Dieser Film schockt – aber nicht wegen seiner Nacktszenen
«365 Days» belegt derzeit Platz drei der Schweizer Netflix-Charts. Wer «50 Shades of Grey» schon furchtbar fand, dem wird bei diesem Erotik-Drama erst recht die Kinnlade runterfallen.
Der folgende Artikel enthält kleine Spoiler. Wie der Film endet, erfährst du hier jedoch nicht.
Nicht schauen, war keine Option. So stark hat mich der Netflix-Teaser zum Film «365 Days» getriggert. Vorlage für den polnischen Film mit dem Originaltitel «365 dni» war der Bestseller-Roman von Blanka Lipińska. Regie geführt hat Barbara Białowas. Beides Frauen. Umso mehr verwundert die fehlende Weitsicht und der schnörkellose Sexismus, die diesen Erotikstreifen dominieren.
Story und Logik bleiben aus
Die Storyline unterbietet alles, was ich bisher gesehen habe. Einen Spannungsbogen suchst du in den knapp zwei Stunden vergebens. Massimo Torricelli (Michele Morrone), ein reicher, gutaussehender Mafiaboss sieht kurz vor dem Tod seines Vaters in Sizilien eine ihm unbekannte junge Frau (Anna-Maria Sieklucka) am Strand, die er nicht mehr aus dem Kopf kriegt. Er ist besessen von ihr. Unklar ist, ob er sich die Frau zu dem Zeitpunkt nur eingebildet hat oder nicht.
Fünf Jahre später findet und entführt Massimo die junge Frau namens Laura Biel, die bis zum Zeitpunkt ihrer Entführung in einer unglücklichen Beziehung steckt. Er erzählt ihr, dass er auf der ganzen Welt nach ihr gesucht habe und dass ihre Gefangenschaft von 365 Tagen dazu diene, sich in ihn zu verlieben. Spätestens hier wird klar: Die Story ist Nebensache. Er hätte die Polin schliesslich auch einfach nach einem Date fragen können. Der Protagonist setzt jedoch lieber auf das Stockholm-Syndrom. Und siehe da, Massimos Plan scheint aufzugehen.
Die einzige Logik, die sich konsequent durch die Story zieht, ist das Fehlen jedweder Logik. Ein Beispiel: Zu Beginn versichert Massimo Laura, dass er nichts ohne ihre Einwilligung tun wird – wohlgemerkt, nachdem er sie entführt hat – nur, um sie dann ohne ihr Einverständnis bei jeder Gelegenheit zu begrapschen und zu befummeln. Und das mit Sätzen wie «Ich werde mit dir machen, was ich will» und «Ich werde dich besitzen». Laura wird zum Objekt. Und die Logik dahinter? Die rennt cocktailschlürfend und nackig über eine Wiese.
Charakterlos
Nebencharaktere, von denen du annimmst, dass sie eine wichtige Rolle spielen, werden halbherzig eingeführt und verschwinden genauso schnell, wie sie aufgetaucht sind. Daher lässt sich die Story auf die zwei klischeehaften Protagonisten reduzieren. Massimo, der wohlhabende Gangster, der krampfhaft an seinem Badboy-Image festhält und kein Nein akzeptiert. Natürlich mit einem tief, tieeeeef verborgenen guten Kern. Hier und da wird der gescheiterte Versuch unternommen, Massimos Absichten in ein vermeintlich besseres Licht zu rücken – in dem er eben tut, was ein Mafiosi tun muss, um die Familienehre zu retten und Laura vor Gefahren zu beschützen. Dass sie viel eher Schutz vor ihm bräuchte, ist kein Thema. Denn anders als die schüchterne Anastasia Steele aus «50 Shades of Grey» strotzt Laura nur so vor sexueller Energie und Selbstvertrauen. Innert weniger Spielminuten wird aus der Ver- und Entführten die Verführerin. Selbst ihr «zur Wehr setzen» gegen ihren Entführer zu Beginn des Filmes kommt einem erotischen Rekeln gleich. Alles ist ein Vorspiel.
Während sich Massimo immer wieder denselben machohaften Anmachsprüchen bedient, versucht Laura, schlagfertig und provokativ zu sein. Auf echte Gespräche mit Tiefgang wartest du vergeblich. Streitereien tauchen grundlos auf und enden fast immer mit Sex. So kassiert Massimo zum Beispiel eine Ohrfeige und den Spruch «Wie konntest du mir das antun?», nachdem er Laura auf ihren Wunsch hin einen Flug nach Warschau organisiert hat, damit sie sich mit ihrer Freundin amüsieren kann. Ja, Massimo. Wie konntest du nur? So heftig hat sie nicht mal nach ihrer Entführung reagiert.
Nicht die Sex-Szenen schockieren
Das Teaserbild zum Film zeigt eine mit ihren Armen ans Bett gefesselte Laura, während Massimo dominant vor ihr steht. Im Hintergrund ein riesiges Ölgemälde von ihm mit einem Löwen, was das ohnehin überinszenierte Setting noch absurder macht. Das Bild lässt die Zuschauer vermuten, dass es im Film hart zu und her geht. Von BDSM ist im Streifen jedoch abgesehen von dieser einen Szene nicht viel zu sehen.
Dennoch: Die vom Mainstream-Porno inspirierten Sex-Szenen kommen unerwartet und sind meiner Meinung nach dank guter Kameraführung das Gelungenste an diesem Werk. Das Drumherum macht es dem Zuschauer jedoch schwer, diese Sequenzen zu geniessen. Denn irgendwo zwischen den vergewaltigungsverherrlichenden Szenen, der Objektifizierung der Frau und Lauras Gefallen daran lauert das schlechte Gewissen. Es sind also nicht die Erotikszenen, die mich als Zuschauer schockiert haben, sondern meine Bereitwilligkeit, mir den Streifen bis zum Schluss zu geben – zusammen mit seiner verächtlichen Botschaft: Mit Macht, Geld und gutem Aussehen kannst du dir alles leisten. Sogar einen Menschen.
Bild: IMDbAls Disney-Fan trage ich nonstop die rosarote Brille, verehre Serien aus den 90ern und zähle Meerjungfrauen zu meiner Religion. Wenn ich mal nicht gerade im Glitzerregen tanze, findet man mich auf Pyjama-Partys oder an meinem Schminktisch. PS: Mit Speck fängt man nicht nur Mäuse, sondern auch mich.