Seltsame Produkte, von denen du nicht wusstest, dass du sie bald willst – Teil 4
Diese Designstücke der Milan Design Week 2024 waren an Merkwürdigkeit nicht zu übertreffen. Und genau das hat sie in meinen Augen so gut gemacht.
Gepiercte Hocker, geknickte Glasregale und Schraubenschlüssel-Lampen: Viele Debüts fielen mir an der vergangenen Mailänder Designwoche vor allem wegen ihres ungewöhnlichen Aussehens auf. Sie wären perfekt für Weirdcore-Fans. Aber auch bei mir lösten sie den Haben-Wollen-Effekt aus, weil sie selbst dem banalsten Objekt mehr Spass verliehen haben. Obwohl das manchmal etwas komisch aussieht, stecken ernste Gedanken dahinter. Überzeug dich selbst.
Gepiercte Möbel
Die meisten Menschen schmücken ihre Körper mit Piercings. Nicht so Gregor Jahner. Er verziert seine Möbel damit. Im Stuhlbein vom «Pierced Stool», den er an der Alcova-Ausstellung präsentierte, steckt ein dünner Silberring. Jahner möchte uns dazu bringen, unsere Sichtweise auf dekorative und funktionale Objekte zu hinterfragen. Genauso wie Piercings aus verschiedenen Gründen, darunter kulturelle, ästhetische und religiöse, getragen werden, soll dieser Hocker eine Botschaft überbringen: «Der ‹Pierced Stool› stellt eine Hommage an die queere Feier dar», sagt Jahner. «Als queerer Designer und Künstler ist es mein Ziel, Individualität zu feiern und die Freude am Design wiederzubeleben».
Weiche Schale, harter Kern
Syenit ist ein magmatisches Gestein, das hauptsächlich aus den Mineralen Feldspat, Quarz und Glimmer besteht. Oft triffst du es in Form eines Pflastersteins auf der Strasse an. Weniger oft als Vase in einer Galerie. Aber während der Mailänder Designwoche ist alles möglich. Und so kam es, dass in den Galerieräumen von Rossana Orlandi Wohnaccessoires und Möbel aus Syenit zu sehen waren – dachte ich zumindest. Beim Berühren wurde aber schnell klar, dass was im Busch ist: Der italienische Architekt Alessandro Ciffos hat das Gestein für seine «La Bürsch» nur mit Abfall-Silikon aus seiner eigenen Werkstatt nur nachgestellt. Mit dem Ziel, eine optische Illusion zu erzeugen und den «La Bursch»-Baustil seines Heimatortes Biella zu würdigen. Das ist gelungen.
Knick in der Optik
Ebenfalls in der Galerie von Rossana Orlandi zu sehen, war das Projekt «Sul Trespolo» (vom Lateinischen tripes-pĕdis/trepiede – «auf dem Dreifuss») von Secondome und Studio Effe. Es besteht unter anderem aus der Regalkollektion «Claude», bei der italienische Hölzer mit kostbaren Materialien wie mundgeblasenem Muranoglas kombiniert werden. Sie wurde von Duccio Maria Gambi entworfen, der gerne mal mit Gegensätzen experimentiert.
Quelle: Pia Seidel
Theatralische Schränke
Für die Gruppenausstellung «Origen» (Herkunft) der Unno-Galerie im Mailänder Quartier Brera entwarf Mark Grattan einen Schreibtisch, einen Wandschrank und eine Kommode. Auf den ersten Blick wirken sie wie herkömmliche schokobraune Büromöbel. Doch bei genauem Hinsehen kommt ihre ausgestellte Basis zum Vorschein. Sie erinnert an einen Vorhang, der auf einer Bühne geöffnet wird und verleiht den funktionalen Objekten eine surreale Note.
Quelle: Pia Seidel
Zum Anbeissen
Roosa Ryhänen stellte am Salone Satellite eine Kollektion vor, die aus vier Möbelstücken besteht. Darunter war der «Churro Stool» das skurrilste. Der Name stammt von einem iberischen Fettgebäck, das bekannt für seine längliche Form mit einem sternförmigen Querschnitt ist und der Ausgangspunkt beim Entwerfen war. «Ich habe das Gefühl, dass mich weiche Silhouetten jetzt, wo die Welt so grausam und ungerecht erscheint, mehr denn je anziehen», sagt Ryhänen. Die finnische Designerin begrüsst unvollkommene, zufällige Formen im Herstellungsprozess. All ihre Stücke basieren daher auf dem Gestaltungsprinzip «Form Follows Intuition».
Quelle: Pia Seidel
Zum Dahinschmelzen
Ting Hsuan Chang stellte ihre Kerzen in der Gruppenausstellung «Undertone» des Isola-Viertels vor. Sie wirken so, als hätten sie schon einmal gebrannt, obwohl der Docht unberührt ist. Mit Absicht: Damit möchte die Designerin «die Grenzen zwischen Unbelebtem und Lebendigem verschwimmen lassen», wie sie sagt. Um den geschmolzenen Look zu erreichen, werden die Kerzen mehrmals erwärmt und umgeformt. Deshalb sind sie für Ting Hsuan Chang auch «eine Form, gefüllt mit Zeit.»
Quelle: Pia Seidel
Verzerrtes Bild
Anlässlich der Mailänder Designwoche gestaltete der Künstler Andrés Reisinger eine Installation namens «Chairs For Meditation» im Atrium des Nilufar Depots. Sie bestand aus einem riesigen Mosaik-Bild sowie 12 Stühlen (Chairs For Meditation), die Besuchende zum Meditieren einluden. Das auffälligste Design darunter wirkte auf mich wie ein 3D-Rendering. Vielleicht, weil es auf klassische Stuhlbeine verzichtet. Vielleicht aber auch, weil die Übergänge zwischen der Sitzfläche und den Armlehnen des gepolsterten Holzrahmens unsichtbar waren. In jedem Fall wollte ich darauf herumschaukeln und die Seele baumeln lassen.
Quelle: Pia Seidel
Das Dazwischen
In der Gruppenausstellung «Korean Craft Show In Milan 2024 – Thoughts on Thickness» stach die Arbeit von Yongkyoung Kim besonders heraus. Sie bestand aus mehreren halbdurchsichtigen Wandobjekten, die spannende Schatten an die Wand warfen. Mit dem eingeschlossenen, transparenten Hohlraum möchte Kim ein einzigartiges Gefühl vermitteln.
Quelle: Pia Seidel
Der Schlüssel zum Möbel
Die Künstlerin Iyo Hasegawa inspirieren Materialien und die Gestaltungsmöglichkeiten, die sie mit sich bringen. Zuletzt experimentierte sie mit einem gewöhnlichen Schraubenschlüssel, um daraus etwas Aussergewöhnliches zu machen: Tische und Lampen. «Mir gefiel die Form der Doppel-Ringschlüssel und der Perspektivenwechsel», sagt Hasegawa. Mehrfach wiederholt und integriert, kann aus einem einfachen Werkzeug, das sonst nur zum Aufbau dient, selbst ein Möbel werden.
Quelle: Pia Seidel
Wie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit.