Hintergrund
Meta unter Druck – Teil 1: Wie Facebook uncool geworden ist
von Samuel Buchmann
Die Übernahme von Instagram war einer von Mark Zuckerbergs grössten Coups. Doch zehn Jahre später befindet sich die einst trendige Plattform auf dem absteigenden Ast. Die alte Geschäftsstrategie «kaufen oder kopieren» scheint gegen die neue Konkurrenz kaum mehr zu wirken. Teil zwei einer Serie über die Probleme des Tech-Giganten.
Kylie Jenner (im Titelbild) hat 368 Millionen Follower auf Instagram – mehr als jede andere Frau. Ihre Meinung hat Gewicht. Im Juli repostete Kylie folgenden Satz: «Macht Instagram wieder zu Instagram.» Damit stimmte sie in einen Chor von Usern ein, die gegen die Richtung protestieren, in welche sich die Plattform entwickelt. Instagram wurde 2012 von Meta gekauft. Die Übernahme ist eine der erfolgreichsten der Tech-Geschichte – und gleichzeitig ein warnendes Beispiel. Sie zeigt, wie Mark Zuckerberg mit Konkurrenz umgeht und wie schnelllebig das Geschäft mit Likes sein kann.
Das einstige Kronjuwel in Metas Social-Media-Portfolio ist dabei, die Leute zu vergraulen, die Instagram gross gemacht haben – Influencer. Im zweiten Teil meiner Serie zu Metas Problemen: Wie Instagram seine Wurzeln ausreisst. Falls du die erste Folge verpasst hast, findest du sie hier:
Als Facebook Instagram vor zehn Jahren übernahm, wurde Mark Zuckerberg ausgelacht oder für verrückt erklärt. Eine Milliarde Dollar zahlte er für ein Unternehmen mit 13 Mitarbeitenden, das keinen Gewinn machte. Auch gemessen an der User-Zahl von 30 Millionen war die Summe absurd hoch. Doch Zuckerberg stand unter Druck: Facebook hatte den Umstieg auf mobile Geräte verschlafen – und Instagram war ausschliesslich für Smartphones konzipiert. Die App drohte, früher oder später zur Konkurrenz zu werden.
Drei Tage verhandelte Zuckerberg in seiner Villa in Palo Alto mit Instagram-Gründer Kevin Systrom. Gemäss Berichten halbierte er den Preis von zwei auf eine Milliarde Dollar. Der Verwaltungsrat von Facebook wurde nicht gefragt – nur informiert. Das ist möglich, weil Zuckerberg bis heute die Mehrheit des Stimmrechts hält. Er ist somit unantastbar und kann eigenmächtig den Kurs seines Riesenkonzerns bestimmen.
Am Ende stand der Deal. Abgesehen vom Preis hatte Systrom etwas weiteres ausgehandelt: Ein Versprechen von Zuckerberg, dass das Instagram-Team weiterhin autonom arbeiten darf. Das hatte gute Gründe. Die Kulturen der beiden Unternehmen hätten unterschiedlicher nicht sein können. Während Facebook das berühmte Motto «move fast and break things» lebte, war Instagram genau aufs Gegenteil bedacht. Nichts durfte die Einfachheit und ästhetische Klarheit der App antasten. Jede noch so kleine Änderung wurde als schwerwiegende Entscheidung angesehen.
Die Übernahme war ein Erfolg. Facebook schaufelte finanzielle und personelle Ressourcen zu Instagram, während dessen Userzahlen explodierten. Das verdankte die App unter anderem dem Aufstieg einer spezifischen Usergruppe: den Influencern. Zunächst waren das klassische Celebrities, welche die Plattform nutzten, um für ihre Fans nahbarer zu wirken – Snoop Dogg, Justin Bieber, Selena Gomez. Doch bald gingen Leute den umgekehrten Weg: Bis anhin unbekannte Menschen wurden plötzlich durch Instagram berühmt und erreichten mit ihren Accounts Millionen von Followern.
Auch abseits der Stars entwickelte sich Instagram zum popkulturellen Phänomen. Zu jedem Thema gab es einen Hashtag. Um jede Nische formten sich Communities. Diese Entwicklung habe auch ich aus nächster Nähe miterlebt. Alle meine Freunde waren auf der Plattform. Machte ich beim Reisen eine Bekanntschaft, wurden keine Handynummern mehr getauscht, sondern Instagram-Handles. In der Berufswelt war es nicht anders: Fotografinnen und Fotografen brauchten nicht mehr zwingend eine Website – ein gut kuratiertes Instagram-Profil mit möglichst vielen Followern reichte.
Mit der Aufmerksamkeit kam auch das Geld. Influencer wurde zum Beruf, denn mit gesponserten Posts und Produktplatzierungen liess und lässt sich viel Geld verdienen. Umgekehrt ist es für Unternehmen ein vergleichsweise günstiger und effizienter Weg, um spezifische Zielgruppen zu erreichen. Auch Instagram selber verdiente immer mehr Geld, da die Plattform das bereits bestehende Werbesystem von Facebook anzapfen konnte. Doch diese Professionalisierung sollte bald zu ihrem grössten Problem werden.
