Menstruation und Sport: Wie du mit zyklusorientiertem Training deine Leistung erhöhst
Nicht nur im Spitzensport macht’s Sinn, das Training nach der Periode zu richten. Mit einem zyklusorientierten Workout holst du mehr aus dir heraus. Wie es funktioniert, erklärt die Expertin.
Eigentlich paradox. Da feilst du ständig an Bewegungen und Ausführungen, um im Training das Maximum aus dir herauszuholen. Drehst an jedem Schräubchen, um auch nur ein bisschen schneller und stärker zu werden. Leistest dir das beste Equipment. Und ignorierst dabei ein ganz essentielles Puzzlestück: deinen weiblichen Zyklus.
Dass die Menstruation auf Stimmung und Leistungsfähigkeit schlägt, ist zwar längst bekannt. Aber nur wenige Frauen lassen diesen Fakt auch in ihr Workout miteinfliessen.
Profiathletinnen enttabuisieren das Zyklus-Thema
Spitzensportlerinnen beginnen allmählich, ihr Training auf den Zyklus abzustimmen. Skifahrerin Michelle Gisin etwa weiss inzwischen ganz genau, wie sie mit hormonell bedingten Tiefs umgehen muss. «Rund um meine Menstruation brauche ich viel Schlaf. Kurz vor dem Eisprung habe ich Magen-Darm-Probleme. In der letzten Zykluswoche lottert meine Hüfte. Und wenn ich mich überfordere, legen mich meine Bauchkrämpfe flach», sagte sie kürzlich in der «NZZ am Sonntag».
Dass Profiathletinnen öffentlich über das Thema sprechen, sei wichtig für das allgemeine Bewusstsein und einen unverkrampften Umgang auch im Breitensport, davon ist Pascale Widmer überzeugt. Als Zyklus- und Ernährungsberaterin wird sie vermehrt nach zyklusspezifischem Training gefragt und hält neben ihrer Coachingtätigkeit inzwischen auch regelmässig Referate zum Thema. Sie stellt fest: «Viele Frauen wissen gar nicht, wo sie gerade in ihrem Zyklus stehen und können drum auch nicht interpretieren, warum sie ihr Fitnesstraining gerade so beansprucht. Oder warum sie plötzlich viel mehr herausholen als noch vor wenigen Tagen.» Dabei sei der Menstruationszyklus ein tolles Instrument, um zu erfahren, wie es dem Körper gerade geht. Und entsprechend gezielter zu trainieren.
Die Jahreszeiten in deinem Körper
Pascale Widmer rät, ein Zyklusjournal zu führen, um Muster herauslesen zu können. Denn vereinfacht gesagt durchläuft dein Körper im Vierwochentakt verschiedene Jahreszeiten. Anhand dieses Schemas kannst du dann einen individuellen Monatsplan erstellen. Nachfolgend gibt sie Workout- und Food-Tipps für die einzelnen Phasen.
1. Phase: Menstruationsphase – oder der innere Winter
Der Zyklus startet mit dem ersten Tag der Menstruationsblutung. Der Körper stösst die Gebärmutterschleimhaut mit rund 80 Milliliter Blut ab. Dabei können die Kontraktionen der Gebärmuttermuskulatur Unterleibsschmerzen auslösen. Dein Hormonspiegel ist tief, deine Stimmung ebenfalls: Du fühlst dich schlapp und wenig leistungsfähig. Die Phase dauert etwa vier bis sieben Tage.
Wie trainieren?
Sport ist okay, am besten verzichtest du aber auf zu intensive Einheiten. Hartes Krafttraining oder HIIT (High Intensity Interval Training) «kann der Körper gar nicht verwerten», sagt Pascale Widmer. Die Expertin empfiehlt stattdessen Yoga, lockeres Ausdauertraining, Stretching oder Spaziergänge. Zusammengefasst: «Das, was sich gut anfühlt.»
Wie ernähren?
