«Kraven the Hunter»-Trailer: Sony versaut den nächsten Marvel-Schurken
Meinung

«Kraven the Hunter»-Trailer: Sony versaut den nächsten Marvel-Schurken

Luca Fontana
21.6.2023

Im ersten «Kraven the Hunter»-Trailer verspricht Filmstudio Sony einen würdig-brutalen Film für den Spider-Man-Schurken. Doch nach genauerem Hinsehen weicht meine Begeisterung purem Entsetzen. Droht Sony, den nächsten Marvel-Schurken zu verhunzen?

«Fuck yes», sagte bereits Hauptdarsteller Aaron Taylor-Johnson, als einem ausgewählten Publikum an der vergangenen CinemaCon erste Bewegtbilder zu «Kraven the Hunter» gezeigt wurden. Denn: Der Spider-Man-Schurken-Origin-Film bekommt ein R-Rating. Das steht für blutige und brutale Bilder wie im Horrorfilm. Entsprechend barbarisch geht’s im ersten offiziellen Red-Band-Trailer zu. Etwa, als Kraven in seiner Rage einem Ganoven die Nase vom Gesicht beisst. Aua.

Ich bin skeptisch. Nicht wegen der Altersfreigabe. Die finde ich sogar gut, weil sie zum Wesen des Charakters passt. Kraven ist nämlich für seine rohe Gewalt bekannt. Aber «Kraven», der Film, weicht so stark von der Comic-Vorlage ab, dass ich befürchten muss, dass Sony die Figur komplett vermasseln wird.

Wer ist Kraven in den Comics?

Kraven ist kein normaler Mensch. Geboren wurde er 1917 als Sergei Kravinoff in Wolgograd, Russland. Seine Lebensschule war die Russische Revolution. Denn das Land drohte unter der Last sozialer, politischer und wirtschaftlicher Ungleichheit zu zerbrechen. Als Folge begannen die Bauern und Arbeiter gegen die elitäre Oberschicht und die Zarenherrschaft aufzubegehren. Die Kravinoffs, eine wohlhabende russische Familie, sahen sich gezwungen, aus Russland zu fliehen – nach Afrika. Dem Ort, an dem sich Sergei schon bald einen Namen als grösster Jäger, der je gelebt hat, machen würde:

Kraven.

In den Comics ist Kraven der Jäger einer der unerbittlichsten Gegner Spider-Mans.
In den Comics ist Kraven der Jäger einer der unerbittlichsten Gegner Spider-Mans.
Quelle: Sony Pictures

Sein Werdegang war kein Zufall: Schon vor der Revolution pflegte Kravens Familie eine lange Tradition von Jägern und Kriegern. Seine Erziehung war entsprechend streng, unbarmherzig und brutal. Bereits in Kindertagen wurde er umfassend in verschiedenen Jagdtechniken und Kampfkünsten unterwiesen. Aber erst, als er durch mystische Rituale und den Verzehr eines speziellen Krauts übermenschliche Kraft und Ausdauer erlangte, wurde er zum gefürchtetsten Jäger seiner Zeit. Und: Die Kräuter verliehen ihm ein unnatürlich langes Leben.

So bereiste Kraven die Welt und baute sich eine beeindruckende Sammlung von exotischen Tieren und Trophäen auf. Vor allem aber brüstete er sich damit, ohne Waffen zu jagen. Denn egal wie gross und gefährlich seine Beute war, er, Kraven der Jäger, würde sie mit blossen Händen erlegen. Aber nach Jahrzehnten der Jagd erkannte er, dass ihm seine herkömmlichen Jagdziele keine Befriedigung mehr verschafften. So kam es, dass er seine Aufmerksamkeit einem neuen, ultimativen Beuteobjekt zuwendete: Spider-Man.

Und jetzt der Film: Weichspülung des Charakters?

