Hintergrund

Huawei Emui 11: Der Abschied von Android im Detail

Huawei stellt morgen neue Devices vor. Darauf dürfte Emui 11 laufen. Ein Blick auf die Software zeigt den letzten Einsatz Emuis auf einem langsam sterbenden Betriebssystem.

Huawei hat eingeladen. Morgen, am 30. September 2020, stellt der gebeutelte Konzern aus China sein «neues Line-Up» vor. Gerüchten zufolge soll das das Mate 40 werden, das wohl letzte Phone mit dem Kirin System-on-a-Chip, da die Spannungen mit den USA die Versorgung mit Rohmaterialien kritisch unterbrochen haben.

Mit grosser Sicherheit aber kommt Emui 11, die neue und wohl letzte Android-Distro aus dem Hause Huawei.

Warum weiss ich das? Weil Emui 11 seit einigen Tagen auf meinem Huawei P40 Pro läuft. Nebst den nachgerüsteten Google Services, die ich nach dem Update nicht verloren habe. Daher: Ein Blick auf die neue Software und all die Dinge hinter den Kulissen der pastellfarbenen Icons.

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Visuell: Same, same

Nach dem Update kommt die Ernüchterung. Vorerst. Denn visuell ist Emui nach wie vor Emui, eine halbwegs hübsche Veranstaltung, geboren aus dem Versuch, Apples iOS visuell zu imitieren und weiterentwickelt zu etwas, das durchaus seine eigene Identität hat. Emui 10 war sogar recht easy gut.

Emui 11 sieht gleich aus.

Yup. Emui. Sieht so aus, wie du das kennst.
Yup. Emui. Sieht so aus, wie du das kennst.

Die grösste Änderung aber ist in der Benutzung und klingt recht vage: Emui 11 in der Benutzung fühlt sich leichter an. Apps öffnen sich einen Ticken schneller, Daten werden einen Zacken schneller verarbeitet. Ist Emui 11 unter Android an der Leistungsgrenze? Kann Huawei nicht mehr aus Android rausholen? Oder hat der Konzern bei diesem Minimum an merkbarer Optimierung aufgegeben und schiebt das Development auf das kommende HarmonyOS?

Trotzdem ist die Leichtigkeit der neuen Benutzeroberfläche ziemlich angenehm.

Das Always-On-Display ist überarbeitet worden und du kannst jetzt aus einigen «artistischen» Designs aussuchen. Okay. Kannst du. Ein Always On Display ist etwas, das sich unauffällig in den Hintergrund einschmiegen sollte. Denn wenn mein Phone auf dem Nachttisch liegt, dann will ich nicht, dass da gelbe und blaue Quadrate in die Nacht hineinleuchten. Simple Uhrzeit ist absolut okay. Es nützt nichts, etwas zu reparieren, das nicht kaputt ist.

Der Blick in die Zukunft

Spannend wird Emui 11 dann, wenn du einen Gedanken aus der nahen Zukunft hinzuziehst. Bisher waren Betriebssysteme im Wesentlichen die Antwort auf die Frage «Wir haben folgende Hardware. Was muss Software können, damit sie betrieben werden kann?». Doch die Frage lautet mit den kommenden Betriebssystemen HarmonyOS und wohl auch Googles Fuchsia «Wir haben Software, die folgendes kann. Welche Hardware können wir damit betreiben?»

Auf dem Handy nutzlos, aber voll Potenzial auf dem Tablet oder dem Foldable
Auf dem Handy nutzlos, aber voll Potenzial auf dem Tablet oder dem Foldable

Daher fühlen sich im Kontext meines P40 Pros viele Features recht seltsam oder überflüssig an, ergeben aber mit etwas Weitblick Sinn. Da ist der Kalender, der neu als schwebendes Element gebraucht werden kann. Die Idee der Foldables zeigt, wo das sinnvoll eingesetzt werden kann. Oder auf Tablets, die Huawei immer noch herstellt.

Ein Ding, das existiert: Das Huawei Matepad Pro
Ein Ding, das existiert: Das Huawei Matepad Pro
Huawei MatePad Pro (nur WLAN, 10.80", 128 GB, Midnight Grey)
Tablet

Huawei MatePad Pro

nur WLAN, 10.80", 128 GB, Midnight Grey

Noch spannender wird es, wenn du Emui 11 im grösseren Ökosystem Huaweis siehst. Denn da ist die Arbeit der Developer. Huaweis Strategie lautet «1+8+n», das weder besonders glorreich, noch besonders cool ist, aber doch recht cool ist.

