Ein- oder mehrgelenkige Übungen? Was erzeugt mehr Kraft und Muskelmasse?
Hintergrund

Ein- oder mehrgelenkige Übungen? Was erzeugt mehr Kraft und Muskelmasse?

Eine immer wiederkehrende Frage beim Thema Krafttraining ist, was besser sei, ein- oder mehrgelenkig zu trainieren. Die Antwort darauf gibt's hier.

Von eingelenkigen Übungen spricht man im Krafttraining, wenn nur ein Gelenk involviert ist. Im Gegensatz hierzu, sind bei mehrgelenkigen Übungen mehrere Gelenke involviert. Ein Beispiel für eine mehrgelenkige Übung sind Kniebeugen (engl. squats), bei denen primär die vordere Oberschenkelmuskulatur sowie das Gesäss trainiert werden. Auch bei der Kniestrecker-Übung (engl. leg extension) wird die Oberschenkelmuskulatur trainiert, allerdings rotiert dabei nur das Kniegelenk um einen Krafthebel und wird daher als eingelenkige Übung bezeichnet. Sowohl ein- als auch mehrgelenkige Übungen erhöhen die Kraft und die Muskelmasse. Doch welche Übungen sind effektiver?

Die aktuellste Studie

Die aktuellste Studie kommt aus Brasilien und hat den Einfluss von ein- und mehrgelenkigem Training auf den Armbeuger (m. brachialis, m. biceps brachii und m. brachioradialis) untersucht [1]. Um den Einfluss des Alters und des Geschlechts auf die Adaption zu verringern, rekrutierten die Forschenden 10 untrainierte Männer (Alter: 29.2 ±3.9 Jahre) und liessen diese während 8 Wochen den Bizeps trainieren. Die Männer trainierten hierbei zwei Mal pro Woche jeweils mit einem Arm eine mehrgelenkige und mit dem anderen Arm eine eingelenkige Armbeugerübung. Die mehrgelenkige Übung bestand aus Rudern mit der Kurzhantel und supiniertem Griff (Handoberfläche sichtbar, Daumen zeigt nach aussen), während als eingelenkige Übung der Bizeps Curl gewählt wurde.

Das so gewählte Studiendesign eliminiert den Einfluss von möglichen High- oder Non-Responders innerhalb von Gruppen, wenn diese miteinander verglichen werden, da jeder Proband seine eigene Kontrolle darstellt. Die Arme wurden zufällig ausgewählt. Über 8 Wochen hinweg wurden in der Woche 1 - 4 jeweils 4 Sätze mit 8 - 12 Repetitionen trainiert. In der Woche 5 - 8 wurde die Anzahl der Sätze auf 6 erhöht. Es wurde jeweils bis zum Muskelversagen trainiert. Ernährungstechnisch wurden die Probanden aufgefordert, eine protein- und kalorienreiche Ernährung einzuhalten und erhielten von den Forschenden vor dem Training jeweils eine Nahrungsergänzung bestehend aus 132 g Kohlenhydraten, 17 g Whey Protein und 1 g Fett.

Die Muskeldicke des Armbeugers wurde mittels Ultraschall an 3 unterschiedlichen Stellen (25%, 50% und 75% der Länge proximal bis distal) gemessen, wobei die Dicke den rechtwinkligen Abstand zwischen dem Muskel und dem Oberarmknochen darstellt.

Ergebnis und Diskussion

Die 8 Wochen Krafttraining führten in beiden Armen zu einem Kraftzuwachs, der jedoch spezifisch für die jeweils getestete Übung war. Das heisst, dass die Forschenden bei den Probanden den Kraftzuwachs untersuchten, indem sie den eingelenkigen Arm mit der eingelenkigen und der mehrgelenkigen Übung testeten. Der Kraftzuwachs ist signifkant grösser (P < 0.001), wenn man den eingelenkig trainierten Arm mit der eingelenkigen Übung (Bizeps Curl) testet im Vergleich zum Test des eingelenkig trainierten Arm mit der mehrgelenkigen Übung (Rudern mit Kurzhantel). Das galt auch umgekehrt.

