Dyson Campus: Q von James Bond wäre eifersüchtig
Hintergrund

Dyson Campus: Q von James Bond wäre eifersüchtig

Simon Balissat
19.10.2023

Auf dem englischen Land forscht Dyson an der Zukunft. Der Campus ist hermetisch von der Aussenwelt abgeriegelt. Wir durften einen seltenen Einblick nehmen.

James Dyson ist allgegenwärtig auf dem Campus in Malmesbury, der Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Dyson. Die Wände zieren motivierende Sprüche des Gründers. Überall hat er historische Sammlerstücke verteilt, die inspirierend wirken sollen. Ein Schleudersitz. Ein Düsengetriebe. In der Cafeteria hängt sogar ein Düsenjet, Typ English Electric Lightning, über unseren Köpfen. Wir, das ist eine Gruppe von Medienschaffenden aus ganz Europa, die Dyson zu einem Besuch in den beiden Forschungszentren Malmesbury und Hullavington eingeladen hat.

Personalrestaurant bei Dyson mit inspirierendem Jet.
Personalrestaurant bei Dyson mit inspirierendem Jet.
Quelle: Dyson

Geheimhaltung wie beim MI6

Weiss man nicht, dass Dyson vor allem Staubsauger und Haarföhns entwickelt, würde man auf die geheime Forschungsanstalt Qs aus «James Bond» tippen. Dafür sprechen auch die Sicherheitsvorkehrungen. Drehtüren sperren das Gelände ab. Zutritt in Büros und Labors gibt es nur mit einem Batch. Hochsicherheit im Nirgendwo. Malmesbury ist ein 5000 Seelendorf, versteckt in der hügeligen Landschaft des englischen Südwestens. Die nächstgrössere Stadt ist Bristol, 50 Kilometer entfernt. Nach London sind es 150 Kilometer.

Ingenieurinnen und Ingenieure entwickeln hier die Zukunft der Marke Dyson. Studierende streben an der hauseigenen Universität «Dyson Institute» ihr Bachelor- oder Master-Diplom an. Die meisten wohnen während der ersten Semester auf dem Campus, in zweckmässigen Zimmern, die wie wild aufeinander gestapelte Kartonschachteln wirken. Studium, Arbeit und Freizeit verbringen sie auf dem Campus.

Josh Mutlow, seit 12 Jahren bei Dyson.
Josh Mutlow, seit 12 Jahren bei Dyson.
Quelle: Simon Balissat

In einem kargen Sitzungszimmer neben einem Grossraumbüro treffen wir Ingenieur Josh Mutlow. Als Josh 2011 direkt nach der Uni bei Dyson einstieg, gab es das Institut noch nicht. Josh hat sich in seinen zwölf Jahren vom Design Engineer zum Senior Design Manager hochgearbeitet und lobt das System Dyson in höchsten Tönen: «Es gibt kaum eine Firma, die Studienabgängerinnen und Abgängern so viel Verantwortung und Freiheiten gibt». Euphorisch erklärt er, wie Projekte bei Dyson ablaufen. Wie eng die verschiedenen Abteilungen miteinander arbeiten. Wie schnell man dank modernster 3D-Drucktechnik Entwürfe in die Praxis umsetzt. Und was James Dyson von ihnen fordert, wenn sie gemeinsam den Fortschritt des Projekts in einem Review-Meeting besprechen.

Kultmarke – oder nur Kult?

«James und sein Sohn Jake fordern und motivieren uns täglich». Was andere als Micromanagement bezeichnen würden, ist hier inspirierend. Bei Dyson zu arbeiten, wirkt wie einem Kult anzugehören: Guru James an der Spitze, die Jüngerinnen und Jünger folgen ihm blind.

«Das ist auf keinen Fall so. Wir sollen unsere eigenen, kreativen Ansätze verfolgen. Um die Ecke denken… und auch mal scheitern!», verteidigt Josh. Es gehe darum, Probleme auf kreative und effektive Art und Weise zu lösen. Etwa, wie ein Staubsaugerroboter an einer Wand entlang am effektivsten reinigt. Oder ob die Augen des Roboters eher eine Kamera oder ein Laserscanner sein sollen. «Lösungen für Probleme» muss der Spruch sein, der beim Besuch in Malmesbury am häufigsten wie ein Mantra wiederholt wird.

Wir kriegen aber auch ein paar Antworten. Das Problem mit der Wand etwa hat man mit einem Streifen Silikon gelöst, der sich an der Seite des Roboters ausklappt und so die Saugkraft an die Wand umleitet. Die Frage nach Laserscanner oder Kamera beantworten die Ingenieurinnen und Ingenieure bei Dyson mit Kamera, da Kameras die Zukunft seien, weil sie viel mehr Daten verarbeiten können. Natürlich ohne die Daten zu speichern oder in die Cloud zu laden. Auch das wird mantramässig wiederholt.

Und was bietet die Zukunft? «Dürfen wir darüber reden?» fragt ein Ingenieur die Dyson-PR-Manager, die uns durch den Campus in Malmesbury führen. Ein Kopfschütteln. Und der Hinweis, dass wir die grosse Zukunft am nächsten Tag in Hullavington zu sehen bekommen. Dort steht der zweite Campus von Dyson, gleich um die Ecke auf einem alten Militärflughafen. Robotik und AI sind dort die grossen Forschungsthemen – und Gegenstand meines nächsten Artikels.