Nährstoffreich, denn das Menstruationsblut scheidet auch viele Nährstoffe aus. Eisenhaltige Lebensmittel sind jetzt wichtig, zum Beispiel Fleisch oder Kerne, Nüsse und Gemüse wie Spinat oder Brokkoli. Auch gesunde Fette, Omega-3-Fettsäuren, die in Nüssen, Samen oder Pflanzenölen stecken, sind ideal. Magnesium hilft gegen die Bauchkrämpfe. Wenn du also Lust auf Schoggi hast, wähle eine mit hohem Kakaogehalt.
2. Phase: Follikelphase – oder der innere Frühling
Der Körper bereitet den nächsten Eisprung vor. Die Gebärmutterschleimhaut baut sich neu auf, das follikelstimulierende Hormon FSH wird produziert und fördert die Produktion von Östrogen im Eierstock. Zusammen mit dem Testosteron bekommst du eine Powerkombination für deinen Körper: Du fühlst dich voller Energie und Tatendrang. Die Phase dauert etwa fünf bis acht Tage.
Wie trainieren?
«Jetzt zahlt sich intensives Training wie Kraftsport und HIIT aus, denn die Muskulatur reagiert stärker auf Trainingsreize», sagt Pascale Widmer. Du kannst also gut drei- oder viermal in der Woche Vollgas geben, dein Immunsystem ist top, dein Stoffwechsel erhöht und der Östrogenspiegel schützt dich vor Verletzungen. Das Leistungshoch endet kurz nach dem Eisprung.
Wie essen?
Ballaststoffreich mit Vollkornprodukten, Schalenfrüchten und Gemüse. Wegen des intensiven Sports brauchst du zudem ausreichend Kohlenhydrate und Protein. «Ausserdem helfen Bitterstoffe, die Leber zu unterstützen», so die Zyklus- und Ernährungsberaterin. Zum Beispiel Rucola, Kräuter und Brokkoli.
3. Phase: Ovaluation – oder der innere Sommer
In der Eisprungphase steigt die Konzentration des luteinisierenden Hormons (LH) und des Östrogens im Blut weiter an, bis der Follikel platzt und die reife Eizelle aus dem Eierstock gestossen wird. Du fühlst dich euphorisch, extrovertiert und kontaktfreudig. Die Phase dauert drei bis fünf Tage.
Wie trainieren?
«Nach Gefühl», rät Pascale Widmer. «Kurz vor dem Eisprung erlebst du deine maximale Kraft. Es ist aber wichtig, den Moment zu erwischen und ihn entsprechend zu nutzen.» Verpasst du ihn, kann es rasch zu Verletzungen kommen: Weil sich der Körper auf eine vermeintliche Schwangerschaft vorbereitet, sind die Sehnen und Bänder besonders weich, das Verletzungsrisiko deshalb gross. Reaktionsfähigkeitstraining ist jetzt zu riskant. Höre auf deinen Körper: «Sobald du merkst, dass deine Energie nachlässt, solltest du die Trainingsintensität senken.»
Wie essen?
Ballaststoffreich und ähnlich wie im «Frühling» beziehungsweise in der Follikelphase. «Oft haben wir jetzt weniger Appetit und müssen acht geben, genug zu essen», sagt Pascale Widmer.
4. Phase: Lutealphase – oder der innere Herbst
Nach dem Eisprung produziert die leere Follikelhülle, der sogenannte Gelbkörper, das Hormon Progesteron, um die Gebärmutterschleimhaut weiter aufzubauen und auf eine potenzielle Einnistung der Eizelle vorzubereiten. Du spürst das prämenstruelle Syndrom (PMS), hast womöglich ein Spannungsgefühl in den Brüsten, einen Blähbauch und bist gereizt. Dein Energielevel wechselt jetzt täglich. Kurz vor der Menstruation erlebst du ein Tief, da dein Körper die Energie für die Vorbereitung der Blutung benötigt. Die Phase dauert etwa 12 bis 16 Tage.
Wie trainieren?
