Liebe Hersteller, räumt bitte euer Sortiment auf
Meinung

Liebe Hersteller, räumt bitte euer Sortiment auf

Viele Marken haben eine riesige Palette von ähnlichen Produkten. Die Hersteller glauben, damit können sie es allen recht machen und mehr verkaufen. Mich nervt das. Weniger wäre oft mehr.

Fiktives Verkaufsgespräch in einer Digitec-Filiale:

Kunde: Grüezi, ich möchte eine DJI-Drohne kaufen.
Verkäuferin: Gerne. Ich habe Inspire 2, Phantom 4 RTK, Phantom 4 Pro V2.0, FPV, Avata, Mavic 3, Mavic 3 Classic, Air 2S, Mini 2, Mini 2SE, Mini 3, Mini 3 Pro.
Kunde: Welche würden sie mir empfehlen?
Verkäuferin: Das kann ich so nicht sagen. Es kommt drauf an.
Kunde: Worauf?
Verkäuferin: Wie gross darf sie sein? Was ist Ihr Budget? Brauchen Sie ein Teleobjektiv? Welche Sensorgrösse hätten Sie gerne? Brauchen Sie Kollisionssensoren? Wenn ja: Nur nach vorne, oder auch nach oben? Wollen Sie mit FPV-Brille fliegen? Brauchen Sie 5,1K-Auflösung oder reicht 4K oder 2,7K? Möchten Sie ein Log-Farbprofil?
Kunde: Adieu.

Da blickt kein Schwein mehr durch

Wer heute ein technisches Gerät kaufen will, hat es nicht leicht. Für alles gibt es unzählige Optionen. Nicht einmal Profis behalten da den Überblick. Neulich präsentierten mir Vertreter einer bekannten Marke ein neues Produkt. Es hörte sich ganz gut an. Doch dann fiel mir auf: Das neue Gerät war nichts anderes als zusammengewürfelte Komponenten von bestehenden Modellen. Es ersetzte nicht eines davon, sondern sollte das Sortiment des Herstellers noch stärker diversifizieren.

Ich hatte deshalb Fragen. Für welche Ausgangslage ist denn nun welches Modell am besten? Braucht es die alten wirklich noch? Ist der Preis des Neuzugangs angemessen? Passt der Name ins Konzept? Klare Antworten konnten mir die Vertreter nicht geben, selbst ihnen war die Ratlosigkeit anzusehen.

Bitte, liebe Hersteller, hört auf damit.

Um das Problem zu illustrieren, wähle ich willkürlich zwei Beispiele aus: Drohnen von DJI und Kameras von Sony. Ich könnte auch andere Marken oder Produktkategorien nehmen. Kopfhörer, Prozessoren, Laptops, Bildschirme – die Liste liesse sich beliebig erweitern. Schon vor zwei Jahren regte sich Kollege Jan Johannsen über wuchernde Smartphone-Lineups auf.

Neuheit um der Neuheit Willen

Ich habe den Eindruck, dass es immer schlimmer wird. Gefühlt jeden Monat bekomme ich eine E-Mail zu einer neuen DJI-Drohne. Die meisten davon sind minimale Variationen von Geräten, die schon länger auf dem Markt sind: Mini 3 als Billigversion der Mini 3 Pro, Mini SE 2 als Billigversion der Mini 2, Mavic Classic als Billigversion der Mavic 3. Die letzte echte Neuheit war die DJI Avata im August 2022. Von jeder Drohne gibt es dann noch ungefähr fünf Kit-Varianten mit verschiedenem Zubehör oder anderen Controllern.

Vier von aktuell zwölf DJI-Drohnen – Enterprise-Geräte nicht inbegriffen.
Vier von aktuell zwölf DJI-Drohnen – Enterprise-Geräte nicht inbegriffen.
Quelle: Samuel Buchmann

Wer soll da noch den Überblick behalten? Auf der Digitec-Redaktion versuchen wir der Situation mit Vergleichstests und Übersichtsartikeln Herr zu werden. Aber es kann nicht sein, dass du als Kundin oder Kunde überhaupt sowas lesen musst. DJI schiebt damit eine Verantwortung auf dich ab, die früher bei den Herstellern lag: Entscheiden, was eine gute Drohne ausmacht. Welche Kameras machen Sinn? Welche Kollisionssensoren sollte das Fluggerät haben? Welche Video-Codecs sind die besten? Das sind nur drei von unzähligen Fragen, die du heutzutage selber beantworten musst.