Labors für fast alles und fast jeden Test

Was man bei Dyson darf und was man nicht darf, ist so eine Sache. Fotografieren ist auf dem Campus generell verboten. Ausser dort, wo für die Journalisten Testsettings aufgebaut wurden. Wir betreten eine grosse Halle, in die Labors gebaut wurden. Vom Biolabor im Bürocontainer bis zum gigantischen, begehbaren Metall-Kubus zur Strahlenmessung kann hier alles auf Herz und Nieren getestet werden. Wie laut ist der Motor eines Staubsaugers? Wie viel Strahlung gibt das Netzteil ab? Wie gut saugen oder blasen die Geräte? Wie effizient wälzen Ventilatoren die Luft in einen Raum um? Sogar eine Kolonie von Hausmilben bekommen wir, durch ein Mikroskop vergrössert, zu Gesicht.

Milben unter dem Mikroskop.
Milben unter dem Mikroskop.
Quelle: Simon Balissat

In kurzen Demos zeigen uns Ingenieurinnen und Ingenieure ihre tägliche Arbeit. Sie vermessen, werten aus und prüfen nach internationalen Standards. «Das ist das Geheimnis hinter der Innovation», erklärt ein PR-Manager. «Wir sind der Konkurrenz einen Schritt voraus, da wir dank den Labors Probleme schneller lösen können». Etwa im Labor, das die Saugkraft der Dyson-Staubsauger testet. In einer Ecke hängen Teppiche in schmalen Streifen. Flokati, Kurzflor, Sisal oder Perser lassen sich in eine längliche Apparatur einspannen und automatisch absaugen. Die Teppiche sind streng normiert. «Nur die Wolle einer ganz speziellen Farm in Schottland wird für den Kurzflor verwendet, das ist EU-Standard», erklärt der PR-Manager. Kostenpunkt: Über 1000 Franken pro Teppich.

Mitarbeiter testen die Saugkraft auf normierten Teppichen.
Mitarbeiter testen die Saugkraft auf normierten Teppichen.
Quelle: Simon Balissat

Sauber aufbewahrter Schmutz

Das Pièce de resistance des Labors bildet ein Schrank mit allerhand in Dosen verpacktem Schmutz wie Backpulver, Scherben, Cornflakes oder Katzenstreu. Alles sortiert nach Art und Herkunftsland. Manch Schmutz ist doppelt vertreten. Die Frühstücksflocken Cheerios aus den USA etwa sind grösser als die aus Grossbritannien. Der Schmutz wird abgewogen und auf den Teppichstreifen verteilt, damit der am Roboterarm befestigte Staubsauger möglichst alles aufsaugen kann. Das ist alles etwas professioneller als unsere Testanordnung für Staubsaugertests.

Fein säuberlich sortierter Müll.
Fein säuberlich sortierter Müll.
Quelle: Simon Balissat

«Wir können in unseren Labors die Tests für fast alle internationalen Zertifikate nachbilden», erklärt ein Labormitarbeiter. Früher habe man die Prototypen und neuen Geräte jeweils an externe Labors geschickt, was viel Geld und noch mehr Zeit gekostet hat. Oft seien die Daten erst nach Wochen geliefert worden, ohne jegliche Erklärung oder Einordnung. Dank der eigenen Labors kann Dyson nun viel individueller testen. Das spart Zeit.

Congratulations

Wir erreichen den Parkplatz vor dem Laborgebäude. Der Besuch auf dem Campus neigt sich dem Ende zu. Vor den Toren warten mehrere Dutzend Mitarbeitende im Nieselregen auf den firmeninternen Bus, der sie nach Bristol bringen sollte.

Es riecht nach Kerosin. Ein zylindrisches Teil aus Metall steht mitten auf dem Parkplatz, vier Männer, die uns nicht vorgestellt werden, stehen drumrum. Daneben zwei Feuerlöscher. «Das ist eines der ersten Rolls-Royce-Düsentriebwerke von 1943» wird erklärt. James Dyson habe es für viel Geld ersteigert und für noch mehr Geld in Stand gesetzt. Ob man das Triebwerk heute zum Laufen bringe, sei nicht klar, da es immer mal wieder zicken würde. Es beginnt zu zischen und zu fauchen. Nach zwei Minuten ist der Spuk vorbei. Die Journalistentruppe fragt sich, ob das jetzt funktioniert hat oder nicht. Die PR-Truppe offenbar auch. Der Applaus bleibt aus, aus dem Triebwerk steigt Rauch in den grauen, englischen Himmel.

Düse in Betrieb.
Düse in Betrieb.
Quelle: Simon Balissat

Wir schliessen den Tag in der Cafeteria ab, wo uns «Dyson Farms» erklärt wird – neben Staubsaugern und Haarföhns produziert Dyson in Grossbritannien auch Erdbeeren und Rinderfilets. Ein Nachhaltigkeitsprojekt, das ebenfalls im Forschungszentrum seinen Anfang nahm, aus Interesse von James Dyson an der Landwirtschaft. Ein Gewächshaus wird aus der Abwärme eines Kraftwerks beheizt. Die Erdbeeren schmecken süss und saftig. Das Rinderfilet wäre auch gut, wäre es nicht nur «well done» gegart, sondern eher «congratulations». Der französische Wein mit Jahrgang 2006 macht das wett. Inspiriert und gesättigt verlassen wir den Campus durch eine Drehtür, die zunächst nicht funktioniert. Ein PR-Manager rückt den richtig programmierten Batch raus. Problem gelöst. James Dyson wäre stolz.

Titelfoto: Dyson

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Als ich vor über 15 Jahren das Hotel Mama verlassen habe, musste ich plötzlich selber für mich kochen. Aus der Not wurde eine Tugend und seither kann ich nicht mehr leben, ohne den Kochlöffel zu schwingen. Ich bin ein regelrechter Food-Junkie, der von Junk-Food bis Sterneküche alles einsaugt. Wortwörtlich: Ich esse nämlich viel zu schnell. 


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