Erst sammeln, dann trocknen: Such dir deine Heilpflanzen selber
Hintergrund

Erst sammeln, dann trocknen: Such dir deine Heilpflanzen selber

Annalina Jegg
27.4.2023

Heilpflanzen lassen sich trocknen, zu Ölen oder Tinkturen weiterverarbeiten: Schon hast du immer Naturmedizin zuhause. Doch erst einmal müssen die Wildpflanzen gesammelt werden. Und dabei kommt es auf ein paar Dinge an.

Dank ChatGPT redet alle Welt mal wieder über künstliche Intelligenz (KI). Nun, Pflanzenfans wie ich winken müde ab, verwenden wir KI doch schon lange draußen in der Natur: Smartphone zücken, Heilkraut fotografieren – und schon sagt dir die Pflanzenbestimmungs-App, welche Pflanze da vor dir wächst. Das macht es einfach leichter, Heilpflanzen selber zu sammeln.

Die ganze Arbeit übernehmen Apps wie Plantnet oder Floraincognita natürlich nicht. Das ist aber auch weder nötig noch sinnvoll, dennbeim Sammeln von Heilpflanzen spielt die sensorische Wahrnehmung eine entscheidende Rolle, sagt Dr. Rainer Stange, Arzt für Innere Medizin und ehemals leitender Arzt der Abteilung für Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin: «Geschmack, Geruch und Farbe der Pflanze, aber auch die eigene Zubereitung – sammeln, trocknen, zermörsern – tragen als sogenannter unspezifischer Effekt zu dessen Wirkung bei.»

Sammelt man seine Medizin also selbst und nimmt sie dabei mit allen Sinnen wahr, hat das einen wirkverstärkenden Effekt. Klingt nachvollziehbar, auch wenn es dazu keine Studien gibt – übrigens wie so oft in der Volksmedizin.

Gute Gründe, warum du Pflanzen überhaupt sammeln solltest, gibt es dennoch einige: Du bist an der frischen Luft und bewegst dich, dazu tankst du ordentlich Vitamin D, denn Sonnenschein ist das beste Sammelwetter. Du machst dich mit den Pflanzen in deiner direkten Umgebung vertraut – und sammelst nebenbei einen Teil deiner Nahrung und Naturheilmedizin selbst.

Frisch gepflückte Heilkräuter kannst du zum Kochen verwenden oder daraus Tee zubereiten. Wer Heilpflanzen länger haltbar machen will, hat drei Möglichkeiten: Man kann sie trocknen (für Tee oder um mit den Kräutern zu inhalieren), sie in Öle einlegen (zum Beispiel für Körperöle) oder sie mit Alkohol konservieren, um daraus Tinkturen zu fabrizieren. Mögliche Anwendungsbeispiele sind Hustentropfen, Insektenstiche, Shampoo, Blasenentzündung, Schlafprobleme und vieles mehr.

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Welche Pflanzen eignen sich zum Sammeln und welche Tools benötige ich?

Beim Sammeln von Heilpflanzen können eine Schere oder ein Messer hilfreich sein, um die Pflanzenteile abzuschneiden. «Du kannst aber auch zupfen», sagt Experte Stange. Bei größeren Mengen eignet sich für den Transport nach Hause ein flacher Korb, ein Stoffbeutel oder eine Papiertüte. Plastiktüten sind weniger geeignet, die Pflanzen schimmeln darin schneller.

Verschiedene Pflanzen solltest du am besten in unterschiedlichen Stoffbeuteln oder Papiertüten sammeln. Denn so lässt sich verhindern, dass sich die Wirkstoffe beim Transport mischen und gegenseitig beeinflussen – was durchaus nicht immer erwünscht ist.

Sammeln solltest du diejenigen Pflanzen, die du sicher erkennst. «Das sind in vielen Fällen Minze, Löwenzahn, Kamille, Gänseblümchen und auch die Ringelblume», rät Stange. Dabei sind Minze und Kamille unter anderem gut bei Verdauungsbeschwerden einsetzbar, aus der Ringelblume lässt sich eine wundheilungsfördernde Salbe für leichte Verletzungen herstellen. Das Gänseblümchen schmeckt in jedem Wildkräutersalat, wurde früher in der Volksmedizin aber auch sehr geschätzt als Kraut gegen Furunkel oder Geschwüre.

Was du nicht sammeln solltest

Ganz wichtiger Punkt laut Stange: «Es ist wichtig, dass die Wirkung schnell erfahrbar ist.» Bei Johanniskraut etwa rät der Experte davon ab, sie zu sammeln und zu verarbeiten – jedenfalls dann, wenn man das Kraut gegen Depressionen einsetzen möchte. Denn Johanniskraut kann die Wirkung von synthetischen Medikamenten beeinflussen, plus: Der Wirkstoffgehalt schwankt stark von Standort zu Standort und von Pflanze zu Pflanze. Sprich: Eine bestimmte Wirkung kann nicht garantiert werden.

«Pflanzen selber zu sammeln hat seine Grenzen, die wir respektieren müssen», sagt Stange. Es gibt aber auch Fertigpräparate mit Johanniskraut in der Apotheke, die standardisiert sind, also mit immer gleichen Inhaltsstoffen und sich deshalb als Anwendung bei Depressionen besser eignen.

