Keine Kinder der Umwelt zuliebe
Hintergrund

Keine Kinder der Umwelt zuliebe

Martin Rupf
1.9.2022

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, seinen ökologischen Fussabdruck zu minimieren. Wohl eine der radikalsten ist es, auf eigenen Nachwuchs zu verzichten. So wie Marc Fehr (35), der sich vor zwei Jahren unterbinden liess. Damit nicht genug schrieb er darüber einen grossen Meinungsbeitrag. Ich wollte von ihm wissen, ob er es nie bereut hat – sowohl die Vasektomie als auch den Zeitungsbericht.

Im Jahr 2019 rief die britische Musikerin Blythe Pepino die Birthstrike-Bewegung ins Leben. Die Bewegung, die der Umwelt zuliebe auf Nachwuchs verzichtet, findet auch hierzulande immer mehr junge Menschen, die so denken und handeln wie Pepino.

Die Musikerin stützt sich dabei auf Studien wie die der schwedischen Universität Lund aus dem Jahre 2017. Forschende gingen der Frage auf den Grund, was der effizienteste Weg ist, seinen persönlichen CO2-Ausstoss zu reduzieren. Das Ergebnis: Eine pflanzliche Ernährung spart etwa 0,8 Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr, jeder vermiedene Atlantikflug 1,6 Tonnen und ein Jahr ohne Auto gar 2,4 Tonnen. Aber den weitaus grössten Einfluss habe der Verzicht auf ein eigenes Kind. Pro Kind weniger würden 58,6 Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr eingespart, so die Studie.

Soll man deswegen gleich auf eigene Kinder verzichten? Journalist und Web-Entwickler Marc Fehr findet «Ja» und hat vor zwei Jahren seine Beweggründe in einem grossen Meinungsbeitrag im Tagesanzeiger kundgetan. Die Reaktionen liessen damals nicht auf sich warten. Knapp 400 – vorwiegend kritische – Kommentare waren das Resultat.

Zum Gespräch mit dem 35-Jährigen habe ich mich zum Video-Call verabredet. Marc Fehr lebt seit 2017 in Muizenberg, 30 Kilometer südlich von Kapstadt. Er arbeitet als Web-Entwickler beim Non-profit-Newsroom The New Humanitarian. Während bei uns in der Schweiz knapp 30 Grad herrschen, sitzt Marc in seinem kühlen Wohnzimmer. Bei zehn Grad giesst es am Kap in Strömen.

Marc, vor zwei Jahren hast du dich unterbinden lassen. Hast Du es seither schon mal bereut?
Marc Fehr: Nein, gar nicht. Ich war und bin überzeugt, dass dies für mich die richtige Entscheidung ist. Interessanterweise kam ich aber vor dem Eingriff nochmals kurz ins Wanken.

Weshalb?
Meine Lebenspartnerin erfuhr leider, dass sie wegen eines zwar gutartigen Tumors zwar ihre Gebärmutter entfernen lassen musste. Also streng genommen hätte ich mich für ein kinderloses Dasein mit ihr nicht mehr unterbinden lassen müssen. Doch gerade weil ich so fest davon überzeugt bin, dass ich keine eigenen Kinder will – egal mit welcher Frau –, habe ich mich dann trotzdem zu diesem Schritt entschieden.

Du hast deine Vasektomie in einem aufsehenerregenden Artikel damit begründet, deinen ökologischen Fussabdruck nicht noch grösser werden lassen zu wollen. Warst du vom grossen Echo, das du mit deinem Artikel ausgelöst hast, überrascht?
Ich war mir schon bewusst, dass mein Meinungsbeitrag für Gesprächsstoff sorgen wird. Denn, dass es Menschen wie mich gibt, die einfach keine Kinder haben wollen, ist leider immer noch ein Tabuthema. Immer noch weit verbreitet ist die Meinung, dass man als Paar ein Kind bekommt. Über die Heftigkeit der Rückmeldungen und Kommentare war ich dann aber schon ein bisschen überrascht.

