«Sniper Elite: Resistance»: Zwischen Frust und Faszination
Mehr vom Gleichen. Damit lässt sich die neueste Iteration des britischen Sniper-Shooters zusammenfassen. Nazis wegballern macht noch immer einen Höllenspass. Würde ich dafür den Vollpreis bezahlen? Absolut nicht.
Dieses drohende Spawnen des «Sichtbogens», dieser Adrenalin-Kick, wenn er sich orange verfärbt. Dann hast du mal wieder zu lange gebraucht. Du legst an, blickst durch das Zielfernrohr, atmest aus und drückst den Abzug. Der Schuss peitscht und ein weiterer Sturmbannführer segnet das Zeitliche. Als wäre das nicht genug, zeigt die Kill-Cam in Zeitlupe, wie die Kugel ihre blutige Reise antritt und wo sie einschlägt. Der Schädel platzt, Knochen splittern, Organe explodieren. Yeee-haw!
«Sniper Elite: Resistance» serviert dir das übliche Menü – aber macht das noch Spass? Nicht so einfach zu beantworten. Denn während es diese ultra-befriedigenden Momente gibt, in denen man aus 300 Metern einem Wehrmachtssoldaten die Klöten wegfetzt, gibt es Momente, die einfach nur angestaubt wirken.
Operation Déjà-vu: Die Story, die du schon kennst
Der Plot? Nazis haben mal wieder eine Superwaffe – diesmal ein Nervengas namens «Kleine Blume». Deren Einsatz sollst du verhindern. Du schlüpfst in die Haut von Harry Hawker, der mit der französischen Resistance zusammenarbeitet. Ein bärtiger Brite mit markanter Stimme und einem leichten Cockney-Twist in seinem Akzent. Er erinnert mich an die ähnlich aussehenden Herren vor den britischen Fussballstadien , die dir «Match scaaaarf, just five quid» ins Ohr brüllen. Karl Fairburne, der US-Sniper aus den vorherigen Teilen, hat sich wohl eine Auszeit genommen.
Die Missionen führen dich durch sieben grosse Level, die sich zwar offen und vielseitig spielen lassen, aber jenseits deutscher Soldaten jeglichen Lebens entbehren. Ob eine französische Kleinstadt oder das grosse Nazi-Schloss – Alles fühlt sich sehr bekannt an. Und dann gibt es da noch einen Staudamm. Jep, kenne ich. Die Story ist ebenfalls austauschbar, aber du bist ja vor allem für die Kill-Cam hier, oder?
Sniper-Elite-Wellness: Eine Kugel gegen den Stress
Denn die gibt's wieder. Diese perfekten, fast meditativen Momente. Du hockst auf einem Hügel, hast dir einen perfekten Sniper-Posten gesucht. Unten patrouillieren Nazis – nichtsahnend, dass sie eigentlich schon so gut wie tot sind. Der erste Schuss – für den ich mir wirklich Zeit nehmen kann – geht ins Gemächt. Zack, noch ein sauberer Kopfschuss . Einer geht zum Alarm und will Verstärkung rufen – es schafft es aber nicht. Die Kill-Cam zeigt in aller grausigen Detailverliebtheit, wie sich dein Projektil durch einen Lungenflügel bohrt. Ja, das ist brutal. Aber auch unglaublich befriedigend.
Das Spiel gibt dir die Freiheit zu schleichen, aus der Ferne Chaos zu stiften oder – die Rambo-Methode. Viel Glück. Auf höheren Schwierigkeitsgraden sind die Nazis nämlich keine blinden Maulwürfe mehr. Auf niedrigeren Stufen hingegen hat man aber nicht das Gefühl, dass ihnen besonders viel daran liegt, das Dritte Reich aufrechtzuerhalten.
Harry Hawker: Die Labertasche aus dem Londoner Osten
Umgewöhnen musst du dich in Sachen Monologe. Harry Hawker quasselt nämlich in einem fort. Karl Fairburne war auch kein Literat, aber wenigstens hielt er meistens die Schnauze. Hawker dagegen kommentiert einfach alles. «Bloody hell, that was a good one!» nach dem Todesschuss. «Oh look, I found a sneaky little tunnel, how convenient!» nach jedem Geheimgangs-Fund. Kein Sympathieträger.
Willkommen in der Map-Recycling-Fabrik
«Sniper Elite» bietet grosse Levels mit einigen kleinen Highlights. Besonders das unterirdische Nazi-Bunker-System ist cool. Aber oft fühlt sich das Leveldesign verdächtig vertraut an, sofern du alte «Sniper Elite»-Teile gespielt hast. Und selbst die Kill-Cam nutzt sich mit der Zeit ab. Es wirkt, als hätte «Sniper Elite» mit Blut und Gedärmen seine kreativen Grenzen erreicht. Es bleibt beim Altbewährten – vielleicht sollten sie sich mal den Atlas des menschlichen Körpers besorgen und noch ein, zwei weitere Animationen einbauen.