In den Comics ist Kraven kein Schurke, mit dem man Mitleid hat. Er ist grausam. Skrupellos. Ganz und gar unmenschlich. Der Mann tötet Tiere aus Freude an der Jagd. Und als ihm das zu langweilig wird, wendet er seine Aufmerksamkeit einem Superhelden zu. Je grösser die Herausforderung, desto besser. Schon krass. Aber was Kraven als Schurken wirklich faszinierend macht, ist seine Methodik. Seine Jagd. Kraven beobachtet seine Beute stets genau, ehe er zum Angriff ausholt. Schätzt ihre Stärken ein. Analysiert ihre Schwächen. Und legt sich dann einen durchtriebenen Plan zurecht, um ihr stets einen Schritt voraus zu sein.

Film-Kraven scheint davon weit entfernt. Zunächst bekommt er eine Weichspülung. Nicht Kraven ist böse, sondern sein kaltherziger Vater, gespielt von Russell Crowe. Und als Kraven im Trailer gefragt wird, warum er jage, rolle ich mit den Augen:

«My father puts evil into the world. I take it out.»

Aha. Also eigentlich tut Kraven der Welt einen Gefallen. Halt nicht auf die feine Art, wie es ein normaler Superheld tun würde. Das macht Kraven dann zu einem… Nunja, wenn nicht Anti-Helden, dann vielleicht Anti-Schurken? Gähn! Nach «Venom», «Morbius» und «Black Adam» wird es Zeit, dass das Superschurken-Genre endlich einen Superschurken-Film bekommt, der das Wort «Superschurke» tatsächlich ernst nimmt. «Kraven the Hunter» scheint nicht dieser Film zu sein.

Was wurde bitteschön aus «Kraven benutzt keine Waffen»!?
Was wurde bitteschön aus «Kraven benutzt keine Waffen»!?
Quelle: Sony Pictures

Tatsächlich gibt Kravens Vater im Trailer einen viel akkurateren Comic-Kraven ab. Nicht nur von Russell Crowes Aussehen und tiefer Stimmlage her. Es ist sein schurkisches, durch und durch verderbtes und gnadenloses Wesen, das mich viel mehr an Kraven aus den Comics erinnert als Aaron Taylor-Johnson mit seinem seidigen Englisch, dem perfekten Gesicht und dem eingeölten Eightpack.

Nope Leute, not my Kraven

Den Vogel schiesst aber die Szene im Trailer ab, in der Kraven zu seinen übermenschlichen Kräften kommt: Beim Versuch, einen Löwen zu erlegen, gelangt das Blut der Wildkatze in eine Wunde Kravens. Und damit in seinen Körper. So. Und jetzt… macht ihn das zum Super-Jäger. Ein Wunder, dass der Löwe nicht radioaktiv war – das machte Spider-Mans Spinne immerhin speziell. Aber Kraven bekommt nicht nur die Stärke des Löwen, sondern kann nun auch eine Art Verbindung mit Tieren herstellen. Diese machen dann an seiner Seite Jagd auf Papis böse Buben. Vermutlich Söldner. Das ist okay, wenn’s nach Hollywood geht. Söldner sind eh der Bodensatz der Menschheit, die nichts Besseres verdienen – noch etwas, das ich schon aus «Morbius» und «Black Adam» kenne.

Am schlimmsten daran ist, dass Tiere plötzlich zu Kravens Verbündeten werden. Verbündeten! Kraven der Jäger, der in den Comics Tiere als Sport und für Ruhm und Ehre mordet, verbündet sich im Film mit ihnen! Warum, Sony, darf ein Schurke nicht einfach mal Schurke sein? Warum das ständige Verwässern? Vor allem hier, in einem R-Rated-Film, der sich sowieso an ein erwachsenes Publikum richtet und keine Rücksicht auf junge, verstörte Kinogängerinnen und -gänger nehmen muss! Ich fürchte, Sony hat sich letzten Endes umsonst seiner restriktiven Fesseln gelöst.

Dabei müsste Sony gar nicht weit schauen, um zu sehen, wie man Kraven richtig hinkriegt. Nämlich ins eigene Spiele-Entwicklerstudio Insomniac Games. Dort wird Kraven the Hunter in «Spider-Man 2» sein grosses Debüt für die Playstation 5 feiern. Schaut euch diesen Trailer an und sagt mir, dass das nicht hundertmal besser – und akkurater – ist.

Titelfoto: «Kraven the Hunter», Sony Pictures

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 


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