Was waren das so für Rückmeldungen?
Also eigentlich dürfte ich gar nicht mehr leben und wäre schon 1000 Mal gestorben (lacht). Von «hör auf zu schnaufen» über «dann müsstest du dich konsequenterweise auch umbringen» bis hin zu «zum Glück machen Leute wie du keine Kinder» war alles dabei.

Wie hast du das weggesteckt?
Natürlich war das heftig. Gleichzeitig war es aber wunderschön, wie sich Menschen – nicht nur in meinem privaten Umfeld – geöffnet haben und begannen, mit mir über das Thema zu diskutieren. Ein eindrückliches Beispiel war jemand aus meiner eigenen Familie, der mit 18 Jahren Vater wurde und mir sagte, er könne mich sehr gut verstehen. Es gab auch viele positive Rückmeldungen mit dem Grundtenor: «Endlich redet mal jemand über dieses Tabuthema.»

Wären deine Eltern auch so radikal eingestellt gewesen, gäbe es dich jetzt nicht.
Das stimmt. Und ja, ich bin sehr dankbar, dass sich meine Eltern für mich und meine zwei Geschwister entschieden haben. Nur: Das geht längst nicht allen Menschen so. Ja, ich glaube, es gibt tatsächlich Eltern, die sich vorher besser hätten überlegen sollen, ob sie wirklich geeignet sind, Kinder zu haben und grosszuziehen. Schon mit 25 Jahren habe ich meiner Mutter gesagt, dass ich keine Kinder in diese Welt setzen möchte, was sie schon damals sehr gut verstehen konnte.

Auch damals schon wegen des Klimas oder ganz einfach, weil du keine Kinder wolltest?
Das instinktive Gefühl, mich fortzupflanzen, kam bei mir einfach nie auf. Ich kann mich nicht daran erinnern, mir je gewünscht zu haben, Vater eines Kindes zu sein. Damals war ich noch sehr jung und lebte mein Leben viel unbeschwerter, das Thema Klimawandel interessierte mich damals nicht allzu sehr. Man muss auch sagen, dass die Thematik in den letzten zehn Jahren weit mehr ins Rampenlicht gerückt ist.

«Marc Fehr (auf dem Bild mit Partnerin): «Ich kann nicht hundertprozentig ausschliessen, dass sich der Kinderwunsch bei mir nicht doch noch meldet.»
«Marc Fehr (auf dem Bild mit Partnerin): «Ich kann nicht hundertprozentig ausschliessen, dass sich der Kinderwunsch bei mir nicht doch noch meldet.»

Als ich deinen Artikel gelesen habe, war mein Eindruck, dass du eine Diskussion anstossen wolltest?
Richtig. Ich fand es fragwürdig, dass Menschen, die keine Kinder wollen, Egoismus vorgeworfen wird. Jeder Mensch hat das Recht, selbst zu entscheiden, ob sie oder er Kinder haben will. Entscheidungen gegen die Fortpflanzung werden in unserer Gesellschaft aber oft nicht akzeptiert.

Und dann hast du quasi zum Gegenangriff geblasen.
Sozusagen. Keine Kinder in diese Welt zu setzen, ist meiner Meinung nach eben nicht egoistisch. Im Gegenteil: Das ist mein Beitrag dazu, meinen eigenen ökologischen Fussabdruck nicht noch grösser werden zu lassen.

Aber jetzt mal Hand aufs Herz. Ist es nicht einfach so, dass du – aus welchen Gründen auch immer – keine Kinder haben willst und jetzt einfach ein Argument gesucht hast, um das gar noch als Opfer an die Allgemeinheit zu verkaufen?
Nun, in meinem Beitrag ging leider tatsächlich etwas unter, dass ich aus verschiedenen, durchaus auch sehr egoistischen Gründen keine eigenen Kinder will. Sei es, weil ich mir diese Verantwortung nicht aufladen will, weil ich meine Freizeit geniessen möchte oder weil ich meiner Partnerin das Verhüten nicht mehr zumuten wollte. Und doch war ein Grund eben auch, dass ich meinen Beitrag zu einer klimafreundlichen Welt leisten wollte.