Wenn ich in 100-Franken-Schritten abwägen muss, welche DJI Mini denn jetzt das optimale Preis-Leistungs-Verhältnis für mich bietet, platzt mir der Kragen.

Man könnte das auch als Freiheit ansehen. Nicht für jede Anwendung braucht es die gleichen Features. Eine gewisse Auswahl finde ich nicht verkehrt – es gibt Prioritäten, die ich gerne selber setze. Zum Beispiel, wie gross meine Drohne sein soll. In einer Mavic ist Platz für eine bessere Kamera als in einer Mini. Dafür muss ich mehr schleppen. Ich bevorzuge unter dem Strich das kleine Modell, du vielleicht das grosse. Doch wenn ich in 100-Franken-Schritten abwägen muss, welche Mini denn jetzt das optimale Preis-Leistungs-Verhältnis für mich bietet, platzt mir der Kragen.

Vielmehr sehe ich die «Freiheit» der schier unendlichen Auswahl als Deckmantel für geschicktes Marketing. Zu jedem neuen Modell erscheinen Videos auf YouTube-Kanälen und Tests auf Webseiten wie dieser hier. Es ist ein Kampf um ständige Medienpräsenz aus der Angst in Vergessenheit zu geraten. Neuheit um der Neuheit Willen.

FOMO

Sonys Kadenz von neuen Kameras ist zum Glück nicht ganz so hoch wie die von DJI-Drohnen. Dafür leidet der japanische Konzern an einem anderen Syndrom: Der Angst, etwas zu verpassen – auf Englisch «Fear of Missing Out» oder kurz «FOMO». Das Unternehmen scheint nichts mehr zu fürchten, als nicht jede noch so kleine Bedürfnis-Nische abzudecken.

Die neue Sony ZV-E1 ist eine gute Kamera. Aber wozu braucht es jetzt die anderen noch?
Die neue Sony ZV-E1 ist eine gute Kamera. Aber wozu braucht es jetzt die anderen noch?
Quelle: David Lee

Diese Angst manifestiert sich in einem Sortiment, in dem sich Modelle stark überschneiden. Ein brandaktuelles Beispiel ist die neue ZV-E1. Sie hat den gleichen Sensor wie die FX3 – und schon die hatte denselben wie die A7S III. Welche Kamera also wofür nehmen? Geht es nach Sony, ist die ZV-E1 für aufsteigende Vlogger, die FX3 eher für professionelle Filmemacher. Die Schnittmenge ist riesig. Und für wen die A7S III noch sein soll, weiss niemand so genau.

Damit nicht genug. Als angehender Video-Kameramann hätte ich noch viel mehr Auswahl: Die FX30 ist eine FX3 mit kleinerem Sensor. Die A7 IV filmt ein wenig schlechter, kann dafür auch gut fotografieren. Oder wie wär’s mit einer A7R V? Die könnte 8K. Oder sogar eine A1? Die kann alles, kostet aber so viel wie ein kleiner Gebrauchtwagen. Wohlgemerkt: Ich spreche hier nur von einer einzigen Marke im Kamera-Dschungel. Es ist zum Mäusemelken.

Choice Overload

Keines der Geräte, die ich hier aufliste, ist für sich genommen schlecht. Im Gegenteil: Ich besitze privat eine Sony A1 und mehrere Drohnen von DJI und würde alles wieder kaufen. Doch es dauerte ewig, bis ich eine fundierte Kaufentscheidung treffen konnte – obwohl ich mich professionell mit Kameras und Drohnen befasse. Die Hersteller haben die Grenze zwischen vernünftiger Auswahlmöglichkeit und völliger Überforderung der Kundschaft längst überschritten.

Ich bin gefangen zwischen der Angst, etwas zu Schlechtes zu kaufen und der Angst, etwas zu Teures zu kaufen.

