene, die auch bei Frauen in geringem Maß vorhanden sind. Konkret irritiert Dihydrotestosteron, ein Stoffwechselprodukt von Testosteron, die Nährstoffzufuhr hin zu den Haarwurzeln. Somit werden die Haarfollikel kleiner und produzieren in Folge nur noch weniger und dünnere Haare. In der Regel sind die Haare am Mittelscheitel betroffen.
Bei Frauen treten die Symptome zumeist erst nach den Wechseljahren auf. Dann wird speziell am Mittelscheitel das Haar schütter, aber es können auch Seiten und der Hinterkopf lichter werden. In seltenen Fällen beginnen bereits in jüngeren Jahren erste Probleme. Laut Forschung betrifft der erblich bedingte Haarausfall 12 Prozent der Frauen im Alter um die 30 Jahre. Bei der 60plus-Generation sind zwischen 30 und 40 Prozent der Frauen betroffen. Im Gegensatz zu Männern entstehen aber normalerweise weder Glatze oder gänzlich haarlose Flächen.
Anders zeigt sich der Haarausfall bei Männern: Geheimratsecken an den Schläfen oder dünnes Haar im oberen Bereich des Kopfes können sich im Laufe der Zeit zu einem männlichen Haarausfallmuster entwickeln, bei dem das Haar an Stirn und Hinterkopf ausfällt und nur noch ein Haarkranz übrigbleibt. Die ersten Anzeichen treten oft schon in der Jugend auf, und mit zunehmendem Alter nimmt das Ausdünnen der Haare zu. Je früher es beginnt, desto stärker die Ausprägung.
2. Diffuser Haarverlust: Haare werden dünner
Auch Alopezia diffusa genannt, kann der diffuse Haarverlust Männer und Frauen jeden Alters betreffen. Allerdings sollen Frauen häufiger daran leiden. Diese Form des Haarausfalls kommt am gesamten Schopf vor, das Haar wird gleichmäßig lichter, oft schimmert zudem die Kopfhaut durch. Weil die Haarwurzeln durch unterschiedliche Ursachen geschädigt sind, zeigen die nachwachsenden Haare ein deutlich verlangsamtes und schwächeres Wachstum. In seltenen Fällen verschlechtert sich der Verlauf akut und kann zu chronischen Stellen und sichtbarer Vernarbungen führen.
Ursachen für den diffusen Haarausfall gibt es viele und sollten von Arzt oder Ärztin diagnostiziert werden. Unter anderem kommen infrage: Stress, Hormonumstellung bei Frauen nach der Schwangerschaft (oft kommt es in der Stillzeit zum büschelweisen Haarverlust), Schilddrüsenerkrankungen, Nährstoffmangel wie Eisenmangel, Chemotherapie, Medikamente wie Schmerzmittel, Antibiotika oder Blutverdünner. Auch physikalische und chemische Reize wie Färbemittel, Dauerwelle, zu heißes Föhnen und Flechtfrisuren können die Haare kaputt machen.
3. Kreisrunder Haarausfall: Es kommt zu kahlen, runden Stellen
Von kreisrundem Haarausfall (Alopezia areata) betroffen sind ein bis zwei Prozent der Bevölkerung, Frauen wie Männer gleichermaßen. Die Fachwelt zählt ihn zu den multifaktoriellen Erkrankungen – es spielen also genetische Faktoren und Umweltfaktoren eine Rolle. Noch ist allerdings unklar, wie dieses Zusammenspiel funktioniert. «Bisherige Untersuchungen geben jedoch starke Hinweise auf eine autoimmune Genese», schreibt das Institut für Humangenetik am Universitätsklinikum Bonn.
Symptome sind unvermittelt auftretende, häufig mehrere kahle, runde Bereiche auf der Kopfhaut. In selteneren Fällen kann auch Haarausfall an den Augenbrauen, Wimpern, im Bartbereich oder an anderen behaarten Körperstellen auftreten.
Beim kreisrunden Haarausfall richtet sich die Immunreaktion gegen den tiefen Anteil der Haarwurzel und zerstört diese. Die Haare fallen aus und können nicht neu nachgebildet werden. Allerdings: Es treten keine Vernarbungen auf und die subepidermal gelegenen Stammzellen werden nicht zerstört. «Dadurch geht das Potenzial der Kopfhaut, Haare zu bilden, auch bei fortgeschrittener bzw. langanhaltender Erkrankung nicht verloren. Das bedeutet, dass auch nach lange bestehender Erkrankung eine erfolgreiche Therapie möglich ist», heißt es in diesem Beitrag im Fachorgan «Hautnah». Behandelt wird meist mit Kortison, zudem gibt es seit 2022 erste Behandlungserfolge mit Baricitinib, einem sogenannten JAK-Inhibitor, das normalerweise bei rheumatischen Erkrankungen eingesetzt wird.
Wie behandelt man die androgenetische Alopezia?
Dermatologinnen und Dermatologen können medizinische Behandlungen wie Minoxidil oder Finasterid verschreiben. Speziell Minoxidil hat sich bis heute als das Mittel der Wahl bestätigt. Zu diesem Ergebnis kommen viele Langzeitstudien und Beobachtungen. Grundsätzlich ist das Mittel für Langzeitbehandlung gedacht und wird punktuell über mehrere Monate hinweg an den betroffenen Stellen aufgetragen. Es führt allerdings zu einem erheblichen Rebound-Effekt, sobald man es absetzt. Heißt: Mitunter muss man es lebenslang anwenden.
Finasterid hingegen wird nur noch unter genauer Analyse der Ausgangssituation für Männer verschrieben, da derzeit Debatten über Nebenwirkungen geführt werden, die von erheblichen Einschränkungen im Sexualleben bis hin zu schweren Depressionen reichen können.
Minoxidil wird in der Schweiz übrigens auch unter dem Namen Alopexy, Neocapil und Regaine verkauft, wobei das Haarwuchsmittel zwar rezeptfrei erworben werden kann, jedoch nicht von der Krankenkasse bezahlt wird.
In Kombination mit Microneedeling, bei dem durch gezielte winzige Nadelstiche die Kopfhaut und Haarwurzeln verletzt und zur Reparatur angeregt werden, lassen sich laut aktuellen Untersuchungen die Ergebnisse von Minoxidil nochmals verbessert.
Wie du selbst Haarausfall vorbeugen kannst
Gesunde Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit ausreichend Proteinen, Eisen, Omega-3-Fettsäuren und Vitaminen ist entscheidend für gesundes Haar. Dabei kann es helfen Profis zu Rate zu ziehen, um sicherzustellen, dass du die richtigen Nährstoffe erhältst. So ist etwa bei jungen, aber auch schwangeren Frauen oft ein Eisenmangel Grund für die Veränderungen der Haare. Eine Blutuntersuchung und gegebenenfalls eine Eisenersatztherapie können helfen. Nahrungsergänzende Mittel wie Vitamin C, Biotin, Zink, oder Folsäure sind ebenfalls eine Option. Zudem gibt es Hinweise, dass Vitamin-D einen positiven Einfluss auf die Haare hat.
Stressmanagement: Stress kann wie beschrieben zu diffusem Haarausfall führen. Entspannungstechniken wie Yoga, Meditation und regelmäßige Bewegung können helfen, den Haarausfall zu reduzieren. Aber: Stressbedingter Haarausfall lässt sich auch durch Minoxidil blockieren.
Haarpflege: Tägliches Haarewaschen ist grundsätzlich nicht problematisch. Wichtig nur: Verwende milde Shampoos und Conditioner, um deine Haare nicht übermäßig zu strapazieren. Auch Färben, Styling und zu starke Hitzeeinwirkung durch Fön und Glätteisen bitte vermeiden, ebenso festes Zusammenbinden und starkes Kämmen bzw. Bürsten.
Insgesamt kann Haarausfall ein belastendes Problem sein, doch mit rechtzeitiger Diagnose und angemessener Behandlung können die meisten Menschen ihre Haargesundheit wiederherstellen oder zumindest bessern. Achte deshalb auf dein Haar, pflege es und suche bei anhaltendem Haarausfall immer professionelle Hilfe auf. Denn die Ursachen für Haarausfall können sehr vielfältig sein und bedürfen daher einer fachkundigen Analyse.
Titelfoto: ShutterstockNotizbuch, Kamera, Laptop oder Smartphone. Leben heißt für mich festhalten – analog oder digital. Immer mit dabei: mein iPod Shuffle. Die Mischung macht’s eben. Das spiegelt sich auch in den Themen wider, über die ich schreibe.