
Hintergrund
«Weihnachten ist das perfekte Setting, in dem versteckte Konflikte zur Trennung führen können»
von Martin Jungfer
Schon mal eine Münze über dein Liebesleben entscheiden lassen? Bei den vielen Entscheidungen, die du täglich triffst, hätte das kleine Geldstück bereits ein Schleudertrauma. Wenn auch du zu den stets Unentschlossenen dieser Welt gehörst, kommt hier ein Lösungsvorschlag.
Du stehst vor dem Supermarktregal. Allein das Überangebot an Fruchtjoghurt-Optionen lässt dich Minuten davor verbringen – unsicher, welche Sorte du in deinen Einkaufskorb legen sollst. Heidelbeere, Himbeere, Pfirsich, Natur ... Es ist zum Verzweifeln.
Die Sache ist nur die: Es bleibt nicht bei dieser einen Entscheidung. Pro Tag musst du rund 20 000 ähnlicher Entscheidungen treffen. Das behauptet zumindest Hirnforscher Ernst Pöppel in seinem Buch «Zum Entscheiden geboren». Er stellt darin auch fest: Rund 40 Prozent deines Gehirns sind nur dafür da, Entscheidungen zu treffen.
Wie viele Entscheidungen du pro Tag triffst, basiert natürlich auf Schätzwerten und variiert in der Literatur. Fakt ist: «Wenn man jede Entscheidung mitrechnet – von «Ich putze heute die Zähne» bis «Heute trinke ich Tee und nicht Kaffee» – kommt man auf eine sehr hohe Zahl», sagt Dr. Bettina von Helversen, Wissenschaftlerin für Urteils- und Entscheidungsprozesse an der Universität Bremen. Ich spreche mit der Expertin über die Qual der Wahl und wie du in Zukunft große und kleine Entscheidungen einfacher triffst.
Du wendest täglich sehr viel Energie dafür auf, Entscheidungen zu treffen. Denn auch wenn von tausenden Entscheidungen die meisten automatisch getroffen werden, bleiben dir noch zwischen 20 und 70 Entscheidungen am Tag, die du bewusst treffen musst, sagt die Expertin. Und warum kommt es dabei so oft zu inneren Konflikten?
«Die verschiedenen Entscheidungsoptionen stehen oft für verschiedene Ziele oder Wünsche, die man im Leben hat. Schwierig wird es, wenn diese im Konflikt zueinander stehen», sagt von Helversen. Besonders bei wichtigen Entscheidungen, wie welches Studium du wählen oder welches Haus du kaufen sollst, kommen Zweifel ins Spiel. Und ein langer Abwägeprozess aller Vor- und Nachteile nimmt seinen Lauf.
Mit jeder Entscheidung für etwas, entscheidest du dich auch immer gegen eine Reihe anderer Möglichkeiten. «Diese Trade-offs nimmt man leichter in Kauf, wenn man sich selbst gut kennt. Je klarer man sich darüber ist, was einem selbst wichtig ist, desto leichter fällt die Entscheidung» sagt die Expertin.
Wer sich selbst gut kennt, entscheidet leichter. Darüber hinaus entscheiden aber auch andere Faktoren in der Persönlichkeit darüber, wer schnell Entscheidungen fällt – und wer noch immer vor dem sprichwörtlichen Joghurt-Regal steht. «Entscheidungsfreudige Menschen haben oft eine höhere Selbstwirksamkeit und sind meist insgesamt optimistischer und emotional stabiler» sagt von Helversen.
Was die Entscheidungsfindung außerdem so verdammt schwierig macht: Währenddessen wirken viele innere und äußere Einflüsse auf dich ein: Fehlende kognitive Ressourcen durch Stress oder Zeitdruck, Emotionen, persönliche Präferenzen, Erwartungsdruck oder durch das soziale Umfeld. Oder man hat einfach ein schlechtes oder gutes Bauchgefühl.
«Das Bauchgefühl ist oft nicht irrational, sondern spiegelt unsere Erfahrungen wider» sagt die Expertin. «Erfahrung ist ein wichtiger Grundbaustein für das Treffen von Entscheidungen. Im positiven Sinne – durch sie lernen wir, welche Attribute von Optionen wichtig für uns sind.» Entscheidungen, die in der Vergangenheit richtig waren, bieten dir folglich Orientierung für zukünftige Entscheidungen.
Diese Bauchentscheidungen sind oft aussagekräftiger als langes Abwägen der Vor- und Nachteile. Das kann je nach Entscheidung durchaus sinnvoll sein, denn: «Rationale Prozesse können manchmal in die Irre führen» sagt die Expertin. «Man kann schnell das Gefühl dafür verlieren, was einem selbst wichtig ist und passt sich stattdessen den Erwartungen anderer an.»
Dein soziales Umfeld hat nämlich viele Erwartungen, die normativ richtige Entscheidung zu treffen – und übt so einen enormen Entscheidungsdruck aus. «Besonders Erwartungen von Menschen, die einem nahe stehen, können Entscheidungen beeinflussen» sagt von Helversen.
