Pfeif auf Pessimismus: So wurde ich Schriftsteller
Als ich nach einem abgebrochenen Studium endlich wusste, was ich machen wollte, hörte ich nur, warum das nie klappen werde. Zum Glück habe ich mich nie von Schwarzmalerei beeindrucken lassen.
«Das schaffst du nie.»
«Das kannst du gleich vergessen.»
«Da brauchst du zuerst eine Ausbildung.»
«Da gibt es viel zu viel Konkurrenz.»
So klang es, als ich 1997 verkündete, Werbetexter werden zu wollen: Alle versuchten, mir dieses Vorhaben als chancenlos auszureden. Dabei hatte ich ja nicht die Absicht, ins Weltall zu fliegen, sondern lediglich Werbung zu machen, also die Anzeigen und Plakate zu erfinden, die überall zu sehen waren und an deren Herstellung wohl eher viele Leute beteiligt waren. Warum genau sollte ich keiner von denen sein können?
Ich weiss nicht, ob die Schwarzmalerei ein schweizerisches Problem ist. Zumindest ist auch aus Deutschland oft zu hören, dass auf Ideen vornehmlich mit Hinweisen auf deren Naivität und Umsetzungsproblematik reagiert wird, wohingegen es in den USA den Begriff «Dream Dashers» gibt für Pessimisten, die einem alles ausreden wollen. Ich liess mich nicht von ihnen beeindrucken und rief bei allen namhaften Agenturen der Stadt an, ob sie interessiert wären, einen 23jährigen Studienabbrecher als Juniortexter einzustellen.
Waren sie nicht.
An dieser Stelle hätte ich den zahlreichen Unkenrufen doch noch Glauben schenken können. Ich hätte aus den Rückschlägen schliessen können, dass es tatsächlich enorm schwierig sei, in der Werbung Fuss zu fassen, und meine Bemühungen einstellen können. Ich hätte sogar mein Studium wieder aufnehmen können, als vernünftigen, sicheren Weg, so wie es mir auch geraten wurde.
Tat ich nicht.
Im Gegenteil, mich spornten die Warnungen der einen und die Zurückweisungen der anderen nur an: Soso, dachte ich, ihr meint also, das klappe nicht? Ich werde euch zeigen, dass das klappt.
Man muss vielleicht auch erwähnen, dass eine sonderbare Begegnung mich in meiner Überzeugung bestärkte. Eines Vormittags betrat ein alter Herr die Bar, in der ich damals arbeitete, und verlangte nach einem Gin Tonic. Und dann nach einem zweiten. Als ich ihm diesen brachte, fragte er leicht unwirsch: «Was machen Sie da?» Ich antwortete verwirrt: «Ich bringe Ihnen Ihr Getränk?» Er winkte ab: «Ich meine: Wieso arbeiten Sie in einer Bar? Was soll das? Sie sind Künstler! Machen Sie was aus sich!» Dann zahlte er und ging. Ich blieb perplex stehen, überzeugt, dass mir kein Geringerer als der liebe Gott begegnet ist, um mich auf den richtigen Weg zu bringen.
Ein Gedanke, der sich wenige Tage später zu bestätigen schien, als einige Agenturleute in der Bar zu Gast waren, mit einer Bekannten von mir. Sie stellte mich dem Geschäftsführer vor – und der mich spontan ein. Mein Wunsch, Juniortexter zu werden, hatte sich erfüllt. Vor Stolz fast platzend, eilte ich jeden Morgen in die Agentur und wollte auf jedes Plakat, jedes Haus, jedes Auto und jede Streichholzschachtel etwas Lustiges drauftexten. Das klappte meist nicht, weil leider auch in Werbagenturen und bei deren Kunden lauter «Dream Dashers» sitzen, die Ideen mit dem Argument kaputtreden, die Menschen seien leider sehr dumm und ausserdem jeglichem Humor abgeneigt.
Also machte ich, mit der Hilfe des IT-Verantwortlichen der Agentur, eine eigene Website. Dort konnte ich schreiben, was ich wollte. Das Themenspektrum war meinem Alter entsprechend ziemlich eingeschränkt; es ging vor allem um Geschlechtsverkehr. Dennoch fand Hans Schmerz, wie mein Pseudonym (die Übersetzung des Schauspielernames John Hurt) lautete, viele Fans, darunter die beiden lustigen Kerle, die das Gratismagazin «Kult» produzierten und mich in das Autorenteam aufnahmen. Bald durfte ich auch für «Das Magazin» und andere Publikationen schreiben.