Auch das Missionsdesign ist eher repetitiv. Dokumente besorgen, höhere Nazi-Kader um die Ecke bringen, jemanden retten. Dokumente sind in einem Safe, zu dem du einen Schlüssel brauchst. Dieser befindet sich im Gewahrsam eines Offiziers, der irgendwo herumschleicht. Oder du machst es mit einer Sprengladung. Dann kannst du dir auch sicher sein, dass die Kurventabelle bei dir auf «action» statt auf «schleichen» steht. Gelegentlich finden sich noch ein paar Schalterrätsel da und dort – aber wenig Überraschendes.
Kleine Neuerungen, grosse Wirkung?
Ein paar Neuerungen gibt es dann doch – etwa die Propaganda-Missionen. Über die Level verteilt findest du Widerstandsposter, die Bonus-Herausforderungen freischalten. Manchmal geht es darum, eine bestimmte Anzahl von Feinden in kurzer Zeit lautlos auszuschalten oder gewisse Sniper-Challenges, bei denen du möglichst viele Kills aus der Ferne holen sollst. Klingt cool? Ist es auch. Ganz cool, nur kurz, recht simpel – und ohne Online-Ranglisten null Wiederholungsmotivation. Auch das Waffentuning an Werkbänken ist zurück. Schalldämpfer, Griffe, bessere Zielfernrohre – nett, aber keine Revolution. Die Spezialfähigkeiten von Hawker? Die gleichen wie sein Ami-Vorgänger.
In aller Fairness sei aber gesagt: In Sachen Klettern ist der Brite besser unterwegs als sein US-Vorgänger. An Rohren, Ranken und Simsen kann er sich flinker und vielfältiger fortbewegen und gibt mir eine gewisse Portion «Uncharted»-Vibes. Auch die animierten Zwischensequenzen mit den Mitgliedern des französischen Widerstands tragen zur Stimmung bei. Wirkliche Sympathie kommt aber für kaum eine Figur auf – zu generisch und zu grantig sind sie. Und Harry Hawker scheinen sie auch nicht wirklich zu mögen. Immerhin haben sie und ich etwas gemeinsam. Dessen Selbstgerechtigkeit mutet fast etwas US-amerikanisch an.
Natürlich gibt’s auch Ärgernisse. Wieso kann Hawker keine Mauern erklimmen? Wieso haben die Entwickler die Taste für «tödlichen Nahangriff» und «betäuben» vertauscht? Da ich den fünften Teil vor noch nicht allzu langer Zeit gezockt habe, befördere ich die Braunhemden oft versehentlich nur ins Land der Träume statt sie endgültig zu erledigen. Das hat den Nachteil, dass sie genau dann wieder zu sich kommen, wenn ich mir gerade mit ihren Kameraden einen Schusswechsel liefere und mir dann von hinten ans Leder wollen.
Multiplayer: Die Axis-Invasion ist zurück
Ein Modus, in dem ein echter Spieler dich als Nazi-Jäger heimsuchen kann. Für manche ein Nervenkitzel, für mich eher eine Einladung zum spontanen Rage-Quit. Ich kriege schon genug aufs Maul von der KI. Den pickligen Teenie, der mich wegballert und das ganze übers Headset mit vulgären Kommentaren zu Mitgliedern meiner näheren Verwandtschaft ergänzt, spare ich mir. Leider hatte ich in der Pre-Release-Version so meine technischen Probleme, sodass ich mir hier keine ausführliche Meinung bilden konnte.
«Sniper Elite: Resistance» ist verfügbar für PC, PS5, Xbox Series X/S und ist im Game Pass. Ich habe die PS5-Version getestet, die uns Publisher Rebellion kostenlos zur Verfügung gestellt hat. Im Digitec-Podcast «Tech-telmechtel» habe ich meine Eindrücke übrigens auch geschildert.
Fazit
The war is over – for now
Am Ende bleibt die Frage: Macht das Spiel Spass? Ja. Ist es neu? Nicht wirklich. Wenn du die Serie liebst und einfach weiter Nazis ins Jenseits befördern willst – dann wirst du hier definitiv deinen Spass haben. Ich hatte ihn. Vor allem auch, weil das Game kein «Baldur's Gate» ist. Das schaffst du an einem Weekend – bei circa zehn Spielstunden war ich, als der Abspann lief.
Aber wenn du nach echten Neuerungen suchst, wirst du enttäuscht sein. Ich werde das Game – anders als die Serie insgesamt – wohl nicht gross in Erinnerung behalten. Insgesamt sage ich: «Sniper Elite»: Der Krieg ist aus. Ausser, ihr verlegt euch vielleicht auf einen anderen Konflikt (die Auswahl ist bedauerlicherweise gross), überarbeitet die Maps und füllt sie mit ordentlich Leben.
Pro
- Coole Sniper-Mechanik
- Kill-Cam
- Nett anzusehen
Contra
- Repetitiv
- Sehr wenig Neues
- Hauptcharakter nervt
Seit ich herausgefunden habe, wie man bei der ISDN-Card beide Telefonkanäle für eine grössere Bandbreite aktivieren kann, bastle ich an digitalen Netzwerken herum. Seit ich sprechen kann, an analogen. Wahl-Winterthurer mit rotblauem Herzen.