Weniger und leichter. Du schwitzt später, dein Körper braucht länger, bis er auf Touren ist, deine Koordination verschlechtert sich. «Hier empfehle ich Ausdauersport, krafterhaltendes Training und viel Regeneration», sagt Pascale Widmer. Muskelaufbau sei dagegen gar nicht möglich in dieser Phase. Das Verletzungsrisiko ist aufgrund der weichen Bänder und Sehnen gross. «Auch weil wir unsere Muskelgruppen weniger gezielt ansteuern können.»
Wie ernähren?
Wegen des erhöhten Kalorienverbrauchs benötigst du nun mehr Energie. Also komplexe Kohlenhydrate wie Vollkornpasta, Reis oder Kartoffeln, um den Blutzuckerspiegel konstant zu halten. Weil Östrogen als Immunbooster wegfällt, brauchst du auch vermehrt Vitamin C und Zink. Gegen die Stimmungsschwankungen hilft L-Arginin in Form von Nüssen, Kernen, Fleisch und Eiern oder als Supplementierung.
Phase | Dauer | Training |
---|---|---|
Menstruation | 4 bis 7 Tage | Lockeres Ausdauertraining, Yoga, Stretching |
Follikel | 5 bis 8 Tage | Intensives Krafttraining, HIIT |
Ovulation | 3 bis 5 Tage | Erst intensiv, dann Intensität dem sinkendem Energielevel anpassen |
Luteal | 12 bis 16 Tage | Niedrigere Intensität beim Krafttraining, lockere Regenerationsläufe |
Tricks, um stressfreier durch die Mens zu kommen
Trainieren und essen nach Schema und Tabelle – im Spitzensport mag das funktionieren. Hobbyathletinnen schreckt das aber erst einmal ab. Insbesondere bei Müttern dürften die Alarmglocken läuten: Wie um Himmels Willen soll das im Alltag funktionieren, wo Familientermine die Trainingszeiten vorgeben und die Vorlieben der Kinder den Menüplan bestimmen? «Eine Übungssache», sagt Zyklusexpertin Pascale Widmer, selbst Mutter von zwei Kleinkindern. «Irgendwann entwickelt sich eine Routine.»
Sie wisse inzwischen automatisch, an welchem Zyklustag sie sich gerade befinde und könne entsprechend reagieren. Was nicht heisse, dass sie es tagtäglich schaffe, zyklusorientiert zu leben: «Ich falle auch immer wieder auf mich selbst herein.»
Mittlerweile hat sie helfende Alltagstricks entwickelt. Um nährstoffreich durch die Menstruation zu kommen, kocht sie sich zum Beispiel ein paar Tage davor schon Menüs, die sie dann einfriert. Eintöpfe seien dafür sehr geeignet, sagt Pascale Widmer.
«Am Ende hat die ganze Familie mehr davon»
Sie habe lernen müssen, ihre Ansprüche in dieser Zeit herunterzufahren.» Auch in Bezug auf ihre Familie. Ausgewogene, fantasievolle Kindergerichte gibt’s in der Menstruationsphase halt nicht. Genauso wenig wie grosse Ausflüge oder anstrengende Workouts. Das wissen ihre Familienmitglieder – und sie wissen, dass später, in der zweiten oder dritten Phase, alles nachgeholt werden kann. «Am Ende haben alle mehr davon.»
Skirennfahrerin Michelle Gisin ist ebenfalls überzeugt: «Den Hormonzyklus zu ignorieren, ist langfristig viel unangenehmer, als darüber zu sprechen», wie sie in der «NZZ am Sonntag» sagte. Heute nutzt sie ihre Hormonschwankungen und verwertet die positiven Phasen ganz gezielt. «Nach der Menstruation bin ich Superwoman. Ich kann das Hormonhoch ausnutzen und zwei Wochen lang Gewichte drücken.» Seit sie dem Zyklus angepasst trainiere, sei ihr Krafttraining noch effizienter geworden.
Anna- und Elsa-Mami, Apéro-Expertin, Gruppenfitness-Enthusiastin, Möchtegern-Ballerina und Gossip-Liebhaberin. Oft Hochleistungs-Multitaskerin und Alleshaben-Wollerin, manchmal Schoggi-Chefin und Sofa-Heldin.