Huaweis Strategie in einer hübschen Grafik
Huaweis Strategie in einer hübschen Grafik
Quelle: Huawei

Was ist 1+8+n?

Die Philosophie bei Huawei heisst «1+8+n». Ein Gerät verbindet sich mit acht Geräten, die sich dann zusätzlich mit unendlich vielen Geräten verbinden können. Sprich: Das Ökosystem ist noch nicht fertig. Fakt ist aber, dass das Herzstück ein Gerät ist, das du immer bei dir tragen solltest. Zum aktuellen Stand der Technologie ist das das Smartphone.

Huawei P40 Pro (256 GB, Silver Frost, 6.58", Hybrid Dual SIM + eSIM, 50 Mpx, 5G)
Smartphone

Huawei P40 Pro

256 GB, Silver Frost, 6.58", Hybrid Dual SIM + eSIM, 50 Mpx, 5G

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Das Huawei P40 Pro ist das Phone mit der aktuell besten Kamera auf dem Markt. Aber es fehlen ihm die Google Services. Klar, die kannst du nachrüsten, aber du greifst recht tief ins System ein. Manche User schaffen das gar nicht, selbst nach einer Anleitung, die mit der exakt selben Software bei mir mehrfach funktioniert hat. Und wenn es bei dir nicht funktioniert: Ich kann dir nicht helfen. Auf meinem P40 Pro funktioniert der Google Hack jedes Mal einwandfrei. Sorry.

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Um die Frage zu beantworten, ob ein Update die Google Services wieder vom Phone entfernt: Nein, die Google Services werden nicht entfernt. Sie bleiben erhalten und funktionieren weiterhin irgendwo zwischen «einwandfrei» und «mehr schlecht als recht».

8: Oder besser, 7

Ein Ring weiter nach aussen sind die Acht. Das sind die Geräte, die Huawei in die engere Auswahl für die Integration ins Ökosystem gezogen hat. Da soll nahtlose Verbindung möglich sein. Nicht nur in dem Sinne, dass du easy gut die Musik von deinem Handy auf der Sound X abspielen kannst oder auf der Brille mit integrierten Kopfhörern. Es geht auch darum, dass diese Verbindungen teils automatisch geschehen, dass sie in zwei Richtungen verlaufen. Also, dass die Sound X auf das Handy hört, wenn das Telefon klingelt und so weiter.

Bei Headphones, Watches, und Lautsprechern ist das nicht so das Riesentrara und gleicht so ziemlich jedem System auf dem Markt. Es spielt aus Sicht des Endbenutzers keine grosse Rolle, ob du nun von deinem Huawei Smartphone aus auf Huawei Headphones Musik hörst oder ob du einen Sony-Kopfhörer mit dem Ding verbindest. Noch nicht.

Hingegen beim PC wird es spannend. Oder generell der Interaktion Windows/Huawei. Denn das ist eine der Lücken, die die Welt gerade versucht, zu schliessen. Vorbild ist hier klar Apple, denn wenn dein iPhone klingelt, dann kannst du auf dem Macbook sehen, wer anruft, den Anruf sogar entgegennehmen. Dasselbe gilt für das iPad. Via iCloud Account sind alle Bilder mehr oder weniger sofort auf allen Geräten vorhanden, Notizen und Einstellungen auch. Das ist sehr angenehm und definitiv etwas, das Zukunft und Potenzial hat. Doch selbst bei Apple ist das noch nicht ganz fertig und noch in Arbeit. Aber: Apple ist auch Huawei voraus, kann aber als Vergleich hinhalten.

NFC als Hauptidentifikator wirft Fragen auf
NFC als Hauptidentifikator wirft Fragen auf

Bei Apple ist es die Apple ID, die als Haupt-Authentifikator herhält. Bei Huawei ist es der NFC Chip in deinem Smartphone. Du verbindest dein Handy mit der Sound X, indem du das Handy auf den NFC Receiver der Box hältst. Wenn du dein Handy auf dein Matebook hältst, dann aktivierst du ein auf Windows installiertes Programm, das den Screen deines Smartphones auf dem Laptop spiegelt. Du kannst von hier aus dein Handy fernsteuern und Daten verschieben.

