Haustier Riesenschnecke: So riskant ist der Trend
Hintergrund

Haustier Riesenschnecke: So riskant ist der Trend

Nix mit Streicheln und Schmusen: Trotz – oder genau wegen – ihrer schleimigen Haut sind Riesenschnecken als Haustiere immer beliebter. Ist der Trend zurecht umstritten und was ist bei der Haltung wichtig? Ich habe in einer Zuchtanlage die Fühler ausgestreckt.

Eine wabbelige Masse saugt sich an einem Augenlid fest, zwei glibberige Fühler tasten sich einer Unterlippe entlang. Gut möglich, dass du in letzter Zeit solchen Videos auf Social Media begegnet bist. Influencerinnen und Influencer setzen sich Afrikanische Riesenschnecken, auch Achatschnecken genannt, mitten ins Gesicht. Der Grund: Der Schleim soll hautverjüngend wirken.

Wissenschaftlich erwiesen ist dies bislang noch nicht. Vor Kurzem warnte eine Studie der Universität Lausanne sogar davor, dass sich Menschen durch den Trend mit dem Rattenlungenwurm infizieren könnten. Andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gaben Entwarnung: Diese Parasiten könnten bei unseren Temperaturen nicht überleben. Schnecken aus inländischen Zuchten seien unbedenklich.

Ich möchte mir ein eigenes Bild machen und schaue an einem Montagvormittag in der Zuchtanlage «Lorica» in Zofingen vorbei.

Das Haustier der Zukunft?

Geschäftsführer Simone Piovan ist «Vater» von insgesamt 2500 exotischen Tieren. Er verkauft seit rund 13 Jahren Achatschnecken, aktuell etwa 15 pro Monat. «In den letzten zehn Monaten hat das Interesse deutlich zugenommen», bestätigt er. «Pensionierte, Geschäftsleute, Schulen: Die Faszination zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten. Es scheint, als wären Riesenschnecken die Haustiere der Zukunft.»

Doch was macht den Reiz für Schnecken aus, die man weder streicheln noch mit ihnen spielen oder interagieren kann? «Das ist schwer zu sagen», sagt Simone. Viele Leute würden einfach gerne dabei zuschauen, wie sie sich entwickeln, fressen und fortpflanzen. «Ich habe schon von einem kleinen Jungen gehört, der die Schnecken auf dem Nachttisch stehen hat. Wenn er sie abends beobachtet, kann er beruhigt einschlafen.»

Kein Streicheltier

Zeit für ein Kennenlernen mit richtigen Achatschnecken. Simone holt zwei etwa fünf und zehn Zentimeter grosse Exemplare aus dem Terrarium: eine Achatina Immaculata und eine Achatina Achatina. Er beträufelt die beiden Tiere mit etwas Wasser. Bei der kleineren Schnecke tut sich nichts. «Sie hat scheinbar keine Lust», sagt Simone. Das grössere Tier hingegen stülpt behäbig einzelne Weichteile aus dem Gehäuse. Als der Geschäftsführer die Schnecke weiter hoch hält, gucken ihm die zwei kleinen Fühler in die Augen.

Im Hause Achat ist anscheinend jemand da.
Im Hause Achat ist anscheinend jemand da.
Quelle: Darina Schweizer

Beim Gedanken daran, sich die Schnecken ins Gesicht zu setzen, kann Simone nur den Kopf schütteln. Zwar hält er eine Ansteckung mit Parasiten für fast ausgeschlossen. Ihm sei in 20 Jahren Schneckenzucht kein Fall bekannt. Und grundsätzlich könne auch jede Person selbst entscheiden, was sie tue. Aber: Achatschnecken seien keine Tiere, die man ständig aus dem Terrarium nehmen sollte. «Meine hole ich höchstens alle zwei Wochen raus. Und auch dann halte ich sie, wie jetzt, nur kurz auf den Händen, um sie nicht zu stressen.»

So geht die Haltung

Die Haltung von Riesenschnecken ist relativ simpel, wenn du dir erstmal ein passendes Terrarium und Substrat gekauft hast und sie abwechslungsreich mit Gemüse und Früchten (keine Zitrusfrüchte!) fütterst. Dennoch musst du ein wachsames Auge auf die Schnecken haben. Oder genauer gesagt: auf ihre Eier. «Eine einzelne Schnecke legt je nach Art bis zu 500 Stück. Diese sollte man stetig aus dem Terrarium entfernen, sonst explodiert die Schneckenpopulation», sagt Simone.

«Für Achatschnecken muss man schon ein bestimmter Typ Mensch sein», findet Simone Piovan.
«Für Achatschnecken muss man schon ein bestimmter Typ Mensch sein», findet Simone Piovan.
Quelle: Darina Schweizer

Ohnehin sei ein andauerndes Interesse für die fünf bis zu zehn Jahre lebenden Tiere wichtig. Viel passiere in einem Terrarium nämlich nicht, sagt Simone. Das Aufregendste sei, wenn man ihnen Kalk für den Aufbau des Schneckenhauses verfüttere. «Darauf stürzen sie sich regelrecht und es knackt richtig schön beim Kauen. Wer jedoch mehr Action braucht, der sollte lieber die Finger von Riesenschnecken lassen», sagt der Geschäftsführer. Er hat sogar schon einem Freund vom Kauf abgeraten, weil er wusste, dass dieser nicht der Typ dafür sei. «Wenn das Interesse nicht da ist, werden die Schnecken schnell vernachlässigt.»

Schön anzusehen: Achatschnecken bezaubern mit ihren häufig gemusterten Häuschen.
Schön anzusehen: Achatschnecken bezaubern mit ihren häufig gemusterten Häuschen.
Quelle: Darina Schweizer

Ein Haustier zur Entschleunigung

Behutsam setzt Simone Piovan seine beiden Riesenschnecken wieder zurück in ihr Terrarium. Als der Körper der grösseren den Boden berührt, zieht sie ruckartig die Fühler zurück. Erst nach und nach wagt sie sich wieder hervor und zieht sich Millimeter für Millimeter einen Stein hoch. Ich merke, wie ich mich beim Beobachten merklich entspanne. «Richtig entschleunigend, nicht?», sagt Simone Piovan. Ich nicke und merke, wie sich sogar meine Sorgenfalte geglättet hat. Und das, ganz ohne mir eine Schnecke an die Stirn zu pappen.

Würdest du Riesenschnecken als Haustier halten? Schreibe es in die Kommentare.

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Ich mag alles, was vier Beine oder Wurzeln hat. Zwischen Buchseiten blicke ich in menschliche Abgründe – und an Berge äusserst ungern: Die verdecken nur die Aussicht aufs Meer. Frische Luft gibt's auch auf Leuchttürmen.


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