Indem du keine Kinder machst?
Ja. Denn zeuge ich ein Kind, kann ich nicht voraussagen, wie viele Kindeskinder daraus resultieren. Denn für jedes von mir gezeugte Kind könnte dereinst eine unbekannte Anzahl an Nachkommen heranwachsen. Und deren Emissionen müsste ich rein theoretisch mir selbst zuschreiben. Das liegt in meiner Verantwortung.

Das mit «Verantwortung» tönt ja gut. Nur ist es nicht ein bisschen weit hergeholt, sich die Verantwortung für das Handeln nachkommender Generationen aufzubürden? Umgekehrt gibt man ja auch nicht Grosseltern die Schuld, wenn aus ihrem Enkel ein Massenmörder geworden ist? Wo zieht man da die Grenze?
Fakt ist, dass meine biologischen Kinder atmen, essen, reisen, sich allenfalls sogar fortpflanzen könnten. Dies führte dann zu einer zusätzlichen Belastung der Umwelt, dessen Ursache ganz klar ich und die Mutter der Kinder wären. Ich glaube daran, dass man sich 50 Prozent der CO2-Emissionen seiner Kinder, 25 Prozent der Enkelkinder, 12,5 Prozent von deren Kinder, und so weiter, sich selbst zuschreiben muss. Ich möchte das nicht, und das ist meine persönliche Entscheidung. Aber nochmals: Damit möchte ich keinesfalls irgendjemandem verbieten, Kinder zu haben. Wer diesen innigen Wunsch in sich spürt, und sich intensiv mit den Konsequenzen und möglichen Alternativen herausgesetzt hat, soll natürlich Kinder zeugen dürfen.

Diese Frage liegt natürlich auf der Hand. Du verzichtest auch der Umwelt zuliebe auf eigene Kinder. Darf ich davon ausgehen, dass du auch sonst alles erdenklich Mögliche machst, um einen ökologischen Fussabdruck gering zu halten?
Hm, wenn ich ganz ehrlich bin, nein. Ich habe in der Schweiz einen VW-Bus, fliege einmal pro Jahr von Südafrika in die Schweiz und zurück, esse hin und wieder Fleisch und zusammen mit meiner Partnerin habe ich zwei Hunde und zwei Katzen, was auch nicht gerade förderlich für den ökologischen Fussabdruck ist. Aber gerade deshalb wollte ich auf Kinderkriegen verzichten, um wenigstens in diesem Bereich meinen ökologischen Fussabdruck nicht noch grösser werden zu lassen. Mit meinem Ableben soll auch mein Einfluss auf die Umwelt enden.

Für mich relativiert aber diese, sagen wir mal inkonsequente, Haltung eher dein Motiv.
Das Thema Umweltschutz ist sehr komplex. Viele schränken sich ein, machen Abstriche, um das Überleben der Menschheit auf der Erde sicherzustellen: pflanzenbasierte Ernährung, der Verzicht auf Flugreisen, Velo statt Auto und so weiter. Es gibt so viele Faktoren, die unseren Einfluss auf die Umwelt mitprägen. Ich persönlich spreche deshalb auch lieber vom «Climate Shadow» als vom «CO2 Footprint».

Was meinst du damit?
Ein Gedankenexperiment: Person A isst vegan, wohnt klimaneutral, nimmt das Velo für den Arbeitsweg. Person B isst Fleisch, fliegt jedes Jahr in die Ferien, heizt mit Gas. Auf den ersten Blick denkt man, klar, Person B schadet der Umwelt mehr. Erwähnt man aber, dass Person A als Berater für Shell oder als Buchhalter für Nestlé arbeitet, wächst der Klimaschatten von Person A substanziell an. So sehe ich das auch mit meinem Verzicht auf Kinder. Ich mache vieles «richtig» im Bezug auf den Umweltschutz, bin mir aber bewusst, dass ich auch gewisse Verhaltensmuster an den Tag lege, die nicht hundertprozentig klimaneutral sind. Deshalb die Antwort: Es ist kompliziert.