Aber: Aus Johanniskraut kannst du auch sogenanntes Rotöl herstellen und dieses äußerlich auf Wunden auftragen. Dafür wiederum eignet es sich, die Heilpflanze selbst zu sammeln. Idealerweise lässt man sich dabei helfen. Wenn man sich für Naturmedizin interessiert, rät Stange: «Am besten einen Kurs in deiner Heimat besuchen, wo ein erfahrener Kräutersammler dir die Pflanzen näherbringt, die genau bei dir ums Eck wachsen.» Hier erfährst du meist sogar, wofür du sie einsetzen kannst. Und in anderen Kursen wiederum lernt man, aus welchen Heilpflanzen man welche Zubereitungen selber herstellen kann.

Heilpflanzen: Was beachten beim Sammeln?

Es gibt durchaus ein paar Punkte, die es beim Wildkräutersammeln generell zu beachten gilt:

  • schadstoffbelastete Orte (Autobahnen und eventuell pestizidbelastete Feldränder sowie Feldwege) meiden
  • nicht nach Regen sammeln (feuchte Pflanzenteile schimmeln schneller)
  • keine braun verfärbten oder von Schädlingen befallene Pflanzenteile sammeln
  • nicht den ganzen Bestand wegsammeln, damit die Pflanze im Folgejahr wieder austreiben kann (dafür mindestens 1/3 des Bestandes stehen lassen)
  • mit wenigen Pflanzen starten und nur sammeln was du (er)kennst
  • wenn es dir hilft und du Lust dazu hast: ein Herbarium anlegen mit gepressten und getrockneten Pflanzen
  • gegebenenfalls eine Pflanzenbestimmungsapp nutzen – aber auch dann nur jene Pflanzen sammeln, die sicher bestimmbar und nicht zu verwechseln sind

Noch ein wichtiger Punkt: Informiere dich vorm Sammeln, wann der beste Zeitpunkt dafür ist. Der unterscheidet sich nämlich von Pflanze zu Pflanze und von Pflanzenteil zu Pflanzenteil. Grob gilt: Oberirdische Pflanzenteile, wie Blüten und Blätter, sammelt man im Frühling und Sommer. Beeren und Samen im Spätsommer und Frühherbst, Wurzeln hingegen im Herbst oder im Frühling.

Pflanzen trocknen: Was ist der geeignete Ort?

Wenn du deinen vollen Kräuterkorb stolz nach Hause gebracht hast, bitte nicht direkt den Wasserhahn anmachen und die Kräuter darunter halten. Durch das Abwaschen verlieren sie wichtige Wirkstoffe. Einzige Ausnahme: stark verdreckte Wurzeln. Von Blüten, Blättern und Co lassen sich schmutzige oder welke Teile stattdessen abzupfen oder abschneiden.

Der richtige Raum zum Trocknen von Kräutern ist trocken und dunkl, wie eine Speisekammer oder ein Dachboden. Aber auch jeder andere dunkle, trockene Raum zuhause eignet sich. Achtung: Die Pflanzen dürfen nicht zu viel Sonne abbekommen. «Sie können sonst an Qualität verlieren», weiß Stange. Auch hier bilden Wurzeln und Rinden die Ausnahme: Diese dürfen in der Sonne getrocknet werden.

Wie trockne ich verschiedene Pflanzenteile richtig?

Größere Pflanzenteile bindest du am besten mit einem Faden zusammen und lässt sie in Gebinden hängend trocknen. Die getrockneten Sträuße dann zeitig abnehmen, damit sich nicht zu viel Staub ablegt. Kleinere Pflanzenteile trocknen am schonendsten ausgebreitet, zum Beispiel auf einem großen Leintuch oder in einem flachen Korb. Auch Papier eignet sich als Trocknungsunterlage.

Bis die Pflanzenteile trocken sind, dauert es ein wenig: Je nach Jahreszeit und Pflanzenteil wenige Tage bis mehrere Wochen, und im Frühling und Herbst länger als im Sommer. Blüten und Blätter trocknen schneller als das ganze Kraut. Du erkennst, dass dein Sammelgut fertig getrocknet ist, wenn es knistert und zwischen den Fingern zerbröselt, aber möglichst keine Farbe verloren hat. Wurzeln knacken übrigens beim Brechen, wenn sie trocken sind.

Getrocknete Pflanzen richtig lagern: So klappt’s

Wie das Trocknen sollte auch das Lagern an einem möglichst dunklen Ort stattfinden. Getrockneten Pflanzenteile sind am besten in dunklen, luftdichten Gläsern (z. B. Braunglas) oder Keramikgefäßen aufgehoben. Holzgefäße eignen sich nur bedingt: Ätherische Öle dünsten in Holz- oder Textilgefäßen schnell aus bzw. reagieren mit Sauerstoff.

Getrocknete Pflanzen lassen sich ein bis drei Jahre aufbewahren. Der Wirkstoffgehalt lässt meist nach ca. einem Jahr stark nach. Achte auf Geruch und Farbe: Wenn beides schwächer wird, wird auch die Wirkung schwächer. Dann heißt es: neue Pflanzen sammeln und trocknen. Du weißt ja jetzt, wie es geht.

Titelfoto: shutterstock

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Annalina Jegg
Autorin von customize mediahouse
oliver.fischer@digitecgalaxus.ch

Mich buchstabiert man so: Aufgeschlossen, Nachdenklich, Neugierig, Agnostisch, Liebt das Alleinsein, Ironisch und Natürlich Atemberaubend.
Schreiben ist meine Berufung: Mit 8 habe ich Märchen geschrieben, mit 15 «supercoole» Songtexte (die nie jemand
zu lesen bekam), mit Mitte 20 einen Reiseblog, jetzt Gedichte und die besten Beiträge aller Zeiten! 


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