Aber: Du musst diese Authentifizierung bei jeder Benutzung wieder neu vornehmen. Technologisch funktioniert diese einwandfrei und abgesehen von «Wo ist der NFC-Sensor?» während den ersten etwa drei Versuchen ohne Probleme.

Windows/Huawei ist zwar keine vollständige Integration wie sie das Surface Duo wohl hinkriegen wird, aber es ist nahe genug, absolut funktional zu sein.

Es sind noch kleine Lücken in der Ebene «8», die Huawei schliessen will. Emui 11 soll ein erster Schritt dahin sein. Die Verbindungen mit den hauseigenen Smart Devices soll schneller und einfacher werden.

Und hoffentlich verschwinden die Werbeeinblendungen in den Notifications der Android-Geräte, die irgendwelche Huawei-Produkte anpreisen. Marketing kann überall geschehen, ausser dort, wo du dich nicht dagegen wehren kannst.

Wo wir es schon gerade von Marketing haben: Das mit dem NFC ist so eine Sache. Funktioniert zwar, aber irgendwie wirkt das noch etwas steinzeitlich. Apple setzt hier den de facto Standard. Wenn du dir ein neues Apple-Gerät in den Haushalt holst, dann wird das an deine AppleID gebunden und sobald das geschehen ist, funktionieren die Ökosystemfunktionen einwandfrei und ohne weiteres Zutun. Ich muss nicht mein Smartphone auf dem selben Tisch haben wie mein Macbook, damit beides klingelt, wenn du anrufst. Es reicht meines Wissens, wenn sie beide eine Internetverbindung haben.

Die HuaweiID könnte das auch und würde den hardwaregebundenen Weg über NFC überflüssig machen. Dazu aber braucht Huawei mehr Leute mit HuaweiID. Wenn doch bloss die User wüssten, welche Vorteile eine HuaweiID hat. Wenn es doch bloss eine Möglichkeit gäbe, den Usern das zu erzählen. So etwas wie Marketing.

Eine Frage: Da sind acht Objekte im Kreis. Eines davon ein Auto mit dem Wort «Telematics». Kommt ein Huawei Smart Car?

n: Das grosse Unbekannte und ein Sphygmometer

Im äussersten Ring, dem N, wird es etwas abstrakter. Hier ist es, wo Huawei sich Möglichkeiten offen hält und sich Gedanken über die Dinge macht, die da dereinst kommen mögen. Oder schon im Kommen sind.

Da sind Landkarten, die jüngst mit Tomtom-Software ihren Weg in die App Gallery gefunden haben, die wohl noch näher ans Ökosystem gezogen werden sollen. Im gleichen Sektor ist «Vehicle Info». Was das genau heisst, weiss ausserhalb Huawei noch keiner. Aber die Frage: Könnte das Software für ein Smartes Auto sein? Ein Konkurrent zu Apples CarPlay oder Android Auto? Oder noch heftiger: Ein Konkurrent zu Android Automotive? Und wodurch unterscheidet sich «Vehicle Info» von «Telematics» im 8-Ring, wo auch ein Auto abgebildet ist?

Mit Werweisseln kannst du dich durch den ganzen äusseren Ring arbeiten. Einige Elemente sind klarer als andere. Der Sektor «Smart Home» ist ziemlich selbsterklärend mit «Vacuum Cleaner» und «Camera», Sektoren wie «Entertainment» kannst du dir solide zusammenreimen und «Fitness and Health» ist etwas, wo noch viel gemacht werden muss. Warum listet Huawei da ein Sphygmometer? In welchem Gerät ist das verbaut? Oder anders: Wo könnte die Welt einen Benefit haben, wenn ein Blutdruckmessgerät verbaut ist? Oder will Huawei in den Medizinsektor vordringen? Dann aber wieder die Frage: Warum? Welchen Benefit verspricht sich Huawei für sich selbst und/oder für die Welt?

Um das Ganze wieder auf Emui 11 zurückzubringen: Emui 11 ist ein recht lässiges bitzli Software. Es sieht einigermassen passabel aus, fühlt sich in der Benutzung sehr gut an und ist vor allem aber eines: Ein Ausblick. Es ist die wohl letzte Emui-Version für Android, denn Emui 12 wird dann wohl nur auf HarmonyOS laufen. Emui 11 ist dahingehend ein schöner Abschied von einem Betriebssystem.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.

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