Choice Overload nennt sich dieses Phänomen. Ich recherchiere fast zwanghaft, um ja nichts Falsches zu kaufen. Und selbst mit vollständigem Wissen muss ich unendlich viele Faktoren gegeneinander abwägen – am Ende bin ich gefangen zwischen der Angst, etwas zu Schlechtes zu kaufen und der Angst, etwas zu Teures zu kaufen. Kollege David Lee bringt in diesem Artikel auf den Punkt, wie sich der Prozess einer Kaufentscheidung gewandelt hat:

  • Hintergrund

    Ahnungslos glücklich: Wie ich früher Kaufentscheidungen traf

    von David Lee

Damit ich hier nicht nur aus Kundenperspektive jammere: Liebe Hersteller, Studien wie diese zeigen, dass zu viel Auswahl negative Auswirkungen auf die Kauflust eurer Kundschaft haben kann. Ich kaufe am Ende oft lieber gar nichts, bevor ich das Falsche kaufe. Zwar hat auch eine zu kleine Auswahl einen ähnlichen Effekt, doch dieses Problem dürfte schon längst niemand mehr haben.

Namen wie Passwörter

Die gigantischen Sortimente überfordern auch die Leute, die sich Namen für die Produkte ausdenken müssen. Das führt zu unlogischen, inkonsistenten oder kryptischen Modellbezeichnungen. Bildschirme von Dell haben klingende Namen wie «Alienware AW3423DW», nicht zu verwechseln mit dem «Alienware AW3423DWF». Laptops von HP heissen «EliteBook x360 1040 G9», nicht zu verwechseln mit dem «EliteBook 840 G9» – oder einem der anderen 193 EliteBooks, die momentan in unserem Shop gelistet sind. Will ich da durchblicken, brauche ich einen Doktortitel in HP-Laptop-Namensforschung.

HP EliteBook 840 G9 (14", Intel Core i7-1260P, 16 GB, 1000 GB, CH)
Notebook

HP EliteBook 840 G9

14", Intel Core i7-1260P, 16 GB, 1000 GB, CH

HP EliteBook x360 1040 G9 (14", Intel Core i7, 16 GB, 512 GB, CH)
Notebook

HP EliteBook x360 1040 G9

14", Intel Core i7, 16 GB, 512 GB, CH

HP EliteBook 1040 G9 (14", Intel Core i5-1235U, 16 GB, 512 GB, CH)
Notebook

HP EliteBook 1040 G9

14", Intel Core i5-1235U, 16 GB, 512 GB, CH

Bei DJI sehen die Namen weniger aus wie Passwörter, dafür wechselt das Konzept ständig: Die Nachfolgedrohne der «Mavic 2 Pro» heisst plötzlich nur noch «Mavic 3». Die «Mavic 3 Classic» ist eine Variante davon, wobei ich nicht weiss, was daran klassisch sein soll. Sie gehört nämlich zu DJIs neuesten Modellen. Bei der «FPV» ist der Name Programm, denn es ist eine First-Person-View-Drohne (FPV). Wenn ich aber von «DJIs FPV-Drohne» spreche, könnte ich damit auch die «Avata» meinen – eine anfängerfreundliche FPV-Drohne. Na, verwirrt? Ich auch.

Weniger ist mehr

Liebe Hersteller: Ein unübersichtliches, undurchsichtiges oder kryptisches Sortiment ist eine Plage für eure Kundschaft – und ein Handicap für euer Geschäft. Bitte hört endlich auf damit. Weniger ist mehr! Ich wünsche mir, dass eine Kaufberatung in einem Digitec-Shop in Zukunft wie folgt abläuft:

Kunde: Grüezi, ich möchte eine DJI-Drohne kaufen.
Verkäuferin: Gerne, welche Grösse darf es sein?
Kunde: Mittel, bitte.
Verkäuferin: Einmal DJI Medium, das macht 1000 Franken.
Kunde: Ich zahle mit Karte.
Verkäuferin: Vielen Dank, schönes Tägli!

Titelbild: Samuel Buchmann

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Mein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.


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