In den Anfängen von Instagram war die Schwelle zu posten tief. Alles, was es brauchte, waren einzelne Bilder. Keine Bildstrecken, keine langen Texte. Mit den eingebauten Filtern sah alles hip und speziell aus. Über die Jahre veränderte sich das und 2016 sah die Welt anders aus: Der Feed war mittlerweile voll mit professionellem Content. Perfekt gestylte Menschen in perfekten Landschaften im perfekten Licht. Die Messlatte stieg immer weiter und normale User trauten sich immer weniger, überhaupt etwas zu posten. Das war ein Problem, denn weniger Posts bedeutete weniger Zeit in der App. Weniger Zeit bedeutete weniger Werbeeinnahmen.
Eine andere App hatte dieses Problem nicht: Auf Snapchat verschwanden die geposteten Bilder nach 24 Stunden wieder, das nannte sich «Stories». Ein Like-Zähler als öffentliches Beliebtheitsbarometer? Ebenfalls Fehlanzeige. Besonders die wichtige Usergruppe der Teenager liebte Snapchat und wandte Instagram immer mehr den Rücken zu. Also tat Instagram, das praktisch noch immer so aussah wie am Anfang, etwas Uncharakteristisches: Es änderte etwas. Genauer gesagt kopierte es Snapchats Idee und nannte das Feature sogar gleich: Stories. In nur acht Monaten überholte die Zahl an täglich aktiven Usern von Instagram Stories jene von Snapchat.
Diese Episode mit dem kopierten Feature brachte Facebook einen zweifelhaften Titel ein: «Die chinesischste Firma im Silicon Valley» – in Anspielung auf den schmerzfreien Umgang, den China mit Patenten pflegt. Tatsächlich ist es bis heute eine der Kernstrategien, wie Mark Zuckerberg mit Konkurrenz umgeht – kaufen oder kopieren. Die Firma Snap und ihre App gibt es zwar heute noch, doch sie kämpft mit sinkenden Einnahmen. Vergangenes Jahr ist ihr Aktienkurs um über 80 Prozent gefallen, vergangene Woche kündigte das Unternehmen einen massiven Stellenabbau von 20 Prozent an.
Instagram hat heute fast 1,5 Milliarden User. Die Gründer Kevin Systrom und Mike Krieger verliessen das Unternehmen 2018. Zuckerbergs Autonomie-Versprechen war längst aufgeweicht, spätestens seit Instagram sein eigenes Baby, Facebook, zu kannibalisieren droht. Zuckerberg schleuste immer mehr eigene Führungskräfte ein und sammelt Userdaten für seine Werbemaschinerie. Auch die Algorithmen veränderten sich über die Jahre stark. Analog zu Facebook entwickelte sich der Feed von einer simplen Chronologie zu einem Mix aus besonders beliebten Posts von Freunden, Werbung und vorgeschlagenen Beiträgen von nicht abonnierten Accounts.
Zurück in der Gegenwart und bei Kylie Jenners viralem Repost. «Make Instagram Instagram again.» Sie ist nicht die Einzige, die sich das originale Instagram zurückwünscht, mit dem sie erfolgreich geworden ist. Fotograf und Youtuber Peter McKinnon titelte vor zwei Wochen ein Video «the end of instagram». Er spricht damit vielen anderen Fotografinnen und Fotografen aus der Seele, die genug haben von den neuen Algorithmen und Features. «Diese Plattform, die einst von Communities angetrieben wurde, die gefüllt war mit Leuten, die dich interessierten, Leuten, die deine Freunde waren, Dingen, die du dir ausgewählt hast, ist jetzt nichts mehr davon», so McKinnon. Er sei sich nicht sicher, ob die Programmierer selber überhaupt noch wissen, was sie tun. Algorithmen werden geändert, dann werden die Änderungen wieder zurückgenommen, dann wieder geändert.
Instagram ist auch in Sachen Unternehmenskultur endgültig von Meta absorbiert worden – «move fast and break things.» Aus der Schwerpunkt-Verlagerung von Foto zu Video macht der neue CEO Adam Mosseri keinen Hehl. Schon vor einem Jahr sagte er klipp und klar: «Wir sind keine Foto-Sharing-App mehr.» Umfragen hätten gezeigt, dass User hauptsächlich unterhalten werden wollen. Um in dieser Hinsicht mit Konkurrenten wie YouTube mitzuhalten, müsse Instagram sich verändern. In die gleiche Kerbe schlug er bei seiner Antwort an Kylie Jenners Post: «Ich glaube, immer mehr von Instagram wird in Zukunft Video sein.»
Das Resultat: Posts im normalen Feed sind seltener geworden – das sehe ich auch bei mir persönlich. Mein letzter Post ist fast ein halbes Jahr her, ich nutze die Plattform höchstens noch als persönliches Reisetagebuch. Fast automatisch öffne ich die App zwar noch regelmässig, scrolle aber nicht mehr, sondern schaue mir höchstens die Stories von Bekannten an. Sollte mein Finger doch mal nach unten rutschen, sind höchstens die Hälfte der Beiträge noch solche, die ich sehen will.
Instagram ist eine andere App als früher. Sie ist nicht mehr auf Fotos fokussiert. Trotzdem ist sie in meiner Generation noch immer beliebt. Wenn Facebook zu Boomercity geworden ist, entwickelt sich Instagram zu Millenialtown – noch nicht uncool, aber auch nicht mehr der letzte Schrei. Die Social-Media-Avantgarde in Form von Teenagern wandert zu einer anderen App ab. Mit ihr und ihren Auswirkungen auf Meta beschäftige ich mich in der nächsten Folge. Sie kommt nicht aus dem Silicon Valley, sondern aus China: TikTok.
Mein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.