Ja, es mag kompliziert sein. Aber ich muss trotzdem nachhaken. Offensichtlich liegt dir der Zustand unseres Planeten am Herzen. Ist die Lösung dann wirklich, einfach keine Kinder zu machen? Machst du dir das nicht etwas gar einfach?
Ja, ganz klar: Ich bin absolut verliebt in die Natur hier auf der Erde, wir leben auf einem atemberaubenden, wundervollen Planeten! Ist der Mensch als Spezies jedoch nicht fähig, sich seine eigene, lebenswerte Umwelt darauf intakt zu erhalten, dann sind wir auch selbst schuld an den Konsequenzen. Ganz grundsätzlich glaube ich nicht, dass es den Planeten interessiert, was wir hier tun, er wird uns alle überleben. Deshalb finde ich Sätze wie «Save Our Planet» etwas irreführend. Hätte niemand mehr Kinder, wäre das schlecht für die Menschheit, aber nicht unbedingt für den Planeten.

Oder anders gefragt: Hättest du einen Kinderwunsch in dir getragen, hättest du dich auch dann der Umwelt zuliebe für die Vasektomie entschieden?
Gute Frage. Ich denke eher nein. Es ist ja auch interessant, dass ich vor allem vor der Vasektomie immer wieder zu hören bekam: «Wart’s nur ab, auch bei dir wird sich irgendwann der Kinderwunsch regen und dann wirst du es bereuen». Dieses ständige, bemutternde Verhalten von Leuten um mich herum war übrigens auch einer der Gründe für meine Vasektomie.

Aber es könnte ja genau sein, dass du es dereinst bereuen wirst?
Ja, hundertprozentig kann ich das nicht ausschliessen. Aber könnte man dieselbe Frage nicht auch jemandem stellen, der sich dazu entschieden hat, ein Kind zu zeugen? Denn die Entscheidung für ein biologisches Kind ist meines Erachtens sogar weniger umkehrbar als meine Vasektomie. Ich denke, Eltern verharmlosen oft, wie herausfordernd und schwierig das Projekt «Kind» sein kann. Das sehe ich auch bei Freunden, die sehr offen kommunizieren, wie sich die Kinder auf die jeweiligen Beziehungen zwischen den Elternteilen auswirken. Und sollte ich es tatsächlich eines Tages bereuen, wäre da immer noch die Möglichkeit, ein Kind zu adoptieren. Gerade hier in Südafrika ist dies viel verbreiteter als etwa in der Schweiz. Es wäre allenfalls schön, mit einem bereits geborenen Kind meine Privilegien zu teilen.

** Man könnte aber gerade umgekehrt sagen, dass ein neues Leben die nachhaltigste Investition in die Zukunft ist, weil nur kommende Generationen die Erde mit innovativen Ideen und neuen Gesellschaftsformen aus dem Schlamassel reiten können.**
Ja, natürlich! Neues Leben generiert neue Ideen und Lösungen! Deshalb funktioniert meine Entscheidung ja auch nur, wenn genug andere Menschen für Nachwuchs sorgen. Was ja der Fall ist, die Erdpopulation wächst stetig. Und sowieso: Die Wahrscheinlichkeit, dass gerade mein Kind dann die Welt zu einem besseren Ort gemacht hätte, wäre etwa so hoch wie im Lotto zu gewinnen.

Letzte Frage: Würdest du heute den Meinungsbeitrag nochmals schreiben?
Ja, auf jeden Fall. Ich finde es wichtig, kontroverse Themen und Tabus anzusprechen. Eventuell würde ich aber darauf achten, dass das Argument mit dem ökologischen Fussabdruck nicht ein ganz so grosses Gewicht erhält. Denn es ist einer von mehreren Gründen, die zu meinem Entscheid geführt haben. Entscheidend ist, dass jede und jeder die Kinderfrage gut und sorgfältig für sich selbst überlegt, und sich nicht aufgrund von Druck anderer oder der Gesellschaft dazu gezwungen fühlt, Kinder zu machen.

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Zweifachpapi, nein drittes Kind in der Familie, Pilzsammler und Fischer, Hardcore-Public-Viewer und Halb-Däne. Was mich interessiert: Das Leben - und zwar das reale, nicht das "Heile-Welt"-Hochglanz-Leben.


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