Natürlich hörten die Rückschläge nicht auf. Hunderte meiner Werbeideen wurden intern oder beim Kunden versenkt, fertige Texte wurden nicht veröffentlicht oder so redigiert, dass ich Bauchschmerzen bekam. Obendrein war ich ständig mit Anfeindungen von Menschen konfrontiert, die nichts aus ihrem Leben machten und furchtbar wütend wurden, wenn sie einem begegneten, der es tat. Besonders subtil waren die spöttischen Vergleiche mit «richtigen Autoren».
Als ich mich 2007 selbständig machte, kam ein weiteres Problem hinzu: mein eklatanter Mangel an Geschäftssinn. Ich verkaufte mich grauenhaft schlecht und bekam für meine Arbeit oft zu wenig und manchmal überhaupt kein Geld. Mehrere Male hatte ich kaum mehr welches übrig. Ich erinnere mich gut an den Abend, an dem ich feststellte, dass mein gesamtes Vermögen sich auf 500 Franken belief.
Ich kenne viele Leute, die sowas nicht ausgehalten und sich sofort eine feste Anstellung gesucht hätten. Ich belächle sie nicht, sie sind eben anders konstruiert als ich. Ich hielt Existenzangst einfach besser aus. Ich fand: Nun, das ist ja jetzt kein echtes Problem wie beispielsweise ein schwerkrankes Kind zu haben, sondern es sind Pixel auf meinem Bildschirm, die in ungünstiger Anordnung stehen. Ich habe aktuell ja keinen Hunger und keine Schulden und bin gesund. Aus den Pixeln, die mir mitteilen, dass ich 500 Franken habe, können ausserdem jederzeit Pixel werden, die mir mitteilen, dass ich 5000 Franken habe. Und so war es auch. Aus jedem Engpass wurde wieder eine breite Autobahn. Aus der wieder ein Engpass wurde. Und wieder eine Autobahn.
Irgendwann hatte ich begriffen, dass zum Tag und der Nacht, dem Sonnenschein und dem Regen und dem Liebesglück und dessen Ende auch fette und magere Jahre gehören, dass alles ständig pulsiert und Sicherheit eine reine Illusion ist. Wer einen Job hat, weiss, dass er oder sie für die nächsten drei Monate an einem fixen Tag einen fixen Betrag bekommt. Was danach kommt, ist aber auch Angestellten nicht bekannt. Die Corona-Krise hat eindrücklich gezeigt, wie unsicher alles eigentlich ist und dass es keine Garantie für Beständigkeit gibt.
Ich bin nicht Schriftsteller geworden, weil ich dazu geboren wurde. Ich hätte auch andere Dinge machen können. Ich wäre vermutlich kein schlechter Rechtsanwalt geworden. Ich hätte auch, wie ich es nach der Sanitäts-Rekrutenschule ernsthaft beabsichtigte, Rettungssanitäter werden können. Oder, was mich auch lange gereizt hat, zur Polizei gehen. Es hätte mich alles glücklich gemacht und anderen geholfen.
Schriftsteller geworden bin ich, weil mich das schlicht am meisten gedrängt hat, wie ein magischer Rückenwind, immer vorwärts, über alle Hindernisse hinweg, und weil ich immer daran geglaubt habe, dass es funktionieren wird. Wie, wusste ich oft nicht. Aber dass – daran hatte ich keinen Zweifel. So wie ich immer überzeugt war, dass ich eines Tages mit der richtigen Frau zusammensein würde. Wer diese Zuversicht hat, den oder die wird das Leben belohnen.
Ich erzähle das hier vor allem, weil ich allen Mut machen möchte, die eigentlich eine sehr genaue Vorstellung davon haben, was sie aus sich machen möchten, aber von pessimistischen Freundinnen und Freunden, besorgten Eltern und diffusen Ängsten zurückgehalten werden. Es existiert leider die populäre Überzeugung, wir hätten keinen Anspruch auf Glück, Leiden sei ein fester Bestandteil des Lebens, wir müssten uns mit wenig zufriedengeben und es sei die reine Eitelkeit sich etwas zuzutrauen.
Wahr ist das Gegenteil: Jede und jeder darf glücklich sein, niemand ist zum Leiden verdammt, man darf und soll nach den Sternen greifen, und es ist nur gesund, sich seiner Fähigkeiten bewusst zu sein.
Was ist Deine Stärke? Was wolltest Du schon immer machen, hast es Dir aber bisher nicht zugetraut? Mit welchen Sätzen haben andere versucht, Dir Deine Träume auszureden? Oder wie hast Du es geschafft, sie wahrwerden zu lassen? Teile es in den Kommentaren!
Der Schriftsteller Thomas Meyer wurde 1974 in Zürich geboren. Er arbeitete als Werbetexter, bis 2012 sein erster Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» erschien. Er ist Vater eines Sohnes und hat dadurch immer eine prima Ausrede, um Lego zu kaufen. Mehr von ihm: www.thomasmeyer.ch.