Du wählst also nicht nur zwischen ungeheuer vielen Optionen pro Tag, du versuchst diese Entscheidungen noch dazu im Einklang mit den vielen inneren und äußeren Einflussfaktoren zu treffen. Kein Wunder: Das führt häufig zu einer inneren Zerrissenheit.
Dabei sollte doch, wer täglich über so viele Dinge frei entscheiden kann, besonders zufrieden sein – oder? Das wohl bekannteste Werk zu dieser Frage ist «The Paradox of Choice»: ein Plädoyer für weniger Entscheidungsoptionen des amerikanischen Psychologen Barry Schwartz. Darin argumentiert der Autor: Wer zwischen zu vielen Optionen entscheiden kann, ist am Ende unzufriedener mit der Wahl.
Dieser «Choice Overload»-Effekt zeigt sich auch in Studien. Wie eine Untersuchung der Columbia und Stanford University zeigt: Probandinnen und Probanden wurde Schokolade in unterschiedlich großen Sortimenten zur Wahl gestellt. Das Ergebnis: Bei sechs zur Wahl stehenden Schokoladesorten kam es eher zum Kauf als bei 24 oder 30 möglichen Sorten. Und: Die Teilnehmenden berichteten danach von einer höheren Zufriedenheit mit ihrer Wahl.
Aktuellere Studien ergänzen: Die Menge an Optionen alleine ist nicht ausschlaggebend dafür, wie zufrieden du am Ende mit deiner Wahl bist. Offenbar gibt es einen Sweetspot aus nicht zu vielen und nicht zu wenigen Entscheidungsoptionen. So heißt es in einer internationalen Studie des Sage Journals: «Am zufriedensten [mit ihrer Wahl] sind Menschen bei einer moderaten, nicht zu großen und nicht zu kleinen Auswahlmöglichkeit.» Was als Optimum empfunden wird, sei aber sehr individuell.
Ums Entscheiden kommst du nicht herum. Ob alltägliche oder scheinbar lebensverändernde Entscheidungen: Du allein musst dich ihnen stellen. Das Gute ist: Es gibt Tipps, wie du dich an gute Entscheidungen herantasten und so das Entscheiden üben kannst. Expertin von Helversen teilt fünf Tipps, wie du dich an die wichtigen und unwichtigen Entscheidungen des Lebens wagen kannst:
Entscheidungen zu treffen ist schwierig, besonders bei wichtigen, komplexen Lebensfragen. Im ersten Schritt kannst du dich also fragen: Weshalb fällt diese Entscheidung gerade so schwer und wo liegt das Problem? «Zuerst sollte man das Problem erkennen, über die Konsequenzen nachdenken und sich der Trade-offs bewusst werden» rät von Helversen.
Danach ist es wichtig zu wissen, wo deine Ziele liegen. Befreie dich vom Erwartungszwang der anderen und frage dich vor wichtigen Entscheidungen besser: Was ist mir wichtig? «Führe dir deine eigenen Präferenzen vor Augen» sagt von Helversen. «Es ist wichtig sich nicht von Attributen leiten zu lassen, die einem eigentlich gar nicht so wichtig sind.» Nach dem Abwägen aller möglichen Optionen rät die Expertin, die Entscheidung für eine Nacht ruhen zu lassen: «Das kann helfen, wieder das eigene Bauchgefühl zu spüren.»
Unendlich viele Optionen zu haben, macht weder die Entscheidung leichter noch dich zufriedener. Was also tun? Eine Vorauswahl treffen, um die Entscheidungslast zu reduzieren: «Noch bevor man sich über die einzelnen Optionen tiefergehend informiert, sollte man sich fragen: Welche Optionen kommen überhaupt in Frage?». Die Auswahl, die übrig bleibt, repräsentiert dann im Idealfall die Richtung, die im Einklang mit deinen Zielen und Präferenzen stehen.
Ja, manche Entscheidungen sind wichtig und objektiv gesehen richtig oder falsch. Aber: Letztlich wirst du nie alle notwendigen Informationen haben und musst die Entscheidung trotzdem treffen. «Manche Faktoren zeigen sich eben erst in der Zukunft und können zum Zeitpunkt der Entscheidung gar nicht mitberücksichtigt werden» sagt von Helversen. Ob eine Entscheidung am Ende richtig oder falsch war, kannst in den meisten Fällen ohnehin nur du beurteilen. Und vielleicht sind rückblickend die guten Entscheidungen einfach diejenigen, bei denen du etwas gelernt hast.
Zwar schlägst du mit manchen Entscheidungen grundsätzliche (Lebens)Wege ein. Aber: Die meisten davon lassen sich wieder rückgängig machen. «Es gibt Entscheidungen, deren Konsequenzen wir zu wichtig nehmen» sagt von Helversen. «Man kann auch mal zufällig wählen, sich überraschen und auf etwas Neues einlassen.» In den meisten Fällen kannst du auch nach der Entscheidung Bilanz ziehen und dich dann nochmal anders entscheiden – den Job wechseln, den Partner verlassen oder dich doch für einen anderen Wohnort entscheiden. (Fast) Jede Entscheidung ist revidierbar.
Titelfoto: shutterstockIch liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party.