Laut niesen oder abklemmen, das ist hier die Frage
Das Niesen mancher Leute ist so laut, dass es an der Grenze zur Lärmbelästigung kratzt. Buchstäblich ohrenbetäubend kann es wiederum für jene werden, die es unterdrücken. Warum Diskretion und Zurückhaltung beim Niesen nichts verloren haben.
Beim Niesen gibt es zwei Extreme, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Im Grossraumbüro eines früheren Arbeitgebers habe ich beide gleichzeitig angetroffen. Der eine Arbeitskollege nieste so laut, dass sich die Leute im oberen Stock jeweils sorgenvoll erkundigten, ob bei uns unten alles in Ordnung sei. Der andere Kollege wiederum unterdrückte seine Nieser konsequent. So hörte man zum einen kaum etwas davon. Andererseits hatte ich jedes Mal die leise Befürchtung, dass dabei sein Kopf platzen könnte.
Tröpfchen auf der Überholspur
Zugegeben, ich habe noch nie etwas von explodierenden Köpfen beim Niesen gehört. Dennoch ist der Vergleich mit einer Explosion nicht völlig von der Hand zu weisen, wenn du bedenkst, welche Kräfte dabei wirken. Beim Niesen werden Fremdkörper, Tröpfchen, Aerosole und Nasenschleim mit einer Geschwindigkeit von rund 160 Kilometern pro Stunde herauskatapultiert. Willst du deine nähere Umgebung nicht kontaminieren, halte dir also immer ein Taschentuch und die Hand vor den Mund ... und wasche sie nachher gründlich. Oder noch besser: Niese in die Armbeuge.
Was beim hemmungslosen und ungebremsten Niesen passiert und vor allem im Hinblick auf die Ansteckungsgefahr passieren kann, hat die Wissenschaftlerin Lydia Bourouiba vom Massachusetts Institute of Technology vor einigen Jahren gründlich erforscht.
Um die Übertragung von Krankheitserregern besser zu verstehen und zu verhindern, haben Bourouiba und ihr Team Probandinnen und Probanden mit Hochgeschwindigkeitskameras beim Niesen gefilmt. In Zeitlupe abgespielt, muten diese Aufnahmen zum Teil an wie Vulkanausbrüche. Aus Mund und Nase werden regelrechte Speichelfäden und -fetzen geschleudert, aus denen sich eine Tröpfchenwolke bildet. «I wünsch en Guete», pflegte die Schweizer Köchin Annemarie Wildeisen im Regionalfernsehen jeweils zu sagen.
Gar nicht erst niesen? Schlechte Idee!
Nun könntest du zum Schluss kommen, dass du am besten gar nicht mehr niest oder es zumindest nicht mehr rauslässt. Das mag für deine Mitmenschen eine Erleichterung sein, für dich selbst birgt es Verletzungsgefahr. Darauf haben Ärztinnen und Ärzte in der Vergangenheit wiederholt hingewiesen.
So veröffentlichte 2018 das Fachmagazin «BMJ Case Reports» den Fall eines 34-jährigen Mannes, der wegen eines Risses in der Rachenmuskulatur mehrere Tage künstlich ernährt und vorsorglich mit Antibiotika behandelt wurde. Zu dem Riss kam es nach Angaben der behandelnden Mediziner, weil sich der Mann beim Niesen die Nase und den Mund zugehalten hatte.
Im selben medizinischen Fachjournal haben Ärzte 2023 über einen Mann berichtet, der mit starken Hals- und Nackenschmerzen im Spital landete. Auch er hatte sich Nase und Mund zugehalten, um während der Autofahrt einen Nieser zu unterbinden. Durch den enormen Druck sei ein zwei Millimeter langer Riss in der Luftröhre entstanden, heisst es im Fallbericht.
In beiden Fällen wird festgehalten, dass solch schwere Verletzungen sehr selten seien. Einig sind sich die Fachleute darüber, dass du beim Unterdrücken des Niesens deine Gesundheit riskierst. Auch wenn du dir dabei nur die Nase zuhältst, entlädt sich in dir ein so immenser Druck, der Verletzungen auslösen kann. Murat Songu und Cemal Cingi vom Izmir Ataturk Research Research and Training Hospital halten das in ihrem Bericht «Sneeze reflex: facts and fiction» fest.
Die Bandbreite möglicher Verletzungen reicht vom Platzen von Blutgefässen in der Nasenschleimhaut oder sogar im Gehirn über einen Riss im Trommelfell bis hin zum potenziell tödlichen Riss in der Wand der Hauptschlagader.
Lass es (geschützt) raus
Ich gehöre wohl eher zu den Lautniesern. Darauf, es zu unterdrücken, bin ich ehrlich gesagt noch nie gekommen. Im Gegensatz zum unsäglichen Jucken in der Nase kurz davor empfinde ich Niesen als ungemein befreiend. Was ja genau der Effekt ist, den der Körper damit bezweckt. Wenn ich niese, dann in die Armbeuge. Genau das solltest du deiner Gesundheit und der Gesundheit anderer zuliebe auch.
Das mit der Armbeuge macht auch unsere fünfjährige Tochter recht gut, mit Ausnahmen. Gerade hat sie mir erkältet und herzhaft ins Gesicht geniest. Ohne ins Detail zu gehen, ich gehe mich jetzt gründlich waschen. Immer noch besser, als mit der Tochter in die Notaufnahme zu müssen, weil sie sich den Nieser verklemmt hat.
Ich bin Vollblut-Papi und -Ehemann, Teilzeit-Nerd und -Hühnerbauer, Katzenbändiger und Tierliebhaber. Ich wüsste gerne alles und weiss doch nichts. Können tue ich noch viel weniger, dafür lerne ich täglich etwas Neues dazu. Was mir liegt, ist der Umgang mit Worten, gesprochen und geschrieben. Und das darf ich hier unter Beweis stellen.