Die Studie hat den Vorteil, dass sie die Muskeldicke an mehreren Stellen gemessen hat, während bei einer vergleichbaren Studie [2] nur eine Messung an einer Stelle gemacht wurde. Dies ist deshalb erwähnenswert, weil das Muskelwachstum des Armbeugers nicht homogen ist. Das heisst, dass Krafttraining ein nicht über die gesamte Muskellänge uniformes Wachstum induziert [3] und es daher Sinn macht, die Muskeldicke an mehreren Stellen zu messen. Der Goldstandard wäre hier die Messung des Muskelvolumens mittels Magnetresonanztomographie, was jedoch weitaus teurer ist als eine Ultraschallmessung.

In einem Review von Gentil et al. [4] schlussfolgern die Autoren, dass Studien, die Kraft- und Muskelgrösse im Oberkörper für ein- und mehrgelenkige Übungen untersucht haben, keinen signifikanten Unterschied zwischen den Trainingsformen beobachtet haben. Diese Aussage, dass es keinen signifikanten Unterschied zwischen den Trainingsformen gibt, ist allerdings mit Vorsicht zu geniessen. Ein kürzlich veröffentlichtes systematisches Review und Meta-Analyse attestiert nämlich eingelenkigen Übungen – wie der eingangs geschilderten Studie – einen leichten Vorteil bezüglich des Muskelwachstums im Vergleich zu einer mehrgelenkigen Übung [5].

Die Studie wurde mit untrainierten Männern durchgeführt. Daher darf man hier nicht einfach auf dieselben Ergebnisse schliessen für trainierte Männer, Frauen, ältere Personen oder klinische Populationen. Obwohl die Forschenden Wert darauf gelegt haben, Übungen auszuwählen, die einander ähnlich sind, ist die Biomechanik und Kraftanforderung an den Armbeuger unterschiedlich. Weiter wurde nur der Armbeuger untersucht. Ein Ableiten der Schlussfolgerungen auf andere Muskelgruppen ist daher nicht zulässig.

Für die Beantwortung der Frage, ob ein- oder mehrgelenkige Übungen effektiver sind, braucht es mehr Forschung und vor allem mechanistische Erkenntnisse. Persönlich bevorzuge ich Übungsformen, bei denen ich entsprechende Muskelgruppen isoliert, also eingelenkig, trainieren kann, um sie komplett zu erschöpfen. Ein weiterer Vorteil ist, dass eingelenkige Übungen koordinativ anspruchsloser sind.

Referenzen

  1. Mannarino P, Matta T, Lima J, Simão R, Freitas De Salles B. Single-Joint Exercise Results in Higher Hypertrophy of Elbow Flexors Than Multijoint Exercise. J Strength Cond Res. 2021;35: 2677–2681. doi:10.1519/JSC.0000000000003234
  2. Gentil P, Soares S, Bottaro M. Single vs. Multi-Joint Resistance Exercises: Effects on Muscle Strength and Hypertrophy. Asian J Sports Med. Brieflands; 2015;6: 1–5. doi:10.5812/ASJSM.24057
  3. Matta T, Simão R, De Salles BF, Spineti J, Oliveira LF. Strength training’s chronic effects on muscle architecture parameters of different arm sites. J Strength Cond Res. 2011;25: 1711–1717. doi:10.1519/JSC.0B013E3181DBA162
  4. Gentil P, Fisher J, Steele J. A Review of the Acute Effects and Long-Term Adaptations of Single- and Multi-Joint Exercises during Resistance Training. Sport Med. Springer International Publishing; 2017;47: 843–855. doi:10.1007/S40279-016-0627-5/TABLES/3
  5. Rosa A, Vazquez G, Grgic J, Balachandran AT, Orazem J, Schoenfeld BJ. Hypertrophic Effects of Single- Versus Multi-Joint Exercise of the Limb Muscles: A Systematic Review and Meta-analysis. Strength Cond J. 2023;45: 49–57. doi:10.1519/SSC.0000000000000720
Titelfoto: shutterstock

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Molekular- und Muskelbiologe. Forscher an der ETH Zürich. Kraftsportler.


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